Russland braucht aus Deutschland Devisen und Deutschland braucht aus Russland Gas und Öl. Das ist, wenn man alles politische Lametta vom Baum nimmt, der Kern vom Kern der heutigen deutsch-russischen Beziehungen.
Ohne die deutschen Devisen – rund 16 Milliarden Euro zahlt Deutschland pro Jahr an Russland für fossile Brennstoffe – sinkt Russland weiter ab. Mit einem Bruttoinlandsprodukt, das bei mehr als doppelt so viel Menschen nur halb so groß ist wie das von Großbritannien, kann das Land seiner Bevölkerung schon heute nicht viel bieten.
Andererseits: Ohne die Lieferungen von Gas und Öl aus den Tiefen der sibirischen Felder gehen in Deutschland die Lichter aus. Die deutschen Fabriken und Privathaushalte konsumieren pro Jahr rund 90 Milliarden Kubikmeter Gas. Knapp 60 Milliarden Kubikmeter davon stammen derzeit aus Russland. „Wir brauchen russisches Gas. Punkt“, sagte gestern der neue E.ON-Chef im Interview mit dem Handelsblatt.
Eine Infografik mit dem Titel: Militäretat vs. Energieimporte
Deutsche Importe von fossilen Brennstoffen aus Russland und russischer Militärhaushalt, in Milliarden Euro
Das also ist die Basis der deutsch-russischen Beziehung, die im politischen Überbau, um hier mit Karl Marx zu sprechen, ihre Entsprechung findet. Alle Parteien wissen um die wechselseitige Abhängigkeit, aber die am meisten pro-russische Partei in Deutschland ist nicht – wie viele Beobachter glauben – die SPD und ist auch nicht die aus der SED hervorgegangene Linkspartei. Die Lieblingsformation des Kreml firmiert unter dem Namen „Die Grünen/Bündnis 90“. Aus vier Gründen sind Putin und die Grünen ziemlich beste Freunde:
© dpa1. Die grüne Agenda, also der schnelle Ausstieg aus der Atomenergie und aus der Kohle, spielt den wirtschaftlichen Interessen Putins zu 100 Prozent in die Karten. Der Stoff, den er zu bieten hat, wird dadurch wertvoller. Er weiß, was jeder Energieexperte in Deutschland auch weiß: Ohne sein Gas und sein Öl ist nach dem deutschen Doppelausstieg eine stabile Energieversorgung zwischen Passau und Husum nicht mehr möglich.
Eine Infografik mit dem Titel: Erdgas: Russland vorn
Verteilung der Erdgasbezugsquellen Deutschlands im Jahr 2020, in Prozent
2. Die soeben erneuerte grüne Ablehnung der Kernenergie lässt wenig Spielraum, die geostrategische Konsequenz der deutschen Russland-Abhängigkeit zu korrigieren. Eben erst hat die grüne Ministerriege – zur großen Freude der russischen Energielieferanten Gazprom und Rosneft – den Vorschlag der EU-Kommission zur Rehabilitierung der Kernenergie abgebügelt.
© imago3. Damit bleiben nur Öl und Gas – also die beiden Energieträger, die wir nicht besitzen – als grundlastfähige Energielieferanten. Robert Habeck als der zuständige Minister für Wirtschaft, Klima und Pragmatismus hat daher auch der gesteigerten Nutzung von Erdgas seine Absolution erteilt. Fossiles Gas in hochmodernen und effizienten Gaskraftwerken – heißt es in einer Stellungnahme zur europäischen Energiepolitik – sei für einen Übergangszeitraum eine Brücke, um einen schnelleren Kohleausstieg zu ermöglichen. Das genau ist die Brücke, über die Wladimir Putin in der gebotenen Lässigkeit nach Deutschland schlendert.
© dpa4. Der Ausstieg aus der Energiepartnerschaft mit Russland ist – auch wenn er jetzt diskutiert wird – als Option gar nicht real vorhanden. Denn: Russland liefert günstig. Die Energiepreise würden im Falle eines deutschen Russland-Boykotts unverzüglich weiter nach oben schnellen und damit erstens die Inflation befeuern und zweitens die ambitionierte grüne Agenda einer Dekarbonisierung ohne Deindustrialisierung unmöglich machen. RWE-Chef Markus Krebber spricht aus, was alle Industriemanager denken:
Ich habe Angst, dass die hohen Industriepreise dazu führen, dass wir schleichend de-industrialisieren und es kaum einer merkt.
Eine Infografik mit dem Titel: Teurer Strom
Industriestrompreise im 1. Halbjahr 2021, in Cent je Kilowattstunde
Fazit: Wenn Olaf Scholz am kommenden Montag in Washington auf Joe Biden trifft, wird er einmal mehr dafür werben, mit Putin „im Gespräch“ zu bleiben. Gemeint ist: Im Geschäft zu bleiben. Die grüne Energiepolitik lässt ihm kaum eine andere Wahl. Scholz ist in dieser Frage ein Scheinselbstständiger.
© MediaPioneer
Klaus von Dohnanyi, 93, hat ein Leben in der Politik und der Wirtschaft gelebt. Nach dem juristischen Staatsexamen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und zwei Stipendien an der Columbia und Stanford Universität absolvierte er seinen Bachelor of Laws in Yale. Er arbeitete für die Ford Motor Company, später war er Leiter der Abteilung Planung und Prognosen des Marktforschungsinstituts Infratest und von 1990 bis 1994 heuerte er als Beauftragter der Treuhandanstalt für die Privatisierung ostdeutscher Kombinate an.
Zwischendurch machte er als Bildungsminister im Kabinett von Willy Brandt von sich reden und stand von 1981 bis 1988 als erster Bürgermeister an der Spitze der Freien und Hansestadt Hamburg. Nun hat der sozialdemokratische Globalist ein streitbares Buch vorgelegt, das er ausdrücklich als Ermunterung zur Debatte verstanden wissen will – auch für seine Partei.
Das Werk aus dem Siedler-Verlag heißt: „Nationale Interessen” und trägt den Untertitel „Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche.” Schon der Titel ist für viele gestandene Sozialdemokraten eine Zumutung, gehen sie doch davon aus, dass die Nation in einem geeinten Europa aufgehen soll. Von Dohnanyi widerspricht:
Nur in der Nation kann eine demokratische Grundlage bestehen. Sie können sich doch nicht vorstellen, dass ein Parlament, das aus 27 Staaten zusammengesetzt ist - wie in Europa - und mit 24 Sprachen diskutiert und eine Präsidentin hat, die Malteserin ist, dass dort das Schicksal Deutschlands entschieden werden kann. Das ist nicht möglich. Die Nation ist die größte mögliche demokratische Einheit.
Seiner Ansicht nach hat eine europäische Nation keine Chance, überhaupt zu entstehen:
Es kann gar nicht gelingen. Es funktioniert nirgendwo in der Welt. Eine Ausnahme sind die USA, eine Ein-Sprachen-Nation, die aus verschiedenen Teilen zusammengebracht worden ist.
Für ihn resultiert die Vitalität der Nation aus ihrer geographischen, ökonomischen und kulturellen Nähe zu den Menschen:
Die Selbstbestimmung der Menschen ist ein zentrales Ziel der Menschheit. Dafür sind Größenordnungen wie die in Europa als ein gemeinsames nationales Interesse nicht denkbar.
Aber: Klaus von Dohnanyi leitet aus dem Gesagten keineswegs eine Hinwendung zu Nationalismus oder Populismus ab, sondern plädiert im Gegenteil dafür, dass die ihrer Interessen bewussten Nationalstaaten eine gemeinsame europäische Position suchen und finden:
Europa muss sich besinnen, die eigenen Sicherheitsinteressen zu vertreten, weil die Amerikaner werden das nicht tun. Sie werden nur ihre eigenen Interessen vertreten. Und wenn im Koalitionsvertrag steht, Europa werde nuklear geschützt, so ist das natürlich absoluter Unsinn.
Er wirbt also für ein Europa der Nationalstaaten, das nicht den Partner USA, wohl aber den Vormund USA in die Schranken weist:
Die Europapolitik muss selber für die europäische Sicherheit sorgen. Und wenn wir das nicht einheitlich können, weil die Unterschiede zwischen Polen und Portugal eben doch sehr groß sind, auch die Gefährdungen, dann müssen es die Nationen tun, die diese Verantwortung haben und das sind Frankreich und Deutschland.
Im heutigen Morning Briefing Podcast hören Sie einen wichtigen Teil des Interviews. Das gesamte Gespräch mit von Dohnanyi, das bei der geopolitischen Einordnung der aktuellen Krisen gute Dienste leisten kann, am Samstag. Prädikat: inspirierend.
Der wichtigste Außenhandelspartner Deutschlands ist und bleibt China. Von Januar bis November 2021 wurden zwischen den beiden Staaten Waren im Wert von 222,3 Milliarden Euro gehandelt – ein Anstieg des Außenhandelsvolumens um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Die Importe legten um 18,6 Prozent zu und erreichten einen neuen Rekordwert von insgesamt 127,1 Milliarden Euro. Auch die nach China exportierten Güter stiegen, allerdings im Verhältnis weniger stark, auf 95,2 Milliarden Euro.
Eine Infografik mit dem Titel: Exportnation China
Die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen, in Milliarden Euro
Fazit: Wer in diesen Zahlen lesen will, der kann es mühelos entziffern: Die Machttektonik verschiebt sich von Europa nach Asien.
Die Erfolgsgeschichte von Google geht mit Volldampf weiter: Der Umsatz der Google-Mutter Alphabet belief sich im abgelaufenen Quartal auf 75,33 Milliarden US-Dollar, nachdem im Vorjahresquartal „nur“ 56,90 Milliarden US-Dollar erlöst wurden. Der Nettogewinn wurde bei der Veröffentlichung der Zahlen heute Nacht mit 20,6 Milliarden Dollar ausgewiesen, ein Pus gegenüber dem Vorjahresquartal von 36 Prozent. Die Schätzungen der Experten wurden einmal mehr übertroffen.
Im gesamten Geschäftsjahr 2021 erzielte Alphabet, unter der Leitung von Sundar Pichai, einen Umsatz in Höhe von 257,64 US-Dollar und auch hier kam es zu Gewinnsteigerungen, die sich für die Aktionäre äußerst positiv auswirken werden. Die Aktie kletterte nachbörslich um fast sieben Prozent.
Ein Grund für den Kurshüpfer dürfte auch die Ankündigung eines Aktiensplit im Verhältnis von 20:1 sein. Die Alphabet-Aktien kosten derzeit rund 2750 Dollar je Stück, so das ein Split sie zumindest optisch günstiger macht. Kleinanleger – das jedenfalls ist die Logik bisheriger Zellteilungen dieser Art – dürften beherzt zugreifen.
Die Schweizer Großbank UBS überraschte gestern viele Analysten mit einer beeindruckenden Jahresbilanz:
Für das Gesamtjahr 2021 lag der Gewinn so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Die Bank verdiente 7,5 Milliarden Dollar nach Steuern und damit 14 Prozent mehr als 2020.
Die harte Kernkapitalrendite konnte auf 17,5 Prozent gesteigert werden und lag damit oberhalb des Zielkorridors von 12-15 Prozent.
Auch die Aktionäre sollen am Erfolg teilhaben: Sie erhalten eine Dividende in Höhe von 0,50 US-Dollar je Aktie.
Der niederländische CEO der Bank Ralph Hamers präsentierte mit Stolz seine erste Bilanz für ein volles Geschäftsjahr. Verantwortlich für das starke Ergebnis zeigt sich vor allem das Geschäft mit der Vermögensverwaltung, das seine Vorgänger aufgebaut hatten. Allerdings: 2021 wurden Gelder in Höhe von 107 Milliarden Dollar netto neu generiert, sodass die Bank inzwischen ein Vermögen in Höhe von 4,6 Billionen Dollar verwaltet.
Fazit: Der Nachfolger weiß offenbar die Talente, die ihm seine Vorgänger vererbt haben, zu mehren.
Meta, ehemals Facebook, hat sich nun offiziell vom Einstieg in die Krypto-Welt verabschiedet. Mit der Initiative „Diem Association“ hatte sich Konzernchef Mark Zuckerberg erhofft, Überweisungen mithilfe einer eigenen Währung innerhalb der Meta-Produkte Facebook, Instagram und eines Tages des Metaverse zu ermöglichen. Doch jetzt hat die Diem Association ihr geistiges Eigentum und andere Vermögenswerte im Zusammenhang mit dem geplanten Zahlungsnetzwerk verkauft.
Eingestampft wurde das Projekt, das 2019 unter dem Namen „Libra“ ins Leben gerufen wurde, aufgrund regen politischen Widerstands innerhalb der USA. Mark Zuckerbergs Plan hätte seinem Konzern noch mehr Macht verliehen, als dieser mit 2,9 Milliarden Facebook-Nutzern ohnehin schon besitzt.
© imagoBereits 2019 wurde Zuckerberg deshalb im Kongress zur Rede gestellt. Angesichts der Vorwürfe von Datenmissbrauch und der großteils ungehinderten Verbreitung von Fake News über Facebook und Instagram mahnte damals die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez:
Ich denke, man kann das vergangene Verhalten einer Person zur Bestimmung ihres zukünftigen Verhaltens nutzen.
Warum die Krypto-Welt auf Facebooks Rückzug mit großer Gleichgültigkeit reagiert, erklärt uns unsere Pioneer-Börsenreporterin und Krypto-Expertin aus New York, Anne Schwedt.
Die Grundidee hinter Kryptowährungen wie Bitcoin ist, dass sie dezentral organisiert sind und von keinen Regierungen oder großen Konzernen kontrolliert werden. Eine Kryptowährung von einem Unternehmen wie Facebook widerspricht also dem fundamentalen Grundgedanken von Kryptowährungen.
Insofern ist das Aus von Facebooks Coin kein großer Verlust für die Kryptowelt. Auf lange Sicht ist Facebook besser beraten, für sein Metaverse eine Kryptowährung zu entwickeln, die auf einer bereits bestehenden dezentralen Blockchain wie beispielsweise Ethereum basiert.
Elon Musk kollidiert einmal mehr mit dem amerikanischen Staat. Der besteht auf sein Recht, die Straßenverkehrsordnung gestalten und durchsetzen zu dürfen.
Der Streitfall: Teslas autonomes Fahrsystem erlaubte es seinen Fahrzeugen, Stoppschilder zu ignorieren sofern keine anderen Autos oder Fußgänger an der Kreuzung stehen. Freie Fahrt an freier Kreuzung.
Auf Wunsch der US-Behörde für Verkehrssicherheit wird der Hersteller die Funktion, die seit 2020 verfügbar ist, nun bei mehr als 53.000 Teslas nachträglich abstellen müssen. Und Elon Musk muss akzeptieren lernen, dass der Staat selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten seiner Fantasie zuweilen Grenzen setzt.
Wir lernen: Auch die USA sind nicht mehr das, was sie nie sein konnten.
Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in den neuen Tag.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr