Populismus 2.0

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Guten Morgen,

die Freunde der politischen Schwarz-Weiß-Fotografie erklärten nach dem Platzen der Regierungskoalition von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, nach dem Umfragetief von Boris Johnson in London und der Wahlniederlage von Donald Trump, die Hochzeit des politischen Populismus für beendet.

Kaum einer ging mit seinem „wishful thinking“ – also der Prophezeiung dessen, was man selber hofft – so weit wie der außenpolitische Kopf der „Süddeutschen Zeitung“ Stefan Kornelius:

Der Koalitionsbruch in Israel und Netanjahus Niedergang gehen einher mit anderen hoffnungsstiftenden Signalen aus der Welt der Populisten. Donald Trump: abgewählt und isoliert, ein Wüterich, eingesperrt für vier Wochen noch im ovalen Zimmer des Weißen Hauses. Boris Johnson: ein Kaiser mit immer neuen Kleidern.

Sein Fazit – einen Tag vor Heiligabend veröffentlicht:

Trump, Johnson, Netanjahu – alle drei zehren von den kümmerlichen Resten ihres Kapitals.

Benjamin Netanjahu © dpa

Die nüchternen Fakten, und nur darum kann es einem politisch unabhängigen Journalismus gehen, sehen deutlich anders aus:

1. Benjamin Netanjahu sitzt dank der generalstabsmäßig durchgeführten Impfkampagne (und dank seiner Wiederwahl) fester im Sattel denn je. Rund 70 Prozent des Neun-Millionen-Volkes sind geimpft. Freund und Feind applaudieren dem Ministerpräsidenten.

Boris Johnson © dpa

2. Auch Boris Johnson löste im Zuge seiner Impfstrategie und mit seiner Öffnungspolitik („Einbahnstraße zur Freiheit“) beim heimischen Publikum eine Welle der Begeisterung aus. 40 Prozent der Briten und mehr als 90 Prozent der über 70-Jährigen sind mittlerweile gegen COVID-19 geimpft. Die Sommersaison ist seitens der Regierung zum Verreisen freigegeben. TUI meldet bei den Urlaubsbuchungen einen Anstieg von 500 Prozent.

3. Donald Trump denkt nicht daran, aufzugeben. „Er ist die politisch vitalste Stimme unserer Partei“, räumt selbst sein ewiger Gegenspieler, der ehemalige Präsidentschaftskandidat und heutige Senator von Utah Mitt Romney ein. In der „New York Times“ prognostiziert er:

Wenn Sie Trump in das Rennen um die republikanische Präsidentschaftsnominierung 2024 schicken, gewinnt er mit einem Erdrutschsieg.

Donald Trump © dpa

Wir lernen: Das Publikum interessiert sich wenig für die Etiketten, die Journalisten zu verteilen haben. Eine Regierung wird nicht daran gemessen, ob sie links oder rechts blinkt, sondern ob sie effektiv regiert. Politik ist für die Mehrheit des Bürgertums eben keine Kampfsportart, sondern eine Disziplin zur Verbesserung ihrer Lebensumstände. Wer liefert, bleibt. Wer Lieferschwierigkeiten hat – siehe Trump in der Pandemie, siehe Johnson und sein Brexit – wird abgestraft. Und sei es auf Bewährung.

Fazit: Bürger sind von ihren Interessen getrieben; viele Journalisten von ihrer Haltung. Sie sprechen nur scheinbar über Trump, Johnson und Netanjahu, aber in Wahrheit über sich.

Peter Ross Range

Vielleicht kann uns ein Veteran des US-Journalismus, mein Freund und Kollege Peter Ross Range, das Phänomen Trump und seinen Rückhalt in weiten Kreisen der Republikaner besser erklären. Peter war Deutschland-Korrespondent für das „Time Magazine“, hat als Reporter aus Vietnam berichtet und beobachtet in Washington nun für The Pioneer das Weiße Haus. Hier sein Kurzbericht von heute Nacht:

Trump verlor eine Präsidentschaftswahl um sieben Millionen Wählerstimmen. Er steht vor Gericht wegen fragwürdiger Finanzgeschäfte. Dennoch paradiert der ehemalige Präsident mit seiner Macht wie ein Exilkaiser. Sein Elba ist sein vergoldeter Palast Mar-a-Lago in Florida. Top-Republikaner wie der Republikanerführer Kevin McCarthy sind zum Palast gewandert, um den Ring des Führers zu küssen.

Donald Trump und Kevin McCarthy © imago

Warum? Hier sind meine fünf Gründe:

1. Republikanische Politiker haben Todesangst vor Trumps Einfluss auf seine treuen Wähler. Sie wissen, Trump könnte sie bei den Kongresswahlen 2022 vernichten. Trump hat bereits angekündigt, dass er seine eigenen Vorwahlkandidaten gegen jeden republikanischen Gesetzgeber einsetzen wird, der sich ihm in irgendeiner Weise widersetzt hat.

2. Trumps Macht beruht auf seiner kultähnlichen Anhängerschaft unter seinen Wählern, die ihn nicht als Politiker, sondern als eine Art Halbgott sehen. Eine Mehrheit der weißen evangelikalen Wähler äußerte kürzlich die Ansicht, dass Trump „von Gott berufen“ sei, Amerika zu retten.

3. Amerika ist bitter gespalten, nicht in politische Lager, sondern in Identitätsstämme. Die Stammesunterschiede werden durch Lobbymedien wie Fox News und CNN angefacht. Soziale Medien schüren das Fieber noch mehr, besonders unter gewalttätigen Trump-Anhängern wie den Proud Boys und kleinen bewaffneten Milizen. Persönliche Identitäten sind mit politischen Überzeugungen verknüpft wie nie zuvor.

Trump-Anhänger bei einer Kundgebung 2019 © dpa

4. Die Amerikaner sortieren sich entlang ethnischer Linien. Die Tage der Dominanz der weißen Amerikaner sind gezählt. Sie werden bis 2050 nicht mehr die klare Mehrheit bilden. Die Partei von Trump ist eine fast rein weiße Partei, die sich an das klammert, was sie als eine bedrohte Lebensweise ansieht – ihre Leitkultur.

5. Wachsende Vielfalt begünstigt die Demokraten. Aber es ist eine Tatsache, dass ein größerer Anteil von Schwarzen und Hispanics bei der letzten Wahl zu Trump gewandert ist. In der Tat hat Trump das Wahlmännerkollegium um nur 80.000 Stimmen in vier Schlüsselstaaten verloren. Dieser knappe Vorsprung für die Demokraten überzeugt viele Konservative, dass sie unter Trump wieder gewinnen können.

Mitch McConnell © imago

Eine große Ausnahme ist Mitch McConnell, der Führer der Republikaner im Senat. Für ihn ist Trump „praktisch und moralisch verantwortlich“ für den Angriff auf das U.S. Capitol.

Ein Krieg zwischen den beiden ist im Gange. Auf McConnells Seite sind vielleicht ein paar hunderttausend Republikaner, die von Trump angewidert sind. Viele sind sogar aus der Republikanischen Partei ausgetreten. Aber auf Trumps Seite stehen 70 Prozent der 74 Millionen, die ihn 2020 gewählt haben – und gesagt haben, dass sie es 2024 wieder tun würden. Mit Trump als der unberechenbaren Kraft in ihrem Zentrum weiß niemand, wie die Republikanische Partei bis dahin aussehen wird.

Unsicher am Hindukusch

Die Bundesregierung will das Afghanistan-Mandat verlängern - doch das Land versinkt im Chaos.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

 © dpa

Die Geschichte des deutschen Fernsehens teilt sich in drei Dekaden:

Dekade 1 beschreibt die mediale Alleinherrschaft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 5. Juni 1950 wurde die ARD gegründet, am 19. März 1963 kam das ZDF hinzu. Heute erhalten beide Anstalten zusammen rund 7,8 Milliarden aus Gebühren, zu deren Zahlung jeder Haushalt verpflichtet ist.

Dekade 2 begann am 16. Juni 1981 mit der Zulassung des Privatfernsehens in Deutschland. Sat.1, RTL und ProSieben entstanden, dutzende von privaten Lokalsendern und Premiere als Pay-TV-Angebot kamen hinzu. Heute erwirtschaften die drei größten Privatsender zusammen rund 10,7 Milliarden Euro Umsatz.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Deutschen schauen Amazon und Netflix

Marktanteile der Video-Streaming-Dienste in Deutschland 2020, in Prozent

Dekade 3 ist neueren Datums und betrifft das Angebot der privaten Streaming-Dienste (Amazon Prime, Netflix, Disney Plus), die neben dem TV auch auf Computern, Mobiltelefonen und Tablets zu sehen und zu hören sind. Erst am Dienstag startete der weltgrößte Entertainmentkonzern Disney sein Star-Angebot, also ein Film- und Serienprogramm für Erwachsene.

In 2020 erwirtschafteten diese Plattform-Unternehmen, die ihre Medienangebote zentral planen und dann weltweit über das Internet vertreiben, rund 59,2 Milliarden Dollar. Ihre Nutzerzahlen wachsen mit hoher Geschwindigkeit: Disney Plus zählt nach den ersten anderthalb Jahren rund 95 Millionen Abonnenten und Netflix verzeichnet inzwischen über 203 Millionen zahlende Nutzer.

Eine Infografik mit dem Titel: Rasanter Nutzerzuwachs

Weltweite Abonnenten von Disney+ seit November 2019, in Millionen

Einer, der diese Entwicklungen genau beobachtet, ist Georg Kofler. Er kennt das Mediengeschäft wie kein zweiter in dieser Republik. Einst begann er als Assistent von Leo Kirch und gründete später den privaten Fernsehsender ProSieben. Heute ist Kofler ein engagierter Investor in Medien-Start-ups aller Art. Im heutigen Morning Briefing Podcast sagt er rückblickend:

In Deutschland war klar, dass Streaming ein Zukunftsmarkt wird.

Eine Infografik mit dem Titel: Netflix dominiert das Streaming-Geschäft

Umsatz von Netflix 2010 und 2020, in Millionen US-Dollar

Es habe sehr wohl Ideen gegeben, die amerikanische Vormachtstellung zu brechen. Diese seien bewusst vereitelt worden:

Es gab Bestrebungen, dass sich mehrere private Sender zusammentun, um eine gemeinsame starke Streamingplattform für den deutschsprachigen Markt zu entwickeln. Damals hat das Kartellamt das verboten, weil sie befürchteten, es entsteht zu viel Marktmacht.

Eine Infografik mit dem Titel: Streaming hängt das traditionelle Fernsehen weltweit ab

Umsatzentwicklung bei TV und Video 2020 gegenüber dem Vorjahr, in Prozent

Vor allem der Medienkonsum junger Menschen ändert sich radikal und bewegt sich vom üblichen Programmfernsehen immer weiter weg.

Die jungen Leute wollen sich nicht mehr vorschreiben lassen, wann sie was zu sehen haben.

Die öffentlich-rechtlichen Sender kritisiert Kofler deutlich:

Die Öffentlich-Rechtlichen sind unsere Champions in der Besitzstandswahrung, im Verdrängungswettbewerb durch das Geld anderer Leute.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Folge

Insbesondere der Umgang mit den Gebühren, welche die Bürger verpflichtend entrichten müssen, ist ihm ein Dorn im Auge:

Wir reden von acht Milliarden risikofreien Einnahmen. Damit kann ich natürlich wunderbar arbeiten. Ständig neue Sender aufmachen und danach sagen: ‚Oh, die Kosten sind aber höher geworden, wir brauchen die extra Rundfunkgebührenerhöhung.'

Den kann man aber auch mit drei oder vier Milliarden pro Jahr betreiben und nicht mit acht Milliarden.

Georg Kofler © dpa

Hier müsste man ordnungspolitisch neu denken zugunsten von mehr Marktwirtschaft, mehr Wettbewerb und auch wieder ein bisschen mehr Vertrauen in die pluralistische und publizistische Leistungsfähigkeit privater Medien.

Im TechBriefing und dem dazugehörigen Podcast von Christoph Keese geht es heute vor allem um die Finanzierung von Innovation.

Special Purpose Acquisition Companies, sogenannte SPACs, erleben in den USA ein stürmisches Wachstum. Sie sind dort immer öfter das Mittel der Wahl, um aussichtsreichen Unternehmen genügend Kapital zu verschaffen.

Zwischen 2016 und 2019 gab es im Schnitt etwa 30 SPAC-Börsengänge pro Jahr; sie sammelten jährlich rund 10 Milliarden Dollar ein. Dann fand 2020 plötzlich eine wahre SPAC-Explosion statt: 248 Börsengänge mit einem Gesamtvolumen von 82 Milliarden Dollar.

Die Wall Street hat Blut geleckt. SPACs erweisen sich als gewinnbringend für alle Beteiligten. Das Geld fließt ohne Umwege in spätphasige Start-ups. Venture-Capital-Investoren bekommen ihr Geld zurück, meist mit stattlicher Rendite, und können die frischen Milliarden in neue, jüngere Firmen stecken, die im Laufe der Jahre dann ihrerseits zu SPAC-Kandidaten heranwachsen.

Ein Engelskreis von Innovation und Investition entsteht, neudeutsch „Flying Wheel” genannt. Je schneller es sich dreht, desto größer wird das Rad. Christoph Keese erklärt uns im Briefing und im Podcast sehr präzise: Was genau sind SPACs? Wie kann man davon profitieren? Darüber spricht er mit Lakestar-Gründer (und Media Pioneer Investor) Klaus Hommels, der diese Innovation in diesen Tagen nach Deutschland bringt. Prädikat: erhellend. Zuhören bildet – auch Kapital.

Klick aufs Bild führt zur Podcastfolge

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter meldeten dem Robert-Koch-Institut (RKI) 11.869 Corona-Neuinfektionen innerhalb der vergangenen 24 Stunden, zudem wurde 385 weitere Todesfälle registriert.

  • Der amerikanische Pharmakonzern Johnson & Johnson überzeugt durch seinen Corona-Impfstoff. Die US-Arzneimittelbehörde FDA konnte dem Wirkstoff eine Effizienz von 85 bis 88 Prozent nachweisen. Zudem werde hier, im Gegensatz zur Konkurrenz, keine zweite Impfdosis benötigt.

  • Corona verursachte ein 139,6 Milliarden Euro Defizit im deutschen Staatshaushalt. Durch den Wirtschaftsaufschwung im vergangenen Dezember sind die tatsächlichen Zahlen aber besser als bislang erwartet: Im Januar ging man noch von einem Minus von 158,2 Milliarden Euro aus.

 © dpa

Weil in Deutschland nicht nur das Virus, sondern auch die Einsamkeit grassiert, stehen Haustiere hoch im Kurs. So sind nach Angaben des Verbands für das deutsche Hundewesen im Jahr 2020 rund 20 Prozent mehr Hunde gekauft worden als in den Jahren zuvor. Und weil diese Tiere auch versorgt werden müssen, klingeln die Kassen der Tierbedarfshändler.

Eine Infografik mit dem Titel: Der überraschende Krisengewinner

Online-Umsatz des Tierbedarfhändlers Fressnapf seit 2012, in Millionen Euro

Der europäische Marktführer Fressnapf erzielte laut dpa 2020 das größte absolute Umsatzwachstum seiner Unternehmensgeschichte. Europaweit stieg der Umsatz um 15,2 Prozent auf 2,65 Milliarden Euro. Vor allem der Online-Handel befeuerte das Geschäftswachstum. Hier stiegen die Umsätze um 45 Prozent auf rund 160 Millionen Euro.

Auch dem Tierbedarfshändler Futterhaus bescherte die Krise Geschäftszuwächse: Der Fressnapf-Konkurrent steigerte seine Umsätze im vergangenen Jahr um 12,7 Prozent auf 452 Millionen Euro.

Der Marktführer im Online-Handel Zooplus ging zu Beginn der Krise noch davon aus, dass die Umsatzschübe vor allem auf Vorratskäufe zurückzuführen seien. Eine Fehleinschätzung, die dazu führte, dass der Konzern Gewinnerwartungen für das Jahr 2020 immer wieder nach oben schrauben musste.

Eine Infografik mit dem Titel: Krisenprofiteur Zooplus

Kursentwicklung der Zooplus-Aktie seit Februar 2020, in Euro

Fazit: In Zeiten von Social Distancing erwacht die Liebe zum Tier. Viele glauben, was Mark Twain auch glaubte: „Würde man Menschen mit Katzen kreuzen, würde dies die Menschen veredeln.“

Klick aufs Bild führt zur Homepage
Kevin Sneader © imago

„Up or out“ heißt das inoffizielle Weiterbildungsprogramm der größten und einflussreichsten Unternehmensberatung der Welt, McKinsey. Auf Deutsch: Wer nicht aufsteigt, fliegt raus.

Das eherne McKinsey-Gesetz gilt auch für den Chef selbst. Erstmals in der Geschichte der US-Firma haben die 650 weltweiten Senior Partner in ihrem Führungsgremium den amtierenden Welt-Chef Kevin Sneader nicht wiedergewählt.

Der Schotte sei über das Missmanagement mehrerer Krisen gestolpert, schreibt die „Financial Times“. Insidern zufolge habe Sneader vor allem die Quittung für das Desaster rund um die Beratung des US-Pharmaherstellers Purdue Pharma bekommen. McKinsey musste fast 600 Millionen Dollar zur Beilegung von Klagen wegen seiner Rolle in der Opioid-Krise zahlen. McKinsey hatte den Pharmahersteller über Jahre bei der Vermarktung des süchtig machenden Schmerzmittels Oxycontin geholfen.

Obwohl Sneader für die Skandale nicht selbst verantwortlich war, heißt es im „Handelsblatt“, dass man innerhalb der McKinsey-Partnerschaft ein „Zeichen der Erneuerung“ setzen wolle.

#149 - Oliver Gralla: Warum wir mehr über Männergesundheit sprechen sollten

Der Urologe über Unwissenheit und Scheu vor Arztterminen

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Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

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Ein Bundeswehrsoldat und sein Haarnetz, 1972 © dpa

Die Bundeswehr begeht heute – freilich nur inoffiziell – einen peinlichen Jahrestag: Heute vor genau 50 Jahren erließ Helmut Schmidt den sogenannten Haarnetz-Erlass.

Anfang 1971 – das war der Hintergrund – erreichte die Flower-Power-Hippie-Welle auch die Bundeswehr. Die Haare der Soldaten wurden trotz Dienstvorschrift ZdV 10/5 immer länger. In der Vorschrift hieß es, dass das „Tragen einer schulterlangen oder sonst feminin wirkenden Haartracht“ strikt verboten sei.

Dennoch tauchten immer mehr Soldaten mit entsprechenden Frisuren auf und ließen der Politik keine andere Wahl: Mit dem sogenannten Haarnetzerlass erlaubte Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt die langen Haare im Dienst – allerdings mit einer Einschränkung: Sollten sie die Aufgaben des Soldaten behindern, musste ein Haarnetz getragen werden. Zu diesem Zweck wurde die Truppe mit 740.000 Haarnetzen aufgerüstet – damaliger Kostenpunkt 350.000 DM.

Verteidigungsminister Helmut Schmidt, 1971 © dpa

Doch die Innovation kam nicht an. Ausländische Medien spotteten über die deutsche „Hair Force“. Die Hardthöhe wurde im Bundestag zur „Haarhöhe“. Nach einer Dauerwelle des Protests – vor allem seitens der Bundeswehr-Führung – wurde der Haarnetzerlass nach nur einem Jahr wieder kassiert.

Schmidt musste den geordneten Rückzug antreten. Er verkaufte die politische Schlappe als menschliche Großtat:

Jemand, der aus Erfahrung nicht lernt, ist ein Scheißkerl.

Fazit: Das Netzteil verschwand, der Respekt für den Minister stieg. Helmut Schmidt hatte vorexerziert, wie man Niederlagen in Siege verwandelt.

Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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