Rupert Stadler und die Angstkultur

Teilen
Merken
Rupert Stadler © dpa

Guten Morgen,

so tief wie Rupert Stadler, der langjährige Vorstandvorsitzende von Audi, ist kaum ein Manager der Deutschland AG gefallen. Bis zum Juni 2018 saß er im Chefbüro, danach im Knast. Viele Jahre war er ein gefragter Interview-Partner für TV und Wirtschaftspresse, nun befragten ihn Kripo und Staatsanwaltschaft. Der Mann verkörperte bis dahin das Idealbild des Managers: Effektiv. Visionär. Wenn es sein musste, kaltblütig. „Erfolge gibt es nicht im Abonnement”, war einer seiner Lieblingssätze. Erfolg müsse man sich nicht erarbeiten, sondern erkämpfen. So sprach ein Krieger aus dem „Kommando Martin Winterkorn”.

Und dann der Absturz. Die Verhaftung. Die Einlieferung. Die freiwillig gewählte grüne Häftlingskleidung, obwohl ihm – dem Untersuchungshäftling – die Jeans und das Lacoste-Hemd zugestanden hätten. Aber Stadler wollte jetzt kein VIP-Häftling sein. Dem Unmut, womöglich dem Hass der Mitgefangenen, hoffte er so zu entgehen. Im Gefängnis trägt man nicht Hugo Boss, sondern Demut.

 © dpa

Gestern sprach der Mann zum ersten Mal vor Gericht. Und was er da erzählte, war der ganz normale Wahnsinn eines Top-Managers, der auch dann ein Wahnsinn bleibt, wenn alle anderen Manager diese Praktiken mit ihm teilen.

  • Bis zu 200 E-Mails täglich seien im Sekretariat eingegangen; fast nichts davon habe er gelesen.

  • Wesentliche Entscheidungen seien im Zehnminuten-Takt gefallen. Termine wurden ständig verschoben, gekürzt oder abgesagt. Für Nachdenklichkeit blieb keine Zeit.

  • In seinem Büro in Ingolstadt habe er nur wenige Stunden pro Woche verbracht. Er war immer unterwegs. Eng getaktet. Ein Leben auf dem Sprung. Stadler, das Kind einer nervösen Zeit.

 © imago

Er war nicht Rupert, er war Rolle. Er war Audi und ein Stück von Martin Winterkorn war er auch. „Tarnen und Täuschen war über einen langen Zeitraum hinweg Teil einer Arbeits- und vielleicht auch Angstkultur“, sagte er dem Gericht.

Stadler war nicht der Erfinder dieser Angstkultur. Aber er war das, was Botho Strauß einen Fortführer nennt:

Dieses unablässige Geschehenlassen bleibt nicht ohne Folgen für Traum und Herz, für Gewissen und Moral eines Menschen. Es ist schon Persönlichkeitsminderung genug, dass man geschehen lässt, was eben geschieht.

Wenn es denn eine Lehre aus dem Fall gibt, dann diese: Wer keinen Sinn sucht, wird ihn niemals finden. Die Ehrgeizigen dürfen alles überspringen, nur nicht das Verstehen.

Oldies but Goldies: Früher wechselten die Vorstandsvorsitzenden nach Ablauf ihrer aktiven Managerzeit vom Chefsessel auf den Golfplatz. Der neue Golfplatz sieht aus wie ein Start-up. Die Erfolgreichen engagieren sich als Geburtshelfer der Zukunft.

 © dpa

Der frühere Airbus-Chef Tom Enders ist nun Aufsichtsratsmitglied des Elektro-Flugtaxi-Herstellers Lilium. Das Unternehmen entwickelt ein Elektro-Flugtaxi mit fünf Sitzen, das senkrecht startet und landet, aber die Strecke dann mithilfe von Tragflächen wie ein konventionelles Flugzeug zurücklegt. 2025 sollen die Serienproduktion und der Betrieb regionaler Flugdienste starten.

 © dpa

Dirk Notheis war von 2009 bis 2012 Deutschlandchef der US-Investmentbank Morgan Stanley. Nun leitet er die Kapitalgesellschaft Rantum. Notheis startet jetzt sogar als Verleger durch und übernimmt beim Berliner Res Publica Verlag die Anteile des bisherigen „Cicero“-Chefredakteurs Christoph Schwennicke.

