Showdown bei „Anne Will”

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Guten Morgen,

vor Corona reisten die Spitzenpolitiker am Wochenende wie Schlagerstars durch die Lande, vom Bierzelt über die Kongresshalle zur Neueröffnung des örtlichen Autohauses – um am Montagmorgen wieder zurück in Berlin zu erscheinen. In Zeiten von Corona hat sich die Begegnung mit dem Volk nahezu komplett virtualisiert. Entweder man ist bei „Anne Will” – oder man ist gar nicht.

Hoch motiviert erschienen also gestern Abend gleich vier potenzielle Hauptdarsteller auf den TV-Brettern von Studio Adlershof, die jetzt ihr Leben bedeuten: Möchtegern-Kanzler Olaf Scholz von der SPD traf auf den Möchtegern-Kandidaten der Unionsbasis Markus Söder, umrahmt von der Vielleicht-Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock und dem liberalen Vorturner Christian Lindner, der nach Höhenflug mit Bauchklatscher nun sein Comeback versucht.

Die Gewinnerin des Abends war – um es vorwegzunehmen – Annalena Baerbock; der Grund dafür lässt sich in einem schlichten Satz zusammenfassen: Diese Frau ist politisch, aber sie ist zugleich patent. Sie spricht vom Leben, das sie lebt, und nicht von dem, was sie darüber liest.

Ihre Sprache ist erdig. Sie riecht nicht nach „Borchardt”, sondern nach Alltag. Spucktest. Fehlende Kittel. Hü und Hott. Schlamassel. Sie spricht über Kinder, ihre eigenen, und auch die ohne eigenes Zimmer: „Diese Kinder finden nicht statt.“

Sie ist eine Politikerin, die nicht nach Politikerin klingt. Ein nur leicht abgewandelter Satz aus der Kampagne des ehemaligen New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg kommt einem in den Sinn: Because she is no politician.

Scholz ist bei „Anne Will” ihr Antipode, der Vertreter des politischen Establishments, der mit der Kühle eines Schleifmessers zu erklären versteht, warum sich in Deutschland nichts bewegt – beim Impfen, bei den Tests, bei den Wirtschaftshilfen. Die Visionslosigkeit, deretwegen die SPD ihn nicht als Parteichef haben wollte, wird hier vor Millionenpublikum nochmal erklärt. Scholz interpretiert Scholz.

Dabei ist der Mann ehrbar und kompetent, sozial wohl balanciert und juristisch gebildet, aber sein politischer Vitalitätshaushalt ist begrenzt. Hier lodert nichts. Hier klimmt es nur. Er kann sich nach all den Jahrzehnten mit Dienstwagen und Personenschutz eine Wirklichkeit jenseits der Gegenwart offenbar kaum mehr vorstellen. Die Brille, die er trägt, hat rosarot getönte Gläser.

Insofern ist er die Fortsetzung von Merkel, aber eben nicht der frühen, der leidenschaftlichen, der mutigen Leipziger-Parteitags-Merkel, sondern der späten, der historisch erschöpften Politikerin gleichen Namens. Er tritt in Fußstapfen, die aus guten Gründen jetzt abtreten. Darin liegt der Denkfehler der Scholz-Bewerbung.

Markus Söder bei „Anne Will” wirkt – wie schon zuvor bei „Markus Lanz” – mit sich selbst zufrieden. Nur sind die Erfolge der Corona-Politik, von denen er spricht, außerhalb des TV-Studios äußerst selten anzutreffen. Seine väterliche Gelassenheit wirkt angesichts von niedrigen Impfquoten und hohen Sterbezahlen aufgesetzt; seine Merkel-Laudatio einstudiert. Diese Sendung war nicht seine Sendung. Irgendjemand muss das Drehbuch nochmal überarbeiten.

Bleibt Christian Lindner, der das Beste aus einer schwierigen Situation macht. Er wirbt für Schritte der Öffnung; verknüpft in seinen Beiträgen die technologischen Möglichkeiten mit den ökonomischen und kulturellen Notwendigkeiten.

Aus ihm spricht die Stimme der Vernunft. „Es gibt auch ein Bedürfnis nach Kultur“.

Wir lernen: Die liberale Funktionspartei funktioniert und wenn sie das von Anfang an in dieser Legislatur getan hätte, wäre Linder heute Finanzminister und nicht ein Überlebender. Auffällig ist, dass er besonnen spricht und gar nicht erst versucht aufzufallen. Diese Zurückhaltung kommt einer Neudefinition seiner Rolle gleich. Sie steht ihm gut zu Gesicht.

Fazit: Das war nur die Vorrunde für den Bundestagswahlkampf 2021. Scholz sollte sich noch Muskeln antrainieren. Lindner muss raus aus der Deckung. Söder braucht einen härteren Punch, wenn sich die Union von Annalena Baerbock nicht auf die Matte legen lassen will.

 © dpa

Dazu passt: Das Corona-Jahr 2020 hat zu beachtlichen Veränderungen bei den Mitgliederzahlen der Parteien geführt, wie jüngste Daten aus dem vergangenen November zeigen.

Mit einem Zuwachs von 9,9 Prozent verzeichnen die Grünen unter den im Bundestag vertretenen Parteien 2020 den stärksten Anstieg. 106.000 Mitglieder bedeuten einen neuen Höchststand; damit setzen die Grünen ihren Aufwärtstrend, der seit 2016 ungebrochen ist, kraftvoll fort. Dabei profitierten sie von der engeren Bindung an soziale Bewegungen wie „Fridays for Future” und schafften es, „Aufbruchsbereitschaft, Innovation und Motivation” zu vermitteln, analysiert Parteienforscher Prof. Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Eine Infografik mit dem Titel: Grüner Zulauf

Anzahl der Parteimitglieder der Grünen 2015 und 2020 im Vergleich

Doch auch für die Grünen werde das Wachstum an seine Grenzen stoßen, meint er.

Die Grünen sind keine Volkspartei. Dafür sind sie zu sehr eine Partei der Akademiker, der gut Ausgebildeten und jener, die neue Lebensstile verkörpern.

Starke Verluste erfuhr die AfD, die von 34.750 Mitgliedern zu Beginn des Jahres 2020 auf rund 32 000 Mitglieder schrumpfte und somit 7,9 Prozent verlor. Für die Partei ist es der erste Mitgliederschwund seit fünf Jahren.

Die SPD bleibt mit 404.305 Mitgliedern zwar Deutschlands größte Partei, musste aber einen Verlust von 3,6 Prozent einstecken. Es gebe kein Thema, mit dem die Sozialdemokraten gesellschaftliche Diskurse auslösten. Auch die Führungsriege der Partei verheiße wenig Inspiration, so Parteienforscher Merkel.

Die Sozialdemokraten wirken irgendwie aus der Zeit gefallen.

 © imago

Die CDU zählte zum Jahreswechsel 399.110 Mitglieder und somit 1,7 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Damit sei sie eine der letzten großen Volksparteien und habe jahrelang von der Beliebtheit von Kanzlerin Angela Merkel profitiert, auch wenn diese in der Migrationskrise zeitweise gelitten habe, sagt der Forscher.

Wie es in diesem Jahr für die CDU weitergeht, wird sehr davon abhängen, wie der weitere Kampf gegen die Pandemie verläuft. Je länger durchschlagende Erfolge ausbleiben, desto stärker wird es die CDU beuteln und umgekehrt.

Die Schwesterpartei CSU ist mit 137.010 Mitgliedern die drittgrößte Partei – obwohl sie nur in Bayern vertreten ist. Im zurückliegenden Jahr verlor sie zwei Prozent ihrer Mitglieder.

Neben den Grünen konnte auch die FDP einen Mitgliederanstieg verzeichnen, der mit 0,7 Prozent jedoch deutlich geringer ausfällt als bei den Grünen. Die Liberalen gehen von derzeit rund 66.000 Mitgliedern aus. Die Partei konnte wegen „coronabedingten Verzögerungen im Aufnahmeprozess” für 2020 bislang nur eine Schätzung nennen. Damit weist ausgerechnet die FDP in ihrem Meldeverhalten Ähnlichkeiten mit den Gesundheitsämtern auf.

Der Virologe ist der Star der Saison. Er weiß alles (oder zumindest vieles) über das Virus. Doch in der wärmenden Sonne der TV-Kameras tritt er zunehmend als Dr. Allwissend auf.

Dabei betreten wir spätestens bei der Frage, ‚wie gelangt das Virus von dem einen zum anderen Menschen?’, das Spezialgebiet des Physikers, genauer gesagt des Aerosol-Physikers. Denn: Wenn das Virus der Brief ist, dann ist das Aerosol die Postkutsche, die diesen Brief transportiert.

Der große deutsche Experte für Postkutschen, sprich für Aerosole, ist Dr. Gerhard Scheuch. Er ist Aerosol-Physiker, war von 2007 bis 2013 Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin und berät heute die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) sowie viele pharmazeutische Unternehmen. Im Morning Briefing Podcast widerspricht er gängigen Klischees und schärft unseren Blick für das eigentliche Infektionsgeschehen. So rät er angesichts von so mancher Zufallsbegegnung im Supermarkt, am Arbeitsplatz oder beim Joggen, die uns zu dicht erscheint, zur Gelassenheit:

Bei den Coronaviren, mit denen wir es jetzt zu tun haben, braucht man mindestens fünf bis 15 Minuten relativ dichten Zusammenstehens, um sich direkt zu infizieren.

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Das bedeutet, dass unsere Angst vor der flüchtigen Nähe mit Unbekannten oft unbegründet ist:

Bei einem Vorbeigehen kann man sich nicht anstecken. Das ist unmöglich. Da kriegt man einfach viel, viel zu wenige Viren ab, als dass die Infektion starten kann.

Ohnehin komme es keineswegs bei jedem Kontakt, auch nicht bei jedem langanhaltenden Kontakt mit einem Corona-Infizierten, zur Erkrankung. Dr. Scheuch sagt:

Es ist im Augenblick so, dass nur etwa zehn bis 15 Prozent der Infizierten überhaupt andere anstecken.

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Das wiederum liegt daran, dass nicht jeder Infizierte in gleicher Weise Viren in die Atemluft emittiert. Der Experte zitiert empirische Studien, die zu verblüffenden Ergebnissen führten:

73 Prozent der Patienten haben überhaupt keine Viren ausgeatmet. Aber sie haben einen Patienten gefunden, der pro Minute 400.000 Viren ausgeatmet hat. Wenn sie mit so einem zusammensitzen, dann kann es schon mal knallen.

Als Alternative zum Hammer-Lockdown für alle schlägt er Schnelltests und die Installation von Filteranlagen vor:

Man sollte mobile Raumluft-Filter installieren, die die Luft ständig säubern – auch von den Viren.

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Das Maskentragen im Freien, das auf dem Berliner Kurfürstendamm und der Hamburger Mönckebergstrasse zeitweilig mit Polizeikräften überwacht wurde, hält er für eine Maßnahme, die jeder Wissenschaftlichkeit entbehrt:

Das ist völliger Unsinn. Man braucht im Freien keine Maske.

Prädikat erhellend. Diese von der Politik noch ungehörte Expertenstimme bedeutet einen Zugewinn an Klarheit und an Zuversicht. Das ganze Gespräch können Sie exklusiv auf ThePioneer hören.

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Veröffentlicht von Rasmus Buchsteiner.

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Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) empfängt morgen mehr als 40 Verbände zu einem „Wirtschaftsgipfel”. Deren Vertreter haben ihre Forderungen bereits klar geäußert: Sie erwarten konkrete Öffnungsperspektiven und Verbesserungen bei den Hilfszahlungen. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE) Stefan Genth sagt:

Wenn das nun nur ein Trostgipfel sein soll, macht das keinen Sinn.

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  • Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stimmt die Bevölkerung auf die Verlängerung des Lockdowns über den 6. März hinaus ein:

Ich bin dafür, Wahrheiten auszusprechen: Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben.

Michael Kretschmer © Imago
  • Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verteidigt das seit Sonntag geltende Einreiseverbot aus Tschechien und Tirol:

Kontrollen sind die richtige Strategie. Sicherheit steht an oberster Stelle.

  • Und wird dabei von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unterstützt, der im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung” sagt:

Wir müssen unseren Landkreisen in der Grenzregion die Möglichkeit geben, zur Ruhe zu kommen.

Serap Güler (CDU) © dpa

Nach dem Aufstieg von Armin Laschet in die Bundespolitik, strebt auch seine frühere Referentin und heutige Staatssekretärin für Integration, Serap Güler, in den Bundestag. Das Nachwuchstalent der CDU, die 40 Jahre alte Tochter türkischer Gastarbeiter, bringt bereits seit 2012 jene Perspektiven in den CDU-Vorstand ein, die der frühere Bundespräsident Christian Wulff meinte, als er sagte, der Islam gehöre zu Deutschland.

Als Integrations-Staatsministerin im Kanzleramt wäre sie nach Ansicht vieler ihrer Parteifreunde die Idealbesetzung – und somit eine veritable Gefahr für die ideenlose Amtsinhaberin Annette Widmann-Mauz.

Die Kollegen vom Hauptstadt-Team haben die Personalie und den Wahrscheinlichkeitsgehalt eines Wechsels ins Kanzleramt recherchiert.

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Die Frage, ob man eine Automobilproduktion in China betreiben soll, wird von zwei Managern des Volkswagen-Imperiums sehr unterschiedlich beantwortet. China bildet inzwischen den größten Absatzmarkt für die deutsche Autoindustrie – jedes dritte deutsche Auto wird dort verkauft. Der Volkswagen Konzern ist als Pionier im Chinageschäft seit fast 40 Jahren im Reich der Mitte vertreten und auch in der umstrittenen Region Xinjiang, wo die muslimische Minderheit der Uiguren verfolgt wird, betreiben die Wolfsburger ein Werk.

Konzernchef Herbert Diess ist überzeugt von China als Produktionsstandort. Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” verteidigte er die Wolfsburger Präsenz in Fernost:

Wir stehen zu unserem Engagement in China, auch in Xinjiang. Auch hier gilt: Unsere Präsenz vor Ort trägt eher zu einer Verbesserung bei als eine Abkehr.

Für einen Konzern unserer Größe ist es keine Option, sich aus China zurückzuziehen, in dem Fall verlieren Sie ihre Existenzberechtigung als Global Player.

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Derweil verzichtet Porsche auf Produktion im Reich der Mitte, wenn auch nicht aus humanitären Gründen. Vorstandsvorsitzender Oliver Blume erklärte der „Financial Times”, warum:

Es ist ein Qualitäts- und ein Premium-Argument, immer noch aus Europa für China zu produzieren.

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Eine Infografik mit dem Titel: VW ist auf China angewiesen

Absatz ausgewählter deutscher Autohersteller in China im Jahr 2020, in Prozent

Korrektur: Irrtümlich haben wir Sir Simon Rattle am Freitag als ehemaligen Dirigenten des Berliner Symphonieorchesters bezeichnet. Dabei war er doch von 2002 bis 2018 der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Wir bitten ihn und alle anderen Musiker, den Fehler zu entschuldigen und halten es mit dem schottischen Essayisten Thomas Carlyle: „Der schlimmste aller Fehler ist, sich keines solchen bewusst zu sein.“

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Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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