der Beruf des Wissenschaftlers besteht darin, sich ein Bild von der Wirklichkeit zu verschaffen, um es sodann zur Kritik zu stellen. Durch das ewige Wechselspiel von Kritik und Selbstkorrektur entsteht Fortschritt.
Der Beruf des Politikers ist anders gelagert. Es besteht der Drang und auch die Notwendigkeit zum Rechthabenmüssen. Nur wer seine Auffassung von der Wirklichkeit durchsetzen kann, in der Partei und auch in der Öffentlichkeit, gilt als Leitwolf. Meinung wird zu Macht verdichtet.
© Anne HufnaglPech für Philipp Amthor, dass er kein Wissenschaftler ist. Sein Blick auf die Wirklichkeit – „Es gibt eine in einem festen Kanon zu beschreibende deutsche Leitkultur“ – lohnte eine Debatte, die auf dem Wege von Kritik und Selbstkorrektur womöglich Fortschritt hätte bedeuten können.
Doch so wie die Dinge liegen, hat Amthor die Durchsetzungsmacht für politische Ideen einstweilen verloren. Seine ausgeprägte Geschäftstüchtigkeit kommt seiner politischen Diskursfreude in die Quere. In einem unschönen Akt der Selbstverletzung hat der junge, aber nicht naive Mann sich damit schachmatt gesetzt.
Philipp Amthor wird politische Macht fürs Erste nicht weiter akkumulieren können. Die Täuschung seiner eigenen Parteifreunde über das drohende Unheil seiner Enttarnung war kein Kavaliersdelikt. Der Versuch, politisches Mandat und ökonomische Interessen zu verknüpfen, ist schon als Versuch im politischen Sinne strafbar.
Mit der einfachen und noch dazu unpersönlichen Entschuldigung – „Es war ein Fehler“ – sowie seinem am Dienstagabend angekündigten Rückzug aus dem Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz dürfen und werden seine Parteifreunde ihn nicht entkommen lassen.
Der Verzicht auf die Kandidatur als Landesvorsitzender von Mecklenburg-Vorpommern ist zwingend; ein Berufsverbot hingegen wäre zu hart. Amthor bleibt Politiker, wenn auch einer auf Bewährung.
► „Angela Merkel wäre das nicht passiert.“ Amthor muss sich in einer Kreisvorstandssitzung am Montagabend heftige Kritik wegen seiner Lobbytätigkeit für das US-Start-up Augustus Intelligence anhören.
► Deutschland und Frankreich wollen gemeinsam die deutsche Ratspräsidentschaft gestalten und die EU schneller, grüner und fitter machen. Interne Dokumente des Auswärtigen Amts zeigen, was Merkel und Macron planen.
► Friedrich Merz hat seine Ambitionen noch lange nicht abgeschrieben. Nach der Sommerpause plant er ein Comeback – Mit neuem Buch und einer Deutschlandtour. Die Kollegen vom Hauptstadt-Newsletter kennen die Details.
Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist wieder auf Vorkrisenniveau angelangt – zumindest verbal. Bei einer Veranstaltung im Weißen Haus bestätige US-Präsident Donald Trump den Rückzug großer Teile der in Deutschland stationierten US-Streitkräfte:
► Die USA wollen die Zahl der US-Soldaten hierzulande auf 25.000 reduzieren. Derzeit sind noch 34.500 US-Soldaten in Deutschland stationiert, unter anderem in Ramstein, Kaiserslautern, Spangdahlem, Hohenfels, Stuttgart, Wiesbaden und Garmisch-Partenkirchen.
► Trump begründete seine Entscheidung mit der unbestreitbaren Tatsache, dass Deutschland das selbst gesteckte Nato-Ziel bei den Verteidigungsausgaben nicht erreicht:
Deutschland ist seit Jahren säumig und schuldet der Nato Milliarden Dollar, und das müssen sie bezahlen.
Eine Infografik mit dem Titel: Zwei-Prozent-Ziel der Nato in weiter Ferne
Deutschlands Verteidigungsausgaben gemessen am BIP, in Prozent
Die Verteidigungsministerin, die vor Kurzem noch Kanzlerin werden wollte, schwieg. Dabei hätte sie drei gute Argumente, die amerikanischen Ansprüche zurückzuweisen.
Erstens: Die Welt hat Corona. Deutschland rettet lieber den Einzelhandel als die US-Rüstungsindustrie.
Zweitens: In der „Finanzbedarfsanalyse 2020“ hat die Bundeswehr berechnet, dass sich mit einem stetigen Aufwuchs des Wehretats auf rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts alle militärischen Fähigkeiten, die der NATO zugesagt sind, erledigen ließen.
Drittens: Trump will mit derartigen Angriffen auf Verbündete vom Versagen an der Heimatfront ablenken. In vielen Bundesstaaten steigen die Infektionszahlen noch immer, allein gestern kamen 22.000 neue Fälle hinzu. Stand heute Morgen werden in den USA 119.132 Menschen gezählt, die an oder mit Corona gestorben sind.
© dpaAber Vorsicht: Die GIs sollten ihre Koffer nicht zu früh packen. Wenn Deutschland weiter in die Rezession rutscht, wird sich die Bundesregierung von ganz allein dem Zwei-Prozent-Ziel bei den Rüstungsausgaben nähern. Bei sinkender Wirtschaftsleistung steigt die Militärquote – ohne einen zusätzlich investierten Cent.
Der frisch gewählte Chef des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Prof. Lars Feld, sagte am 25. März:
Ich glaube nicht an die Horrorszenarien, die andere Ökonomen verbreiten. Das Abflachen der Infektionszahlen ist beruhigend. Auch dass die Wirtschaft in China sich langsam wieder normalisiert, ist ein gutes Zeichen. Vieles spricht dafür, dass im dritten Quartal das Wachstum zurückkehrt, wir also eine V-förmige Erholung sehen werden.
Mittlerweile ist der Export eingebrochen, die Industrieproduktion schrumpft und die Konsumenten üben sich in Kaufzurückhaltung. Deutschland befindet sich in der tiefsten Rezession seit Jahrzehnten. Was liegt da näher, als beim Chef des Sachverständigenrates durchzuklingeln.
Da Prof. Lars Feld, im Hauptberuf Direktor des Walter-Eucken-Instituts an der Universität Freiburg, den Wettbewerb schätzt, auch den Wettbewerb der Meinungen, hat er sich diesem Gespräch nicht verweigert. Im heutigen Morning Briefing Podcast sagt er:
Mittlerweile würde ich sagen, wenn man sich das internationale Umfeld anschaut, dass es durchaus in diesem Jahr noch etwas schwieriger werden wird. Aber ich bin weiterhin zuversichtlich, dass wir in einem V-Szenario bleiben können.
Eine Infografik mit dem Titel: Basisszenario der "fünf Wirtschaftsweisen"
Konjunkturverlauf in Deutschland, in Prozent
Eine Infografik mit dem Titel: V- gegen U-Szenario
Konjunkturverlauf mit schneller und langsamer Erholung der deutschen Wirtschaft, in Prozent
Feld begrüßt das massive Konjunkturpaket der Bundesregierung. Die Mehrwertsteuersenkung, die mit fast 20 Milliarden Euro einer der teuersten Posten ist, sieht er dennoch skeptisch:
Es herrscht Konsumzurückhaltung, die nichts mit der Einkommenssituation der Menschen zu tun hat, sondern vielmehr damit, dass die Menschen Angst vor der Ansteckung haben und dass das Verkaufserlebnis unschön ist. Da, glaube ich, wird die Mehrwertsteuer nicht viel schaffen.
Eine Infografik mit dem Titel: Das Konjunkturpaket
Die zehn größten Posten, in Milliarden Euro
Konzipiert ist die Steuersenkung dafür, die Kauflaune der Menschen anzutreiben. Als Sanierungsprogramm für Unternehmen ist sie hingegen nicht deklariert. Feld gibt zu erkennen, dass die Mehrwertsteuersenkung am Ende trotzdem ein Rettungsschirm für den angeschlagenen Einzelhandel sein könnte:
Wenn die Mehrwertsteuersenkung nicht in den Preisen weitergegeben wird, dann verbleibt sie im Unternehmen, erlaubt einem Unternehmen, das Umsätze macht, eine höhere Gewinnmarge, was durchaus auch deren Solvenz steigert. Das dürfen wir bei der Mehrwertsteuer nicht vergessen.
Feld hält die deutschen Milliardenprogramme in dieser Corona-Ausnahmesituation für berechtigt. Er warnt allerdings davor, dass Schulden zum Evergreen der Politik werden:
© dpaDie Probleme mit der Staatsverschuldung sind durch die Krise nicht beseitigt worden. Auch die Notwendigkeit für Deutschland, nach Ablauf der Krise wieder zu einer soliden Finanzpolitik zurückzukehren, besteht weiter fort.
Ein EU-Wiederaufbaufonds soll zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise Kredite und Zuschüsse an ärmere Länder verteilen – finanziert durch eine Verschuldung der EU. Feld weist auf die langfristigen Folgen dieses Kraftakts hin:
Ich bin mit großer Sorge erfüllt, dass wir nach dieser Krise, wenn es wieder besser wird, die dann folgende gute Phase nicht genutzt sehen, dass also die hoch verschuldeten Mitgliedstaaten ihre Schulden nicht reduzieren. Dann haben wir in der nächsten Krise Länder, die mit einer noch höheren Schuldenquote dastehen. Das ist nicht durchhaltbar.
Der Fonds könnte kurzfristig eine gute Kompromisslösung gewesen sein. Langfristig dürfte er zu politischen Verwerfungen führen:
Was mir Sorge macht bei diesem Programm ist, dass sich dadurch ohne Vertragsänderung eine schleichende Kompetenzverschiebung hin zur EU ergibt. Die EU hat dann auch eine Verschuldungskompetenz, die so nicht in den EU-Verträgen steht.
Dass da keine Vertragsänderung notwendig ist, das kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen.
Wenn Sie selbst mit dem Chef der Wirtschaftsweisen diskutieren möchten, sind Sie dazu herzlich eingeladen. Prof. Feld wird am 29. Juni die PioneerOne besuchen. Wir freuen uns auf ihn.
Der langjährige Chef des Vermögensverwalters DWS und Experte für Corporate Governance, Prof. Christian Strenger, forderte Ende April eine Reform des Unternehmensstrafrechts :
© DWSEs bedarf einer neuen Regelung, aber die sollte gegen die Verursacher gehen und nicht gegen das Unternehmen. Das würde nur die sogenannten Stakeholder treffen, das sind vorrangig die Aktionäre, es sind aber auch – wenn es große Strafen gibt – die Mitarbeiter und viele andere, die darunter leiden.
DWS Die Bundesjustizministerin hat ihn überhört. Ihr „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ wurde jetzt im Kabinett beschlossen und sieht keine Bestrafung von kriminellen Managern vor, dafür aber saftige Strafen für die Unternehmen.
► Große Wirtschaftsunternehmen müssen Strafen in Höhe von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes zahlen. Für Unternehmen mit weniger als 100 Millionen Euro Jahresumsatz soll es bei Sanktionen von höchstens zehn Millionen Euro bei vorsätzlichen Straftaten und höchstens fünf Millionen Euro bei fahrlässig begangenen Straftaten bleiben.
► Künftig müssen Staatsanwaltschaften nicht nur gegen verantwortliche Manager und Beschäftigte ermitteln, sondern stets auch gegen das Unternehmen selbst. Die Justizministerin sagt:
© dpaDie Verantwortung darf nicht länger nur auf Einzelne geschoben werden, wenn Unternehmen kriminell handeln.
Es drohe – gerade angesichts der Corona-Krise – eine „unangemessene Belastung“, warnen der Arbeitgeberverband BDA, der Handelsverband HDE und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Für Unternehmen mit einem hohen Umsatz, aber niedriger Gewinnmarge kämen die geplanten Sanktionen einer „Todesstrafe“ gleich.
Prognose: Der Staat dürfte unnachgiebig bleiben. Er braucht keine Straftaten. Aber er braucht die Milliardenzahlungen der Unternehmen.
Der deutsche Medienkonsument will keine Haltungen vorgesetzt bekommen, er fordert objektive Nachrichten ein. Das ist ein Ergebnis des Reuters Reports, einer groß angelegten Studie über das Mediennutzungsverhalten in 40 Ländern.
► 80 Prozent der Befragten gaben an, sie bevorzugten Nachrichten ohne erkennbare Standpunkte – also nicht solche, die den eigenen Standpunkt wiedergeben oder hinterfragen. Lediglich 15 Prozent der Befragten goutieren Nachrichten, die ihren eigenen Standpunkt bestätigen.
► Damit zeigen sich die Deutschen im internationalen Vergleich als besonders mündige Mediennutzer. Denn der Anteil derer, die bevorzugt Nachrichten konsumieren, die ihren Standpunkt bestätigen, liegt in Spanien bei 34 Prozent, in den USA bei 30 Prozent und in Brasilien sogar bei 43 Prozent – und damit deutlich höher als hierzulande.
Erstens. Nach drei Monaten mit Video- und Telefonkonferenzen treffen sich Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten zum ersten Mal wieder im großen Kreis zu persönlichen Beratungen.
© dpaZweitens. Das Bundeskabinett will den zweiten Nachtragshaushalt für dieses Jahr auf den Weg bringen. Damit wird die bereits beschlossene Finanzplanung für das Jahr erneut nachträglich korrigiert.
Drittens. Die Verhandlungen über ein EU-Handelsabkommen mit Großbritannien sind Thema im Europaparlament. Zu der Debatte werden auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Unterhändler Michel Barnier erwartet.
© dpaViertens. Mit einem Gedenken in Berlin wird an die Opfer des DDR-Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 erinnert. Auf dem Friedhof an der Seestraße werden die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller Kränze am Mahnmal für die Opfer niederlegen.
© imago images/Prod.DBFünftens. Emma Watson, die berühmteste Zauberschülerin der Welt, steht jetzt in Diensten der Luxusindustrie. Als Aufsichtsratsmitglied des französischen Modekonzerns Kering wacht die britische Schauspielerin unter anderem über die Marken Gucci, Yves Saint Laurent und Balenciaga.
Die 30-Jährige, die mit der „Harry Potter“-Kinosaga weltberühmt geworden ist, ist heute eine Aktivistin für die Rechte von Frauen – und eine „Pionierin“, sagt das Unternehmen, im Bereich „ethischer Mode“.
Ich wünsche Ihnen einen beschwingten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr