Parteipolitik und Pandemie

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Guten Morgen,

die Infektionszahlen steigen und die Umfragewerte für die Union fallen. Zwischen beiden Ereignissen gibt es einen inneren Zusammenhang.

1. Die Truppen der seit Jahrzehnten wichtigsten deutschen Staatspartei stehen mit ihrer Impfkampagne kurz vor Waterloo. Überlastete Hotlines, eine dysfunktionale Corona-App, halbleere Impfzentren, eine bürokratische Impfreihenfolge und eine europäische Einkaufspolitik, die uns gegenüber Amerikanern und Briten alt aussehen lässt, führen zu einer Gefechtsaufstellung, mit der sich COVID-19 nicht besiegen lässt.

2. Die Werbung der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag kostet Glaubwürdigkeit. In einer Anzeige, die in sozialen Medien Ende März Verbreitung fand, wurde behauptet, Deutschland sei eine Art Impfweltmeister (siehe Grafik 1). Die Verbreitung „alternativer Fakten“, bisher eine Trump-Spezialität, wurde vom Publikum allerdings schnell durchschaut. Die Anzeige musste angesichts der wahren Wirklichkeit (siehe Grafik 2) zurückgezogen werden. Die Fraktion entschuldigte sich:

Unser gestriger Tweet zum Thema Impfen ist denkbar ungeeignet. Er entspricht nicht unseren Standards. Wir bitten um Entschuldigung.

Grafik aus einem mittlerweile gelöschten Tweet der Unions-Fraktion im Bundestag © CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Eine Infografik mit dem Titel: Die Wahrheit: Das Impfdebakel

Verabreichte Impfdosen je 100 Einwohner, bis zum 26. März 2021

3. Noch immer glauben Spitzenpolitiker von CDU und CSU, auf dem Rücken von steigenden Todes- und Infektionszahlen ließen sich Geländegewinne im Kampf um die Merkel-Nachfolge erringen. Das Ergebnis: Weder Armin Laschet noch Markus Söder verkörpern derzeit das Gemeinwohl, weil sie von der Öffentlichkeit als Teilstreitmacht wahrgenommen werden. Diese fortgesetzten Rangordnungskämpfe beschädigen den Markenkern einer Vereinigung, die sich selbst Christenunion nennt.

Armin Laschet und Markus Söder © dpa

4. Die Pandemie und der geradezu lustvoll geführte Zermürbungskrieg des Spitzenpersonals verhindern, dass sich CDU und CSU mit den wirklichen Zukunftsfragen intensiv befassen. Die Schubladen für eine Ära des Neubeginns sind weitgehend leer. Der intellektuelle Vorsprung der Grünen, die sich seit Jahren mit den Themen Digitalisierung, Bildungsreform und der Umstellung der Volkswirtschaft auf erneuerbare Energieträger befassen, ist beachtlich und wird vom Bürgertum mit hohen Zustimmungswerten – und zuletzt in der Landtagswahl von Baden-Württemberg auch mit dem Hauptgewinn – prämiert.

5. Der neueste Vorschlag des CSU-Vorsitzenden Markus Söder, Angela Merkel müsse in die Entscheidungsfindung um den Kanzlerkandidaten eingebunden werden, schrumpft die Autorität aller potenziellen Nachfolger und räumt ihr den Status einer Aufsichtsratsvorsitzenden ein. Die Union wirkt dadurch wie ein Traditionsverein zur Bewahrung des Merkel-Erbes, derweil ein Gutteil des Bürgertums Lust auf Zukunft hat. Jetzt fehlt nur noch, dass eine grüne Spitzenkandidatin sich den Slogan der ersten Merkel-Wahl 2005 schnappt.

Wahlplakat der CDU für die Bundestagswahl 2005 © dpa

Fazit: Die Entscheidung um die Führung des Bundeskanzleramtes fällt nicht heute Morgen, sondern am 26. September. Aber die Chancen für einen Machtverlust der Union steigen.

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Ferdinand von Schirach © dpa

Die Pioneer-Chefreporterin Alev Doğan hat mit dem Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach gesprochen. Auszüge aus dem Gespräch über das von ihm initiierte Projekt „Jeder Mensch“ hören Sie im heutigen Morning Briefing Podcast. Mit seinem Vorstoß will von Schirach zusätzliche Grundrechte in der Verfassung der Europäischen Union verankern oder doch zumindest die Debatte um ihre Einführung eröffnen. In Vorbereitung auf die großen Herausforderungen unserer Zeit wie Klimawandel, Digitalisierung, Nutzen der Künstlichen Intelligenz, aber auch im Angesicht der real existierenden Gefahren durch die algorithmisch gesteuerte Verbreitung von politischen Lügen möchte der Autor den bisherigen Verfassungstext ergänzen und das utopische Potenzial der Gegenwartsgesellschaft entfachen:

Heute müssen wir wieder über unsere Gesellschaft entscheiden – nicht wie sie ist, sondern so, wie wir sie uns wünschen.

Seine sechs Grundrechte im Einzelnen:

1. Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.

2. Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.

3. Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen.

4. Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.

5. Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht wurden.

6. Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzung dieser Charta Grundrechtsklage vor den europäischen Gerichten erheben.

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Im Gespräch erläutert Ferdinand von Schirach seine Intention und wirbt für die Einberufung eines Verfassungskonvents:

Das Erstaunliche und Großartige an dieser Zeit, so furchtbar die auch ist, ist, dass wir plötzlich gesehen haben: Wenn wir wollen, können wir alles verändern.

Über die in der Pandemie zum Teil ausgesetzten Grundrechte haben die beiden auch gesprochen. Von Schirach bezieht eindeutig Stellung zugunsten ihrer schnellstmöglichen Wiederherstellung:

Die Rechte sind entzogen aus einem Gefahrengesichtspunkt. In dem Moment, wo diese Gefahr nicht mehr existiert, nämlich dadurch, dass ich geimpft bin, müssen diese Rechte zurückgewährt werden. Und zwar selbst dann, wenn nur einer geimpft wäre, müsste diesem einen Menschen das Recht zurückgewährt werden.

Fazit: Diese Debatte lohnt. Wer sich über die neuen Grundrechte informieren oder sich für ihre Durchsetzung engagieren möchte, findet weitere Informationen hier: www.jedermensch.eu

#176 - Ferdinand von Schirach: Warum Europa neue Grundrechte braucht

Die Initiative "Jeder Mensch" ruft EU-Bürger zum Unterzeichnen auf.

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Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

Podcast mit der Laufzeit von

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 6885 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Damit sinkt die Sieben-Tage-Inzidenz von gestern mit 128,0 auf aktuell 123,0. Zudem wurden 90 weitere Todesfälle registriert. Die tatsächlichen Zahlen über Ostern dürften laut RKI allerdings höher liegen, da nicht zwingend alle Gesundheitsämter und Landesbehörden über die Feiertage Daten übermitteln und weniger Infizierte einen Arzt aufsuchen und getestet würden.

  • Armin Laschet rückt von Armin Laschet ab und plädiert nun auch für einen kurzen, aber harten Lockdown. Der von ihm entsprechend getaufte „Brücken-Lockdown“ soll die Infektionszahlen gering halten, bis deutlich mehr Menschen geimpft sind.

  • Die Lehrergewerkschaft GEW schlägt vor, aufgrund der steigenden Infektionszahlen in diesem Jahr keine Abiturprüfungen durchzuführen. Alternativ könne man die Noten der bisherigen Prüfungen als Abschlussnote anerkennen.

  • Nach Plänen des Gesundheitsministers sollen für vollständig Geimpfte bald weniger Einschränkungen gelten. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält die Pläne für sehr vage und rechnet nicht mit einer baldigen Durchführung.

  • Karl Lauterbach fordert eine neue Impfstrategie. Gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“ sagte er: „Wenn wir jetzt unsere Strategie wechseln und auf möglichst viele Erstimpfungen ausrichten, wird kein vierter Lockdown mehr nötig sein.“ Bis Juli sollten seiner Berechnung nach 60 Millionen Bürger zumindest die erste Impfdosis erhalten haben.

 © dpa

Wasserstoff gilt vielen Wissenschaftlern als Alternative zu fossilen Energieträgern und damit als Ausweg aus der Klimakrise. Auf der ganzen Welt sind derzeit Produktionskapazitäten für Wasserstoff in Planung. Zur Gewinnung von Wasserstoff müssen wasserstoffhaltige Verbindungen, wie beispielsweise Wasser, in ihre Bestandteile zerlegt werden. Einzeln kommt Wasserstoff in der Natur nicht vor.

Doch nun äußern namhafte Umweltschützer im Zusammenhang mit der beachtlichen Wassermenge, die für die Produktion von Wasserstoff benötigt wird, ihre Bedenken. Johannes Russmann vom Naturschutzbund Deutschland erklärt:

Der enorme Wasserbedarf der Wasserstoffelektrolyse spielt im öffentlichen Diskurs bislang keine Rolle.

 © dpa

Für die Gewinnung von einem Kilogramm Wasserstoff wird die neunfache Menge Wasser benötigt. Der schwere Eingriff in den Wasserhaushalt sei vor allem in wasserarmen Regionen problematisch. Das betreffe unter anderem südeuropäische Länder und Regionen in Nordafrika.

Ein Nordrhein-Westfale will Kanzler werden

In NRW ringen reihenweise Spitzenpolitiker um gute Plätze auf den Landeslisten. Ein Überblick.

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Jair Bolsonaro © dpa

Angesichts der Verschlechterung der Infektionslage in Brasilien fordern mehr als 1.500 Unternehmer und Ökonomen die brasilianische Regierung auf, Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung einzuführen. Denn bisher ist die Lage im Land katastrophal: Brasilien hat über 331.000 Corona-Tote zu beklagen; alleine im März sind über 66.000 Menschen an den Folgen einer COVID-19-Infektion gestorben. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag am 5. April bei 212. Zum Vergleich: In Deutschland liegt dieser Mittelwert bei 123.

Nun hat der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der im Oktober 2022 um seine Wiederwahl kämpfen muss, reagiert. Zwar wird in Brasilien schon seit Januar geimpft – doch eher trotz als wegen Bolsonaro. Bereits mehrfach sprach sich der rechtspopulistische Präsident gegen die Corona-Impfstoffe aus und sorgte mit seiner Regierung sogar dafür, dass große Mengen der lebensrettenden Vakzine nicht im Land ankamen.

Jair Bolsonaro © dpa

Offenbar hat sich der Regierungschef der 212 Millionen Brasilianer erst nach den anhaltenden Protesten der Wirtschaft mit COVID-19 auseinandergesetzt und dann allerdings prompt seine Meinung geändert. Mittlerweile verkauft er sich als entschiedenen Kämpfer wider die Pandemie. Oder um es mit Kurt Tucholsky zu sagen: „Auf nichts ist der Mensch so stolz wie auf das, was er seit zwei Minuten weiß.“

“Management der Rivalität”

Sigmar Gabriel über die neue Weltwirtschaftsmacht China: Partner und Rivale.

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Veröffentlicht in World Briefing von Sigmar Gabriel .

Podcast mit der Laufzeit von

Donald Trump © dpa

Donald Trump hat laut „New York Times“ während des Wahlkampfes 2020 seiner eigenen Anhängerschaft ins Portemonnaie gegriffen – mit dreisten Tricks. Auf der Online-Spendenplattform der Kampagne „WinRed“ war eine Abofalle eingebaut: „Machen Sie dies zu Ihrer monatlichen Spende“ stand dort. Dieser Satz war als Standard festgelegt; das Häkchen musste von den Nutzern, wenn sie nur eine Einmalspende im Sinn hatten, manuell durch einen Klick entfernt werden. Viele haben das – wie von den Erfindern solcher Tricks erwünscht – nicht verstanden. Das Häkchen blieb, die Spende wurde zum Dauerauftrag.

Eine Infografik mit dem Titel: Biden als Spendengewinner

Einnahmen durch Spendengelder der US-Präsidentschaftskandidaten seit April 2019

Spitzfindige Juristen haben sich mittlerweile dieser Angelegenheit liebevoll angenommen. Ende vergangenen Jahres musste das Trump-Team 530.000 Rückerstattungen im Wert von 64,3 Millionen Dollar tätigen. Die Demokraten haben allerdings auch getrickst; sie mussten für das versteckte Einwerben von Daueraufträgen bisher aber nur 5,6 Millionen zurückzahlen.

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Flugzeugträger der US-Navy © dpa

Das Verteidigungsministerium der USA arbeitet derzeit an einem filmreifen Projekt: dem fliegenden Flugzeugträger. Militäreinsätze könnten somit bald auch aus luftiger Höhe koordiniert und gestartet werden. Ein bisschen klingt es nach Hollywood, aber die Arbeiten an dieser Vision sind in vollem Gange, wie „The Economist“ berichtet.

Mit dem „Gremlins“ genannten Projekt reagiert das amerikanische Militär auf die DF-16-Rakete aus China: Deren Reichweite zwingt die US-Flugzeugträger zu einem Sicherheitsradius von 1.600 Kilometern um das chinesische Festland. Mit dem Flugzeugträger im Himmel will man den Chinesen wieder näher rücken.

Wir lernen: Was als feindselige Wirtschaftspolitik begann, setzt sich als Wettrüsten fort.

 © dpa

Ob Geld wirklich glücklich macht, ist eine umstrittene Frage, auch unter Psychologen und Ökonomen. Während Einkommen und Vermögen sehr einfach zu taxieren sind, ist das allgemeine Wohlbefinden nicht eindeutig zu messen. Verschiedene Faktoren können auf das Stimmungsbild einwirken und so die Ergebnisse einer jeden Glücksumfrage beeinflussen.

Die beiden US-Wirtschaftsforscher und Nobelpreisträger Daniel Kahneman und Angus Deaton veröffentlichten 2010 eine Studie, laut der ab einem Jahreseinkommen von 75.000 Dollar die Zufriedenheit nicht weiter steigen würde. Eine kürzlich veröffentlichte Studie mit einer anderen Forschungsmethode widerspricht dieser Annahme.

Im Rahmen seiner Doktorarbeit an der Harvard University kam der Psychologe Matthew Killingsworth auf die Idee, Probanden mithilfe einer Smartphone-App zu befragen, um tagesaktuelle Zufriedenheitsdaten zu sammeln. Zu wechselnden Uhrzeiten fragte die App „Track Your Happiness“ ihre 33.391 Teilnehmer nach ihren momentanen Glücksgefühlen.

Eine Infografik mit dem Titel: Geld macht glücklich

Umfragewerte zu empfundenem Glück (in Punkten) nach Einkommensklassen (in Tsd. US-Dollar), in den USA

Durch die spontanen Antworten konnte Killingsworth ein allgemeineres Wohlbefinden der Testpersonen ermitteln. Die Auswertung der über 1,7 Millionen Befragungsergebnisse und die Verknüpfung mit den Daten zum jährlichen Haushaltseinkommen offenbarte einen weiterführenden Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Wohlstand über die bisher angenommene Grenze von 75.000 Dollar Jahreseinkommen hinaus.

Aber womöglich sind Glück und Einkommen gar nicht die entscheidenden Parameter, sondern in dieser Verknüpfung ein Missverständnis. Zumindest weisen Philosophen und Ethiker darauf hin, dass jedwedes Glücksgefühl durch Neid auf den nächst besser Verdienenden gestört wird.

Demnach führt nicht ein höheres Einkommen, sondern eine höhere Stufe geistiger Unabhängigkeit zu mehr Glück. Oder wie der dänische Philosoph und Theologe Søren Kierkegaard formulierte: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“

Porträt von Søren Kierkegaard © imago/ Collection Kharbine Tapabor

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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