es liegt ein Umsturz in der Luft. Nicht vor dem Bundeskanzleramt, aber vor dem Konrad-Adenauer-Haus haben sich die Putschisten postiert. Noch hocken sie in den Büschen.
Wenn die Wahlergebnisse für Armin Laschet so ausfallen wie von den Demoskopen prognostiziert, dann muss der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat ab 18 Uhr am Wahlabend um sein politisches Überleben bangen. Er selbst glaubt noch, sein politisches Leben sei ein Entwicklungsroman. Seine Gegner würden daraus gern eine Kurzgeschichte machen.
Die alles entscheidende Frage lautet: Können Olaf Scholz und die Grünen zusammen mit der Linkspartei eine Regierung bilden?
Eine Infografik mit dem Titel: Rot-Rot-Grün: Regierung in spe?
Umfragewerte von SPD, Grüne und Linke seit März 2021, in Prozent
Wenn die Antwort darauf Nein lautet, bleibt Armin Laschet im Spiel. Dann kann er – selbst wenn die Union ganz knapp dahinter liegt – mit Olaf Scholz um die Gunst von Grünen und Liberalen buhlen. Die Putschisten werden die Dolche dann im Gewande lassen, auch wenn es bei der CSU jetzt schon zuckt.
Eine Infografik mit dem Titel: Jamaika-Koalition ✅
Sitzverteilung laut aktueller Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl
Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland-Koalition ✅
Sitzverteilung laut aktueller Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl
Laschets Vorteil: Er ist anschlussfähig zu den Grünen und verfügt über eine reißfeste politische und persönliche Beziehung zu Christian Lindner. Die beiden sind nicht Gegner, sondern spielen im selben Team.
Eine Infografik mit dem Titel: Rot-Rot-Grüne Koalition ✅
Sitzverteilung laut aktueller Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl
Wenn die Antwort auf diese Frage aber Ja lautet, dann ist in derselben Sekunde das Machtzentrum der Republik ins Willy-Brandt-Haus ausgewandert. Dann sind Scholz und seine Hintersassen die Spielmacher. Selbst wenn die SPD kein Links-Bündnis eingehen möchte, besitzt sie dann a) drei weitere Machtoptionen und verfügt b) über das entscheidende Druckmittel, um die FDP in eine Ampel-Koalition zwingen zu können.
Eine Infografik mit dem Titel: Ampel-Koalition ✅
Sitzverteilung laut aktueller Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl
Eine Infografik mit dem Titel: Große Koalition ✅
Sitzverteilung laut aktueller Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl
Die Niederlage des Armin Laschet wäre bei einer parlamentarischen Mehrheit für Rot-Rot-Grün vor aller Welt manifestiert. Über eine eigene Prätorianergarde, die jeder Spitzenpolitiker zum Überleben braucht, verfügt Laschet allenfalls in Nordrhein-Westfalen und Hessen, aber nicht in der Hauptstadt.
Der Unions-Wahlkampf – für viele der kraftloseste seit Gründung der Republik – hat ihn derart geschwächt, dass sein politisches Lebenslicht zu flackern begonnen hat.
© imagoSeine Verbündeten Friedrich Merz und Jens Spahn sind Verbündete auf Zeit. In der Sekunde des Misserfolgs weichen sie von seiner Seite. Ihre Loyalität besitzt ein klares Verfallsdatum. Beide stehen bereit, die Union aus der Fraktion heraus zu erneuern.
Norbert Röttgen ist der Mann in der Kulisse, der weiterhin auf seine Chance lauert. Bei seiner Kandidatur für den Parteivorsitz hat er nicht gesiegt, aber an Statur gewonnen. Viele sehen ihn als Antwort auf die intellektuelle Armut der heutigen CDU, in welcher Funktion auch immer.
Wolfgang Schäuble, dessen Stimme am 20. April im Reichstagsgebäude den Ausschlag für die Nominierung von Laschet gab, ist enttäuscht von seiner eigenen Wahlempfehlung. Er wollte vor allem das Einreiten des CSU-Chefs in die CDU-Gemarkung verhindern. Wenn Wolfgang Schäuble seine Hand über dem Kandidaten wegzieht, steht dieser schutzlos da.
Ralph Brinkhaus, der Vorsitzende der gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU und CSU, wird auf keinen Fall kampflos zulassen, dass Armin Laschet sich auf den Posten des Fraktionsvorsitzenden rettet. Brinkhaus ist nicht charismatisch. Aber er ist willensstark und raffiniert. Wie er gegen Merkels Willen und Volker Kauders Absicht die Fraktionsspitze eroberte, war sein Meisterstück.
An der Entschlossenheit von Markus Söder sollte niemand zweifeln. Das nahezu von allen Medien jahrelang verbreitete Gerücht, der Bayer fühle sich in Bayern am wohlsten und besitze keine bundespolitische Absicht, gehört in die Abteilung Fake News. Söder ist von allen Unionspolitikern der vitalste. Er besitzt das Rhythmusgefühl für Angriff und Verteidigung – und die notwendige Skrupellosigkeit besitzt er auch. In Zeiten des Bruderkrieges hat er seine CSU in eine Munitionsfabrik umgebaut. Wenn Rot-Rot-Grün am Sonntag Kontur annimmt, wird entsichert.
Fazit: Der Wahlausgang markiert nicht das Ende im Rennen um die Macht, sondern eröffnet nur eine neue Etappe. Die Generalität des Parteienstaates hält die Bajonette in der Hand. So ist das nunmal in der repräsentativ verfassten Demokratie: Der Bürger hat das erste Wort – aber nicht das letzte.
Noch bevor die Bären erlegt sind, macht sich Kevin Kühnert Gedanken über die Verteilung der Felle. Der SPD-Vize und Königsmacher des Kanzlerkandidaten Scholz verlangt eine Befragung der Mitglieder, bevor die SPD in eine neue Bundesregierung eintreten darf. Der „Rheinischen Post“ sagte er:
Die umfassende Mitgliederbeteiligung rund um Fragen der Koalitionsbildung ist ein Erfolg; die SPD hat hier Maßstäbe gesetzt. Ich gehe davon aus, dass das auch so bleibt. Wir sind eine Mitmachpartei.
Damit wäre die im Wahlkampf großzügig bemessene Beinfreiheit des Olaf Scholz pünktlich zur Schließung der Wahllokale beendet. In den Reihen der Funktionärs-SPD pfeift so mancher den alten Parteisong der SED:
Sie hat uns alles gegeben,
Sonne und Wind und sie geizte nie.
Und wo sie war, war das Leben,
Und was wir sind, sind wir durch sie.
Sie hat uns niemals verlassen,
Fror auch die Welt, uns war warm.
Uns schützt die Mutter der Massen,
Uns trägt ihr mächtiger Arm.
Die Partei, die Partei,
Die hat immer recht!
Sigmar Gabriel und Chelsea Spieker haben den Podcast „World Briefing“ diesmal vor Publikum und live produziert, am Mittwochabend in Wolfsburg. Es war ein knapp 60 minütiger Parforceritt durch die auswärtigen Angelegenheiten. Es ging um die Rolle Deutschlands in der Welt.
Der ehemalige Außenminister und Vizekanzler eröffnete das Gespräch mit einer Feststellung, die – bei aller Kritik an den aktuellen politischen Zuständen – nicht übersehen werden dürfe:
Es ist doch erstaunlich, was aus diesem Land geworden ist. Wir sind von einem Ort der Angst, der Furcht, zu einem Sehnsuchtsort geworden.
Er warnte davor, den Klimawandel mit einer rigiden und wirtschaftsfeindlichen Politik bekämpfen zu wollen. Eine solche Politik werde keine Nachahmer finden und Deutschland eher isolieren:
Wenn wir eine Klimapolitik machen, in der einer unserer wichtigsten Wirtschaftszweige, nämlich die Autoindustrie, am Ende ruiniert ist, wird uns auf der Welt niemand folgen.
Im Umgang mit China rät er zu Augenmaß – und warnt den Westen vor Selbstüberschätzung:
China ist ökonomischer Partner und politischer Gegner. Und deshalb kann man diese Konfrontation nicht mit dem ersten Kalten Krieg vergleichen. Da war der Westen ökonomisch immer überlegen.
Seine Antwort ist nicht Entkoppelung, sondern Kooperation:
Wir befinden uns in einer Welt neuer Konfrontation, in der harte Interessen aufeinanderstoßen. Deshalb wird es sehr darauf ankommen, Brücken zu bauen.
Fazit: Hier spricht nicht der Sozialdemokrat Gabriel. Hier spricht die Stimme der Vernunft. Ausschnitte aus dem Gespräch mit Chelsea Spieker gibt es heute im Morning Briefing-Podcast. Die gesamte Produktion hören Sie auf ThePioneer.de oder in der Pioneer App ab Samstagfrüh.
© Anne HufnaglSeit 2018 ist Ralph Brinkhaus der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und somit eines der wenigen Bindeglieder zwischen Armin Laschet und Markus Söder. Kein einfacher Job.
Im Interview – kurz vor der Wahl am Sonntag – verrät er über den Wahlkampf der Union:
Wir haben spät ins Spiel gefunden. Wir haben schwer ins Spiel gefunden, aber jetzt haben wir unseren Rhythmus und jetzt wollen wir am Sonntag noch das Siegtor machen.
Im Gespräch mit Michael Bröcker schaut Brinkhaus über den Wahltag hinaus. Eine gemeinsame, europäische Finanz- und Sozialpolitik lehnt er ab. Stattdessen fordert er:
Wir müssen endlich gemeinsame Märkte schaffen. Wir haben keinen gemeinsamen Digitalmarkt und wir haben in Wahrheit auch keinen gemeinsamen Kapitalmarkt. Das behindert uns immer wieder.
Die Geldflutungspolitik der Zentralbanken, in deren Rahmen das Geld seinen Preis verloren hat, ist neuerdings auch intern umstritten. In den USA, in London und auch im EZB-Tower hat die Debatte über den Ausstieg aus den Aufkaufprogrammen für Aktien und Anleihen begonnen. Bereits im Frühjahr könnten die Währungshüter eine Umkehr ihrer ultra-lockeren Geldpolitik beschließen – auch, um die steigenden Inflationsraten wieder zu dämpfen:
Die Europäische Zentralbank rechnet damit vertrauten Personen zufolge mit einem langsamen Zudrehen des Geldhahns im Frühjahr des kommenden Jahres. Die derzeitigen Inflationsprognosen – 2,2 Prozent für 2021 und für 2022 nur noch 1,7 Prozent – gelten intern als zu niedrig. Kritiker halten diese Prognosen für politisch frisiert.
Die Folge des Umdenkens: Das eigens in der Pandemie geschaffene Anleihekaufprogramm PEPP, für das ein Gesamtvolumen von 1,85 Billionen Euro vorgesehen ist, könnte bereits im März heruntergefahren werden. EZB-Chefin Christine Lagarde hatte zuletzt signalisiert, dass im Dezember über die Zukunft des Kaufprogramms neu entschieden wird.
Der Druck für die EZB kommt aus Amerika. Bei der Federal Reserve (Fed) hat Notenbankchef Jerome Powell angedeutet, dass man bereits im November über das 120 Milliarden Dollar pro Monat schwere Anleihenkaufprogramm entscheiden werde. Die Tatsache, dass die Börsen diese Ankündigung gelassen aufgenommen haben, gilt als Beschleuniger der Entwicklung.
In Großbritannien denkt man ähnlich. Die Bank of England hat durchblicken lassen, dass man eine Zinserhöhung im November in Erwägung ziehe, um die erwartete Inflationsrate von inzwischen vier Prozent zu kontern. Allerdings wolle man – anders als die europäischen und amerikanischen Kollegen – die eigenen Anleihenkäufe vorerst nicht zurückfahren.
Fazit: Der Einstieg in den Ausstieg der Geldflutung hat begonnen. Zumindest im Kopf.
Volvo ergrünt: Ab dem Jahr 2030 will der schwedische Traditionshersteller, der sich seit 2017 maßgeblich in chinesischer Hand befindet, nicht nur auf den Bau von Verbrennungsmotoren verzichten, sondern auch auf das Leder im Innenraum seiner Fahrzeuge. Dadurch hofft das Unternehmen, einen Beitrag zum Tierwohl zu leisten.
Ein erstes lederbefreites Fahrzeug soll schon bald auf den Markt kommen. Darin wird der Kunde dann unter anderem auf dem Lederimitat „Nordico“ Platz nehmen dürfen: Dieses neuartige Material aus hauseigener Entwicklung besteht aus recycelten PET-Flaschen, biobasierten Materialien aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und recycelten Korken aus der Weinindustrie.
Model, 68er-Ikone, Mitglied der Kommune 1, später dann Schmuckdesignerin: Mit Uschi Obermaier feiert heute eine der wenigen deutschen Lebenskünstlerinnen ihren 75. Geburtstag.
Als junge Frau brach die gebürtige Münchnerin ihre Ausbildung zur Fotoretuscheurin ab und schlug sich fortan erfolgreich als Model durch. Obermaier zierte sowohl das Cover des „Stern“ als auch der „Vogue“ und stand für Starfotograf Helmut Newton vor der Kamera. Nach wilden Jahren in London zog es sie schließlich nach Berlin in Deutschlands erste und bis dato berühmteste Wohngemeinschaft – die sogenannte Kommune 1. Dort wurde bei ausgehängten Zimmertüren die freie und für jeden sicht- und hörbare Liebe praktiziert.
© imagoDie Kommune stand für das Anti-Autoritäre im Alltagsleben. Das Private war politisch geworden. 1967 ging ein Foto der Kommunarden um die Welt, auf dem diese ihre entblößten Hintern in die Kamera streckten. Damit wurde der Bruch mit der Kriegs- und Nachkriegszeit, in der Zucht und Ordnung das Erziehungsideal bildeten, nicht nur begangen, sondern zelebriert.
Doch selbst die Welt der Kommune wurde dem Obermaierschen Freigeist irgendwann zu eng. Die Türen wurden wieder eingehängt und sie ging, versuchte sich nun als Schauspielerin und ergatterte in dem Film „Rote Sonne“ sogar die Hauptrolle. Doch bekannter wurde sie durch ihre Affären mit den großen Musikern ihrer Zeit. Jimi Hendrix, Mick Jagger und Keith Richards konnten sich dem Zauber der Uschi Obermaier nicht entziehen.
© dpaDass ihr Leben heute nicht mehr aus Sex, Drugs und Rock’n’Roll besteht, nimmt sie mit der altersgerechten Gelassenheit:
Ich habe nichts verpasst.
Nach 14 Tagen und Nächten an Bord der PioneerOne werde ich am Samstag meine Kajüte (siehe Foto) verlassen, um wieder den heimatlichen Berliner Boden zu betreten.
© Noemi MihaloviciAllerdings: Schon am Samstagabend sind wir wieder unterwegs. Pünktlich um 20.45 Uhr wird die Pioneer-Crew zusammen mit einem Video-Team und der Aktionskünstlerin Mia Florentine Weiss auf der Spree vor dem Reichstag die Aktion „Message in a Bottle“ fortsetzen. Hunderte von leuchtenden Flaschen mit den Wünschen an die Politik – eingesammelt auf unserer Expeditionstour durch Deutschland – werden zu Wasser gelassen. Kommen Sie gern auf die Stufen des Reichstagsufers und seien Sie Teil dieser Performance.
© Anne HufnaglIch wünsche Ihnen ein Wochenende in heiterer Gelassenheit. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr