NRW-Wahl: Sieg der Mitte

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 © ThePioneer

Guten Morgen,

im hellen Schein der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl erkennen wir, wie die Topografie der politischen Landschaft sich vor unseren Augen verändert. Das einst imposante Faltengebirge der Sozialdemokratie, das die Täler aller anderen Parteien jahrzehntelang tief verschattet hielt, wurde vom Erdboden verschluckt. Eine schwarz-grüne Hügellandschaft bildete sich heraus. Wie die Endmoränen einer untergegangenen Zeit sind nur noch hier und dort einige rote Rathäuser zu erkennen.

Eine Infografik mit dem Titel: CDU siegt, SPD knapp vor Grünen

NRW-Kommunalwahlen 2020, in Prozent

Mit rund 14 Millionen Wahlberechtigten waren die Wahlen der größte Urnengang des Jahres – und der erste unter umfassenden Corona-Auflagen. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der vergangenen Nacht:

  • Die dominante Partei in NRW ist die CDU, gefolgt von den Grünen. Die SPD, die auf dem Zenit ihrer Macht bei den NRW-Kommunalwahlen des Jahres 1975 noch 45,5 Prozent der Stimmen bekommen hatte, liegt jetzt nur noch bei 24,3 Prozent – das schlechteste Ergebnis der Partei bei einer NRW-Kommunalwahl überhaupt.

  • Sowohl in der Landeshauptstadt Düsseldorf als auch in dem als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ beschworenen Dortmund müssen die SPD-Kandidaten in zwei Wochen in Stichwahlen ihren Chefposten verteidigen.

  • Nur wenige Amtsinhaber wurden gestern wiedergewählt. Dazu gehört der Essener CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen. Er konnte um kurz vor Mitternacht fast doppelt so viele Stimmen verbuchen wie der zweitplatzierte Kandidat, Oliver Kern von der SPD.

NRW-Landeschefin der Grünen, Mona Neubaur © dpa
  • Die Grünen konnten ihren Stimmenanteil nach vorläufigem Ergebnis um mehr als 8 Prozentpunkte auf 20,0 Prozent steigern. In der Millionenstadt Köln werden die Grünen mit deutlichem Abstand stärkste Kraft im Stadtrat.

  • In Aachen, der Heimatstadt von Ministerpräsident Armin Laschet, konnten die Grünen einen besonders prestigeträchtigen Erfolg feiern: Die Grünen-Bewerberin Sibylle Keupen bekam hier die meisten Stimmen.

  • Die von CDU und Grünen getragene Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker verpasste wohl knapp die 50-Prozent-Marke und muss voraussichtlich in die Stichwahl gegen den SPD-Herausforderer Andreas Kossiski.

OB von Köln, Henriette Reker, Parteilos © dpa
  • Liberalismus und Populismus erlebten jeder für sich ihre Begrenzung: FDP und AfD haben bei diesen Kommunalwahlen die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen, aber nur knapp. Auf den Steinen dieses Ergebnisses lassen sich keine Luftschlösser bauen.

 © dpa

Fazit: Der eigentliche Gewinner dieser Wahl ist die politische Mitte. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen wollen erkennbar nicht links und nicht rechts, sondern vernünftig regiert werden. Jede Partei, die sich auf den Vernunftgedanken einlässt und den Alltagspragmatismus der Bürger für sich als Kompass akzeptiert, darf mit Belohnung rechnen. Echte Menschen denken, fühlen, träumen und wählen anders als Björn Höcke und Kevin Kühnert sich das wünschen. Parteien, die den Extremen mehr als die Nische gewähren, sind dem Tode geweiht. Die deutsche Schutzimpfung aus den Jahren 33-45 wirkt.

 © dpa

Auf Lesbos ist die Lage auch nach der Öffnung erster Ersatzunterkünfte angespannt. Die Regierung in Athen schickte gestern weitere Polizeieinheiten sowie gepanzerte Geländefahrzeuge auf die Insel.

  • Nur rund 300 Menschen konnten ein provisorisch errichtetes Zeltlager beziehen. Die Mehrzahl der einst 12.000 Lagerinsassen von Moria vagabundiert durch die Insel.

  • Viele von ihnen wehren sich erneut in ein Lager gebracht zu werden. Das Aggressionspotenzial wird als hoch beschrieben.

 © dpa
  • Innenminister Horst Seehofer kündigte an, in einem ersten Schritt 100 bis 150 unbegleitete Minderjährige zu übernehmen, was er als mildtätig und viele andere als zynisch empfinden.

  • Zehn europäische Staaten wollen sich ebenfalls an der Aufnahme beteiligen. Hier ist von 400 unbegleiteten Minderjährigen die Rede.

Fazit: Alle verantwortungsbewussten Politiker wissen, dass die einfache Lösung - die schnelle Aufnahme und Verteilung von 12.000 Migranten – in Wahrheit keine Lösung, sondern nur die Verschärfung des Problems bringt. Noch bevor die Bäume in Lesbos die Blätter werfen, wäre das Lager Moria 2 wieder gefüllt. Die Chefs der Schleuserbanden warten nur darauf, dass ihre Außendienstmitarbeiter auf Lesbos melden: läuft.

 © Credit: Anne Hufnagl

Mein neues Buch „Die unbequeme Wahrheit. Rede zur Lage unserer Nation“ wird zwar nicht von allen Kritikern geliebt, wohl aber von der Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger verstanden: Vom Start weg lag es auf Platz 1 der politischen Bücher in der Amazon-Verkaufshitparade; Platz 5 der „Spiegel“-Bestsellerliste meldet jetzt das Nachrichtenmagazin. Dafür möchte ich mich herzlichst bei meinem Publikum bedanken.

Doch zugleich gibt es wissenschaftliche Werke, Analysen nicht der komplizierten, wohl aber der komplexen Art, ohne die wären Sachbücher wie meines nicht denkbar. Diesen Grundlagenwerken der Ökonomie bleibt oft die Platzierung auf den vorderen Plätzen der Aufmerksamkeits-Charts verwehrt. Womit wir bei Prof. Clemens Fuest und seinem aktuellen Titel „Wie wir unsere Wirtschaft retten. Der Weg aus der Corona-Krise“ wären.

In keinem anderen zeitgenössischen Buch findet sich eine derart präzise Beschreibung der Corona-Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen - vom steilen Anstieg der Staatsverschuldung, der Überdehnung des Sozialstaates und den Verformungen, denen unsere Marktwirtschaft im Zuge der staatlichen Rettungspolitik ausgesetzt ist.

Ich habe insbesondere vier unbequeme Wahrheiten aus diesem Kompendium herausgelesen und mit Prof. Clemens Fuest für den heutigen Morning Briefing Podcast besprochen:

Unbequeme Wahrheit # 1:

Der Staat kann uns aus dieser Krise nicht rauskaufen. Wir werden Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. Fuest sagt:

Der Staat kann verhindern, dass daraus eine größere Abwärtsspirale wird. Aber diese Verluste sind da und werden auch bleiben.

Eine Infografik mit dem Titel: Wachsender Schuldenberg

Vergleich der Staatsschuldenquoten während der Finanzkrise und der Corona-Krise in ausgewählten Ländern, in Prozent

Unbequeme Wahrheit # 2:

Anders als von den Wirtschaftsweisen prognostiziert, wird es kein V-Szenario – schnell rein in die Krise und zügig wieder raus – geben können. Fuest sagt:

Ein V-Szenario wird nicht funktionieren. Wir können froh sein, wenn es im Herbst keinen größeren Rückschlag gibt.

Unbequeme Wahrheit # 3:

Die Behauptung der Regierung, Klimaschutz und Konjunkturstützung ließen sich im Zuge der staatlichen Rettungspolitik gut miteinander vereinbaren, entbehrt einer ökonomischen Grundlage. Fuest sagt:

Mit einem Instrument erreicht man viele Ziele, sagen manche Politiker. Das klingt schlau, ist aber nicht schlau. Es handelt sich hier um politisches Marketing.

Eine Infografik mit dem Titel: China ist größter Klimasünder

Globale Emissionen, in Prozent

Unbequeme Wahrheit # 4:

Die Pandemie wirkt wie ein Beschleuniger auf die Digitalisierung der Welt. Vor allem Amerika profitiert. Fuest sagt:

Es findet eine große Umverteilung zugunsten dieser Konzerne statt.

Klick aufs Bild führt zur aktuellen Podcast-Folge

Fazit: Mit dem Präsidenten des Ifo-Instituts meldet sich hier eine politisch unabhängige Stimme zu Wort, die auf Klarheit in der Analyse als Voraussetzung für die Überwindung der widrigen Wirklichkeit besteht. Pflichtlektüre für alle Reformer und solche, die es werden wollen. Oder um es mit Albert Einstein zu sagen:

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.

 © dpa

Wirtschaftsminister Peter Altmaier macht den Grünen schöne Augen. Die Politik müsse dem Klimaschutz Vorrang einräumen und zugleich die Unternehmen vor Nachteilen im Wettbewerb schützen, sagt er.

Er unterbreitet zwanzig Vorschläge, wie diese doppelte Zielsetzung erreicht werden soll: Altmaier will den Handel mit Verschmutzungsrechten reformieren, eine parteiübergreifende Stiftung, ein „Haus der Energiewende“ gründen, eine internationale EU-Agentur „Climate global2“ und einen „Klima- und Wirtschaftsrat“ im Wirtschaftsministerium ansiedeln. Die innerparteiliche Kritik für dieses Festival der schönen Worte ließ nicht lange auf sich warten:

So sagte Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann:

Es ist gut, dass Peter Altmaier die Diskussion vorantreibt, wie wir Wirtschaftsschutz und Klimaschutz verbinden können. Neue Stiftungen, Räte, Agenturen, Häuser, Label und Unis sind dazu weniger der Schlüssel als das marktwirtschaftliche Instrument Emissionshandel.

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Kritik kommt auch vom CDU-Wirtschaftsrat. Generalsekretär Wolfgang Steiger sagte der „Welt“:

In Zeiten der Corona-Pandemie brauchen die Unternehmen in Deutschland im Bundeswirtschaftsministerium einen Anwalt für ihre Sorgen und keinen Vordenker eines schwarz-grünen Koalitionsvertrages.

Er ist sich sicher, dass Altmaiers Vorstoß taktisch motiviert und deshalb zum Scheitern verurteilt ist:

Immer dann, wenn die Union die Grünen kopieren wollte, haben die Bürger das Original gewählt.

  • Die FDP zielt im Vorwahlkampf auf Finanz-Staatssekretär Wolfgang Schmidt, dem engsten Vertrauten von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Wie die Kollegen des Hauptstadt-Newsletters herausgefunden haben, will sich Schmidt vom Ministerium einen Nebenjob als SPD-Wahlkampfhelfer genehmigen lassen, wenn es 2021 in die heiße Phase geht. Die FDP hat dazu jetzt kritische Fragen an das Ministerium gestellt.

  • Können deutsche Unternehmen moralische Standards bei der Produktion entlang ihrer globalen Wertschöpfungsketten garantieren? Kanzlerin Angela Merkel, Noch-Entwicklungsminister Gerd Müller und die SPD wollen das per Gesetz verpflichtend machen. Nun gibt es einen Aufstand der Mittelstandspolitiker in der Unionsfraktion, wie ein exklusiver Entwurf für einen Antrag zeigt.

  • Der grüne Altrocker Joschka Fischer wirbt für Schwarz-Grün im Bund und sieht die Grünen in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie ein Gastbeitrag des früheren Ministers in einem Buch offenbart, das Anfang Oktober herauskommt.

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Joe Biden bekommt nun von einem ehemaligen Rivalen finanzielle Unterstützung. Der Multimilliardär Michael Bloomberg will Bidens Kampagne in Florida mit mindestens 100 Millionen Dollar unterstützen. Das berichtet unter anderem die „Washington Post”. Bloomberg, ehemaliger New Yorker Bürgermeister, hatte im März seine Präsidentschaftskandidatur zurückgezogen – nachdem er rund eine Milliarde Dollar aus seinem Privatvermögen in den Wahlkampf investiert hatte.

Florida ist ein Swing State, der weder den Republikanern noch den Demokraten eindeutig zuzuordnen ist. Bei der Wahl am 3. November könnte daher Florida eine ausschlaggebende Rolle spielen. Umfragen zufolge liefern sich Biden und Amtsinhaber Donald Trump dort ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Die Demokraten wollen die Bloomberg-Hilfe nutzen, ihre Munition in einem anderen Swing State, in Pennsylvania, zu verpulvern. Dort hatte sich Trump 2016 ebenfalls gegen Clinton durchsetzen können.

Eine Infografik mit dem Titel: Umkämpfte Bundesstaaten

Durchschnitt aktueller Umfrageergebnisse im US-Wahlkampf in den "Swing States" Pennsylvania und Florida, in Prozent

Wer sich die amerikanische Hightech-Branche wie einen Ponyhof vorstellt, muss seine romantischen Vorstellungen von Nähe und Zuneigung spätestens jetzt korrigieren. Microsoft-Gründer Bill Gates schrieb in seinem Artikel mit der Überschrift „Wie bewegen wir uns in einer Null-Kohlenstoff-Welt?“:

Selbst bei großen Entwicklungssprüngen in der Batterie-Technologie werden Elektrofahrzeuge wahrscheinlich nie eine praktische Lösung bei Sattelschleppern, Cargo-Schiffen oder Passagierflugzeugen sein.

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Elektrizität funktioniert, wenn man kleine Distanzen überbrücken muss. Aber wir brauchen eine andere Lösung für schwere Fahrzeuge, die lange Strecken zurücklegen.

Tesla-Chef Elon Musk fühlte sich offenbar angesprochen. Im kommenden Jahr will Tesla mit der Produktion des Semi E-Trucks beginnen. Auf Twitter schrieb er:

Gates hat keine Ahnung.

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Fazit: Die beiden Milliardäre werden wohl keine Freunde mehr.

Ich wünsche Ihnen einen herzhaften Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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