 © dpa

Der frühere Vorstandsvorsitzende des Handelskonzerns Metro (2007 bis 2011) Eckart Cordes hat gemeinsam mit einigen Bekannten die Investmentfirma Emeram Capital Partners GmbH gegründet. Hauptsächlich investiert er in mittelständische Unternehmen mit guten Perspektiven und hohem Potenzial, denen aber das nötige Eigenkapital zum Wachsen fehlt. Cordes besitzt beides: Expertise und Geld.

 © imago

Till Reuter war früher als Vorstandsvorsitzender von Kuka tätig. Heute ist er als Investor seiner Branche treu geblieben und steckt sein Geld in Firmen, die im Bereich Automatisierung, Digitalisierung und Robotik tätig sind. Gemeinsam mit dem Rocket-Internet-Chef Oliver Samwer hat er „Aitme” entwickelt – ein Küchenroboter, der eigenständig kochen kann und vor allem für große Kantinen gedacht ist.

Rüdiger Grube © dpa

Im Februar 2017 gründete der frühere Vorstandsvorsitzende der Deutsche Bahn (2009 bis 2017) Rüdiger Grube das Beratungsunternehmen Rüdiger Grube International Business Leadership. Die Firma investiert in mittelständische Unternehmen und berät sie auch.

 © dpa

Der ehemalige Porsche-Chef (1993 bis 2009) Wendelin Wiedeking hält seit dem Jahr 2005 eine Beteiligung von 30 Prozent an der Schuhmanufaktur Heinrich Dinkelacker, die ihren Geschäftssitz in seinem Wohnort Bietigheim-Bissingen in Baden-Württemberg hat. Zudem investiert er in Internetfirmen wie den Online-Ferienhausvermittler e-domizil GmbH & Co. KG und baut seit 2013 die italienische Restaurantkette Tialini auf.

Carsten Maschmeyer © dpa

Seit zehn Jahren ist Carsten Maschmeyer als Investor tätig und investiert als Geschäftsführer der Maschmeyer Group in digitale Start-ups. Das dafür nötige Geld verdiente er bei der Finanzvertriebsgesellschaft AWD Holding AG und bei der MaschmeyerRürup AG, die er gemeinsam mit Bert Rürup gegründet hatte und dessen Vorstand er war. Sein bisher bedeutendstes Investment war, sagt er, Blacklane, die Limousinen-Plattform. Vor acht Jahren war Blacklane in drei deutschen Städten aktiv, jetzt in 70 Ländern.

Fazit: Der neue Unruhestand bereichert beide – die Altvorderen und das Land. Es geht dabei nicht so sehr um Geld, sondern um Sinnstiftung. Oder um es mit Mark Twain zu sagen: „Die beiden wichtigsten Tage im Leben sind der Tag, an dem du geboren wirst, und der Tag, an dem du herausfindest, warum.“

Die Corona-Landkarte des Robert Koch-Instituts sieht in großen Teilen weiterhin tiefrot aus. Geschlossene Gaststätten, Schulen und Theater konnten das Virus bisher nicht an seiner Ausbreitung hindern. Das ist die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut (RKI) 19.600 Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet. Außerdem wurden 1060 neue Todesfälle registriert. Der bisherige Höchststand von 1188 neuen Todesfällen war am Freitag erreicht worden.

  • Kanzlerin Angela Merkel hat eindringlich dazu aufgerufen, alles zur Eindämmung der in Großbritannien aufgetauchten veränderten Variante des Coronavirus B.1.1.7 zu tun. Das Virus könne in sehr kurzer Zeit „die Führerschaft gegenüber dem alten Virus“ übernehmen, sagte Merkel gestern nach Angaben mehrerer Teilnehmer der ersten Online-Sitzung der Unionsfraktion nach der Winterpause. Merkel fügte an:

Deutschland steht vor acht bis zehn sehr harten Wochen.

 © dpa
  • Das dürfte auch daran liegen, dass erstmals die Südafrika-Variante B.1.351 des Coronavirus in Deutschland nachgewiesen wurde.

  • Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat eine Debatte über eine Impfpflicht für Pflegepersonal in Heimen angestoßen. Bisher hatte die Politik eine Pflicht zur Corona-Impfung strikt ausgeschlossen.

  • Gleichzeitig kündigte Söder an, dass in Bayern ab der kommenden Woche eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken im Nahverkehr und im Einzelhandel gilt. Ihre „Verfügbarkeit im Handel ist ausreichend gewährleistet.”

 © imago
  • Der schwedisch-britische Pharmakonzern AstraZeneca hat die Zulassung seines Corona-Impfstoffes bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA beantragt.

  • Die Niederlande werden den Lockdown um weitere drei Wochen bis zum 9. Februar verlängern. Das kündigte Ministerpräsident Mark Rutte an. „Wir haben keine Wahl“, sagte der Premier. Er sagt, was auch Merkel denkt.

Eine Infografik mit dem Titel: Impfweltmeister Israel

Covid-19-Impfdosen pro 100 Einwohner, Platz eins bis zehn*

Was kommt nach dem Lockdown? Was, wenn die Infektionszahlen einfach nicht runtergehen wollen? Im Kanzleramt hat man dieses unheilvolle Szenario durchgespielt und in einer Telefonkonferenz mit den Chefs der Staatskanzleien der Länder Vorschläge unterbreitet. Nun könnte es erneut und diesmal massiv die Wirtschaft treffen, eine Home-Office-Pflicht wird diskutiert.

Unser Hauptstadt-Team weiß mehr. Anmeldung unter thepioneer.de/Hauptstadt.

Der heimliche Heimatverband des Friedrich Merz

Baden-Württemberg ist Stammland für den CDU-Kandidaten Friedrich Merz.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

 © dpa

Der abgewählte US-Präsident Donald Trump sieht im Zusammenhang mit der gewaltsamen Erstürmung des Kapitols keine persönliche Verantwortung bei sich. Mit Blick auf seine Rede unmittelbar vor dem Gewaltausbruch am Sitz des US-Parlaments sagte Trump gestern zu Journalisten:

Viele Leute haben meine Rede gelesen und analysiert, und die Leute fanden, dass das, was ich gesagt habe, völlig angemessen war.

Colin Powell, der in der ersten Amtszeit von Präsident George W. Bush Außenminister der Vereinigten Staaten war, gehört nicht dazu. In einem CNN-Interview sagte der 83-Jährige:

Ich kann mich nicht mehr einen Republikaner nennen.

 © dpa

Die Pandemie lähmt bei weitem nicht alle Branchen: So hat das Corona-Jahr 2020 der Deutschen Post DHL ein Rekordergebnis beschert. Nach vorläufigen Zahlen sei das Ebit-Ergebnis des Konzerns auf 4,8 Milliarden Euro gestiegen – und hat damit die Ergebnisprognose deutlich übertroffen. Gleichzeitig erhöhte das Unternehmen seine Ergebnisprognosen für die nächsten Jahre.

 © dpa

Die Post profitierte stark vom Anstieg des weltweiten E-Commerce und steigerte den Konzernumsatz im Pandemie-Jahr um fünf Prozent auf 66,8 Milliarden Euro. Der Anstieg der Sendungsmenge im Express- sowie im nationalen und internationalen Paketgeschäft habe sich im Weihnachtsgeschäft noch einmal beschleunigt. Jetzt macht man sich an die weltweite Verteilung der Impfstoffe. Der Bote wird zum Pandemie-Bekämpfer.

Nicht alle Menschen, aber nahezu jede Religion kennt das Heilfasten. Der 33-jährige Leonard Wilhelmi lebt sogar davon, dass andere bei ihm wenig essen. Seine Familie widmet sich seit über 100 Jahren und damit in vierter Generation dem Heilfasten und betreibt seit 70 Jahren entsprechende Kliniken, eine in Überlingen am Bodensee, eine in Marbella. Im heutigen Morning Briefing Podcast versuchen wir das nur scheinbar banale Thema zu umrunden:

  • Wir sprechen über den Unterschied zwischen Hunger und Appetit.

  • Über die Auswirkungen der reduzierten und veränderten Kalorienzufuhr auf die Seele.

  • Warum weniger Essen mehr Stille bedeutet.

  • Und über seinen Urgroßvater, Otto Buchinger, den Marinearzt, den Quäker und Erfinder der Heilfastenmethode sprechen wir auch.

Fazit: Es geht um die Wende zum Weniger. Ein Weniger, das uns bereichert. Oder um es mit dem praktizierenden Asketen Mahatma Gandhi zu sagen: „Reich wird man erst durch Dinge, die man nicht begehrt.”

Ich wünsche Ihnen einen gefühlvollen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing