Schicksalstage für Armin Laschet

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Guten Morgen,

die gefährlichsten Gegner für Armin Laschet sind seit gestern nicht mehr Friedrich Merz und Markus Söder, sondern das Coronavirus und Clemens Tönnies. Als der NRW-Ministerpräsident Anfang April eine Strategie zur Wiedereröffnung der Volkswirtschaft entwarf, stellte sich der bekennende Merkelianer erstmals gegen die Kanzlerin:

Eine offene Debatte über die Zeit danach erhöht die Motivation und die Akzeptanz der Menschen, sich jetzt an die Ausgangsbeschränkungen und das Kontaktverbot weiter zu halten, weil sie dann eine Perspektive haben. Wir alle brauchen doch die Hoffnung und den Ausblick, dass es bald wieder besser, wieder ein Stück ,normaler‘ wird. Denkverbote helfen niemandem.

 © dpa

Merkel empfand die Anregung als Angriff und kritisierte „Öffnungsdiskussionsorgien“. Öffentlich wies sie Laschet zurecht. Jetzt holt das Virus den Regierungschef ein: Der Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies trifft die Menschen in den westfälischen Kreisen Gütersloh und Warendorf. Es gibt rund 1900 Corona-Infizierte, circa 7000 Tönnies-Mitarbeiter stehen mit ihren Familien unter Quarantäne.

► Die Behörden schränkten den Alltag von mehr als 640.000 Einwohnern in der Region erheblich ein.

► Viele der im übrigen Bundesgebiet inzwischen aufgehobenen Pandemie-Schutzmaßnahmen treten dort bis zum 30. Juni wieder in Kraft.

Eine Infografik mit dem Titel: Corona in Deutschland

Bestätigte Infizierungen und Tote nach Bundesländern

Die Wahrheit hinter der Wahrheit: Damit ist auch die Kampagne von Armin Laschet, der sich im Dezember zum neuen CDU-Vorsitzenden wählen lassen möchte, notleidend geworden. Es sind strategisch drei Punkte, die dem bisherigen Favoriten Laschet zu schaffen machen:

Erstens. Die Klugheit seiner damaligen Forderung nach einer schnellen Wiedereröffnung des Landes steht nun in einem anderen, deutlich fahleren Licht da. Merkel triumphiert – auch wenn sie sich das öffentlich niemals anmerken lassen würde.

Zweitens. Die Nähe zum Fleischfabrikanten und CDU-Parteispender Tönnies ist für Laschet plötzlich brandgefährlich und liefert seinen Konkurrenten das Material für eine wirkungsvolle Flüsterkampagne. Wie nah waren sich beide? Genoss der Mann mit den unhygienischen Produktionsbedingungen womöglich politische Protektion?

Unternehmer Clemens Tönnies, CDU-Landeschef Armin Laschet und Musiker Leslie Mandoki (v.l.) bei der „Lambertz Monday Night“ am 1. Februar 2016 in Köln © Getty Images

Drittens. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, bisher die erklärte Nummer zwei auf dem Ticket Laschet/Spahn, könnte in Versuchung geraten, auf dem CDU-Parteitag auf eigene Rechnung anzutreten. Warum soll Spahn, wenn Laschets Stern sinkt und seine Chancen schwinden, sein eigenes Schicksal an ihn binden? Freundschaften in der Politik sind Allianzen auf Zeit.

Fazit: Laschet kämpft einen komplizierten Mehrfronten-Krieg. Wenn Corona sein gefährlichster Gegner ist, braucht er jetzt einen mächtigen Verbündeten, am besten Fortune.

 © dpa

Nachtrag: Clemens Tönnies als Privatmann und als Unternehmer hat der CDU – dem Verein Lobbycontrol und seiner Lobbypedia-Datenbank zufolge – in den Jahren 2002 bis 2017 insgesamt neun Einzelspenden zukommen lassen. Die Höhe der Gelder variierte zwischen 11.900 Euro im Jahr 2015 bis hin zu 32.500 Euro im Wahljahr 2017. Unter anderem berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland über diese Zahlen.

 © dpa

Die Presselage am heutigen Morgen reflektiert die für Armin Laschet ungünstige Ausgangslage. So schreibt Kristian Frigelj, der NRW-Korrespondent der „Welt“:

Das Ansehen von Politikern kann durch ein überzeugendes Auftreten in der Krise wachsen. Die Statur von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, der immerhin den CDU-Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur anstrebt, ist in diesen Tagen kleiner geworden.

Der NRW-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, Christian Wernicke kommentiert:

Gütersloh nährt das Vorurteil, Laschet fahre zu großes Risiko. Das ist nicht fair – aber selbst verschuldet.

Der Verleger und Publizist Wolfram Weimer schreibt auf der „The European“-Webseite:

Laschet vermasselte mit einer wankelmütigen Politik die große Chance zur Kanzler-Profilierung und Söder startete auf nationaler Bühne als kraftvolle Führungsfigur durch. Der Fall Tönnies vertieft für Laschet nun das Problem.

Und Georg Anastasiadis, Chefredakteur des „Münchner Merkur“, stellt fest:

Sollte sich nach dem Heinsberger Karnevals-Desaster tatsächlich eine zweite Corona-Welle von NRW aus in Gang setzen, wird sie auch Laschets Kanzler-Träume unter sich begraben.

 © dpa

Die Meinungsfreiheit ist ein heiliges Gut im Rechtsstaat, aber auch ein anstrengendes. Denn diese Freiheit, die jeder Mensch zu schätzen weiß und gerne auch in Anspruch nimmt, muss in ihren Grenzen immer wieder neu vermessen, debattiert und ausgefochten werden. Genau das passiert im Moment.

Auslöser ist eine Kolumne in der „taz“, die nachträglich als Satire bezeichnet wurde. Darin hatte die Autorin Hengameh Yaghoobifarah folgende Frage gestellt:

Wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen?

Ihre Antwort fiel vorsätzlich menschenverachtend aus:

Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.

Meine Meinung dazu habe ich gestern im Morning Briefing veröffentlicht. Heute sind andere dran. Ich habe drei meinungsstarke Journalisten um ihre Kommentierung im Morning Briefing Podcast gebeten.

Der Kolumnist und Buchautor Heribert Prantl, 25 Jahre lang leitete er das Innenpolitikressort der „Süddeutschen Zeitung“ und gehörte viele Jahre der Chefredaktion an, sagt:

Satire darf fast alles – auch dann, wenn es eine schlechte Satire ist. Das Strafrecht ist kein Qualitätsrecht.

Ich hätte sie nicht gedruckt, weil sie zu schlecht ist. Ich hätte gesagt: Ich habe nichts gegen deine Meinung, aber schreib sie besser, schreib sie überzeugender, schreibt sie nicht mit der Doppelaxt, sondern mit dem Florett. Gleichwohl unterliegt sie dem Schutz der Meinungsfreiheit. Aber sie ist und bleibt grottenschlecht. Das tut einem leid, dass man ein solches Stück verteidigen muss.

„Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld hinterfragt die Motive der „taz“-Kolumnistin:

Bei der ,taz‘ wünscht eine Autorin Polizisten auf die Mülldeponie. Das wird dann im Nachhinein damit gerechtfertigt, dass sie ja Diskriminierungserfahrung wegen ihrer Hautfarbe habe. Da stelle ich mir dann schon die Frage: Ist das überhaupt noch Journalismus oder nicht längst schon Aktivismus? Um es mit dem Slogan eines großen Möbelhauses zu sagen: Schreibst du noch oder bekehrst du schon?

Auch mit Bundesinnenminister Horst Seehofer geht sie hart ins Gericht:

Seehofers jetzige Klageabsicht gegen eine linke Autorin, die groben Unsinn geschrieben hat, ist ebenso grober Unsinn. Aus der Debatte um eine miese Kolumne macht er so eine Grundsatzdebatte um die Meinungsfreiheit. Das wiederum macht einen Text groß, der von wenig journalistischer Größe zeugt.

Jan Fleischhauer verfasste achteinhalb Jahre die Kolumne „Der schwarze Kanal“ auf „Spiegel Online“. Heute ist er Mitglied der Chefredaktion und Kolumnist beim „Focus“. Er urteilt:

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nennt man das, auf Leute einzuhacken, die es eh schon schwer im Leben haben. Das würde ich mir immer verkneifen. Wenn es gegen Mächtige geht oder gegen Politiker, werde ich ein bisschen laxer mit meinen Kriterien. Wenn ich beleidige, dann doch besser nach oben als nach unten.

 © dpa

Auch meine Kollegin Alev Doğan knöpft sich in ihrem Kommentar die Debattenkultur in unserer Gesellschaft vor. Sie findet: Ein zu großer Teil der Politik hat sich dem Spiel der Polarisierung sowie dem bewussten gegenseitigen Missverstehen hingegeben. Alev Doğan fordert:

Wir müssen Streit kultivieren. Das heißt, ihn auf ein zivilisatorisches Niveau heben, das die Menschen nicht für dumm verkauft. Lagerdenken und plumpes Kategorisieren in Freund und Feind wirkt in einer modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts wie ein Anachronismus. Davon sollten wir uns frei machen.

Lesen Sie hier ihren Artikel hier.

 © Media Pioneer

Die Wirecard-Affäre weitet sich aus. Nach der Zahlung einer Kaution von fünf Millionen Euro, kam der ehemalige Konzernchef Markus Braun zwar auf freien Fuß. Doch immer mehr Teilnehmer geraten ins Visier von Staatsanwaltschaft, Öffentlichkeit und Politik.

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Hatte Finanzminister Olaf Scholz am Montag den Aufsichtsbehörden noch bescheinigt, „sie haben ihren Job gemacht“, findet der SPD-Politiker einen Tag später den Job der Aufsichtsbehörden nicht mehr so gut:

Kritische Fragen stellen sich auch bei der Aufsicht. Die Bafin hat eigene Fehler bereits eingeräumt.

Unter Beschuss stehen jetzt auch die Rechnungsprüfer von EY, die seit mehr als einem Jahrzehnt die Bilanzprüfung für Wirecard durchführen. Auf die Prüfer dürfte nun eine Prozesswelle von Investoren zukommen, die Schadensersatz für ihre Verluste einfordern.

 © imago

► Auch über die lose Kreditvergabe von rund 15 Banken an Wirecard, darunter die Landesbank Baden-Württemberg, die ING-Gruppe oder die ABN Amro-Bank, wird noch zu sprechen sein. Wirecards atemberaubendes Wachstum war in großen Teilen auf Pump finanziert. Auch die Commerzbank ist an einem Kredit von rund 1,75 Milliarden Euro beteiligt.

Fazit: Die Erfolgsgeschichte von Wirecard ist zu Ende. Die Aufklärung hat erst begonnen.

 © dpa

Gestern gab es gleich ein zweifaches Aufatmen bei den Bayer-Spitzenmanagern in Leverkusen:

► Der Agrarchemie- und Pharmakonzern soll im Glyphosat-Streit kurz vor einer Einigung mit Klägern aus den USA stehen. Eine unterschriftsreife Einigung hängt laut „Handelsblatt“ nur noch vom Aufsichtsrat ab. Die Höhe des Vergleichs könnte zwischen acht bis zehn Milliarden Dollar und damit innerhalb der Erwartungen der Analysten liegen. Die Befürchtungen, Bayer müsse am Ende 20 Milliarden Dollar zahlen, wären in diesem Fall vom Tisch.

Eine Infografik mit dem Titel: Chronik eines Desasters

Kursverlauf der Bayer-Aktie seit der Monsanto-Übernahme am 7. Juni 2018, in Euro

► In Kalifornien konnte Bayer zudem einen juristischen Erfolg erreichen: Beim Verkauf des umstrittenen Pestizids Glyphosat muss der Konzern nicht mehr auf Krebsrisiken hinweisen.

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Als ehemaliger Aufsichtsratschef bei Hannover 96 ist Gerhard Schröder Abstiegskämpfe gewöhnt. Nun hat der Altkanzler seine SPD-Wunschmannschaft für die kommende Bundestagswahl zusammengestellt. Die Transfersumme liegt bei 0, die Damen und Herren entstammen allesamt dem Kader des etablierten Politikbetriebs.

Wir haben ein gutes Team mit fünf Menschen, die ganz unterschiedliche Bereiche abdecken.

 © dpa

Er denke dabei „natürlich“ an Finanzminister Olaf Scholz, aber auch an Arbeitsminister Hubertus Heil und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Außerdem sollten Familienministerin Franziska Giffey und die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, dazugehören. Die beiden amtierenden Parteivorsitzenden erwähnt Schröder nicht.

Fazit: Wir lernen, was wir schon vorher wussten. Ratschläge eines Vorgängers sind für die Nachfolger vor allem Schläge.

Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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