Olaf Scholz hat seinen Antrittsbesuch im Weißen Haus unfallfrei absolviert. Neben dem Austausch von diplomatischen Floskeln brachte der Staatsbesuch vor allem drei Erkenntnisse:
1. Der Medienprofi Olaf Scholz lässt sich auch von den deutlich aggressiveren US-Medien zu keiner Unbedachtheit hinreißen. Er bleibt leise, höflich, unverbindlich. Er ist der Meister des Protokolls, der durch Sprachwitz oder intellektuelle Brillanz gar nicht erst zu überzeugen versucht. Er ist ein medialer Energiesparer:
© ImagoWir befinden uns in einer schwierigen Lage und ich bin froh, das mit Joe besprechen zu können.
2. Als Regierungschef einer Drei-Parteien-Koalition meidet er das Risiko. Der zuhause abgezirkelte Spielraum - keine Waffen für die Ukraine, keine Festlegung zur Inbetriebnahme von Nordstream 2, dafür möglichst häufig das Wort Dialog einbauen - wird vor Ort variiert, aber nicht interpretiert. Wenn Scholz kein Politiker, sondern eine Firma wäre, dann wäre er im Handelsregister als Rückversicherungs AG eingetragen.
© ImagoWir sind enge Verbündete und handeln sehr abgestimmt und einheitlich, was die Bewältigung der aktuellen Krisen betrifft.
Trotz wiederholter Nachfrage nahm er das Wort Nord Stream 2 auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Biden nicht in den Mund. Der US-Präsident sagt:
Wenn die Russen einmarschieren, wird es Nordstream 2 nicht mehr geben. Dann werden wir das zu einem Ende bringen.
Scholz ergänzt, wobei die Ergänzung schon fast wie ein Dementi klingt:
Wenn es dazu kommt (er meint eine russische Invasion), dann wird man mit den Verbündeten gemeinsam und einig handeln.
3. Außenpolitisches Gewicht kann man sich nicht anhungern. Der Nachfolger von Brandt, Kohl und Schröder beherrscht zwar das Ritual eines Staatsbesuches mit seinen sorgsam choreografierten Gravitas-Gesten. Doch eine Limousinenvorfahrt mit angeschlossenem Händeschütteln macht noch keinen Staatsmann. Das Wort “Vision” steht im Hause Scholz auf dem Index. Aber eine Idee vom Leben, dem Zusammenleben zwischen Amerikanern und Europäern zum Beispiel, wäre vielleicht beim nächsten Mal nicht schlecht.
Fazit: Olaf Scholz bleibt Olaf Scholz. Er zeigt sich, aber gibt sich nicht zu erkennen.
Im Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender CNN - das Olaf Scholz in gutem Englisch absolvierte - bezog der Kanzler ein einziges Mal wirklich Stellung. Da ging es um seinen Parteikollegen und Vor-Vorgänger Gerhard Schröder:
Er spricht nicht für die Regierung. Er arbeitet nicht für die Regierung. Er ist nicht die Regierung. Ich mache die Politik in Deutschland.
Christian Lindner ist im Finanzministerium und damit ganz oben in der Machtpyramide der Republik angekommen. Damit das alle, die ihn in diesen Tagen besuchen, auch merken, hat er den frechen, oft jungenhaften FDP-Vorsitzenden gleichen Namens irgendwo im Keller versteckt. Nichts darf den Eindruck einer höheren Staatsautorität jetzt beschädigen. Lindner - dunkler Anzug mit grauer Krawatte - ist jetzt ganz Rolle. Er ist nicht der Christian; er ist jetzt Deutschland:
Ich bin Minister, also Diener. Also diene ich dem, was entschieden worden ist.
Sein Rollenwechsel folgt der Erkenntnis, dass die FDP die letzte Wahl zwar erfolgreich absolviert, aber eben nicht mit absoluter Mehrheit für sich entschieden hat. Also will er jetzt nicht vorlaut und nicht ruppig sein, auch nicht gegenüber Robert Habeck, den er in der Vor-Ministerzeit noch als „cremig” bezeichnet hatte. Bei seinen Fans kam das damals gut an.
Eine Infografik mit dem Titel: Erneuerbare Energie verliert Anteile
Anteil der Energieträger an der Bruttostromerzeugung in Deutschland im Jahresvergleich, in Prozent
Die vom Staat gelenkte Energiepolitik der Grünen hat er früher so lustvoll verteufelt, dass die TV-Königinnen Anne Will, Maybrit Illner und Sandra Maischberger ihn schon deshalb gerne in ihre Studios einluden: „Wenn ich Sie höre, hört sich das nach DDR an”, herrschte er Annalena Baerbock in einer Sendung von Maybrit Illner Mitte Dezember 2018 an. Das muss man sich erst mal trauen.
© Maurice Weiss
Die damalige DDR ist heute seine Partnerin. Als Finanzminister will Lindner sich nicht mehr erregen, weshalb er auch seine Sprechgeschwindigkeit auf Staatsmann-Tempo herunter gepegelt hat. Die neue Haltung erscheint ihm realpolitisch geboten:
Kohle und Kernenergie halte ich nicht für realistisch.
Eine Infografik mit dem Titel: Hitparade der Klimasünder
Die acht größten CO2-emittierenden Länder nach Anteil an weltweiten CO2-Emissionen sowie der Rest der Welt 2020, in Prozent
Seine neue Mission ist die von Annalena Baerbock und Robert Habeck und klingt auch so:
© Maurice WeissErneuerbare Energien marktwirtschaftlich einführen und erweitern; Gas als Brückentechnologie ermöglichen.
Und weil er natürlich weiß, dass die Sonne nachts nicht scheint und der Wind oft nur schwach weht, hat er für sich eine neue, eine in der Tat pragmatische Energiequelle entdeckt: den Importstrom. So spricht der Diener der neuen Zeit:
Deutschland wird ein Energieimporte-Land bleiben.
Die Inflation ist jetzt auch seine Inflation, also nicht mehr ganz so wild. Früher, also vor drei Monaten, klang das noch so:
Ich sehe, dass in Deutschland die inflationären Risiken systematisch unterschätzt werden. Ich bin kein Kassandrarufer, empfehle aber große Aufmerksamkeit hinsichtlich der Geldentwertung. In Europa sind einige Euro-Länder schon stark davon abhängig, dass die EZB in großem Umfang ihre Anleihen ankauft, das erschwert ein Umsteuern.
Eine Infografik mit dem Titel: EZB auf Einkaufstour
Umfang der EZB-Anleihenkaufprogramme in Billionen Euro
Heute ist dieser Zustand der Abhängigkeit - die Notenbanker sprechen von fiskalischer Dominanz - nicht mehr da; er deutet sich nur noch an:
Die deutsche Tradition der unabhängigen Notenbank will ich als deutscher Finanzminister nicht in Frage stellen. Aber in jedem Fall muss gesichert sein, dass wir die fiskalische Dominanz verhindern.
Eine Infografik mit dem Titel: Geldvermehrung unter Lagarde
Volumen der von der EZB gehaltenen Vermögenswerte aus Staats- und Unternehmensanleihen, in Milliarden Euro
Natürlich bekümmert ihn die gegenwärtige Inflationsrate, aber sie wühlt ihn längst nicht mehr auf. Er sagt:
© Maurice WeissSie dürfen mir vertrauen, dass ich die Inflationsentwicklung genau beachte.
Und reagieren will er darauf auch: Die EEG-Umlage, die mit monatlich 1,1 Milliarden Euro auf der Stromrechnung der Bürger lastet, soll entfallen.
© SMBIch habe den Vorschlag unterbreitet, dass wir schneller als geplant auf die EEG-Umlage verzichten.
Als der Finanzminister noch Wolfgang Schäuble hieß, hatte er ihn angefleht, die brutale Wirkung der kalten Progression nur ja durch einen veränderten Einkommensteuertarif zu bekämpfen:
Hören Sie auf, sich an der kalten Progression zu bereichern.
Eine Infografik mit dem Titel: Inflation: Höher als erwartet
Monatliche Inflationsrate, Prognose und tatsöchliche Inflation in Deutschland, in Prozent
Nun betreibt er auch auf diesem Feld Realpolitik. Das klingt weniger schmissig, aber könnte dennoch funktionieren:
In diesem Jahr ist der Einkommensteuertarif nicht angepasst an die Inflation. Das ist 2020 falsch eingeschätzt worden und beim Progressionsbericht, den mein Haus jetzt für 2023/2024 erarbeitet, wird das eine Rolle spielen.
Den Ruf des Steuerzahler-Präsidenten Reiner Holznagel nach einer rückwirkenden Anpassung des Einkommensteuertarifs lehnt er freilich ab - zu bürokratisch, zu teuer:
Die technischen Kosten und der damit verbundene Bürokratismus im Vergleich zu dem, was den Menschen netto verbleibt, ist einfach nicht verhältnismäßig.
Fazit: Wenn Christian Lindner die Weiten des Ministerflures durchschreitet, begegnen ihm die schwarz-weiß Fotografien der Vorgänger - Franz-Josef Strauß, Helmut Schmidt, Karl Schiller, Theo Waigel, Peer Steinbrück und zuletzt Olaf Scholz. Er will jetzt einer von ihnen sein. Die Ministerwerdung des Christian Lindner hat begonnen.
Hauptsache, er lässt den talentierten, jungen Mann im Kellergeschoss nicht verhungern. Eines Tages wird er ihn noch brauchen können.
Im heutigen Morning Briefing Podcast können Sie bei der Verwandlung zuhören. Das ganze Gespräch gibt es am Nachmittag.
Der wichtigste Wirtschaftsverband in Deutschland, der Bundesverband der Deutschen Industrie, macht Schlagzeilen in eigener Sache. Joachim Lang, der einflussreiche Hauptgeschäftsführer, des Verbandes, geht von der Fahne. Nicht ganz freiwillig, wie Pioneer-Chefredakteur Michael Bröcker herausfand:
Joachim Lang muss gehen, weil er dem Präsidenten zu einflussreich und zu öffentlichkeitswirksam war. Es ist kein parteipolitisches Manöver, sondern das Ergebnis eines Machtkampfs und einer fehlgeschlagenen Arbeitsteilung. Wenn nun in Pressemitteilungen von voller wechselseitiger Wertschätzung die Rede ist, ahnt man, wie hoch die Abfindung gewesen sein muss.
Hinter den Kulissen des BDI rumort es seit Monaten. Unseren Informationen zufolge hat sich Präsident Siegfried Russwurm in einer internen Runde über das öffentliche Auftreten Langs beschwert; die Vizepräsidenten kannten die Vorbehalte des Präsidenten gegen den selbstbewussten Hauptgeschäftsführer.
© imago
Zumal Langs Beziehung zu Russwurms Vorgänger Dieter Kempf eng und freundschaftlich war. Man urlaubte sogar zusammen. Mit dem Nachfolger wurde Lang nie warm - und umgekehrt. Vom Konflikt freilich soll nichts nach außen dringen, weshalb Lang sich von allen denkbaren Gründen für sein Ausscheiden den naheliegendsten schnappte: Corona. In einem LinkedIn-Statement schreibt er:
Die Corona-Pandemie bot mannigfach Gelegenheit, sich mit der Frage zu befassen: Was willst Du mit Deinem restlichen (Berufs-)Leben machen? Dabei ist mir bewusst geworden, dass ich gerne noch andere, neue Ziele außerhalb des BDI verfolgen möchte.
Wie das BDI-Präsidium auf den Abschied reagiert und wie das Profil des Nachfolgers oder der Nachfolgerin aussehen soll, lesen Sie in unserem Politikteil Hauptstadt Das Briefing.
Klaus Regling ist der geschäftsführende Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Der ESM wurde in Folge der Euro-Krise gegründet und fungiert als eine Art „Europäischer Währungsfonds”, da die zwischenstaatliche Organisation mit mehreren Instrumenten Mitgliedstaaten in finanziellen Schwierigkeiten helfen kann.
Schon länger macht sich Klaus Regling einen Ruf als „Big Spender”, also als ein Experte, der die deutsche Stabilitätspolitik nicht sehr schätzt und stattdessen die Spendierhosen angezogen hat. In deren Taschen lagert der Kredit. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung” lebt Regling seine schuldenfinanzierten Neigungen erstmals öffentlich aus:
Der Euroraum braucht einen permanenten Stabilitätstopf, damit es nicht zu ausgewachsenen Krisen kommt.
Seiner Meinung nach sollen Regierungen „schnell und einfach günstige Kredite” vom ESM bekommen, die sie dann im nächsten Aufschwung zurückzahlen.
Sein Vorschlag:
© ImagoMan könnte zum Beispiel festlegen, dass Staaten darauf zugreifen können, wenn ihre Arbeitslosenquote deutlich über den langjährigen Durchschnitt steigt oder ihr Wachstum um einen gewissen Prozentsatz einbricht.
Außerdem möchte er den Stabilitätspakt reformieren und die Euro-Schuldengrenze, wonach der öffentliche Schuldenstand maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen darf, aufheben, beziehungsweise expandieren:
Die Schuldenstände können wegen der niedrigen Zinsen höher sein, als man damals bei den Maastricht-Verhandlungen vor 30 Jahren dachte. Ob die neue Zielmarke nun exakt 90 oder 100 oder 105 Prozent sein soll, kann man nicht wissenschaftlich herleiten. Das ist eine politische Entscheidung.
Meta – gestern noch Facebook – ist mit den europäischen Datenschutzregeln nicht einverstanden und droht mit dem Rückzug aus Europa. Damit wären Facebook, Instagram, WhatsApp und Co. hierzulande nicht mehr zu erreichen.
Konkret sieht sich der Konzern darin bedroht, Nutzerdaten aus Europa auf amerikanischen Servern zu speichern und zu verarbeiten. Ohne neue Regeln oder zumindest den Verlass auf die bestehenden, werde Meta „wahrscheinlich nicht in der Lage sein, eine Reihe der wichtigsten Produkte und Dienste, einschließlich Facebook und Instagram, in Europa anzubieten“, sagt die Firma. Eine handfeste Drohung.
Eine Konzern-Sprecherin ergänzte:
Wir haben weder den Wunsch noch die Absicht, uns aus Europa zurückzuziehen, aber die Realität sieht so aus, dass Meta und viele andere Unternehmen, Organisationen und Dienste auf den Datentransfer zwischen der EU und den USA angewiesen sind, um globale Dienste anbieten zu können.
Eine Infografik mit dem Titel: Meta mit Kurseinbruch
Kursverlauf der Aktie von Meta Platforms seit November 2021, in US-Dollar
Doch auch Peter Thiel, der 2004 500.000 Dollar in Facebook investierte und damit der erste externe Investor war, scheint an dem Unternehmen seine Zweifel zu haben: Gestern Abend wurde bekannt, dass er den Aufsichtsrat von Facebook, in dem er seit 2015 sitzt, verlässt.
Fazit: Man kann das Ganze auch positiv sehen. Erstmals hat Europa einen Wirkungstreffer erzielt. Jetzt darf die EU-Kommission nur nicht gleich wieder weiche Knie bekommen.
Ein Leben ohne Facebook ist sinnlos, aber möglich.
Ich wünsche Ihnen einen ausgeruhten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr