Die Rationalität hinter dem Konflikt

Putin: 5 Gründe für seine Provokation

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Guten Morgen,

wer die deutschen und internationalen Zeitungen aufschlägt, begibt sich auf eine Geisterbahnfahrt. Überall sieht er Gespenster. Der blutrünstige Doktor Frankenstein, dessen Hand aus dem Dunkeln in Richtung der eigenen Gurgel greift, sieht aus wie Wladimir Putin: „So will uns Putin in den Krieg treiben“, schlagzeilt BILD. Frankreichs EL Pais: „Putin, der große Destabilisator.“ Der Observer in London: „Der Verantwortliche heißt Putin.”

Nun muss ein Journalist nicht für alles Verständnis haben. Aber er sollte alles verstehen – oder sich zumindest darum bemühen. Der Perspektivwechsel lohnt, auch und vielleicht gerade vor der martialischen Drohkulisse der russischen Armee. Hier die fünf Motive, die dazu geführt haben dürften, dass der russische Präsident uns auf diese archaische Art mitteilt: Bis hierher und nicht weiter.

1. Die NATO hat sich seit der Implosion der Sowjetunion um weitere 14 Mitglieder auf nun 30 Staaten mit insgesamt 945 Millionen Einwohnern und 25 Millionen Quadratkilometern Fläche ausgedehnt. Die Osterweiterung war die größte Landnahme des westlichen Verteidigungsbündnisses – ohne, dass ein einziger Schuss gefallen wäre. Moskau grummelte, aber wehrte sich nicht.

2. „Die Sicherheit aller Staaten in der euro-atlantischen Gemeinschaft ist unteilbar“, heißt es in der Erklärung des Nato-Russland-Rates von 2002, dem Russland angehört. Doch dieser Terminus von der Unteilbarkeit der europäischen Sicherheit wurde nie gelebt. Es gab für keinen der NATO-Erweiterungs-Schritte eine Konsultation mit der russischen Seite. Der Westen handelte bewusst einseitig. Es galt die Maxime: Alles ist teilbar. Auch die Sicherheit.

 © ThePioneer

3. Die nächsten logischen Schritte der Osterweiterung wären die NATO-Mitgliedschaften von Finnland und Schweden; selbst die der Ukraine ist formell nicht ausgeschlossen. Damit würden die letzten Pufferstaaten im Vorhof der Russischen Föderation in die Hände des westlichen Militärbündnisses fallen. Die NATO könnte ihre atomaren Kurzstreckenraketen 500 Kilometer von Moskau entfernt in Stellung bringen.

John F. Kennedy © dpa

In einer vergleichbaren Situation, der von den Russen geplanten Atomwaffen-Stationierung auf Kuba, hat US-Präsident John F. Kennedy im Oktober 1962 mit der Kubakrise, die im Ultimatum per Seeblockade gipfelte, einen dritten Weltkrieg riskiert:

Ich rufe Generalsekretär Chruschtschow auf, die verstohlene und rücksichtslose Gefährdung des Weltfriedens zu beenden. Er hat jetzt die Chance, die Welt vom Abgrund der Zerstörung zurückzuholen.

Die Russen drehten bei.

Wolodymyr Selenskyj © imago

4. Die Ukraine ist nicht nur Opfer in diesem Konflikt, sondern auch Täter. Der in den Minsker Abkommen I. und II. verabredete Souveränitätsverzicht der Ukraine für die Gebiete Donezk und Luhansk wurde bis heute nicht umgesetzt. Am 12. Februar 2015 unterzeichneten Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine einen „Maßnahmenkomplex zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen“, womit sich die Ukraine verpflichtet, den beiden Regionen – beide mit einem hohen Anteil russischer Wohnbevölkerung ausgestattet – einen „Special Status“ einzuräumen. Doch der Präsident der Ukrainer fürchtet (wahrscheinlich zu Recht), dass ihn das parlamentarische Prozedere für die Umsetzung dieser Zusagen den Job kosten könnte. Also verweigert er die Umsetzung der gemachten Zusagen. Putin ging in Minsk leer aus.

Barack Obama © dpa

5. Die politische Elite in Washington glaubte, nach 1990 auf Russland keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Der ehemalige Planungs-Chef das Pentagon Francis Fukuyama schrieb sein berühmtes Buch „Vom Ende der Geschichte“, für viele die Bibel einer neuen Zeit. Nach 1990 waren Republikaner und Demokraten im Triumphalismus vereint. Barack Obama rief das „pazifische Zeitalter“ aus und stufte Russland zur „Regionalmacht“ zurück.

Fazit: Auf Seiten des Westens ist jetzt nicht die Fortsetzung der Empörungspolitik gefragt, sondern strategische Klugheit. Die russische Drohkulisse und die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim müssen nicht den Auftakt eines europäischen Krieges bedeuten.

Der Beginn einer diplomatischen Offensive wäre allen bekömmlicher. Putin braucht, was die EU auch benötigt: einen neuen Vertrag über die Sicherheit im Europa des 21. Jahrhunderts. Vieles kann man abwählen, ablehnen oder sogar bekämpfen. Seine Geographie nicht.

Olaf Scholz © dpa

Der stellvertretende Chefredakteur von ThePioneer Gordon Repinski hat Olaf Scholz zuerst nach Washington und gestern nach Moskau begleitet. Um 22.10 deutscher Zeit ist die Regierungsmaschine, ein Airbus A340 der Luftwaffe, wieder in Berlin gelandet. Gordons Kommentar zu dem, was er im Kreml gehört und gefühlt hat:

Olaf Scholz hatte die Chance und die Verpflichtung, mit Wladimir Putin Wege aus der Eskalationsspirale zu finden. Immerhin – die beiden scheinen künftig mehr miteinander sprechen zu wollen – statt nur einander zu drohen. Europa ist zurück auf dem diplomatischen Spielfeld.

Gordon Repinski

Krisentreffen im Kreml

In Moskau leisten sich Olaf Scholz und Wladimir Putin Wortgefechte - und kommen sich doch näher.

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Veröffentlicht von Gordon Repinski .

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Stefanie Babst © ThePioneer

Im Morning Briefing Podcast spreche ich mit der ehemaligen Nato-Strategin Stefanie Babst. Bereits 1998 wechselte sie in den internationalen Stab der Nato und baute unter Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen einen Krisenvorausschau- und strategischen Planungsstab für die NATO auf. Bis Januar 2020 leitete sie dieses Strategic Foresight Team, das direkt dem Nato-Generalsekretär unterstellt war.

Mit ihr spreche ich über die aktuelle Situation an der ukrainischen Grenze und über die Motive Wladimir Putins. Sie sagt:

Putin ist ganz gewiss kein Abenteurer. Er ist ein kaltblütiger Stratege und er ist kein Anfänger.

Seine Motive?

Ich glaube nicht, dass er die militärische Drohkulisse aufgebaut hat, um die Ukraine zu besetzen. Er nutzt die Drohkulisse, um seinen politischen Forderungen Nachdruck zu verschaffen. Und das ist ihm bislang gelungen.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Die Nato-Expertin skizziert eine Lösung des Konflikts, der mit einem Moratorium für die Ost-Erweiterung enden könnte:

Letztendlich müsste sich die Debatte um die Frage eines Moratoriums drehen. Aus der Sicht des Westens wäre ein Moratorium schwer zu akzeptieren, weil die NATO ganz sicherlich nicht den Eindruck erwecken will, dass sie Moskau ein Vetorecht über wirklich elementare Entscheidungen gibt, die sie selbst treffen will. Andererseits: Man muss sich in der Mitte treffen und es wird auf einen Kompromiss hinauslaufen, da bin ich ziemlich sicher.

Fazit: In diesem Gespräch werden die russischen Interessen mit denen des Westens abgewogen. Die Umrisse einer friedlichen Lösung sind zu erkennen. Der alte Sponti-Spruch in leicht veränderter Fassung bildet den roten Faden dieses Gesprächs: Frieden ist machbar, Herr Nachbar.

Die 500-Milliarden-Corona-Rechnung

Seit 2020 gibt der Bund 500 Milliarden an Krediten und Zuschüssen zur Abfederung der Pandemie aus.

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Lothar Wieler © imago

Die Tage von RKI-Chef Lothar Wieler auf der Kommandohöhe der Pandemiebekämpfung scheinen gezählt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat ihm die Zuständigkeit für die Veränderung des Impfstatus entzogen. Die neue Formulierung in der entsprechenden Verordnung, die auf dem heutigen Impfgipfel den Bundesländern vorgelegt werden soll, lautet:

Entfällt in Hinblick auf die Festlegungen des Genesenen- und des Geimpftenstatus die Delegation auf das Paul-Ehrlich-Institut und das Robert-Koch-Institut.

Wie schnell es zum offiziellen Bruch kommt ist unklar. Fest steht: Das Verhältnis zwischen Minister und RKI-Chef hat sich in den vergangenen Wochen entwickelt – von ramponiert zu ruiniert.

Karl Lauterbach © dpa

Sahra Wagenknecht © dpa

Es lebe die Demokratie! Mehrere Bundestagsabgeordnete haben unabhängig von Partei- und Fraktionszugehörigkeit einen Antrag gegen die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geforderte allgemeine Impfpflicht eingereicht. Ihre wichtigsten Argumente in Kürze:

  • Mangelnde Wirksamkeit: „Während die heutigen Impfstoffe gegen Masern eine Wirksamkeit von 98-99 Prozent garantieren, variiert dieser Wert bei dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer in Bezug auf die Delta-Variante zwischen 75 und 79 Prozent.” Hinzu kommt:

Hinsichtlich der Omicron-Variante legten schon frühe Studien nahe, dass diese Wirksamkeit nach einer Auffrischungsimpfung zumindest für einige Wochen wieder erreicht, aber nicht überschritten werden kann.

  • Zudem sei das „Erlöschen der Übertragung von SARS-CoV-2” mit den gegenwärtigen Impfstoffen nicht erreichbar. Außerdem sei auch „wegen der leichten Übertragbarkeit auf Tiere eine Ausrottung unwahrscheinlich.”

Linda Teuteberg © imago

  • Auch die Tatsache, dass „Fragen der Schutzdauer und des Schutzumfangs einer Impfung in den jeweiligen Altersgruppen” noch nicht abschließend geklärt sind, lässt die Abgeordneten an einer allgemeinen Impfpflicht zweifeln:

In Anbetracht der Schwere des mit einer allgemeinen Impfpflicht verbundenen Grundrechtseingriffs fallen diese Unwägbarkeiten besonders ins Gewicht.

Daraus folgt:

Der Bundestag kann eine allgemeine Impfpflicht nicht beschließen, solange er nicht einmal die Häufigkeit der mit der Pflicht verbundenen Schutzimpfungen kennt.

Wolfgang Kubicki © imago

  • Vertrauensbruch: Die Antragsteller weisen darauf hin, dass es ein „immer wieder bekräftigtes Versprechen verschiedenster Amts- und Mandatsträger” gab, dass es keine allgemeine Impfpflicht geben werde.

Der Bruch eines solchen Versprechens würde ebenfalls langfristige Schäden in der Gesellschaft hinterlassen, die zum heutigen Zeitpunkt kaum absehbar wären und keinesfalls zu unterschätzen sind.

Neben den angeführten Argumenten ist auch ein genauerer Blick auf die namentlich aufgeführten Antragsteller interessant. Der Liberale Wolfgang Kubicki steht hier in einer Reihe mit Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht. Auch die frühere FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sowie die CDU-Frau Jana Schimke unterstützen den Antrag. Es gibt offenbar ein Leben jenseits des Parteienstaates.

Friedrich Merz © Anne Hufnagl

Friedrich Merz ist der starke Mann der Union. Der CDU-Parteichef wurde gestern mit 162 von 186 Stimmen auch zum Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag gewählt.

Merz kennt den Posten bereits. Von 2000 bis 2002 stand er der Fraktion vor, bis die damalige CDU-Chefin Angela Merkel nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 auch den Fraktionsvorsitz für sich reklamierte. Mit der Vereinigung von Partei- und Fraktionschef in einer Hand handelt Merz nun genauso wie seine alte Rivalin. Die griff zeitnah nach einem dritten Posten: dem des Bundeskanzlers.

In der CSU ist man alarmiert. Vorsicht: Wiederholungsgefahr!

Xiaopeng  © imago

Deutsche Autos treffen in China nicht mehr den Geschmack der Kunden. Zu diesem Schluss kommt das Handelsblatt in einer gründlichen Marktanalyse. Der Unterschied: Für die Autobauer hierzulande steht das Fahrerlebnis im Vordergrund, in China wünscht man sich hingegen ein umfassendes Entertainment-Angebot.

Einer der Newcomer im chinesischen Autogeschäft ist Xiaopeng. Das Handelsblatt berichtet von einem ganz neuen Verkaufserlebnis:

Auf Nachfrage, was der Innenraum an Entertainment zu bieten hat, überschlägt sich der Vertriebsmann. Schnell holt er eine kleine Leinwand aus dem Kofferraum, montiert sie innen an die Windschutzscheibe, auf der Hutablage beginnt ein Projektor seine Arbeit. ‚Wenn Familien in die Natur fahren, können sie sich einen Film anschauen‘, erklärt der Verkäufer. Im Innenraum finden sich außerdem ein Kühlschrank, ein Bordcomputer mit Spracherkennung sowie die Vorrichtungen für eine Karaoke-Party.

Da könnten Volkswagen, BMW, Audi und Mercedes nicht mithalten; sie würden die Bedürfnisse der Kunden missachten. „In einem Land, in dem die Menschen chronisch unterhaltungssüchtig sind und das Stop-and-go der Metropolen das Durchschnittstempo vorgibt, ist Vernetzung wichtiger als Motorleistung“, so die Autoren.

Die Folgen lassen sich inzwischen auch in den Zahlen ablesen: Eigentlich wollte Volkswagen 2021 in China zwischen 80.000 und 100.000 Modelle der neuen ID-Reihe verkaufen. Ende Dezember hatten die Wolfsburger gerade einmal gut 70.000 der Fahrzeuge an Mann und Frau gebracht. Stand für 2014/15 noch ein China-Gewinn von 5,2 Milliarden Euro in den Büchern von VW, rechnet das US-Investmenthaus Bernstein für 2021 nur noch mit 2,7 Milliarden Euro.

Oliver Zipse © dpa

Containerterminal  © imago

Die sinkende Nachfrage nach deutschen Autos in China wirkt sich auch negativ auf die gesamte Handelsbilanz der Euro-Länder aus. Das saisonbereinigte Handelsbilanzdefizit der Eurozone lag für den Monat Dezember bei 9,7 Milliarden Euro und damit auf dem höchsten Stand seit August 2008.

Ein Handelsbilanzdefizit liegt vor, wenn in einer zeitlichen Periode der Wert aller importierten Waren und Dienstleistungen größer ist als die Summe der Exporte. Im Jahresvergleich erwirtschaftete die Eurozone zwar noch ein Handelsbilanzüberschuss in Höhe von 128,4 Milliarden Euro, allerdings fiel der Wert damit um 45 Prozent schwächer aus als im Vorjahr.

Claus Vistesen, Chefvolkswirt für die Eurozone bei Pantheon Macroeconomics, erklärt:

Höhere Kosten für Energieimporte sind ein Teil der Erklärung, aber die treibende Kraft ist ein gewaltiges Defizit mit China.

Während die Eurozone 2021 Waren im Wert von 472,2 Milliarden Euro aus China einführte und damit noch mal 22,6 Prozent mehr als im Vorjahr, wurden nach China nur Waren und Dienstleistungen im Wert von 223,3 Milliarden Euro exportiert. Das bedeutet: Der einst exklusive Hoflieferant der Chinesen ist nun ein gewöhnlicher Kunde. Gut für die Volksrepublik: Aus Kindern sind Leute geworden.

“Ich habe Berlin unterschätzt”

Alev Doğan spricht mit Kunstmanager Walter Smerling über die Kontroverse um die Kunsthalle Berlin

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Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

Podcast mit der Laufzeit von

Gruppenbild der SPD-Bundestagsabgeordneten © imago

Schon im Evangelium heißt es:

Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten sollt ihr sie erkennen.

Daran müssen viele Beobachter der politischen Szenerie denken, wenn sie dem pandemischen Treiben in Berlin folgen. Die Parteien haben für Schulen, Behörden, Einzelhandelsgeschäfte und die Bahnen und Busse andere Regeln verordnet als für sich selber.

Die SPD-Fraktion traf sich am 01. Oktober zum Gruppenbild ohne Maske und in großer Enge. Die FDP – hier ein Selfie von Alexander Graf Lambsdorff – tat es ihr bei der Wahl des Bundespräsidenten nach: Als sei nichts gewesen, versammelten sich die FDP-Delegierten im Vorfeld der Steinmeier-Wahl im Fraktionssaal. Ihre beengte Sitzordnung und die fehlende Maskierung hätten jeden Schulleiter oder Geschäftsinhaber in die Nähe der Querdenker gerückt.

Wir lernen: Vieles gibt es doppelt, warum nicht auch die Moral.

FDP-Delegation zur Bundesversammlung © @Lambsdorff/ Twitter

Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Start in den Tag.

Es grüßt Sie auf das Herzlichste,

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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