Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich in eine schwierige Lage manövriert: Im Duell mit dem RKI-Präsidenten betrat er das Schattenreich der Halbwahrheiten. Im Zwielicht zwischen dem Wünschenswerten und dem Wirklichen gebiert seither eine Halbwahrheit die nächste.
© dpaHalbwahrheit 1: „Dass der Genesenenstatus über Nacht auf drei Monate verkürzt wurde – davon war ich nicht unterrichtet“, sagte Lauterbach am 28. Januar 2022 der „FAZ“.
Richtig ist: Der Veränderung des Genesenenstatus ging ein längerer Austausch der Experten von Ministerium und RKI voraus, der schließlich in einer Verordnung mündete.
Deren Sinn und Zweck war es, die jeweils neuesten Erkenntnisse zur Wirksamkeit der verschiedenen Vakzine beim Impfstatus zu berücksichtigen und damit Klarheit zu schaffen. Mit der Anpassung, so heißt es in der Verordnung, solle „eine kontinuierliche, dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Weiterentwicklung zur Definition des Impfnachweises ermöglicht werden“.
Die Definition des Genesenenstatus sei sofort auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts nachzulesen. Wichtig ist: Erst durch den Zusammenhang von Verordnung plus Detailinformation auf der Webseite ergibt sich der tiefere Sinn der Gesetzgebung.
© imagoAm 13. Januar 2022 verkündet die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar – praktische Ärztin und Parteifreundin von Karl Lauterbach – im Bundestag, was da geplant ist.
Der Genesenenstatus wird künftig nach 3 Monaten bzw. 90 Tagen entfallen. Eine Anpassung der Vorgaben für einen vollständigen Impfschutz wird von der Bundesregierung fortlaufend überprüft.
Millionen von Menschen verlieren wenig später ihren Genesenenstatus, der dem eines vollständig Geimpften gleichzusetzen ist, und damit ihre Zutrittsberechtigung für Oper, Museum und Gastronomie. Der Deutsche Bundestag lauschte den Ausführungen der Staatssekretärin. Das Protokoll notiert Beifall aus den Reihen von SPD, Grünen und FDP.
Eine Infografik mit dem Titel: Das Infektionsgeschehen
Täglich gemeldete Neuinfektionen mit dem Coronavirus (COVID-19) in Deutschland seit Januar 2020
Später, nachdem die Welle der Empörung ihm sichtlich zugesetzt hatte, behauptet Lauterbach vor der Hauptstadtpresse:
Ich war in die Frage: ‚Wann wird der Genesenenstatus verändert?‘ nicht einbezogen… Ich hatte damit gerechnet, dass das später geschieht.
Halbwahrheit 2: Das Ministerium wirkt überrascht von der Machtfülle des RKI. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages wirft der Behörde vor, sie sei zu mächtig.
Richtig ist, dass es in der Tat gravierende Kompetenzverlagerungen gibt. Einerseits auf das Robert-Koch-Institut, das nun alleine über den Genesenenstatus bestimmen darf, und andererseits auf das Paul-Ehrlich-Institut, das für den Impfstatus zuständig ist.
Aber: Dies war eine Idee des Ministeriums, nicht des RKI. Um Politik und Wissenschaft enger zu verzahnen, so die Idee der Politik, sollte das RKI seine beratende Funktion verlassen und besitzt nun quasi-gesetzgeberische Kraft.
Das RKI ist damit in der Tat mächtiger geworden – aber eben nicht aus eigener Kraft und Herrlichkeit, sondern auf Wunsch des Lauterbach-Ministeriums. Nach dem öffentlichen Aufschrei ducken sich die Urheber weg. Die im Dunkeln sieht man nicht.
Eine Infografik mit dem Titel: Das Impfen stockt
Geimpfte Personen seit Beginn der Impfkampagne am 27. Dezember 2020
Halbwahrheit drei: Die vom RKI veröffentlichten Impfquoten entsprechen nach der Revision des Impfstatus nicht mehr der Wirklichkeit. Millionen Menschen gelten plötzlich als nicht mehr vollständig geimpft. 3,6 Millionen Menschen, die nur eine einzige Impfung von Johnson & Johnson bekamen, sind nach der Verordnung vom 14. Januar ebenfalls nicht mehr vollständig geimpft.
Also hat das RKI in Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium eine Neuprogrammierung der Software vorbereitet. Die neue Impfwirklichkeit sollte auf den Seiten des Instituts akkurat abgebildet werden. Doch kurz vor der Freischaltung der nunmehr abgesenkten Impfquoten stoppt das Gesundheitsministerium das Projekt. Der Minister, so heißt es, will jetzt auf keinen Fall die veröffentlichten Impfquoten sinken sehen. Sein Erfolgsmaßstab sind steigende Impfquoten, nicht fallende.
Beim RKI und im Paul-Ehrlich-Institut ist man empört. Einer der Projekt-Beteiligten nennt es „die Feigheit vor den Fakten“. Im Ergebnis stehen auf der Webseite des RKI und damit in allen anderen offiziellen Dokumenten zu hohe Impfquoten. In Wahrheit hat das Ministerium mit seiner Verordnung de facto den Impffortschritt in Deutschland zurückgedreht.
Das Ministerium reagiert schuldbewusst, d.h. auf Anfrage unverzüglich und verspricht: „Die Statistik wird verändert. In Kürze werden wir einen Disclaimer veröffentlichen, mit dem Ungenauigkeiten erklärt werden.“
Fazit: Dieses Duell kann Karl Lauterbach nicht gewinnen. Am Ende verliert er womöglich beides: den in der Fachwelt weithin respektierten RKI-Präsidenten – und die eigene Glaubwürdigkeit.
© imagoBliebe als Ausweg noch der Rückzug in Richtung Wahrhaftigkeit. Doch auch der ist, wie der Dramatiker und Satiriker George Bernard Shaw zu berichten wusste, nicht gänzlich ohne Risiko:
Für einen Politiker ist es gefährlich, die Wahrheit zu sagen. Die Leute könnten sich daran gewöhnen.
Den Wünschen von Außenministerin Baerbock entsprechend, soll die Chefin der Umweltorganisation Greenpeace, Jennifer Morgan, ab dem 1. März als Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Klimaschutz im Auswärtigen Amt arbeiten. Baerbock sagte bei der gestrigen Vorstellung der Personalie:
Das ist für mich eine Traumbesetzung und ein wichtiges Signal für den internationalen Klimaschutz.
Die US-amerikanische Umweltaktivistin gilt als erfahrene und international gut vernetzte Klimaexpertin. Zu ihren neuen Aufgaben wird es gehören, Deutschland auf den Weltklimakonferenzen zu vertreten.
© Anne HufnaglKritik an der Personalentscheidung kam insbesondere von der Union. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dem „Münchner Merkur”:
© imagoDass jetzt internationale Lobbyisten, egal in welcher Sache, die Führung von Bundesministerien übernehmen sollen, finde ich selbst für diese Bundesregierung überraschend.
Auch der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU), erhob in der „Welt” Lobbyismus-Vorwürfe:
Um es klar zu sagen: Die grüne Heuchelei in Sachen Lobbyismus hat große Chancen auf das Guinness Book of Records.
Dabei ist der Seitenwechsel nur konsequent. Bisher waren es vor allem grüne Politiker, die zu Lobbyisten wurden. Der Ex-Staatssekretär Matthias Berninger ging zu Bayer. Die Ex-Sprecherin der Partei Gunda Röstel bekam einen Job bei Gelsenwasser AG; Andrea Fischer war erst Gesundheitsministerin und dann Lobbyistin in der internationalen Gesundheitspolitik; Joschka Fischer schaffte bei REWE und BMW an, was dem „Spiegel“ Anlass zum Spott bot: „Erst Bio, dann Bimbes“.
Nun ist es ausnahmsweise mal andersherum. Das nennt man unter Lobbyisten ausgleichende Gerechtigkeit.
Berlin bekommt nach anderthalb Jahren Vakanz endlich eine neue US-Botschafterin: Mit der Bestätigung durch den US-Senat wird Amy Gutmann die neue Vertreterin Amerikas in Deutschland und tritt damit die Nachfolge von Trump-Freund Richard Grenell an.
Die 72-jährige Politologin war seit 2004 Präsidentin der University of Pennsylvania und ist die erste Frau auf dem amerikanischen Botschafterposten in der Bundesrepublik; in der DDR gab es in den 1970er Jahren die US-Botschafterin Rozanne Ridgway.
© imagoDer Vater von Gutmann, der aus einer jüdisch-orthodoxen Familie stammte, floh 1934 vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten aus Deutschland.
© dpaIhren ersten inoffiziellen Auftritt könnte Frau Gutmann kommende Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz haben. Dann kommt erstmals auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris nach Deutschland und will mehrere Tage bleiben. Offenbar hat der Frau aus Kalifornien noch niemand vom schlechten deutschen Wetter im Februar erzählt.
Sollte Sie interessieren, wer noch in der nächsten Woche in München dabei ist, empfehle ich Ihnen unseren Newsletter „Hauptstadt Das Briefing“. Den Kollegen liegt die vertrauliche Liste der Gäste für die Sicherheitskonferenz schon vor.
Das Zeitalter der Elektrobatterien hat begonnen. Nur die Zutaten der neuen Zeit kommen weiterhin aus den Bergwerken der traditionellen Förderländer, aus dem Kongo, aus Chile, Bolivien und Indonesien. Dort wird unter oft abenteuerlichen sozialen und ökologischen Bedingungen, Kinderarbeit inklusive, der Rohstoff gefördert, ohne den kein Tesla fahren könnte.
Ein europäisches Start-up Unternehmen der Bergwerksindustrie hat es sich zum Ziel gesetzt, in Europa unter ethisch vertretbaren Bedingungen die Exploration und Förderung der für die Batteriefertigung notwendigen Rohstoffe zu organisieren. Das Unternehmen konzentriert sich zunächst auf Nickel, Kobalt und Kupfer. Abgebaut werden soll in Finnland, Spanien, Schweden und der Bundesrepublik.
Die ökonomische Logik hinter dem Unternehmen ist zugleich ein ethischer Imperativ: „Wenn die treibende Kraft hinter einer fossilfreien Fahrzeugflotte die Klimaherausforderung ist, müssen alle Schritte der Wertschöpfungskette nachhaltig sein“, sagt der Gründer und Chef der Firma Eurobattery Minerals AB, der Spanier Roberto Garcia Martinez. Er will die führenden europäischen Automobilhersteller von einem Umbau ihrer bisherigen Lieferketten überzeugen. Im heutigen Morning Briefing Podcast erläutert er seine Strategie:
Europa kann Rohstoffe selbst produzieren. Wir können dadurch unabhängig sein.
Joachim Nagel ist der Nachfolger von Jens Weidmann an der Spitze der Bundesbank. In der vergangenen Woche durfte er zum ersten Mal an der EZB-Ratssitzung teilnehmen. Im Interview mit der „Zeit” sagt er, was er auch der EZB-Präsidentin mitgeteilt hat:
Die Fachleute der Bundesbank halten es aus heutiger Sicht für wahrscheinlich, dass die Inflation im Jahresdurchschnitt 2022 in Deutschland deutlich über vier Prozent liegen wird.
Seine eindringliche Warnung an die EZB:
Ich sehe ganz deutlich die Risiken, die wir eingehen, wenn wir zu lange mit der geldpolitischen Normalisierung warten.
Daher fordert er:
Im März kommen die neuen Projektionen für Wachstum und Inflation. Wenn sich bis dahin das Inflationsbild und vor allem der Blick nach vorn nicht deutlich aufhellen, dann müssen wir die Geldpolitik neu ausrichten.
Der Geldprofi hat für sich die Reihenfolge der nächsten Schritte definiert:
Der erste Schritt ist, die Nettoankäufe von Anleihen im Laufe des Jahres 2022 zu beenden. Dann könnten die Zinsen noch in diesem Jahr steigen.
Fazit: Joachim Nagel hält rhetorisch am Kurs seiner Vorgänger fest. Auf der EZB-Ratssitzung am 10. März müssen den Worten die Taten folgen.
Bosch hat das Corona-Tief überstanden: Der Konzernumsatz ist im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf 78,8 Milliarden Euro gestiegen. Der operative Gewinn wuchs nach vorläufigen Zahlen auf 3,2 Milliarden Euro nach zwei Milliarden Euro im Jahr zuvor.
Dennoch wagt der neue Konzernchef Stefan Hartung nur eine bedeckte Prognose für das aktuelle Jahr:
Für 2022 erwarten wir eine Umsatzsteigerung.
Eine Infografik mit dem Titel: Bosch: Corona-Delle überwunden
Umsatz der Bosch Gruppe seit 2000, in Milliarden Euro
Der Grund dafür sind die weiterhin bestehenden Lieferengpässe, die Bosch „in allen Branchen, bis hin zu Gebrauchsgütern“ betreffen würden.
Auch die Umsatzrendite soll sich auf dem Niveau des Vorjahres bewegen, läge also im vierten Jahr in Folge nicht deutlich über vier Prozent. Das hat neben der Pandemie und Chipkrise auch mit den gewaltigen Kosten für die Transformation zur Elektromobilität und zum autonomen Fahren zu tun. Allein in die eigene Halbleiter-Fertigung in Dresden, Reutlingen und im malaysischen Penang will Bosch in diesem Jahr rund 400 Millionen Euro investieren.
Fazit: Der Konzern ist in der neuen Zeit noch nicht angekommen. Aber die gute Nachricht lautet: Bosch ist unterwegs.
In der heutigen Ausgabe unseres Gesellschaftspodcasts „Der 8. Tag” spricht Alev Doğan mit dem Chronobiologen Prof. Achim Kramer von der Charité über die innere Uhr und die Schlaftypen Taube, Lerche und Eule.
Den normalen Rhythmus in Deutschland beschreibt er so:
60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geht zwischen 22.30 Uhr und 0.30 ins Bett. Und sie stehen zwischen 06.30 und 08.30 Uhr ohne Wecker wieder auf.
Auf die Frage, was es eigentlich mit einem Menschen macht, wenn er sich anders verhalten muss, als sein angeborener Schlaftyp es ihm nahelegen würde, antwortet er:
Gegen seine innere Uhr zu leben, ist ungesund. Diese innere Uhr ist nichts Esoterisches, sondern das ist tatsächlich ein ganz handfestes, genetisch determiniertes Programm, das in uns wirkt.
Er kann auch die Stelle im Gehirn ausmachen, wo unsere innere Uhr ihren Sitz hat: zwischen den Augen, im Zwischenhirn.
Gottseidank ist diese Uhr kein Wecker, der laut klingelt. Die innere Uhr zu überhören ist vielleicht nicht klug, aber möglich. Freiheit beinhaltet auch das Recht, unvernünftig zu sein.
Ich wünsche Ihnen einen ausgeschlafenen Start in den neuen Tag.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr