Merkels Corona-Politik unter Druck

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Guten Morgen,

die Demokratie ist zurück, was für Bundeskanzlerin Angela Merkel keine gute Nachricht ist: Ihre Corona-Politik gerät unter Druck – und das von unterschiedlichsten Seiten:

Juli Zeh, Autorin und Podcast-Host "Edle Federn".  © The Pioneer

Das links-liberale Bürgertum sendet nach Wochen der Gefolgschaft ein Zeichen seiner Vitalität. Mit dem erstarrten FDP-Wirtschaftsliberalismus will man sich nicht gemeinmachen, mit der Idee der Freiheit aber sehr wohl. In einem Gastbeitrag für den „Spiegel“ äußern sich der Philosoph und Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, die Brandenburger Verfassungsrichterin und Schriftstellerin Juli Zeh und der frühere Chef des Sachverständigenrats, Christoph Schmidt wie folgt:

Wir müssen aus dem Lockdown so rasch wie möglich in eine Phase übergehen, die unsere Volkswirtschaft aus dem Winterschlaf aufweckt, Eingriffe in unsere Grundrechte minimiert und uns dennoch hinreichend vor einem Wiederaufflammen der Gesundheitskrise schützt. Die jetzt eingeleiteten Lockerungsmaßnahmen können diesen Anspruch nicht erfüllen.

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Im erzkonservativen Bürgertum wird ähnlich gedacht, nur schärfer formuliert. Die sogenannte Atlas-Initiative, die sich als „ordo-liberal und wertkonservativ“ versteht, hat einen Brief an die Bundesregierung veröffentlicht, der Kanzlerin Merkel derbe angeht:

Sie schließen Theater, Museen und Kinos, verbieten private Feiern und schließen Gaststätten, Restaurants und Bars, heben Teile der Privatautonomie und damit die Marktwirtschaft auf, schränken Eigentumsrechte von Verpächtern und Vermietern ein, verbieten Gottesdienste und verhängen Ausgangssperren. Sie gehen gerade das Risiko eines Einbruches unserer öffentlichen Ordnung ein.

Wenn ein Großteil der Arbeitnehmer und Unternehmer in unserem Land, bei gleichzeitigem Einbruch der Lieferketten und einer starken Reduktion des Steueraufkommens seine wirtschaftliche Existenz verliert, wer soll den Staatsapparat dann noch finanzieren und unserer öffentlichen Ordnung sichern?

Der Brief endet unversöhnlich:

Wir fordern Sie zu einer sofortigen Aufhebung aller Zwangs- und Überwachungsmaßnahmen auf, weil sie auf Vermutungen und nicht auf wissenschaftlichen Untersuchungen und Beweisen beruhen und weil sie einem sozialistischen Grundprinzip folgen, dem wir eine entschiedene Absage erteilen.

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Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, laut Verfassung die Nummer Zwei im Staate, wendet sich sanft von Merkel ab. Im Interview mit dem „Tagesspiegel“ sagt der große, weise Mann der Union:

Wir dürfen nicht allein den Virologen die Entscheidungen überlassen, sondern müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen abwägen. Zwei Jahre lang einfach alles stillzulegen, auch das hätte fürchterliche Folgen.

Seinem Nachfolger im Amt des Finanzministers, Vizekanzler Olaf Scholz, will Schäuble in Sachen Corona-Wirtschaftspolitik keine Ratschläge erteilen – tut es dann aber doch. Wenn auch indirekt:

Man spürt im Moment ein verbreitetes Gefühl, wir könnten jedes Problem mit unbegrenzten staatlichen Mitteln lösen, und die Wirtschaft kriegen wir hinterher wieder mit einem Konjunkturprogramm in Gang. Der Staat kann aber nicht auf Dauer den Umsatz ersetzen.

Carsten Linnemann  © dpa

Im CDU-Wirtschaftsrat und bei der CDU-Mittelstandsvereinigung rumort es. Nicht nur die schuldenfinanzierten Ausgabenprogramme, sondern auch die neue Selbstermächtigung des Staates stößt hier auf Widerstand. Den Vorstoß der SPD-Fraktion, die Lufthansa wieder teilzuverstaatlichen und dies durch Sitz und Stimme im Aufsichtsrat zu dokumentieren, würde Carsten Linnemann gerne abwehren. Er sagt dem „Handelsblatt“:

Sollte der Staat sich direkt beteiligen und Politiker Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen nehmen, dann muss das sehr gut begründet werden. Ich habe bislang noch von keiner solchen Begründung gehört.

Heute wird im Beisein von CDU-Kanzlerin, SPD-Finanzminister und Lufthansa-Chef über die Details einer solchen Staatsbeteiligung verhandelt.

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Schützenhilfe für eine Politik des Exit kommt aus der Schweiz: „Weltwoche“-Herausgeber Roger Köppel stellt unter der Überschrift „Der Spuk muss ein Ende haben“ unbequeme Fragen:

Kann es sein, dass der Corona-Kurs ein tragischer Irrweg ist? Das Resultat einer medial-epidemiologisch befeuerten Politpanik, die Milliarden an Volksvermögen vernichtet und künftige Generationen auf Jahrzehnte hinaus belastet?

Wird der Corona-Frühling 2020 in die Geschichte eingehen als massenpsychologisches Hysteriephänomen, das mehr Existenzen ruiniert als die Krankheit, die allerdings ganzen Gesellschaften und ihren Regierungen vorübergehend den Verstand raubte?

Fazit: Ihren größten Trost erfährt die Bundeskanzlerin, wenn sie auf die Zustimmungswerte für ihre Partei schaut. Anders als US-Präsident Donald Trump, Großbritanniens Premier Boris Johnson und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – und anders als alle anderen Parteien im Bundestag – kann sie spürbar von der Krise profitieren. Das Virus wirkt auf Merkel wie ein Lebenselixier – zumindest bisher.

Eine Infografik mit dem Titel: Merkel-CDU profitiert

Umfrageergebnisse (Sonntagsfrage) der Bundestagsparteien in 2020,in Prozent

SPD und Linkspartei machen sich Gedanken über die Finanzierung der gewaltigen Ausgaben. Gedanken, die da ansetzen, wo das Denken der politischen Linke klassischerweise ansetzt: beim Portemonnaie der Vermögenden.

Im Bundestag zirkuliert ein am 9. April vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages vorgelegtes Papier. In Auftrag gegeben wurde es vom stellvertretenden Vorsitzenden und finanzpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, dem Deutsch-Italiener Fabio De Masi. Die Deutsche Presseagentur hat mit einer irreführenden Überschrift – mutmaßlich aus Versehen – die politische Debatte um das Papier verhindert.

Gutachten: Zweifel an Zulässigkeit von Vermögensabgabe wegen Corona“, lautete die Überschrift, die zahlreiche Medien, darunter auch „Der Spiegel“ und das Fachportal „Finanzen.net“, genau so veröffentlichten. In Wahrheit allerdings erfährt man bei genauer Lektüre des Gutachtens, dass die Wissenschaftler den Befürwortern einer Vermögensabgabe juristische Brücken bauen, die direkt in die Depots der Reichen führen könnten. So heißt es da:

Dadurch, dass die Vermögensabgabe im Grundgesetz in Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 ausdrücklich normiert wurde, ist sie grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig.

Die Vermögensabgabe muss laut Verfassung eine einmalige Abgabe bleiben. Allerdings ist es zulässig, diese einmalige Abgabe über mehrere Jahre zu verteilen, wie es etwa bei den Lastenausgleichsabgaben im Rahmen des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) von 1952 praktiziert wurde.

In Teilen der Merkel-CDU wird die juristische Debatte nicht gänzlich ohne Sympathie verfolgt. Man weiß ja: Die Finanzierung der kostspieligen Corona-Subventions-Orgie, um das Wort der Kanzlerin aufzugreifen, wird das nächste große Thema der deutschen Innenpolitik. Mit einer Vermögensabgabe könnte man sich am Wahltag die Loyalität der sozialdemokratischen Wählermilieus sichern. Die politische Gleichung geht so: Man verliert die Familien Albrecht, Klatten und Otto – und gewinnt die Fabrikarbeiter.

Die Blaupause für einen solchen Substanzeingriff haben nicht Karl Marx oder Oskar Lafontaine geliefert, sondern der ehemalige Finanzminister Matthias Erzberger. Der Zentrumspolitiker – der also der direkten Vorgängerin der CDU angehörte – setzte das Reichsnotopfer nach dem für Deutschland verlorenen 1. Weltkrieg durch.

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Das Notopfer war in der Weimarer Republik eine Vermögensabgabe, die infolge der staatlichen Finanznot nach dem Weltkrieg in den Jahren 1919 bis 1922 erhoben wurde. Progressiv besteuert wurden Sach- und Realvermögen wie Bargeld, Bankguthaben, Forderungen, Wertpapiere, Aktien, Anleihen, Immobilien und Maschinen. Die Steuersätze starteten bei 10 Prozent und stiegen bis 65 Prozent für Vermögen über sieben Millionen Mark an. Erzberger begründete den Eingriff eines konservativen Politikers in die Vermögenswerte mit der sozialen Befriedung der Nation:

Der große Steuersouverän der Zukunft kann nur das einige Deutsche Reich sein.

Gerechtigkeit im gesamten Steuerwesen zu schaffen ist mein oberstes Ziel. Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister.

Im Jahr 1922 wurde diese Vermögenssteuer wieder abgeschafft – zugunsten einer Vermögensteuer, die dann Hitler-Diktatur, Zweiten Weltkrieg, Neuanfang, DDR-Zusammenbruch und Wiedervereinigung überlebte. Erst 1995 wurde der Eingriff in bereits versteuerte Vermögenswerte vom Bundesverfassungsgericht wieder abgeschafft.

Den Namen Matthias Erzberger hält man im Finanzministerium bis heute in Ehren. Der größte Sitzungssaal ist nach dem Erfinder der Vermögensabgabe benannt.

Wenn Sie heute aus dem Haus gehen, sollten Sie sich maskieren: Deutschlandweit ist das Tragen einer Atemschutzmaske in der Öffentlichkeit nun zur Pflicht geworden.

 © dpa © imagoMarkus Söder vor dem Reichstagsgebäude.  © imago

Das Lesen im Gesicht des anderen wird damit deutlich erschwert. Wer neben Schutzmaske noch Sonnenbrille trägt, ist für den Gegenüber unlesbar geworden. Im Morning Briefing Podcast spreche ich darüber mit Dirk Eilert, Experte für Mimik und Körpersprache, der die Gesichtszüge als „Bühne unserer Emotionen“ beschreibt.

Er sagt:

Wir Menschen sind Wesen, die auf soziale Rückkopplung angewiesen sind.

Er rät uns zu erhöhter Sensibilität:

Wir sollten damit beginnen, auf die kleinen, feinen Signale zu achten. Wir haben ja zum Glück noch ganz viel Mimik – wenn keine Sonnenbrille da ist – im oberen Gesicht.

Die Welt wartet auf einen Impfstoff gegen das Coronavirus. Ein deutsches Biotech-Unternehmen liegt weit vorne bei der Entwicklung: die Mainzer Firma Biontech, gegründet 2008 von dem Krebsspezialisten Uğur Şahin und dem Immunologen Christoph Huber.

Einer der Ersten, der an die beiden Mediziner glaubte (und investierte), war Bill Gates. Vergangenen Mittwoch bekam Biontech die behördliche Zulassung zu ersten klinischen Studien für ihr Corona-Impfprogramm.

Eine Infografik mit dem Titel: Hoffnung im Kampf gegen Corona

Aktienkurs von Biontech seit Börsengang, in US-Dollar

Seit Börsengang im vergangenen Oktober – das Unternehmen ist an der US-Technologiebörse Nasdaq gelistet – legte der Aktienkurs von Biotech über 240 Prozent zu. Biontech ist 10,8 Milliarden US-Dollar wert.

Für den Morning Briefing Podcast hat ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker mit dem Biontech-Gründer und CEO Uğur Şahin gesprochen. Warum sein Unternehmen so frühzeitig in die Corona-Forschung eingestiegen sei, begründet er so:

Es gab ja schon Mitte Januar Publikationen, die gezeigt haben, dass dieses Virus in einer Metropolstadt in China, die verkehrstechnisch exzellent hervorragend angeschlossen ist, ausbrechen kann. Es gab klare Hinweise, dass es eine hohe Effektivität bei der Übertragung hat. Es gab Hinweise, dass auch scheinbar symptomlose Patienten Überträger sein können. Dieses Virus hat alle Merkmale erfüllt, die für eine Pandemie notwendig sind.

Eine Infografik mit dem Titel: Corona-Fälle gehen zurück

Zahl der aktiven Infizierungen in Deutschland

Nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt wünscht sich einen Impfstoff sehnlichst herbei. Dass dieser noch in diesem Sommer kommt, glaubt Şahin nicht:

Wir müssen zunächst einmal Sicherheitsstudien durchführen. Wir müssen sehen, ob der Impfstoff wirklich funktioniert. Und wenn er funktioniert, müssen wir noch mehr Sicherheitsdaten und Evidenzen generieren, sodass wir hier einen verträglichen und auch aktiven Impfstoff haben. Das wird im Sommer nicht funktionieren.

Die Prüf- und Testverfahren zur Sicherstellung des Impfstoffes beanspruchen viel Zeit. Doch glaubt Şahin, angesichts der gebotenen Eile, an eine Abkürzung der üblichen Verfahren:

Wir müssen gucken, dass wir gemeinsam als Arzneimittelentwickler, als Regulatoren und als Gesellschaft und Politik einen Weg erarbeiten, der uns ermöglicht, einen Impfstoff früh genug zuzulassen.

Nicht nur Biontech kann auf Unterstützung von Bill Gates zählen. Der Microsoft-Gründer und seine Frau Melinda unterstützen weltweit den Kampf gegen die Corona-Pandemie mit ihrer Stiftung: Rund 250 Millionen US-Dollar hat das Paar bereits gespendet.

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Mit dem Geld sollen unter anderem die Entwicklung von Diagnosesystemen, Behandlungsmethoden und Impfstoffen gefördert, sowie Gesundheitssysteme in Afrika und Südasien gestärkt werden. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ redet Gates Klartext:

Es gibt keinen schnellen Ausweg, und ich will keine unrealistischen Erwartungen wecken. Dies ist eine furchtbare Situation, und es ist schwer, einen Aufsatz zu schreiben, der zu optimistisch ist.

Den Regierungen macht er schwere Vorwürfe:

Nach der Ankunft des Virus waren wir zu langsam und haben seine Ausbreitung zugelassen.

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Erstens: Als erste Dax-Unternehmen legen Adidas und Bayer heute ihre Zahlen für das erste Quartal vor. Besonders der Sportartikelhersteller wurde von den Corona-Folgen schwer getroffen. Hingegen dürfte die Krise beim Chemie- und Pharmagiganten Bayer kaum Spuren hinterlassen.

Zweitens: Volkswagen fährt nach dem Lockdown die wichtigsten Werke heute wieder schrittweise hoch: In Zwickau und im slowakischen Bratislava ist die Produktion bereits wieder angelaufen, nun gehen auch Teile des VW-Stammwerks Wolfsburg, der Werke Hannover und Emden sowie weitere Standorte in Europa an den Start.

Drittens: Wirtschaftsminister Peter Altmaier stellt am Mittwoch die Frühjahrsprojektion der Bundesregierung vor. Infolge der aktuellen Ausnahmesituation wird eine schwere Rezession erwartet.

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Viertens: Mehrere Dax-Konzerne – Deutsche Bank, Daimler und Deutsche Börse – legen ihre endgültigen Quartalszahlen vor. Auch US-Schwergewichte, darunter Boeing, Tesla und Ebay, lassen uns heute einen Blick in ihre Bücher werfen.

Fünftens: Zum Wochenende werden frische Daten vom Arbeitsmarkt erwartet. Experten rechnen damit, dass die Zahl der Arbeitslosen deutlich zulegen wird – denn die März-Daten, als 2,335 Millionen Menschen (5,1 Prozent) ohne Job gemeldet waren, stammten noch aus der Zeit vor Ausbruch der Coronakrise in Deutschland.

Sechstens: Am Donnerstag steht in Frankfurt am Main die EZB-Ratssitzung samt Zinsentscheidung auf dem Programm. „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliches Handeln“, schrieb Präsidentin Christine Lagarde Mitte März auf Twitter. Mittlerweile stützt die EZB die europäische Finanzwelt mit einem milliardenschweren Aufkaufprogramm.

Siebtens: Der 1. Mai ist der gesetzliche Feiertag aller Werktätigen. Nach Wochen von Homeoffice, Werksschließung und Verkaufsverboten wird Arbeit nicht mehr nur als Mühsal, sondern auch als Befreiung angesehen. Es gibt auf dem Weg von der Arbeit zum Wohlstand keine Abkürzung. Selbst der ehemalige sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow musste am Ende einsehen:

Nur wer etwas leistet, kann sich etwas leisten.

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Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Start in diesen Tag. Herzlichst grüßt Sie Ihr

Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer
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