Putin unter Druck

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Guten Morgen,

wir müssen heute Morgen über Russland sprechen. Das Ende der Ära Putin wirft seine Schatten voraus:

► Die Wirtschaftskraft des Landes hat sich ungünstig entwickelt. Seit der russischen Annexion der Krim 2014 und den Sanktionen von EU und USA ist das jährliche Wirtschaftswachstum – mit Ausnahme von 2018 – unter zwei Prozent geblieben. Im zweiten Quartal 2020 ging das BIP des Landes sogar um bis zu zehn Prozent zurück. Das Staatsziel, Russland solle bis 2030 zu den fünf größten Volkswirtschaften gehören, ist längst Geschichte. Die Allmachtsfantasien des Präsidenten sind von der ökonomischen Lage nicht gedeckt.

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► Die Armut im Lande hat signifikant zugenommen. Fast die Hälfte aller Russen hat bedingt durch die Coronakrise keinerlei Ersparnisse mehr. 44,6 Prozent der 145 Millionen Einwohner müssen inzwischen mit weniger als umgerechnet 180 Euro monatlich auskommen. Vor April lag dieser Wert bei lediglich 14 Prozent.

► Die Abhängigkeit von den Rohstoffvorkommen bleibt hoch, Tendenz steigend. Der Anteil der Rohstoffgewinnung an der industriellen Produktion des Landes ist in den Jahren 2010 bis 2018 von 34 Prozent auf 39 Prozent gewachsen, während der Anteil der verarbeitenden Industrie von 53 Prozent auf 51 Prozent sank. Der Putin-Plan von der modernen Industriegesellschaft geht nicht auf.

Eine Infografik mit dem Titel: Ohne Schwung

Entwicklung des russischen Aktienindex RTS seit 2007, in Punkten

► Die Zustimmungswerte zum Präsidenten, die laut dem unabhängigen Lewada-Institut zu seinen besten Zeiten 89 Prozent betragen haben, verfallen. Nur noch 60 Prozent der Russen unterstützen ihn.

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In dieser brisanten Lage wirken die seit Wochen anhaltenden Demonstrationen in der ostrussischen Stadt Chabarowsk, 6000 Kilometer von Moskau und nur einen Steinwurf von China entfernt, wie ein Fanal. Putin ließ dort einen beliebten Gouverneur ins Gefängnis werfen und durch einen Gefolgsmann des Kreml ersetzen. Udo Lielischkies, der langjährige Leiter des ARD-Büros in Moskau und erfolgreiche Buchautor („Im Schatten des Kreml – Unterwegs in Putins Russland“) liefert im Morning Briefing Podcast seine schonungslose Analyse:

Eine Infografik mit dem Titel: Aufstand im Osten

Ort der Proteste in Russland

Putin hat die Aura eines mächtigen Mannes verloren. Er ist fast völlig abgetaucht und hat die Gouverneure diese Pandemie managen lassen.

Putin hat ein Legitimationsproblem, das ist offensichtlich, und die Nervosität im Kreml ist groß.

Das, was Putin vor einigen Jahren noch so beliebt machte, beispielsweise die Annexion der Krim, hat sich abgenutzt. Das funktioniert nicht mehr. Die Leute merken jetzt, dass dieser ganze Patriotismus niemanden satt macht.

Genauso wie Putin über die letzten 20 Jahre immer alles Schöne und Erfolgreiche auf sein Konto buchen konnte, wird ihm jetzt alles Schlechte angerechnet. Das ist, wenn man es zynisch sagen will, ein Autokratenschicksal.

Acht Millionen Menschen sind arbeitslos, es gibt keine Jobs und keine Staatshilfen. Der Deal war aber immer: Man lebt schlecht, aber der Staat ist dann doch da, um das Wichtigste zu liefern. Aber das macht er jetzt auch nicht mehr.

Fazit: Die deutsche Öffentlichkeit schaut nach Washington und Brüssel. Derweil haben im geografisch größten Land der Erde die tektonischen Platten begonnen, sich zu bewegen. Wenn Putin geht, dann geht er nicht leise.

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In einer Sondersitzung will der Finanzausschuss im Deutschen Bundestag heute herausfinden, welche Rolle die Bundesregierung bei der Implosion von Wirecard spielte. Der Verdacht: eine große.

Offenbar bereits vor mehr als 15 Jahren, so der jüngste Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, wurde bei dem Finanzdienstleister ein Betrugssystem implementiert, das so innovativ war, dass Staatsanwälte, Börsenaufseher, Wirtschaftsprüfer und auch die so genannte Bilanzpolizei bis zum bitteren Ende nichts gemerkt haben.

Die kritischen Fragen des Abgeordneten Florian Toncar, die dem Morning Briefing Team bereits vorliegen, beziehen sich auf die Amtszeit der beiden Finanzminister Wolfgang Schäuble (Oktober 2009 bis Oktober 2017) und Olaf Scholz (seit März 2018) und nehmen die Aktivitäten der Staatssekretäre Jens Spahn (Juli 2015 bis März 2018), Wolfgang Schmidt (seit März 2018) und Jörg Kukies (seit April 2018) ins Visier.

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Toncar will insbesondere wissen, was es mit einem Gespräch zwischen Jörg Kukies, Ex-Chef von Goldman Sachs in Deutschland, und dem zu diesem Zeitpunkt bereits unter Beschuss stehenden Wirecard-CEO Markus Braun auf dessen privater Geburtstagsfeier auf sich hatte:

► „Haben andere Personen an dem Gespräch teilgenommen? Und wenn auf Seiten des Bundesministeriums der Finanzen keine weiteren Personen an dem Gespräch teilgenommen haben, aus welchem Grund wurde auf die Beiziehung von Zeugen verzichtet?“

► „In wie vielen Fällen hat Staatssekretär Dr. Kukies mit Leitungspersonal von Unternehmen gesprochen, die ganz oder zumindest teilweise der Aufsicht der Bundesanstalt unterliegen und gegen die jeweils laufende Verfahren des Marktmanipulationsverdachts bestanden? Und in welchen Fällen hatte der Staatssekretär zuvor um einen Sachstandsbericht der Bundesanstalt gebeten?“

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Aber seine Fragen zielen auch auf die Mitwisserschaft von Olaf Scholz ab:

► „Hatte der Bundesminister der Finanzen Kenntnis von dem Gespräch am 5. November 2019? Und wenn ja, seit wann?“

► „Wie oft wurde der Bundesminister der Finanzen nach dem 19. Februar 2019 bis zum 22. Juni 2020 mündlich über die Wirecard AG informiert?“

► „Hat das Bundesministerium der Finanzen (Arbeits- und/oder Leitungsebene) Gespräche mit dem ehemaligen Beauftragten für die Nachrichtendienste Klaus-Dieter Fritsche und/oder mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und/oder Spitzberg Partners geführt?“

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Toncar nimmt selbstverständlich auch den Chef der Börsenaufsicht Bafin, Felix Hufeld, ins Visier, der gestern Abend zusätzlich unter Druck geriet. Der „Spiegel“ berichtete, dass Hufeld dem Finanzausschuss am 1. Juli Märchen erzählt habe, indem er behauptete, die Behörden in Singapur hätten die Bafin im Stich gelassen. Zu diesem Vorgang wird es Fragen geben. Darüber hinaus wollen die Abgeordneten wissen:

► „Wann genau hat die Bafin Informationen von Whistleblowern und aus ähnlichen Quellen, wie Präsident Hufeld dem Finanzausschuss am 1. Juli berichtet hat, über mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Wirecard AG erhalten, von welcher Qualität waren diese (Über welche Medien gingen diese ein, gab es Nennungen konkreter Vorgänge, Namen, Daten etc.)?“

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Wolfgang Schäuble war von 2009 bis 2017 selbst Finanzminister. Sein parlamentarischer Staatssekretär hieß damals Jens Spahn. Beide könnten zum Thema im Untersuchungsausschuss werden. Denn Toncar hat Fragen, die in die Zeit der beiden CDU-Politiker im Finanzministerium fallen:

► „Gab es Befassungen von Bundesministern der Finanzen seit 2006 bis zum 19. Februar 2019? Und wenn ja, welcher Minister wurde wann, aus welchem Anlass und in welcher Weise mit welchem Inhalt unterrichtet?“

► „Wie viele Marktmanipulationsuntersuchungen hat die Bundesanstalt seit 2016 bis heute und gegen welche Unternehmen durchgeführt (bitte geordnet nach Jahren angeben)?“

► „Welche Gespräche wurden seitens des Bundesministeriums der Finanzen (Arbeits- sowie Leitungsebene) seit 2006 mit Vertretern des Wirecard-Konzerns (inkl. aller Beteiligungen und Töchter) geführt (bitte zu jedem Termin Datum, Gesprächsteilnehmer, Anlass und ggf. wesentliche Inhalte des Gesprächs aufführen)?“

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Fazit: Heute wird es ungemütlich für die politisch Verantwortlichen der Bankenaufsicht. Die Opposition ist aus den Corona-Ferien zurück. Gott sei Dank!

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Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), beklagt die zunehmende Handy-Nutzung von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Zeit – und startet eine Präventionskampagne gegen Online-Sucht. Durch die Coronakrise sei die Nutzung von sozialen Medien an Wochentagen um 66 Prozent angestiegen, berichtet Ludwig. Noch alarmierender ist der Trend bei der Nutzung von Spielen wie Fortnite. Die Spielsucht - und damit der Rückzug aus der wahren in die virtuelle Welt – gehört zum bitteren Erbe der Corona Zeit.

Im heutigen „Hauptstadt. Das Briefing“ berichtet meine Kollegin Alev Doğan über den alarmierenden Sachverhalt – und die eigene, nicht minder verstörende Handy Nutzung.

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Schlechte Nachrichten für Banken und die Besitzer von Wertpapieren dieser Institute: Bis Januar 2021 sollen die europäischen Kreditinstitute auf Dividenden und Aktienrückkäufe verzichten. Das ist zumindest der Wunsch der Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Banken sollen gegen Verluste gewappnet sein und ihr Geld lieber als Kredite vergeben, anstatt es an die Aktionäre zu verteilen.

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Der Ärger der Banken folgte prompt. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, Christian Ossig, wetterte:

Ein generelles Ausschüttungsverbot für alle Banken ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll. Die EZB hat alle erforderlichen Informationen, um einzelne Banken zu einem Ausschüttungsverzicht aufzufordern.

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Fakt ist: Die Entwicklung der einzelnen Institute verläuft höchst unterschiedlich. Deutschlands größtes Geldhaus beispielsweise, die Deutsche Bank, erzielte im zweiten Quartal einen Gewinn von 158 Millionen Euro. Die Risikovorsorge im Kreditgeschäft belief sich auch ohne EZB-Ermahnung auf 761 Millionen Euro.

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Die zweite Welle des Coronavirus scheint im Gange – die Suche nach einem Impfstoff ist es auch. Das Mainzer Biopharma-Unternehmen Biontech und der US-Partner Pfizer haben eine Impfstudie mit 30.000 Probanden gestartet.

Sollte sich der Impfstoff als wirksam erweisen, werden die beiden Firmen bereits im Oktober das Zulassungsverfahren beantragen. So könnten sie noch bis Ende 2020 bis zu 100 Millionen Impfstoffdosen herstellen. Das ist keine Gewissheit, aber eine Hoffnung.

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Die klassische Autoindustrie ist nicht erst seit dem Ausbruch von Corona im Krisenmodus. Die Pandemie verschärft die Defizite aber rasant.

Daimler-Chef Ola Källenius verordnet seinem Unternehmen ein schrumpfendes Arbeitskontingent, um den Quartalsverlust von zwei Milliarden Euro einzuhegen. Von Oktober bis einschließlich September 2021 arbeiten die Beschäftigten in Verwaltung und Logistik zwei Stunden pro Woche weniger – ohne entsprechenden Lohnausgleich. Im Gegenzug sollen dafür Kündigungen vermieden werden.

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Peugeot Société Anonyme (PSA) und Fiat Chrysler versuchen es mit dem Modell der steigenden Skaleneffekte. Die beiden Autokonzerne wollen noch vor Ende März 2021 fusionieren. „Stellantis“ soll das Unternehmen, das auf einen Schlag der viertgrößte Autobauer der Welt wäre, heißen. Nach Expertenmeinung stehen Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.

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Lana del Rey ist eine vielseitige Persönlichkeit: Sie war Sozialarbeiterin in einem New Yorker Obdachlosenheim, dann wurde sie Sängerin – und was für eine!

Nun beliefert uns dieses musikalische Talent mit einfühlsamer Lyrik. „Violet bent backwards over the grass“ heißt der Gedichtband. Übersetzen könnte man das vielleicht mit „Das Veilchen beugt sich rückwärts ins Gras“. Es klingt ähnlich wie ihre Musik, traurig verträumt, sentimental und unverstellt. Sie erzählt von einer Welt, in der es nicht glitzert:

„L.A., I'm pathetic, but so are you, can I come home now?

Daughter to no one, table for one.

Party of thousands of people I don't know at Delilah where my ex-husband works.

I'm sick of this, but can I come home now?“

„L.A. ich bin Mitleid erregend, aber das bist Du auch, kann ich jetzt nach Hause kommen?

Niemandes Tochter, ein Tisch für eine Person.

Eine Party mit tausenden Menschen, die ich nicht kenne im Delilah, wo mein Ex-Mann arbeitet.

Ich habe genug davon, kann ich jetzt nach Hause kommen?“

Die Sehnsucht nach Geborgenheit in einer erkaltenden Welt findet hier ihren poetischen Ausdruck. Der größte musikalische Erfolg von Lana del Rey gibt den Ton vor: „Summertime Sadness“.

Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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