Politik mit Röntgenblick

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Guten Morgen,

die Medien konzentrieren sich auf Namen, beobachten und beschreiben im 24/7-Modus die Spitzenkandidaten Armin Laschet, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Olaf Scholz.

Die Gummistiefel. Die Biografie. Das Lachen.

Doch auf der Schlussgeraden eines Wahlkampfes der Nebensächlichkeiten schauen viele Wähler durch die Gesichter der Spitzenkandidaten hindurch. Sie schauen auf den Kern vom Kern dieser Auseinandersetzung. Sie tun das mit dem Röntgenblick ihrer eigenen Interessen.

Armin Laschet © imago

Vielen ist klar geworden, dass hier Größeres zur Abstimmung steht als die profane Frage, ob ein Christ- oder ein Sozialdemokrat in das Kanzleramt einzieht. Wenn es nur um die beiden Persönlichkeiten ginge, dann könnte man auch würfeln. Die Ähnlichkeiten der Charaktere sind größer, als uns die Kampagnenmanager glauben machen wollen.

  • Laschet ist nicht der Tölpel, den die SPD aus ihm macht.

  • Scholz ist nicht der Halbkriminelle, den die CDU neuerdings zeichnet.

  • Beide sind im Rahmen der Möglichkeiten ihres Berufsstandes integer, politisch erfahren und arbeiten zeit ihres Lebens frei von Visionen. Beide Kandidaten, um mit Karl Schiller zu sprechen, lassen die Tassen im Schrank.

Olaf Scholz © imago

Doch alles Weitere bleibt vorsätzlich unklar. Der Vertrag, den der Wähler am Sonntag unterschreiben soll, ist ein Vertrag, bei dem man das Kleingedruckte nur erahnen, aber nicht entziffern kann. Das wiederum ist kein Zufall: Die politischen Kräfte, die Scholz tragen und die Laschet ziehen, wollen nicht erkannt werden. Man meidet das Deutliche und Direkte, auch um die eigene Beteiligung an den herrschenden Zuständen zu camouflieren. Die Laschet-CDU und die Scholz-SPD sind unbestreitbar Teil jener Situation, für deren Abschaffung sie nun gewählt werden wollen.

Wolfgang Reitzle © dpa

Einer, der unbefangen zu Werke geht, ist Prof. Wolfgang Reitzle. Er hat sein Berufsleben in der deutschen Industrie verbracht, war an verantwortlicher Stelle bei BMW, Ford und Linde und heute dient er als Vorsitzender des Board of Directors der Linde plc und als Aufsichtsratsvorsitzender der Continental AG. Er ist parteilos. Noch nie hat er auf einem Parteitag gesprochen.

Gestern bei der FDP war Premiere.

Er hätte auch bei den Grünen, der CDU und – wie ich ihn kenne – auch bei der Linkspartei gesprochen, um seine Sicht der Dinge auf den Punkt zu bringen. Es ist also nicht wichtig, wo er sprach. Wichtig ist, was er zu sagen hatte.

Wolfgang Reitzle © dpa

Es waren fünf unbequeme Wahrheiten, die er den Deutschen zurief:

Wahrheit Nummer 1: Wir haben unsere Spitzenposition in der Welt verloren. Reitzle wörtlich:

Man fragt sich: Wo sind wir eigentlich überhaupt noch führend? – Ganz sicher bei Steuern, Umverteilung und beim Strompreis. Und genau dafür haben einige Parteien konkrete Pläne, diese Führungsposition weiter auszubauen.

Wahrheit Nummer 2: Der Nationalstaat ist schon als Denkraum zu eng, um dem Klimawandel effektiv begegnen zu können. Denn, so Reitzle:

Das Klima retten wir entweder global oder gar nicht.

Auf dem Planeten werden bis 2050 rund 2,5 Milliarden mehr Menschen leben. China hat alleine in 2019 fast genauso viel Kohle-Kapazität neu aufgebaut, wie wir bis 2038 vom Netz nehmen wollen.

In Afrika besitzen heute 600 Millionen Menschen keine Steckdose, aber sie werden berechtigterweise schon sehr bald eine haben. Und ein Großteil des Stroms aus diesen Steckdosen wird aus neuen Kohlekraftwerken stammen, die wiederum China nach Afrika liefert.

Wahrheit Nummer 3: Es braucht den Markt und den Wettbewerb, um wirkliche Klimaneutralität auf diesem Planeten erreichen zu können. Reitzle riet zur Technologieoffenheit:

Nehmen Sie das Thema Wasserstoff. Es begleitet mich beruflich schon seit Jahrzehnten. Und die Chancen dieser Technologie sind enorm.

Trotzdem setzen wir heute fast ausschließlich auf Batterietechnologie.

 © dpa

Wie kommt das? Nun, es kommt durch die politischen Rahmenbedingungen. Dadurch, dass man eben nicht gesagt hat: „Mal sehen, welche Technologie sich durchsetzt“. Sondern: „Wir wissen im Vorhinein, was am besten ist.“ Nämlich: die Batterie!

Die Folge ist: In der Autoindustrie bleibt kein Stein auf dem anderen. Hunderttausende alte Arbeitsplätze sind gefährdet. Für viele tausend neue Jobs fehlen die qualifizierten Leute.

Kriegen wir das trotzdem hin? Ja. Irgendwie schaffen wir das, würde Angela Merkel sagen. Aber zu einem hohen Preis.

Nun könnte man argumentieren: Ja, dann ist das eben der Preis, den wir zahlen müssen. Schließlich retten wir hier das Klima.

 © dpa

Und dann sagt er allen, die es angeht, die Wahrheit Nummer 4, die die unbequemste aller Wahrheiten ist: Viel hilft nicht viel.

Ganz gleich, wie weit wir hier gehen mit der Deindustrialisierung; das Klima retten wir mit all dem eben leider nicht. Der Zweck, der alle Mittel heiligen soll, wird durch diese Mittel gar nicht erreicht!

Seine Begründung:

Ein vollelektrischer Pkw zum Beispiel, der seinen Strom aus einer deutschen Steckdose lädt, fährt nicht CO2-frei.

Im Gegenteil: Unser Strommix ist nicht nur besonders teuer. Er ist auch besonders schmutzig (CO2-lastig). Und wenn demnächst das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht, wird er für lange Zeit noch schmutziger.

Wahrheit Nummer 5: Die finanziellen Kosten einer dirigistischen Klimapolitik werden Europa überfordern. Reitzle sagte:

Dass es teuer wird, bestreiten ja selbst Befürworter dieses Weges nicht. Aber anders als Sie und ich machen sie sich darüber keine Sorgen. Denn sie glauben an die „Modern Monetary Theory“, sprich: an die Notenpresse – an das Schöpfen von Geld aus dem Nichts.

Deren Folgen beschrieb Reitzle so:

Es führt in die Schulden- und Transferunion. Es führt zur Inflation. Und irgendwann führt es zur Destabilisierung des Euro.

Seine Schlussfolgerung:

Unsere Situation gleicht der eines Schiffes, das zu sinken droht. Dabei läuft das Wasser vorne und hinten gleichzeitig rein. Allerdings ist das Loch vorne – bei uns – viel kleiner als das Loch hinten in China, Asien und Afrika. Welchen Sinn ergibt es da, dass wir fast all unsere Zeit, fast all unsere Kraft und all unsere Ressourcen darauf verwenden, das kleine Loch hier in Deutschland zu schließen?

Warum konzentrieren wir uns nicht auch und besonders auf das große Loch?

Fazit: Einer wie Reitzle kann nur informieren, mahnen, fragen: Die Antwort auf seine Frage nach dem großen oder dem kleinen Loch ist die Frage nach der richtigen Priorität. Diese Frage muss am Sonntag der Wähler beantworten.

Wolfgang Reitzle © Anne Hufnagl
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Olaf Scholz © imago

Eine Woche vor der Wahl konkretisiert Kanzlerkandidat Olaf Scholz seine Steuerpläne: Top-Verdiener sollen unter einer SPD-Regierung mehr Einkommensteuer zahlen. Der „Bild am Sonntag“ sagte er:

Der Spitzensteuersatz, der dann allerdings erst später greift, könnte um drei Punkte auf 45 Prozent steigen.

Fazit: Die SPD rasiert immer weiter die, die schon vorher rasiert wurden. Seit den Zeiten von Gerhard Schröder hat sich die Zahl der Spitzensteuerzahler verdoppelt.

Eine Infografik mit dem Titel: Steuern: Spitzensatz heute

Aktuelle Grenzbelastung der Einkommensteuer im Tarif 2022, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Wachsende Spitzengruppe

Anzahl der Steuerzahler, die den Spitzensteuersatz zahlen, in Millionen

Wolfgang Schäuble © dpa

Die Union führt einen Wahlkampf ohne Kampf. In der Partei können viele die Müdigkeit, die das Team Laschet befallen hat, kaum fassen. CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble allerdings macht nicht den Kandidaten, der ohne seine Hilfe nie Kandidat geworden wäre, dafür verantwortlich, sondern die noch amtierende Kanzlerin.

In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ führt Schäuble das „enge Rennen“ zwischen Union und SPD auf Merkels Entscheidung vom Oktober 2018 zurück, als sie den CDU-Vorsitz abgab, als Regierungschefin aber im Amt blieb. Wörtlich sagte Schäuble:

Ich bin fest davon überzeugt, dass beides in eine Hand gehört: Parteivorsitz und Kanzleramt. Das war jetzt über fast drei Jahre nicht der Fall, und deshalb gibt es auch keinen Amtsbonus. Im Gegenteil.

CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet stehe „neben der langjährigen erfolgreichen Bundeskanzlerin“ und könne im Wahlkampf weder sagen, „wir machen alles neu“, noch „wir machen einfach weiter so“. Dies sei nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel „ein Problem“ für seine Partei und werde „vielleicht nicht von allen verstanden.”

Journalismus ist bei uns an Bord der PioneerOne eine Mitmach-Veranstaltung. Das bedeutet heute Morgen zweierlei: Wer noch einen der begehrten Plätze beim Live-Interview mit VW-Boss Herbert Diess in Wolfsburg ergattern möchte, bitte umgehend bei mir melden. Plus: Wer mir Fragen an Christian Lindner in den Block diktieren möchte, für das Interview heute Nachmittag, möge nicht zögern, sondern schreiben. Am besten an: g.steingart@mediapioneer.com

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Franz Müntefering © dpa

Mehr als drei Jahrzehnte war er im Bundestag, zweimal zwischendurch SPD-Vorsitzender: Franz Müntefering. Er diente als Minister in zwei Kabinetten – erst unter Gerhard Schröder, dann unter Angela Merkel. Oft meldet sich der 81-Jährige nicht mehr zu Wort.

Jetzt war der Mann der kurzen Sätze zu Gast im Pioneer-Podcast-Studio bei meinem Kollegen Rasmus Buchsteiner – und hat mit ihm den Wahlkampf-Endspurt analysiert.

Müntefering ist Freund einer möglichen Ampelkoalition nach der Bundestagswahl. Rot-Rot-Grün gibt er – angesichts der Positionen der Linken in der Außenpolitik – nicht die geringste Chance: „Bei dem, was sie im Moment fordern: Nein.“

Das ganze Podcast-Gespräch mit Franz Müntefering können Sie hier nachhören.

“Olaf Scholz ist kein Stürmer”

SPD-Ikone Franz Müntefering über das Comeback der SPD, Machtworte und politische Verantwortung.

Podcast hören

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski Rasmus Buchsteiner.

Podcast mit der Laufzeit von

Deutschland ist das Land der Familienunternehmen. Ihnen verdankt das Land seine Innovationskraft, seine unternehmerische Vitalität und seinen hohen Beschäftigungsstand. Aber nicht nur das.

In Zeiten erodierender Bindekraft von Parteien, Gewerkschaften und Kirchen geben die Familienunternehmen mit ihren Traditionen und ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl dem Land auch seinen kulturellen Halt. Hier werden jene Werte gelebt, die woanders nur noch propagiert werden. Hier bilden sich jene Gemeinschaften, die mehr sind als die flüchtigen Communities im Internet. Bei Facebook wird gepostet, in der Firma gefeiert. Bei Twitter & Co. ist man User, in der Firma Kollege und Freund. Im Internet wird gestritten, in der Firma oft auch geheiratet.

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Das Fernsehen und die Politik hindert das nicht, ein sehr anderes Bild zu zeichnen. Für den „Tatort“ ist der Unternehmer der Raffzahn. Für die Politik die Melkkuh.

In Minden, am Wasserkreuz zwischen Weser und Mittellandkanal, trafen sich am gestrigen Abend die Familienunternehmer der Region zum Austausch auf der PioneerOne. Das Ziel: Zuhören. Das Ergebnis: Ein Aha-Effekt. Unsere Einladung: Hören und staunen Sie mit. Das Potpourri der Wortmeldungen bildet heute das Zentrum des Morning Briefing-Podcast. Unternehmertum unplugged.

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Ludwig-Maximilians-Universität München © dpa

Der Satz des John F. Kennedy „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung“ gilt noch immer. Deutschlands Schüler liegen im weltweiten Vergleich auf Platz 20. Auch im weltweiten Universitätsvergleich ist Deutschland abgeschlagen. In der Liste der Top 50 Universitäten ist nur eine deutsche Universität vertreten.

Eine Infografik mit dem Titel: Universitäten: Amerika vorn

Weltweite Rangliste internationaler Universitäten laut Shanghai Academic Ranking 2021

Wie viel Potenzial in guter Bildung liegt, verdeutlicht eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission. Demnach können bessere Schulleistungen Deutschlands zukünftigen Wohlstand erhöhen.

Eine Infografik mit dem Titel: Abstieg Deutschland

Ergebnis der deutschen Schüler bei den PISA-Studien seit 2000 in den Bereichen Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften, in Punkten

Dass dieses Potenzial nun endlich genutzt werden müsse, mahnt der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Carl Hahn, im heutigen Morning Briefing-Podcast:

Wir vergessen völlig, dass unsere Bedeutung und unsere Lebensqualität einzig und allein von Bildung gesteuert werden.

Carl Hahn © dpa

Der 95-Jährige, der in seiner Amtszeit die Expansion nach China initiierte und die Integration der DDR-Automobilindustrie bei VW durchsetzte, fordert nun in einer Initiative zur Förderung der frühkindlichen Entwicklung die Mehrsprachigkeit von Kindern im Kindergartenalter:

Der liebe Gott hat vorgesorgt, dass Kleinstkinder bis zum sechsten Lebensjahr Sprachen mit der 100-fachen Geschwindigkeit eines Erwachsenen aufnehmen können.

Er will, dass wir als Gesellschaft diese genetische Grundlage erkennen und nutzen. Für ihn geht es nicht nur um Sprachkompetenz. Für Hahn geht es um den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit:

Das stört mich riesig. Dass wir heute auf all diesen Gebieten des Geistigen nicht mehr die Anführer der Welt sind, sondern in einer Welt, die mehr und mehr von der Wissenschaft vorangetrieben wird, erschreckend hinterherhinken.

Fazit: Hier spricht der alte, weise Mann.

Waldbrände in Kalifornien © dpa

Die Waldbrände in Kalifornien könnten schon bald den Sequoia-Nationalpark erreichen. Der Park ist die Heimat für Tausende Sequoia-Bäume; der größte unter ihnen erreicht eine Höhe von über 83 Metern und einen Stammdurchmesser von elf Metern. Damit ist der Baum, der auch „General Sherman“ genannt wird, der größte Baum der Welt.

„General Sherman“ © CNN

Um den „General Sherman“ vor dem Feuer zu schützen, haben sich die Einsatzkräfte eines Alltagshelfers bedient: Alufolie. Mit dem feuersicheren Material wird der Stammansatz des Baumes umwickelt.

Doch nicht nur Bäume soll das Silberpapier vor dem Niederbrennen bewahren. In Kalifornien lassen einige Einwohner ihre Häuser in Alufolie einwickeln, um sie vor dem Feuer zu schützen. Die Methode klingt irre, aber funktioniert: Nahe des Lake Tahoe überlebte ein in Alufolie eingewickeltes Haus, während die umliegenden Häuser dem Brand zum Opfer fielen und fast vollständig zerstört wurden.

 © AP

Fazit: Diesen Überlebenswillen der Kalifornier sollten wir nicht nur bewundern, sondern abkupfern. Oder wie Henry Ford einst sagte:

Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als solche, die scheitern.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in die Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer

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