Mrs. Europa

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Guten Morgen,

im Spätherbst ihrer Kanzlerschaft hat sich Angela Merkel für eine außergewöhnliche, weil ungewohnte Rolle entschieden: die der Europäerin.

Fünf Argumente legen nahe, warum die Kanzlerin aus Berlin heute Brüssel so nah ist wie nie.

► Erstens. Angela Merkel sieht in der Corona-Epidemie das Wohlstandsversprechen der EU bedroht. Sie weiß, dass Europa nur vorankommt, wenn sie vorangeht.

Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht, als vor deutscher Inaktivität.

Dieser Satz stammt von Polens früherem Außenminister Radoslaw Sikorski.

Angela Merkel hat das verinnerlicht. Auch deshalb hat sie vor dem Start der deutschen Ratspräsidentschaft mit Emmanuel Macron einen 500-Milliarden-Euro schweren Solidarfonds gebaut, den sie vor zehn Jahren noch als Haftungsunion abgelehnt hätte.

Jetzt erklärte sie im Europäischen Parlament:

Ich bin überzeugt von Europa – nicht nur als Erbe der Vergangenheit, sondern als Hoffnung und Vision für die Zukunft.

 © dpa

Zweitens wurde Angela Merkel nicht als Europäerin sozialisiert. Als die junge DDR-Bürgerin noch Solidaritätsveranstaltungen für Vietnam organisierte und Russisch paukte, verteilte der Pfälzer Helmut Kohl im CDU-Vorstand Strategiepapiere für eine vertiefte Europäische Union. Merkel musste sich die Potenziale der Union erst in der Politik erarbeiten. Heute sagt sie:

Dieses Europa ist zu Großem fähig.

Merkels Regierungszeit begann drittens mit Euroskeptizismus. Reihenweise scheiterten die Abstimmungen über eine europäische Verfassung. Frankreichs Präsident Jacques Chirac fiel als Tandempartner aus, seine Beliebtheitswerte waren auf einem Rekordtief. Und die Osterweiterung hatte Kritiker auf den Plan gerufen. In ihrer ersten Regierungserklärung zu Europa 2005 beschrieb Merkel nüchtern die Rolle Deutschlands als die eines „ausgleichenden Faktors“. Mehr war nicht drin.

Heute geht es um das große Ganze, die Identität der Union. Merkel in Brüssel:

Die Grundrechte, das ist das erste, was mir in der Ratspräsidentschaft am Herzen liegt. Eine Pandemie darf nie Vorwand sein, um demokratische Prinzipien auszuhebeln.

► Die Staatsschuldenkrise wurde viertens zur Existenzkrise für den Euro. Merkel war nicht als Vordenkerin gefragt, sondern als Feuerwehrfrau. Ihr Satz „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ war wirtschaftspolitisch getrieben. Die Kanzlerin sprach über Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreformen, nicht über Solidarität. Im Süden Europas war die Wut auf Merkel groß, auch das hat der Kanzlerin zu denken gegeben.

Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrung sagt sie heute:

Europa wird nur gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn wir bereit sind, bei allen Differenzen gemeinsame Lösungen zu finden. Wenn wir bereit sind, die Welt mit den Augen der Anderen zu betrachten.

 © dpa

► Fünftens, und da darf man sich von der unprätentiösen Art Merkels nicht blenden lassen, geht es auch um den Eintrag in die Geschichtsbücher. Und hier soll nicht nur die Kanzlerin der Krisen drin stehen, sondern auch: Mrs. Europa.

Fazit: Angela Merkel und Europa, das ist Liebe auf den zweiten Blick. Aber wie im richtigen Leben kann daraus eine tiefe Partnerschaft entstehen. Man muss nur die Macken und Eigenarten des Partners als liebevollen Spleen akzeptieren. Oder wie es Jacques Delors, der große Vordenker Europas, gesagt hat:

Europa ist gesünder als viele glauben. Die echte Krankheit Europas sind seine Pessimisten.

 © dpa

Die CDU ist 75 Jahre alt geworden – und ausgerechnet in dem Alter wartet sie mit nahezu revolutionären Umtrieben auf. Die Partei des Bewahrens und der Tradition („Keine Experimente“) will ab 2025 eine verbindliche Frauenquote von 50 Prozent für Vorstandsämter ab Kreisebene einführen. Der Grund: Frauen sind in der CDU eher selten anzutreffen. Nur ein Viertel der Mitglieder ist weiblich.

Wie denken also diejenigen darüber, die mit der Quote gestärkt werden sollen? Für den Morning Briefing Podcast haben wir deshalb bei fünf einflussreichen und klugen Frauen aus CDU und CSU angerufen.

 © dpa

Silvia Breher ist Vize-Chefin der CDU. Die 46 Jahre alte Juristin aus Niedersachsen ist für die Quote und richtet eine Botschaft an ihre männlichen Parteifreunde:

Diese typische Abwehrhaltung, diese Abwehrschlacht: ,Nein, will ich nicht‘, das abzulegen und wirklich mal aus der Komfortzone raus zu kommen und zu schauen, was die Quote bedeutet, und dass sie bei uns kein Problem ist, das wünsche ich mir.

 © dpa

Ina Scharrenbach ist Vorsitzende der Frauenunion in NRW und Landesministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung. Sie stellt klar:

Ohne Frauen ist Politik nur die Hälfte Wert.

 © imago

Annette Schavan ist seit fast 50 Jahren in der CDU und eine Freundin der Kanzlerin. Die 65-jährige Theologin war Bundesbildungsministerin und deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Sie wirbt für die Quote und verweist auf den niedrigen Anteil an Frauen in der Mitgliedschaft:

Das ist eine Frage der Vernunft und der des Ankommens in der Wirklichkeit. Ansonsten würde diese 25-Prozent-Marke nicht überschritten werden.

 © dpa

Aber nicht alle Unionsfrauen sind dafür! Katrin Albsteiger ist die Nachwuchshoffnung der Schwesterpartei CSU, mit 36 Jahren Oberbürgermeisterin von Neu-Ulm und eine Gegnerin der Frauenquote:

Aus meiner Sicht führt dies die Wahl ad absurdum. Frauen sind anders zu bekommen als Männer. Sie leben im Spannungsverhältnis zwischen Beruf und Familie. Wir müssen etwas tun für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik.

 © dpa

Und wir haben die Frau angerufen, die der CDU den Feminismus beigebracht hat, Professorin Rita Süssmuth. Sie war Familienministerin unter Helmut Kohl, zehn Jahre Präsidentin des Deutschen Bundestags und 15 Jahre Vorsitzende der Frauenunion. Sie sagt:

Ich gehe davon aus, dass dieser Beschluss bleibt, trotz heftiger Gegenwehr. Aber es muss erkämpft werden, das ist jedenfalls meine Erfahrung.

Wenn wir ohne Quote so weit gekommen wären, wie andere mit Quote, bräuchten wir sie nicht.

Meine Kollegin Alev Doğan hat sich mit Rita Süssmuth ausführlich über das Thema Frauenquote in der CDU unterhalten. Das Interview finden Sie auf ThePioneer.de.

Während die Deutung bei den Frauen mehrheitlich klar ist, wird die Frauenquote zum Test für die (männlichen) Kandidaten für den Vorsitz. Armin Laschet gilt als Befürworter, sagt dies aber nicht wirklich. Friedrich Merz äußerte sich eher kritisch.

 © Marco Urban

Nur Norbert Röttgen, der dritte Bewerber für den CDU-Vorsitz, ist klar. Er lobte den gefundenen Kompromiss und den schrittweisen Einstieg in eine feste Quote gestern bei einem Besuch auf der Pioneer One. Aber er sagt auch:

Zu glauben, dass wir mit dem Kompromiss schon genug getan hätten, um mehr Frauen für die CDU zu finden, wäre eine gefährliche Illusion.

Norbert Röttgen © Marco Urban

Mit meiner Kollegin Marina Weisband haben wir mit dem Außenpolitik-Experten aus dem rheinischen Meckenheim den Podcast „Überstunde“ aufgezeichnet, den ich Ihnen schon jetzt ans Herz legen möchte. Das Konzept: Ein Gast, eine Stunde, ein Thema.

Und mit Röttgen haben wir – natürlich – über das Thema „Wettbewerb“ gesprochen. Heute Abend ab 18 Uhr können Sie den Podcast auf ThePioneer.de hören und überall dort, wo es Podcasts gibt.

 © ThePioneer

Im Hauptstadt-Newsletter haben wir uns die Frage genauer angeschaut, wie Friedrich Merz mit der Frauenquote umgehen will. Gegenoffensive oder kuschen? Merz telefoniert derzeit viel und sondiert die Stimmung in der Partei.

Klick aufs Bild führt zur aktuellen Folge

Die Corona-Krise zwingt Daimler zu einem verschärften Sparkurs. Vorstandschef Ola Källenius machte bei der Hauptversammlung klar, dass weitere Einschnitte notwendig seien, um den Autohersteller auf mehr Effizienz und Rendite zu trimmen. Källenius:

Ich denke, wir sind uns einig: Die jüngsten Ergebnisse – auch schon vor Corona – werden diesem stolzen Unternehmen nicht gerecht.

Daimler kann mehr. Und wir sind entschlossen zu liefern.

Eine Infografik mit dem Titel: Daimler: Die Källenius-Bilanz

Aktienkurs seit Amtsantritt von Ola Källenius als Daimler-CEO am 22. Mai 2019, in Euro

Erst einmal musste der Schwede an der Konzernspitze aber Negativmeldungen verkünden. Nach einem Gewinneinbruch im ersten Quartal rechnet der Konzern für das zweite Jahresviertel mit roten Zahlen beim operativen Ergebnis. Auf das Gesamtjahr gerechnet, dürfte der Gewinn noch unter dem schon schwachen Wert des Vorjahres bleiben.

Källenius weiß, dass er radikal sparen muss. Und er weiß, wie er das verkaufen muss:

Unsere bisherigen Effizienzziele haben die bevorstehende Transformation abgedeckt, aber nicht eine weltweite Rezession. Deswegen schärfen wir unseren Kurs nach.

Der Rücktritt von Commerzbank-Chef Martin Zielke spätestens zum Ende des Jahres ist besiegelt – aber eine schnelle Lösung der Führungskrise beim Frankfurter Institut ist nicht in Sicht. Nach mehrstündigen Beratungen teilte der Aufsichtsrat gestern mit, dass das Kontrollgremium die einvernehmliche Aufhebung von Zielkes Vertrag beschlossen habe:

Zielke hat sich bereit erklärt, bis zur Berufung eines Nachfolgers die Geschäfte der Bank in vollem Umfang weiterzuführen.

Über einen Nachfolger wurde indes noch nicht abgestimmt.

Eine Infografik mit dem Titel: Commerzbank: Krise ohne Ende

Aktienkurs seit Beginn dieses Jahres, in Euro

Auch der Posten an der Spitze des Aufsichtsrats bleibt vakant. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zufolge will keiner neuer Vorsitzender des Kontrollgremiums werden. Vorübergehend könnte dann der stellvertretende Vorsitzende Uwe Tschäge übernehmen, hieß es in Unternehmenskreisen.

 © dpa

Der Goldpreis setzt seinen Höhenflug fort: Das Edelmetall ist so teuer wie seit fast neun Jahren nicht mehr. Bereits am Vormittag wurde eine Feinunze (rund 31,1 Gramm) an der Börse in London mit 1800,86 US-Dollar gehandelt.

Das ist der höchste Wert seit November 2011. Der Rekordwert liegt bislang bei 1921 Dollar. In Euro gerechnet, hatte Gold bereits im Mai ein Allzeithoch bei 1633 Euro erreicht.

Als Preistreiber gelten vor allem die Sorge vor weiteren wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise und die extrem lockere Geldpolitik der Notenbanken.

Eine Infografik mit dem Titel: Die krisensichere Währung

Goldpreisentwicklung seit 2011, in US-Dollar

Gold gilt traditionell als Schutz gegen eine ausufernde Teuerung. Die aktuelle Zinspolitik der Notenbanken und die expansive Fiskalpolitik vieler Regierungen lassen bei Anlegern die Sorgen wachsen, dass früher oder später eine deutlich steigende Inflation einsetzen könnte.

Schon der einflussreiche US-Unternehmer und Privatbankier John Pierpont Morgan, besser bekannt als J. P. Morgan, wusste um die einzigartige Bedeutung des Edelmetalls. Er sagte:

Nur Gold ist Geld, alles andere ist Kredit.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen glänzenden Tag.

Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer

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