die Union erlebt seit dem Wahltriumph des Sebastian Kurz eine Hochphase der „dog whistle politics“. Darunter verstehen Parteistrategen eine Kommunikation in codierter Sprache, die ähnlich einer Hundepfeife funktioniert. Die Hochfrequenztöne sind nur für Eingeweihte hörbar.
Wer aber ein geschultes Gehör besitzt, der versteht den geheimen Signalton der Politik, zum Beispiel den, der von EU-Kommissar Günther Oettinger gestern in das konservative Lager abgesetzt wurde. Er sagte:
© imagoIch halte ein Ergebnis, wie das von Herrn Kurz, auch für eine gut aufgestellte Union in Deutschland für denkbar.
Er meint: Gut aufgestellt ist die Union derzeit nicht. Im hochfrequenten Bereich kann man das auch so verstehen: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer muss weg.
Jens Spahn nutzte die codierte Sprache, um an seine Anhänger eine unmissverständliche Botschaft zu senden. Der Gesundheitsminister sagte:
Mit Mut zur Haltung, klarem Profil und dem Willen zur politischen Führung ist ein beeindruckender Wahlerfolg für die Volkspartei gelungen.
Er meint, dass seiner CDU derzeit genau das fehlt: Mut, Haltung und ein klares Profil. Mit Wischiwaschi kann man Parteitage überleben, aber keine Bundestagswahl gewinnen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet wollte da nicht abseitsstehen. Er sagte:
© imagoSebastian Kurz hat nicht den politischen Gegner beschimpft, sondern für seine Ideen geworben. Ich glaube, das brauchen wir: klare Ideen, kurze Sätze und prägnante Botschaften.
Er will damit sagen, dass ihm die politische Worthülsenfrucht AKK unverdaulich scheint. Vor allem ihre Bandwurmsätze liegen ihm schwer im Magen.
Ex-Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer von der CSU blies ebenfalls lustvoll in die Hundepfeife:
Sebastian Kurz hat die politische Seele seiner Partei nicht irgendeinem Zeitgeist verkauft.
Er will sagen: Damit unterscheidet sich Kurz fundamental von Kanzlerin Angela Merkel, die erst die Seele der Partei und dann ihre Großmutter an den Teufel verkauft hat. Im Bundeskanzleramt hat man ihn gut verstanden.
© dpaDamit ist die nächste Runde im CDU-Machtkampf eröffnet. Der Parteitag vom vergangenen Dezember, als AKK mit 517 Stimmen – und damit nur knapp 52 Prozent der abgegebenen Delegiertenstimmen – gewählt wurde, begründete einen Waffenstillstand, aber keinen Parteifrieden. Der überraschend deutliche Sieg der ÖVP in Österreich hat all jene ermuntert, die sich auch bei der Union mehr Klarheit, mehr Klugheit und vor allem steigende Umfragewerte wünschen.
Was unter politischer Klarheit und bürgerlicher Klugheit zu verstehen ist, bringt uns im Morning Briefing Podcast Paul Kirchhof näher, der ehemalige Verfassungsrichter und einstige Schatten-Finanzminister im Kompetenzteam von Angela Merkel. Er entfaltet seine Idee von einem Staat, der das „Freiheitsvertrauen“ der Bürger stärkt und nicht fortgesetzt enttäuscht.
Eine Infografik mit dem Titel: Steuern: der nachwachsende Rohstoff ?
Steuereinnahmen Deutschlands seit 1950, in absoluten zahlen, nicht inflationsbereinigt
Die Politiker fordert Kirchhof auf, die windige Idee, durch Steuern lasse der Bürger sich steuern, fahren zu lassen. Konkret lehnt er eine CO2-Steuer ab, vor allem deshalb, weil hier einmal mehr die Finanzpolitik die Vormundschaft übernimmt. Und weil die erhoffte Lenkungswirkung, wie schon bei der Ökosteuer auf Benzin, nicht eintreten dürfte. Der finanziell besser gestellte Bürger kaufe sich frei. Für die Menschen am unteren Ende der Einkommenspyramide aber wirkten solche Strafsteuern wie ein Diktat. Kirchhofs Urteil:
Damit wird die ganze Problematik dieser Lenkung durch Steuern freiheitsrechtlich und sozialrechtlich deutlich.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Sparer leidet
DZ-Bank-Prognose: Geldvermögen 2019 gegenüber Summe der Zinseinbußen privater Haushalte seit 2010
Da allerdings, wo der Bürger den Staat als seinen Schutzpatronen dringend brauchen könnte, sei er nicht zur Stelle. Ungerührt schaut das politische Establishment zu, wie die Europäische Zentralbank (EZB) durch ihre Negativ-Zinspolitik eine Schrumpfung des Sparvermögens bewirkt. Kirchhof spricht von einem „eigentumsrechtlichen Drama“:
Die EZB, die den Auftrag hat, den Geldwert zu stabilisieren, druckt Geld. Und dieses Geld wirft sie auf den Markt. Dort bekommen es nicht die sozial Schwachen, sondern diejenigen, die das Alltägliche schon besitzen, die jetzt Grundstücke kaufen und Aktien. Der mittlere Einkommensbezieher aber kann sich – wenn er in einer Großstadt wohnt – dort ein Wohnhaus nicht mehr leisten. Das ist Inflation.
Wenn der Bürger sein Geld der Bank überlässt, muss dieses Eigentum prinzipiell nutzbar, prinzipiell ertragsfähig sein. Und das genau organisiert die Europäische Zentralbank weg – ohne jedes Mandat. Sie besitzt nur ein Mandat für Geldwertstabilität, nicht für Umverteilung.
Der Artikel 14 des Grundgesetzes regelt den Schutz des Eigentums. Er besagt:
© dpaDas Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Eine Enteignung ist nur zum Zwecke der Allgemeinheit zulässig.
Doch dieser Artikel wird durch die aktuelle EZB-Politik „berührt“, sagt Kirchhof:
Das wichtigste Gegenwartseigentum ist nicht mehr der Grundbesitz, wie früher bei Gewerbebetrieb und Landwirtschaft, sondern das Geldvermögen. Und jetzt müssen wir fragen: Wie darf dieses Eigentum eingeschränkt werden?
Eine Infografik mit dem Titel: Merkel und die Steuer-Expansion
Steuerlast in Relation zum BIP unter Gerhard Schröder und Angela Merkel / Steuereinnahmen des Staates im jeweils letzten Regierungsjahr
Kirchhofs Antwort auf diese Frage fällt eindeutig aus:
Im Wesentlichen durch Steuern, ja, aber nicht durch eine Umverteilungspolitik der Europäischen Zentralbank, die die Ertragsfähigkeit der Aktien steigert und die Tragfähigkeit des Geldvermögens bei der normalen Anlageform Sparen auf null stellt.
Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes könnte durch die fortgesetzte Strafzinspolitik – die von den Banken durchgeführt, aber von der EZB veranlasst wurde – gefährdet sein. Früher habe der Staat seine Bürger, deren Sparvermögen ausschließlich aus versteuertem Einkommen besteht, „in den Garten der Freiheit entlassen, wo ihm kein Finanzbeamter hinterherläuft“.
Kirchhofs Diktum:
Hier atmet der Garten den Geist der Freiheit. Das müssen wir wiederherstellen.
Fazit: Man kann die Einschätzungen des Rechtsgelehrten als Fußnoten der politischen Debatte verstehen. Aber klüger wäre es, sie als das zu begreifen, was sie auch sind: die gedankliche Vorarbeit für einen Wiederaufstieg bürgerlicher Politik. Der nunmehr 76-jährige Paul Kirchhof wird das neue Haus eines maßvollen und sozial gerechten Steuerstaates nicht mehr bauen können. Aber die schwungvolle Skizze hat er uns heute Morgen geliefert. Der Rest ist Sache der Parteien: Bauherr/in gesucht.
Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr