Merkel auf Abschiedstournee

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Guten Morgen,

vor dem nahenden Bühnen-Abschied gehen viele Künstler schnell noch auf Abschiedstournee, manche, wie Howard Carpendale, auch mehrfach: „Hello Again”

Im Angesicht des vorsätzlichen Machtverlustes dreht auch die Bundeskanzlerin kommunikative Extrarunden: Jeden Abend eine Zugabe. Vier Regierungserklärungen im Corona-Jahr 2020 und damit doppelt so viele wie 2019, drei Bundespressekonferenzen in den Monaten November bis Januar, zwischendrin ein Interview mit dem Kundenmagazin der Bahn, und gestern Abend lud sie die ARD zur besten Sendezeit ins Kanzleramt ein. Immer wieder spielte Merkel vor den beiden Fragestellern die Evergreens ihrer Corona-Collection:

Wir haben noch nicht die Kontrolle über das Virus.

Ich bitte alle Bürger durchzuhalten.

 © dpa

Dieses Virus können wir besiegen.

Wenn wir das noch eine Weile durchhalten, dann wird es besser werden.

Eine Infografik mit dem Titel: Merkels Abschied von der Macht

Antworten auf die Frage*: Ist das Ende der Kanzlerschaft Merkels gut oder schlecht für Deutschland, in Prozent

Heinrich Heine kommt einem in den Sinn, der in seinem Gedicht vom „Sonnenuntergang” das lustvolle Leiden am Abschied wie folgt beschrieb:

Ein Fräulein stand am Meere

Und seufzte lang und bang,

Es rührte sie so sehre

Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! Sein Sie munter,

Das ist ein altes Stück:

Hier vorne geht sie unter

Und kehrt von hinten zurück.

 © dpa
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) © dpa

Auch der Gesundheitsminister geht die kommunikative Extrameile, bis weit hinein in das publizistische Sperrgebiet eines demokratischen Politikers. Sein Ministerium kooperiert neuerdings mit Google – ein Pakt zum beiderseitigen Vorteil. Der Minister und seine Kommunikationsprofis werden – unter Umgehung des Algorithmus – seither automatisch bei der Suche oben platziert. Spahn gibt unumwunden zu:

Wer Gesundheit googelt, soll künftig zuerst bei uns landen.

 © imago

Der Medienkonzern aus den USA darf die Werbung, die im Umfeld der Minister-PR steht, für sich verbuchen. Er muss, anders als bei vergleichbaren Inhalten aus deutschen Medienhäusern, mit niemandem teilen. Der eine bekommt PR, der andere Profit: Das nennt man eine Win-Win-Situation. Genau so funktionieren Kartelle.

Wenn da nur nicht das Bundesverfassungsgericht und die EU-Kommission wären. Im Jahr 1966 hielten die Karlsruher Richter im sogenannten „Spiegel“-Urteil fest:

Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates.

Im Jahr 2017 verhängte Brüssel eine Milliardenstrafe gegen Google wegen Missbrauchs der Marktmacht, damals ging es vor allem um die Suchmaschinen-Werbung. Und auch heute sucht die Kommission nach Wegen, um den politisch und publizistisch wachsenden Einfluss der Firma zu beschneiden.

 © imago

Philipp Welte, Vorstand der Hubert Burda Media, hat beim Landgericht München Klage gegen die beiden Kartellbrüder eingereicht. Burda beschäftigt im Gesundheitsjournalismus über 100 Journalisten in seinem Kompetenzzentrum Health und sieht sein Portal Netdoktor.de wirtschaftlich durch diese Marktverzerrung bedrängt. Im Morning Briefing Podcast sagt er:

Das ist ein Pakt gegen die freie Presse.

Er diagnostiziert eine klare Grenzverletzung:

Der Staat setzt sich mithilfe des größten Monopolisten, den es jemals auf diesem Planeten gegeben hat, an die Nummer eins und damit vor die journalistischen Angebote. Damit überschreitet das Gesundheitsministerium die verfassten Kompetenzen des Staates.

Die Regierung nutze die Gunst der Covid-19-Pandemie, so Welte, um sich selbst als Medium in Szene zu setzen:

Wir erleben im Moment an vielen Stellen, dass Corona viele Dinge möglich macht, die wir noch vor einem Jahr für völlig unmöglich gehalten haben. Tatsächlich ist es so, dass der Staat sich unter dem Banner des Corona-Bekämpfers zum Medienanbieter aufschwingt.

Fazit: Der Prozess vor dem Landgericht München könnte Mediengeschichte schreiben. In der kommenden Woche soll das Urteil verkündet werden.

 © imago

Paukenschlag in den USA: Gestern Abend gab Jeff Bezos, der Gründer des weltgrößten Online-Händlers Amazon, seinen Rückzug von der Konzernspitze bekannt. Abgelöst wird der 57-Jährige von Andy Jassy, dem derzeitigen Leiter des Cloud-Geschäfts, der bereits seit 1997 im Unternehmen arbeitet. Großen Einfluss dürfte Bezos als geschäftsführender Vorsitzender des Verwaltungsrats jedoch weiterhin besitzen. Man kann es auch so sehen: Er geht, um zu bleiben.

Eine Infografik mit dem Titel: Bezos' Rückzug drückt den Kurs

Kursentwicklung der Amazon-Aktie am 2. Februar 2021, in US-Dollar

Bezos gründete den Online-Versandhändler im Jahr 1994 und baute den anfänglichen Buchshop zu einem der prägenden Konzerne des Digitalzeitalters aus. Amazon setzte allein im dritten Quartal 2020 96,15 Milliarden US-Dollar um und steigerte seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal um rund 37 Prozent. Der Gewinn belief sich im dritten Quartal auf 6,33 Milliarden US-Dollar, was einem Gewinn von 48.173,52 US-Dollar pro Minute entspricht. An der Börse ist das Unternehmen mit fast 1,7 Billionen Dollar mehr Wert als alle Dax-Unternehmen zusammen, die umgerechnet rund 1,3 Billionen Dollar wert sind.

Eine Infografik mit dem Titel: Bezos' Erfolgskurve

Kursentwicklung der Amazon-Aktie seit dem 1. Oktober 2015, in US-Dollar

Das ist die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut (RKI) 9705 Corona-Neuinfektionen und 975 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden gemeldet. Vor genau einer Woche hatte das RKI 13.198 Neuinfektionen und 982 neue Todesfälle innerhalb eines Tages verzeichnet.

  • Mit Angriffen gegen die EU hat Großbritannien den Streit um Corona-Impfstoffe weiter angefeuert. „Vertrauen wurde untergraben, Schaden angerichtet“, sagte Staatsminister Michael Gove gestern im Parlament.

  • Russische Forscher haben weitere Details zu dem Corona-Impfstoff Sputnik V veröffentlicht: Demnach hat das Vakzin eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent. Die Ergebnisse wurden im medizinischen Fachblatt „The Lancet“ publiziert. Russland strebt eine Registrierung in der EU an.

  • In Frankreich wächst die Sorge vor der Verbreitung der besonders ansteckenden Coronavirus-Varianten. Erste Untersuchungen im Großraum Paris seien „nicht gut“, warnte Rémy Salomon, Präsident der medizinischen Kommission beim Pariser Krankenhausbetreiber AP-HP.

Eine Infografik mit dem Titel: Hoffnung für Deutschland

Lieferprognosen der verschiedenen Corona-Impfstoffe nach Quartalen, Angaben in Millionen Impfdosen

  • Der US-Konzern Pfizer erhofft sich vom gemeinsamen Corona-Impfstoff mit BioNTech im laufenden Jahr noch mehr Schub als bisher gedacht. Die Amerikaner hoben gestern ihre Umsatz- und Gewinn-Ziele für 2021 an.

Das Merz-Protokoll

Abrechnung eines Verschmähten: Vor der Mittelstandsunion analysiert Friedrich Merz seine Niederlage

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Götterdämmerung in Russland

Macht Putin Alexei Nawalny mit der Verurteilung zum Märtyrer? Ein Gastbeitrag von Jaka Bizilj.

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Veröffentlicht von Jaka Bizilj.

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Gestern wurde der russische Kreml-Kritiker Alexei Nawalny von einem Moskauer Gericht zu dreieinhalb Jahren Haft in einem Straflager verurteilt. Nach einem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok im August 2020 wurde er in Berlin und Baden-Württemberg fünf Monate lang behandelt und überlebte.

Einer, der seine Ausreise nach Deutschland und die hiesige Behandlung ermöglicht hatte, war Jaka Bizilj. Der slowenische Filmproduzent evakuierte am 22. August 2020 den im Koma liegenden Nawalny in einem Privatflugzeug nach Berlin, um sein Leben zu retten. 2002 gründete er die Initiative Cinema for Peace. In einem Gastbeitrag auf ThePioneer schreibt er:

Die absurde Verurteilung von Alexei Nawalny deutet darauf hin, dass sich in Russland eine nicht mehr aufhaltbare Abkehr von einer Demokratie zum alten autoritären Regime der Sowjetunion vollzieht.

Durch die Gefängnisstrafe für Nawalny macht Putin seinen wichtigsten Gegenspieler zum Märtyrer – einem Nelson Mandela von Russland.

Mit jeder Verhaftung wird Wladimir Putin einem Nicolae Ceaușescu oder einem
 Erich Honecker ähnlicher: Er leitet seine eigene Götterdämmerung ein.

 © dpa

Seit 2013 steht Joe Kaeser an der Spitze des Siemens Konzerns. Nun übergibt er den Vorstandsvorsitz auf der heutigen Hauptversammlung an seinen Nachfolger Roland Busch. Doch der Abgang wird von zwei Ereignissen überschattet:

Siemens Energy – gerade erst vom Mutterkonzern abgespalten – wird bis 2025 rund 7800 der weltweit gut 90.000 Arbeitsplätze streichen. Hier will der scheidende Konzernchef als Vorsitzender des Aufsichtsrats die nächsten Jahre verbringen.

Die diesjährige Hauptversammlung findet nicht in der Münchner Olympiahalle, sondern rein virtuell statt – und das zum Ärger der Aktionäre. Diese dürfen nicht in Echtzeit mit ihrer Führung interagieren, sondern müssen Fragen vorher einreichen. Die Diskussion über eingeschränkte Rechte der Anteilseigner wirft kein gutes Licht auf die Aktionärsdemokratie im Hause Siemens.

Eine Infografik mit dem Titel: Erfolgreiche Konzernabspaltung

Kursentwicklung der Siemens-Energy-Aktie, in Euro

Die energiepolitische Debatte in Deutschland läuft wie auf Schienen. Dort die Freunde der erneuerbaren Energien, die Sonne, Wind und Wasser anstatt der fossilen Brennstoffe platzieren wollen. Dort die Traditionalisten, die auf Kohle und Kernenergie schwören, auch wenn der Schwur nur noch im Hinterzimmer der Macht geleistet wird.

Doch es gibt einen dritten Weg, den die Firma Marvel Fusion und ihr Geschäftsführer Moritz von der Linden beschritten haben. Die Vorteile der Fusionsenergie beschreibt Moritz von der Linden im Morning Briefing Podcast. Prädikat aufregend.

 © dpa

Die GameStop-Spekulanten wollen nicht für den rapiden Anstieg des Silberpreises der vergangenen Tage verantwortlich gemacht werden. Die Nutzer des Internetforums „Wallstreetbets” auf Reddit distanzieren sich von den Vorwürfen der Zockerei – dort heißt es:

Hören Sie nicht auf sie, das ist ihr Versuch, den Fokus von GameStop wegzunehmen.

Sie vermuten, dass der Aufruf zum Silberkauf von mehreren Fake-Accounts stammt und von genau den Hedgefonds inszeniert worden sei, die nach dem Kursanstieg der GameStop-Aktie als Verlierer gelten.

Fazit: Hobby- und Berufs-Spekulanten sind in Empörung über den jeweils anderen vereint. Jeder unterstellt dem anderen eine Gewinnerzielungsabsicht – und das zu Recht. Oder um es mit Elias Canetti zu sagen: „Ich habe es satt, die Menschen zu durchschauen. Es ist so leicht, und es führt zu nichts.”

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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