Politische Korrektheit: Der Widerstand wächst

Teilen
Merken

Guten Morgen,

heute gibt es Erfreuliches zu berichten: Im politisch-publizistischen Diskurs deutet sich eine Zeitenwende an. Die politische Korrektheit als Religionsersatz befindet sich auf dem strategischen Rückzug. Die Säkularisierung der Gegenwartsdebatte hat begonnen.

Im Grunde teilen sich den öffentlichen Raum, der ja nichts Geringeres als den Marktplatz der Demokratie bedeutet, heutzutage drei Phänotypen. Da sind zum einen jene „Diskurspolizisten“ (Jochen Bittner, „Die Zeit“), die jede gedankliche Normüberschreitung mit einem Fangschuss beantworten. Der Computer dient ihnen als Schießscharte. Liberalität halten sie für eine Infektionskrankheit, die durch Kontaktunterbrechung bekämpft werden muss.

Typus zwei ist der Opportunist, der sich geschmeidig den Irrungen und Wirrungen der Tagesmoral anzupassen weiß. Wirbt die Regierung für Lockerung, lockert er mit. Bläst die Regierung ins Horn des Alarmismus, bläst auch er die Backen auf. Ihm ist es egal, auf welcher Seite der Barrikade er steht, es muss nur die richtige sein. Dem Opportunisten geht es nicht ums Rechthaben, sondern um das nächste Minister-Interview. Er will die eigene Anschlussfähigkeit nicht gefährden.

Doch erfreulicherweise – und davon ist heute Morgen zu berichten – kann ausgerechnet eine dritte Gruppe in diesen Tagen Zulauf melden. Die Rede ist von jenen Zeitgenossen, die die Mechanismen einer scheinbar gutmütigen Intoleranz durchschaut haben. Das Diktat der Einpositionen-Gesellschaft – die in ihrer freundlichen Variante von „Alternativlosigkeit“ spricht und in ihrer bösartigen Mutation „dem weißen Mann“ am liebsten Sprechverbot erteilen möchte – lehnen sie ab.

Fabio De Masi © dpa

Der linke Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi, der im Herbst den Bundestag verlässt, mahnt seine Partei zur Offenheit gegenüber Andersdenkenden:

Ich habe den politischen Meinungsstreit – gerade mit Konservativen und Liberalen – immer als eine Bereicherung empfunden. Denn Widerspruch schult die eigenen Argumente. Wir müssen lernen, respektvoll miteinander zu streiten.

Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse © dpa

Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse machte seine eigenen Erfahrungen mit den Ausgrenzern, die ihn aufgeschreckt haben:

Die Identitätspolitik von links, wenn sie weiter so einseitig und in dieser Radikalität betrieben wird, führt zur Cancel Culture. Das heißt, man will sich nicht mehr mit Leuten auseinandersetzen, die Ansichten haben, die einem nicht passen. Das ist demokratiefremd und, wenn ich das sagen darf, demokratiefeindlich.

Daniel Cohn-Bendit © dpa

Auch Daniel Cohn-Bendit, der grüne Vordenker und anti-autoritäre Tausendsassa, ist nachdenklich geworden:

Was mich politisch heute beschäftigt, ist die Frage: Warum gibt es immer wieder Bewegungen, die eine richtige Kritik äußern – die Frauenbewegung, die Schwulenbewegung, die Umweltbewegung. All diese Bewegungen haben für mich einen nachvollziehbaren politischen, sozialen und ökonomischen Ansatz. Warum gibt es innerhalb dieser Bewegungen aber immer einen Moment, in dem sie sich einer totalitären Versuchung nicht entziehen können?

Dagmar Rosenfeld © imago

Auch „WELT“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld, eine streitbare Liberale, wirbt leidenschaftlich für eine Debatte, die nicht Millionen hart arbeitender Menschen via Sprachcode aussteuert:

Im Kampf für Identitätspolitik, für eine gendersensible Sprache und eine bereinigte Kulturgeschichte bleibt die Weste schön weiß. Schließlich macht man sich mit akademischen Debatten die Hände nicht schmutzig. Nur: Mit der Lebenswirklichkeit der Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben, haben diese Debatten nichts zu tun.

„Zeit“-Autor Jochen Bittner wendet sich in einem offenen Brief an Jan Böhmermann, weil dieser die altehrwürdige CDU-Mittelstandsvereinigung, die eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefordert hatte, in eine Schublade mit Rechtsextremisten steckte:

Unbedachte Sprache malt mit immer dickeren Strichen immer kleinere Kreise um Gruppen und schafft auf diese Weise künstliche Gegensätze, statt das natürlich Gemeinsame zu umreißen. Auch dafür gibt es ein Wort: Unversöhnlichkeit.

Jan Böhmermann © dpa

Bittners Fazit:

Liberalismus ist das, woran es Ihnen leider mangelt, Herr Böhmermann.

Heribert Prantl © dpa

Für eine Neubelebung der Debattenkultur macht sich auch Heribert Prantl in seinem neuen Buch „Not und Gebot. Grundrechte in Quarantäne“ stark:

Es gibt kein Paradies ohne Schlangen. Journalismus verlangt, sich von den Schlangen nicht verführen zu lassen, ihnen zu widerstehen, wie immer sie auch heißen mögen. In Verlagen und Redaktionen können sie Spardruck heißen, Entlassungen, Auflösung von Redaktionen, Outsourcing von journalistischer Arbeit, Mainstream-Druck.

Er empfiehlt, diesem Mainstream-Druck zu widerstehen, den Ministern, Kanzlern und Präsidenten nicht den Ring zu küssen, sondern ihnen die Stirn zu bieten:

Es gilt heute, die Freiheit gegen das Coronavirus zu verteidigen. Die Verteidigung besteht darin, die Grundrechte zu schützen – zu schützen davor, dass das Virus und die Maßnahmen gegen das Virus von den Grundrechten nur noch die Hülle übrig lassen.

Heribert Prantl © imago

Er zieht historische Parallelen, die jeden Demokraten alarmieren müssen:

Der Kampf gegen die Notstandsgesetze hat die noch junge Bundesrepublik verändert. In einem Land, das auf Untertanengeist gedrillt war, regten sich damals Widerspruch und Widerstand, auch schrill, mit Zuspitzungen und Übertreibungen; es entwickelte sich Streitkultur.

Jetzt passiert das Gegenteil. Die Reaktion auf Corona verändert die gereifte Bundesrepublik. In einem Land mit einer bislang ausgeprägten Streitkultur verschwinden Kritik und Protest.

Und dann hat er eine unbequeme Frage zu stellen, die man nur als Aufforderung zum Selberdenken verstehen kann:

Wo ist das kritische Potenzial der Gesellschaft?

Fazit: Wir erleben noch nicht das Ende einer fiebernden politischen Korrektheit, wohl aber den Beginn einer gesellschaftlichen Schubumkehr. Der Schein-Heilige wird als solcher durchschaut, auch wenn er jetzt Maske trägt. Der geübte Mitläufer verkleinert bereits das Schrittmaß, weil er spürt, dass der Wind nun auch von der anderen Seite weht. Oder um es mit Botho Strauß zu sagen: „Das Gewaltigste unter der Sonne ist das Vorübergehende.“

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Folge
Rauch nach Explosion über Fukushima 1 am 12.03.2011 © dpa | Abc News 24

In der ARD lief um Mitternacht ein Film über die bedeutendste politische Entscheidung, die Angela Merkel als Bundeskanzlerin aus freien Stücken traf. „Das Finale: Fukushima und der deutsche Atomausstieg“ heißt das Werk. Als Autorin und Regisseurin zeichnet die „FAZ“-Kolumnistin Inge Kloepfer verantwortlich, produziert wurde der Dokumentarfilm von Sandra Maischbergers Produktionsfirma Vincent TV.

Der Film beginnt am 11. März 2011, als um 14:47 Uhr japanischer Ortszeit ein Erdbeben den asiatischen Inselstaat erschüttert, gefolgt von einer 30 Meter hohen Tsunami-Welle, die auf die Küste zurast.

Das Kernkraftwerk Fukushima erlebt in vier von sechs Blöcken eine Kernschmelze; radioaktive Emissionen werden freigesetzt, die Kühlsysteme versagen; über 100.000 Menschen müssen evakuiert werden. Die halbe Welt verfolgt den Echtzeit-Thriller am Fernsehgerät.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Folge

In Deutschland wird innerhalb von 96 Stunden die friedliche Nutzung der Kernenergie für beendet erklärt und die von CDU, CSU und FDP durchgesetzte Laufzeitverlängerung für die Atommeiler zurückgenommen.

Angela Merkel beginnt eine Geheimdiplomatie mit den Spitzen ihrer Regierung, den Fraktionschefs der Koalition, den betroffenen Landesfürsten und der Energiewirtschaft, ohne nennenswerte Einbeziehung des Parlaments. Es kommt schließlich zur radikalen Veränderung der Energiebasis im wichtigsten Industrieland Europas. Die Kanzlerin war in diesen 96 Stunden Akteurin – und Getriebene.

Der Film zeichnet diese 96 Stunden der Entscheidungsfindung nach. Wir schauen der Kanzlerin, auch wenn sie für kein Interview zur Verfügung stand, über die Schulter. Im Morning Briefing Podcast berichtet die Filmemacherin von einem politischen Prozess, der alle betrifft und den damals keiner sah.

Und sie malt das Porträt einer Regierungschefin und CDU-Vorsitzenden, die im Zeichen der Katastrophe von der Zauderliese zur Zupack-Kanzlerin wurde und sich damit ins Geschichtsbuch eintrug. Die Folgen der Entscheidung – eine hohe Importabhängigkeit, steigende Stromkosten und Milliarden an Entschädigungen für die Besitzer der Atommeiler – wirken bis heute nach. Allerdings: Auch den hohen Anteil erneuerbarer Energien verdankt die Bundesrepublik dieser Entscheidung.

Den Film – den man auch als Unterrichtseinheit in Sachen Realpolitik sehen kann – gibt es bereits in der ARD-Mediathek. Prädikat: Erhellend.

Angela Merkel © dpa

Am kommenden Mittwoch treffen sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten, um weitere Beschlüsse zum Kampf gegen die Corona-Pandemie zu fassen. Der seit fast drei Monaten geltende Lockdown weckt Begehrlichkeiten, zumal die Akzeptanz für die Corona-Politik in der Bevölkerung schwindet: Laut dem ARD-Deutschlandtrend waren im Februar 56 Prozent der Bürger mit dem Krisenmanagement unzufrieden.

Eine Infografik mit dem Titel: Wachsende Unzufriedenheit

Zufriedenheit mit dem Corona-Krisenmanagement von Bund und Ländern, in Prozent

Zunehmend sorgen sich die Deutschen um die wirtschaftlichen Folgen. Der Wunsch nach Lockerungen ist gestiegen – von 43 Prozent der Befragten im November auf nun 59 Prozent.

Das ruft mit Zeitverzögerung auch Peter Altmaier auf den Plan: Der Wirtschaftsminister, der sich bislang mit Forderungen nach einer schnelleren Öffnung zurückgehalten hatte und dafür von Wirtschaftsvertretern hart angegangen wurde, meldet sich nun mit einem Positionspapier zu Wort: Er möchte viele Branchen, darunter auch Einzelhandel und Gastronomie, aus dem Lockdown befreien, auch wenn die Inzidenz über 50 liegt. Laut Robert Koch-Institut (RKI) liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bundesweit aktuell bei 65,8.

Öffnungen in Zeitlupe

Handel, Außengastronomie, Kosmetikstudios. Bund und Länder erarbeiten den Öffnungsplan.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

 © dpa

An der Börse zeigt sich, wie die Corona-Hoffnung zum Kurstreiber wird. In den vergangenen drei Monaten ließ sich beobachten, dass die Finanzplätze in Deutschland und der übrigen Eurozone auf die Zulassung der Impfstoffe mit Kurssprüngen reagierten.

  • Die Indizes DAX und EURO STOXX 50 erlebten mit den Zulassungen der Impfstoffe BioNTech, Moderna und AstraZeneca einzelne Aufschwünge.

  • Bereits am 21. Dezember vergangenen Jahres sorgte die Nachricht, dass das BioNTech-Vakzin bald gespritzt wird, für positive Stimmungen auf dem Aktienmarkt.

  • Anfang Januar katapultierte die angekündigte Zulassung von Moderna den DAX auf ein Rekordhoch von über 14.000 Punkten. Zuletzt nahm der deutsche Index zeitgleich mit der AstraZeneca-Zulassung Kurs auf weitere Rekorde.

Eine Infografik mit dem Titel: Impfstoff befeuert den DAX

Kursverlauf des deutschen Aktienindex seit Dezember 2020, in Punkten

Eine Infografik mit dem Titel: Eurozone im Aufwind

Kursverlauf des EURO STOXX 50 seit Dezember 2020, in Punkten

Der Erhalt der Erde ist der neue politische Imperativ!

Der Erhalt der Erde wird die zentrale politische Frage des 21. Jahrhunderts. Sagt Joschka Fischer.

Artikel lesen

Veröffentlicht von Joschka Fischer .

Artikel

Angehörige des Bundeswehr Elite-Verbands KSK © dpa

Das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) kommt nicht zur Ruhe: Die Elitesoldaten stehen wieder in der Kritik, diesmal wegen des Umgangs mit Munition und Sprengmitteln. Und wegen eines Vorgangs aus dem vergangenen Frühjahr: KSK-Soldaten hatten dabei die Möglichkeit, entwendete Munition zurückzugeben – ohne Strafe.

Normalerweise ist das Unterschlagen von Munition mindestens ein Dienstvergehen. Beim KSK wurde hingegen „Amnestie“ ausgelobt. Am Ende kam mehr Munition zusammen, als eigentlich vermisst wurde.

Das dürfte Folgen haben, auch wenn Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beteuert, nichts von der Aktion gewusst zu haben. Tatsächlich waren Informationen zu der fragwürdigen Amnestie-Praxis aus einem Bericht zur Reform des KSK getilgt worden. Damit bleiben Fragen: Was wussten hochrangige Generäle über die Missstände beim KSK?

Annegret Kramp-Karrenbauer © dpa

Recherchen von ThePioneer-Investigativ-Reporter Christian Schweppe zeigen: Soldaten, die am später gekürzten Bericht mitgearbeitet hatten, protestierten intern dagegen, dass Informationen unter den Tisch fallen sollten. Dennoch wurden diese Informationen im Ministerium von AKK entfernt und der Bundestag nicht unterrichtet.

Dass Sorgen vor Strafvereitelung nicht unbegründet waren, zeigt sich jetzt: Die Staatsanwaltschaft Tübingen prüft mögliche Strafverfahren – Akten des Verteidigungsministeriums wurden bereits angefordert.

Vertuschung im Ministerium?

Wie ernst ist es dem Verteidigungsministerin mit der Aufklärung von Missständen beim KSK?

Artikel lesen

Veröffentlicht von Christian Schweppe.

Artikel

Nicolas Sarkozy © dpa

Nicolas Sarkozy wurde gestern vom Pariser Strafgericht zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe, davon zwei Jahre auf Bewährung, verurteilt. Angeklagt war der Ex-Präsident Frankreichs wegen Bestechung und unerlaubter Einflussnahme auf die Justiz.

Anfang 2014 soll er über seinen Anwalt versucht haben, an vertrauliche Daten im Prozess der Woerth-Bettencourt-Affäre zu gelangen. Als Gegenleistung bot Sarkozy dem Richter Gilbert Azibert offenbar Unterstützung bei seiner Bewerbung um einen Posten im Fürstentum Monaco an.

Sarkozy hat nun die Wahl: Knast oder elektronische Fußfessel. Von seiner erfolgreichen Ehefrau Carla Bruni, die als Chanson-Sängerin in Frankreich hohe Wertschätzung genießt, wird nun erwartet, dass sie das tut, was sie bisher nur gesungen hat: „Stand by your man.“

Carla Bruni © dpa
Tom Cruise' digitaler Zwilling auf TikTok © @deeptomcruise / TikTok

Das Internet ist als Tatwerkzeug für Fälscher eine geniale Erfindung. Neben Texten und Fotos werden nun auch Videos und Tonaufnahmen derart gekonnt manipuliert, dass Wahrheit und Fälschung nicht auseinander zu halten sind. Deepfakes nennt sich diese neue Generation von Fälschungen, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) am Computer generiert werden und auch das geschulte Auge betrügen.

Tom Cruise' digitaler Zwilling © @deeptomcruise / TikTok

Der TikTok-Nutzer deeptomcruise zeigt, wie weit diese Technologie nun fortgeschritten ist. Täuschend echt spielt der amerikanische Filmstar Tom Cruise scheinbar Golf, führt einen Zaubertrick vor oder erzählt von seiner humorvollen Begegnung mit Michail Gorbatschow. Alles sieht auf den ersten und auch auf den zwei Blick normal aus – Gesicht, Stimme und sogar das markante Lachen des Hollywood-Stars sind perfekt getroffen.

Um einen solchen Deepfake zu erstellen, verwenden Computerexperten komplexe KI-Algorithmen. Diese lernen anhand von vielen tausend Stunden Videomaterial das Aussehen und die Mimik des Gesichts, um dies dann auf eine beliebige Person zu projizieren.

Tom Cruise, der Mann, der sich in „Mission Impossible“ regelmäßig mit lebensechten Masken tarnt, wird nun selbst zum Versuchskaninchen dieser Technologie. Das Jahrhundert der Fälschungen hat begonnen. Von allem gibt es künftig eine Raubkopie, auch vom eigenen Leben.

Ronald Reagan, Michail Sergejewitsch Gorbatschow © dpa

Am 12. Juni 1987 forderte Ronald Reagan vor der Berliner Mauer stehend:

Mr. Gorbachev, open this gate. Mr. Gorbachev, tear down this wall!

Und Gorbatschow lieferte. Er sorgte dafür, dass bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig und kurz darauf auch in anderen Städten der DDR die russischen Panzer in den Kasernen blieben. Die Mauer fiel, aber Schüsse fielen nicht.

Anlässlich des 90. Geburtstags von Michail Gorbatschow hat der Wirtschaftsanwalt und frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler, der ihn 1991 in München persönlich getroffen hat, für eine Gedenkschrift zum Petersberger Dialog eine Würdigung verfasst. Das Wichtigste in Kürze:

„Bei der Feier zum 40. Jahrestag der DDR sagt Michail Gorbatschow den Satz, der später zum geflügelten Wort werden soll. Sein Plädoyer für die Unvermeidbarkeit von Reformen begeistert die Massen. Unter den vielen Anhängern in der DDR für Gorbatschows neuen Weg steht auch eine junge Frau, die Angela heißt.

Michail Gorbatschow (2.v.l.) und Erich Honecker (3.v.l.) am 7. Oktober 1989 in Ost-Berlin © dpa

Als kurz darauf die Menschen in der DDR für Reformen auf die Straße gehen und das gewendete Politbüro in einer Nacht der größten Veränderung die Mauer öffnet, macht Gorbatschow die Vollendung der friedlichen Revolution in der DDR möglich. Und die deutsche Wiedervereinigung gleich dazu. 1990 erhält Gorbatschow den Friedensnobelpreis. Die Sowjetunion geht in einer Vielzahl souveräner Staaten auf – darunter ein neues Russland, befreit von der Geißel des kommunistischen Totalitarismus.

Als Konsequenz wird Gorbatschow seine Macht und alle seine Ämter abgeben. Aber was ist das schon – er hat der Menschheit des 20. Jahrhunderts zu einer Sternstunde verholfen.

Hans-Dietrich Genscher, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl, 1990 © dpa

Es gehört zu den großen Versäumnissen unserer Politik, dass sie die historische Chance, die durch Glasnost und Perestroika entstanden war, bis zum heutigen Tage nicht wirklich genutzt hat – auch die junge Frau nicht, die damals eine große Anhängerin Gorbatschows war.

Ob dahinter die Angst vor den Idealen ihrer Jugend steckt, wissen wir nicht. Angesichts des starken Willens zum Missverständnis in den westlichen Mainstream-Medien wäre das zumindest verständlich. Noch in den 90er Jahren sagte sie Klaus Bölling und mir, dass es der Wunsch ihres Lebens wäre, einmal in der Duma eine Rede zu halten.“

Fazit: Die Frage ist aufgeworfen. Beantworten kann sie nur Angela Merkel, vielleicht später in ihren Memoiren.

Wir dagegen wünschen dem Man in Moskau alles erdenklich Gute: Herzlichen Glückwunsch, Michail Gorbatschow! Sie sind in dem mit Blut getränkten 20. Jahrhundert der große Humanist.

Ich wünsche Ihnen einen optimistischen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing