SPD: Die traurigste Partei Deutschlands

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Guten Morgen,

die SPD ist Deutschlands traurigste Partei. Sie ist 156 Jahre alt und weiß nicht, was sie will. Sie weiß nur, was sie nicht will. Aber das ist nicht dasselbe. Das fängt schon bei den naheliegenden Fragen an: Soll sie den Koalitionsvertrag jetzt zerreißen oder nachverhandeln? Will sie die Reichen nur melken oder gleich enteignen? Möchte sie die Linkspartei angreifen oder doch lieber umarmen? Auch der parteiinterne Wahlkampf um den Parteivorsitz brachte keine Klärung, nur neue Polarisierung. Drei innerparteiliche Gruppierungen stehen sich im Vorfeld des am Freitag beginnenden Bundesparteitags wie feindliche Heere gegenüber.

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Da ist zum einen die „Brigade Kevin“, die nun immerhin zwei Adjutanten ins Willy-Brandt-Haus entsenden darf. Der Chef-Chef der Parteivorsitzenden will als Vize in den Vorstand einziehen, um die Arbeit der beiden zu flankieren. Es gilt das Leninsche Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

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Rund drei Kilometer Luftlinie entfernt im Deutschen Bundestag hält der Club der sozialdemokratischen Mandatsträger eisern die Stellung. Hier regiert der Pragmatismus. Für die 152 SPD-Abgeordneten beginnt soziale Gerechtigkeit mit der pünktlichen Überweisung ihrer Diäten. Die Leidenschaft für das Klima ist groß, aber die Freude an der Fahrbereitschaft des Bundestages nicht minder. So schnell lassen sich die Abgeordneten nicht enteignen. Wenn die gewöhnlichen Parlamentarier zwischen Sozialismus oder Sancerre wählen müssten, wüssten sie sich zu entscheiden.

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Die versprengten Truppen der „Schröderianer“ haben sich derweil in der niedersächsischen Staatskanzlei, sowie im Arbeits- und Finanzministerium verschanzt. In ihren Kreisen reimt sich SPD auf Verantwortung. Angela Merkel wird in dieser Gemeinde pflichtschuldigst bekämpft, aber heimlich bewundert, vor allem für ihren Machtinstinkt. Per SMS und WhatsApp versorgen sich die Schröderianer in diesen Stunden der Unübersichtlichkeit mit Durchhalteparolen. Der ehemalige Parteichef Franz Müntefering sagt trotzig:

Über die Politik der Bundesregierung und der SPD-Fraktion wird nicht im SPD-Präsidium entschieden. Wir haben kein Zentralkomitee.

Gerhard Schröder, Stephan Weil, Malu Dreyer und Manuela Schwesig kommen aus dem Nicken nicht mehr heraus. Viele Schröderianer halten das Mitgliedervotum nicht für eine Meinungsäußerung, sondern für einen Anfall geistiger Umnachtung.

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Die SPD-Wählerschaft – oder was davon blieb – verfolgt den Stellungskrieg rund ums Willy-Brandt-Haus mit ohnmächtigem Entsetzen. Mit ihrem Hang zur Halluzination lebt die heutige Mehrheits-SPD auf Distanz zu ihren Wählern. Denn die erwarten keine Weltenrettung, sondern die Lösung der dringlichsten Gegenwartsaufgaben. Man will, dass Frieden herrscht. Man möchte, dass es den Kindern besser geht. Man hofft, dass der Staat nicht nur Parksünder bestraft, sondern auch den Asylbetrug. Der Rest ist Beilage. Die jetzige SPD aber erwartet von sich mehr, viel mehr. Sie ist auch deshalb von allen Parteien die traurigste, weil sie zugleich die ehrgeizigste ist. Sie will immer alle retten, die Armen und das Klima. Und auf jeden Fall sich selbst. Das S im Parteinamen steht mittlerweile für Schmerztherapie.

Matthias Machnig ist der letzte erfolgreiche Wahlkampfmanager der SPD. Im Jahr 1998 leitete er die Wahlkampfzentrale „Kampa“ und verhalf dem SPD-Kandidaten Gerhard Schröder nach 16 Jahren Helmut Kohl zur Kanzlerschaft. Lafontaine ging, Schröder blieb. 2002 organisierte Machnig, diesmal als SPD-Bundesgeschäftsführer, die erfolgreiche Wiederwahl-Kampagne. Er und Schröder ließen den Unions-Kandidaten Edmund Stoiber auflaufen. Im Morning Briefing Podcast spreche ich heute mit Machnig über das Leiden der SPD an sich selbst. Der Mann macht sich keine Illusionen:

Es hat sich eine Distanz von politischer Führung und Parteibasis aufgebaut.

Er sagt aber auch Sätze, die das neue Führungsduo nur als Drohung verstehen kann:

Keiner weiß, wie neben den beiden die eigentliche Führung der Partei aussehen wird.

Er pocht darauf, dass die Linke jetzt nicht durchziehen, sondern versöhnen müsse:

Das neue Duo muss zwei Dinge tun: Es muss führen. Das heißt: Richtung und Programm ausgeben. Und das Duo muss zusammenführen, nämlich die Partei, die ja durchaus unterschiedliche Positionen hat.

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Fazit: Die SPD kämpft nicht um das Land, sondern um ihre Seele. Sie sitzt tagsüber in der Regierung von Angela Merkel und liegt abends auf der Couch von Sigmund Freud. Albert Camus: „Das Absurde hat nur insofern einen Sinn, als man sich nicht mit ihm abfindet.“

Die CDU will den Fortbestand der Großen Koalition nicht der SPD-Linken überlassen. Partei-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer versucht daher, den Druck auf den SPD-Parteitag zu erhöhen. Sie stellt die Einführung der Grundrente plötzlich unter Vorbehalt:

Wir werden in das parlamentarische Verfahren erst dann einsteigen, wenn klar ist, dass diese Koalition auch fortgesetzt wird.

Ein Platzen des Vorhabens würde dem Steuerzahler jährlich 1,5 Milliarden Euro sparen – und die SPD-Linke moralisch belasten.

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Gegenüber den Sendern der RTL-Gruppe machte AKK deutlich, dass eine „Linksverschiebung der SPD auf keinen Fall eine Linksverschiebung der Koalition“ bedeuten werde. Erstmals seit ihrer Wahl zur CDU-Chefin befindet sich die Frau in der Offensive. Sie spürt die veränderte Thermik: Die Abwinde der SPD blasen in ihr Segel.

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Unterdessen wird in der Union offen über eine Minderheitsregierung debattiert. Verlasse die SPD tatsächlich die Koalition, „wäre auch eine Minderheitsregierung eine Option, über die man nachdenken muss“, sagte CDU-Vize Thomas Strobl. In dasselbe Horn hatte tags zuvor bereits Friedrich Merz geblasen:

Der Bundeshaushalt ist beschlossen, eine Minderheitsregierung könnte im Jahr 2020 regieren.

Der Vorteil für die Parteichefin: Ihr neuer Partner Merz würde aus dem Stand und ohne Neuwahl Finanzminister. Auch andere Konservative könnten zeigen, was in ihnen steckt. Der Nachteil: Ihr alter Rivale Merz würde aus dem Stand und ohne Neuwahl Finanzminister. Er und andere Konservative könnten zeigen, was in ihnen steckt.

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Donald Trump ist Präsident und Unruhestifter zugleich. Die Nato bezeichnete er zu Beginn seiner Amtszeit als „obsolet“. Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron machte ihm jüngst Konkurrenz. Er bezeichnete das Militärbündnis als „hirntot“, was nun wiederum Trump beim Nato-Gipfel in London als „beleidigend“, „gefährlich“ und „respektlos“ ansieht. Unruhestifter unter sich. Ansonsten bemühte man sich, das Feindbild der Allianz nicht nach innen, sondern nach außen zu erweitern. Die Gipfelerklärung erwähnt zum ersten Mal explizit China als neue Bedrohung:

Wir erkennen, dass der wachsende Einfluss und die internationale Politik Chinas sowohl Chancen als auch Herausforderungen darstellen, die wir als Allianz zusammen angehen müssen.

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Und die Kanzlerin? Lächelte und schwieg. Die Debatte um die Neuausrichtung der China-Politik bringt sie und die deutsche Exportnation in eine komplizierte Situation. Merkel weiß, was die deutschen Wirtschaftsführer auch wissen: Die Trumpisten haben recht – und wir haben unsere Interessen.

Die Ergebnisse der neuen Pisa-Studie sind nicht trübe, sondern katastrophal. Deutschlands Schüler sind in allen Bereichen zurückgefallen, was nur dadurch verschleiert wird, dass die anderen noch zügiger abfielen.

Eine Infografik mit dem Titel: Schlechter im Lesen ...

Pisa-Ergebnisse in Lesekompetenz, in Punkten

Eine Infografik mit dem Titel: ... im Rechnen ...

Pisa-Ergebnisse im Fach Mathematik, in Punkten

Eine Infografik mit dem Titel: ... in Naturkunde

Pisa-Ergebnisse in Naturwissenschaft, in Punkten

Und zwar beim Lesen auf das Niveau von 2009, in der Mathematik sogar auf unter jenes von 2003 und in den Naturwissenschaften ist der Abstieg sogar noch deutlicher (siehe Grafiken). Mittlerweile erreichen hierzulande mehr als 20 Prozent der 15-Jährigen nicht mal Lese- und Schreibfähigkeiten auf Grundschulniveau. Schlimmer als die Ergebnisse sind nur die Reaktionen der Politiker. Die Verantwortlichen in den Kultusministerien sind derart gefühlskalt, dass sie ihre Verantwortung gar nicht mehr spüren. 22 Jahre nachdem Bundespräsident Roman Herzog gefordert hatte, es müsse ein Ruck durch Deutschland gehen, zucken und rucken nur die eingeschlafenen Füße.

Immer mittwochs veröffentlicht meine Kollegin Chelsea Spieker ihren Podcast „The Americans“. Heute spricht sie mit der Journalistin Beth Macy, die sich seit Jahren mit der Opioid-Krise in den USA beschäftigt. In ihrem 2018 veröffentlichten Buch „Dopesick“ erklärt sie, wie die Vereinigten Staaten zu einer Nation von Süchtigen wurden. Sie sagt:

Viele dieser Leute füllen jetzt unsere Gefängnisse, weil sie Verbrechen begangen haben. Aber für mich war das größere Verbrechen die Auslösung dieser Epidemie.

Die Journalistin spricht über „gierige Unternehmen“, die Ärzte von der vermeintlichen Harmlosigkeit starker Medikamente überzeugen konnten:

Ein Großteil davon war eine koordinierte Kampagne dieser Pharmaunternehmen, die Milliarden von Dollar verdienten.

Das gesamte Gespräch hören Sie in der neuen Folge von „The Americans“. Die gibt es unter www.the-americans.com und über alle großen Podcast-Kanäle wie Apple, Spotify oder Deezer. Prädikat: schockierend

 © dpa

Larry Page und Sergey Brin haben aus dem Startup Google die erfolgreichste Such- und Gewinnmaschine der Welt gemacht. Nun geben die beiden US-Amerikaner die operative Führung des Mutterkonzerns Alphabet ab. Page tritt als Vorstandschef und Brin als Präsident zurück. Beim TV-Sender CBS war von einer „Erschütterung im Silicon Valley“ die Rede. Der Titel verschwindet, der Respekt bleibt. Die beiden Google-Gründer haben sich in Großbuchstaben ins goldene Buch für Wirtschaftsgeschichte eingetragen. Zumindest in Amerika gilt: Die Revolution verehrt ihre Kinder. Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag, trotz der Fülle schwieriger Nachrichten. Zukunft ist das, was wir daraus machen. Herzlichst grüßt Sie Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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