der Bundestagswahlkampf 2021 wurde am Wochenende mit einem raffinierten Spielzug eröffnet. Bundesfinanzminister Olaf Scholz will die Wählerinnen und Wähler kaufen - und zwar mit ihrem eigenen Geld. Dem SPD-Kanzlerkandidat ist klar geworden, dass das von ihm gewünschte und von den fünf Wirtschaftsweisen prognostizierte V-Szenario - der steile Absturz der Volkswirtschaft mit anschließender Blitz-Erholung - nicht wahr werden wird. Damit die Bundesbürger das vor dem Wahltag nicht merken, arbeitet Scholz wie ein Narkosearzt. Es wird immer wieder feinfühlig nachgespritzt:
Ein im April gewährter Kredit über 1,8 Milliarden Euro an den Reiseveranstalter Tui reicht nicht aus, weil das Thema Fernreisen womöglich auf Jahre kein Geschäft mehr ist. Der Bund hilft nun mit weiteren 1,05 Milliarden Euro. Die Logik für den Steuerzahler ist verstörend: Wer nicht reisen darf, muss zahlen.
Auch der Kreuzfahrtanbieter Aida, der Schiffbauer MV Werften und der niedersächsische Stahlhersteller Georgsmarienhütte haben sich bereits bei Scholz nach einer Chefarztbehandlung erkundigt. Sie alle könnten eine staatliche Injektion gut gebrauchen.
Im Zuge der Pandemiebekämpfung wurde auch die Insolvenzantragspflicht außer Kraft gesetzt. Bankrotte Firmen müssen ihre Zahlungsunfähigkeit bis zum 30. September nicht kommunzieren. Diese Ausnahmeregel soll nach aktuellen Plänen der SPD bis in den März hinein verlängert werden. So entstehen Zombie-Unternehmen.
Schon jetzt gibt es nach Zahlen der Auskunftei Creditreform rund 550.000 solcher Firmen, die dank der Insolvenzaussetzung verdeckt überschuldet sind. Die Zahl könnte bis März auf 800.000 steigen. Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter Wirtschaftsforschung bei Creditreform, sagt:
Die Lage verschlimmert sich von Tag zu Tag. Denn die Insolvenzen werden derzeit nur verschoben. Dadurch könnten viele derzeit noch gesunde Firmen mit in den Abgrund gerissen werden.
Eine Infografik mit dem Titel: Wirtschaftskrise 2008 vs. 2020
Zahl der Arbeitslosen und der Kurzarbeiter im Vergleich, in Millionen
Die Arbeitslosenzahl ist die härteste Währung für einen SPD-Wahlkämpfer. Um diese Zahl zu schönen, wird das Kurzarbeitergeld bis über den Wahltag hinaus gezahlt. Die übliche Befristung auf zwölf Monate soll verdoppelt werden. In den ersten sechs Monaten hat die Bundesagentur für Arbeit ein Defizit von mehr als zehn Milliarden Euro angehäuft und davor gewarnt, dass die Rücklagen von 26 Milliarden Euro im laufenden Jahr komplett aufgebraucht werden.
Fazit: Der Wahlkampf 2021 wird der teuerste Wahlkampf aller Zeiten. Das Programm des SPD-Kanzlerkandidaten lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Vollnarkose. Auf den Plakaten wird das dann als „soziale Sicherheit“ übersetzt.
Richtig ist: Die neue Weltmacht China bemächtigt sich ungeniert des geistigen Eigentums anderer. Sie dirigiert, schikaniert und subventioniert die Unternehmen ihres Einflussbereiches. Und dank einer großangelegten Geldschöpfung bringt sie die heimische Wirtschaft bei Bedarf auch zum Halluzinieren.
Aus diesen unbestreitbaren Tatsachen zieht die Trump-Regierung den Schluss, dass der Westen sich von China lossagen müsse. Decoupling lautet das strategische Stichwort. Oder wie sich Außenminister Pompeo jetzt äußerte:
Alle freiheitsliebenden Nationen der Welt müssen auf China einwirken, sich zu verändern.
Simple, but wrong: Das schreibt der „Economist“ in seiner Titelstory, die an Präzision schwer zu überbieten ist. Hier die wichtigsten Argumente gegen Trumps Chinapolitik:
Erstens: Chinas Wirtschaft ist deutlich stoßfester als die amerikanische, weshalb die aggressive US-Handelspolitik einer Selbstverletzung gleichkommt. Laut Prognose des Weltwährungsfonds in Washington wächst China trotz Pandemiebekämpfung in diesem Jahr um ein Prozent, derweil Amerika ein mindestens achtprozentiges Minuswachstum hinnehmen muss.
© imagoZweitens: Die internationalen Investoren setzen ihre Jetons gegen Trump. Shenzhen unterhält die weltweit erfolgreichste Börse, nicht New York. Seit dem 4. Januar 2019 konnte sich der Shenzhen Component Index um 85 Prozent steigern, der Dow Jones Industrial im gleichen Zeitraum um 19 Prozent.
Drittens: Die chinesische Regierung unter Führung von Xi Jinping verfügt mit knapp 1,4 Mrd. Konsumenten über einen Binnenmarkt, der den amerikanischen an Kopfzahl um das vierfache übertrifft. Die neue Mischung aus Plan- und Marktwirtschaft kann daher aus sich selbst heraus eine Dynamik entfachen, die für Jahre das Wirtschaftswachstum treibt.
Viertens: Die Integration Chinas in die Weltwirtschaft kann Amerika nicht mehr stoppen. Seit 1995 ist der Anteil Chinas am weltweiten Sozialprodukt von zwei auf 16 Prozent gestiegen. Der Grund: Die Exporteure lieben nicht die KP, aber sie lieben den größten Markt der Welt. Ohne Chinageschäft hätte die deutsche Volkswirtschaft schon vor Jahren das Wachsen eingestellt.
© imagoFazit: Die Gefühle sprechen für Trump, die ökonomischen Interessen dagegen. Die Politik der Entflechtung zwischen China und dem Westen kann schon deshalb nicht gelingen, weil es „den Westen“ nicht gibt. Oder um es mit einer chinesischen Volksweisheit zu sagen: Beginne keinen Krieg, den du nicht gewinnen kannst.
Der Online-Versanddienst Amazon greift die heimischen Zustelldienste an.
Vom Lieferservice der angestammten Unternehmen will man sich langfristig emanzipieren. Allein in Deutschland betreibt der Konzern eine wachsende Zahl eigener Frachtzentren. Das Ziel: Die autonome Versorgung der Republik.
Welche Aufholjagd da im Gange ist, zeigen Zahlen aus den USA. In zwei Jahren hat Amazon dort den Anteil an selbst ausgelieferten Paketen von 15 Prozent auf 48 Prozent gesteigert. Sollte Amazon innerhalb der nächsten zwei Jahre in Deutschland ebenso schnell wachsen, wird Amazon nach Schätzungen von Experten mindestens 25 Prozent des E-Commerce-Marktes mit eigenen Lieferungen bestreiten.
Mit „Amazon Flex“ kopiert der Versandhändler mittlerweile das Plattform-Prinzip von Lieferando oder Uber und setzt Studenten und Freiberufler ein, die in ihrer Freizeit Pakete ausliefern. Paketzusteller der Post, die oftmals nach Tarifverträgen bezahlt werden, wären mit diesem System nur schwer konkurrenzfähig.
Auch im direkten Vergleich der Börse spielen Amazon und die Post in verschiedenen Ligen. Wird Amazon an der Börse mit 1,3 Billionen Dollar bewertet, kommt die Deutsche Post auf gerade einmal 54,5 Milliarden Dollar Börsenwert. Das Ergebnis des damit erleichterten Zugriffs auf Investionskapital ist ein hohes Innovationstempo. Ein Beispiel: Auf einer interaktiven Karte können sich Kunden über den aktuellen geografischen Ort ihres Amazon Pakets schon heute informieren - ein Feature, das die Post in diesem Jahr kopieren will.
Eine Infografik mit dem Titel: Krisengewinner Post
Entwicklung der Deutsche Post AG-Aktie vor und nach dem Corona-Einbruch
Im Morning Briefing Podcast habe ich mit Frank Appel, dem CEO der Deutsche Post DHL Group, gesprochen – auch über den Konkurrenten Amazon. Über die Zukunft des Postzustellers sagt er:
Wir schätzen, dass bis 2030 etwa ein Drittel unserer Arbeitsplätze wegfallen werden. Aber wir werden mit Sicherheit mehr als 50 Prozent größer sein, was bedeutet, dass wir in Summe mehr Arbeitsplätze haben werden.
Im Hinblick auf die Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft fordert er:
Wir müssen den Menschen die Angst vor der Digitalisierung nehmen. Die Technik ist weder gefährlich noch schwierig. Was man braucht, ist einen offenen Geist. Wenn man sagt, ich will keine Veränderung, dann wird es schwierig.
Um die Herausforderungen des Digitalzeitalters zu meistern, hält Appel Investitionen im Bildungsbereich für unerläßlich:
Ich hoffe, dass wir auch in der Bildungspolitik begreifen, dass wir eine stärkere Digitalisierung brauchen. Nur so können wir eine größere Teilhabe erzeugen.
Die Kurzform des Gespräches mit Frank Appel hören Sie heute im Morning Briefing Podcast. Die Langfassung biete ich Ihnen um 12 Uhr zum Download auf ThePioneer.de an. Prädikat: erhellend.
Weißrussland kommt nicht zur Ruhe. Derweil die Deutschen das Wochenende zum Besuch der Badeseen nutzten, gingen in Minsk Zehntausende auf die Straße, um die westlichen Werte, die man ihnen vorenthält, zu erkämpfen. Hier die wichtigsten Ereignisse dieses Freiheitskampfes:
In der Hauptstadt Minsk kamen zahlreiche Menschen zu einer Trauerfeier zusammen. Sie erinnerten an einen 34-jährigen Mann, der Anfang der Woche bei den Protesten unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen war. Viele brachten Blumen mit und zündeten Kerzen an.
Staatschef Lukaschenko sprach wiederholt von "Elementen äußerer Einmischung". Bereits am Freitag hat er das Ausland für die Proteste verantwortlich gemacht.
Lukaschenko hat bereits mit Wladimir Putin telefoniert. Der Kreml teilte im Anschluss mit, dass beide Seiten zuversichtlich seien, die Probleme zu lösen. Diese sollten nicht von "destruktiven Kräften" ausgenutzt werden, um die Zusammenarbeit beider Länder zu beeinträchtigen.
Im Morning Briefing Podcast spreche ich mit der russischen Journalistin und Aktivistin Luba Komarova. Gemeinsam mit anderen versucht sie unter dem Hashtag #FreeVitali auf die Inhaftierung des Politikberaters und Sozialwissenschaftlers Vitali Shkliarov aufmerksam zu machen. Der hat in Deutschland promoviert, machte sich als Wahlkampfdirektor für Bernie Sanders in den USA einen Namen - und sitzt nun in Belarus im Gefängnis.
Auf die Frage, was sie über die Situation von Vitali Shkliarov weiß, sagt sie:
© dpaEr wurde am 29. Juli in seiner Heimatstadt Gorman festgenommen. Mittlerweile ist er in einem Internierungslager in Volodarka. Er leidet vor allem unter psychischer Folter. Sie erlauben ihm nicht, Briefe zu schreiben und zu bekommen. Einmal hat er das versucht und wurde dann in den Karzer gebracht. Das ist ein sehr kleiner Raum, in dem man nicht sitzen kann. Vitali war sechs Stunden lang in diesem Raum. Außerdem schneiden sie ihm jeden Tag den Bart ab, gegen seinen Willen.
Über das Verhältnis zwischen Putin und Lukaschenko sagt sie:
Wladimir Putin unterstützt seinen Bruder im Geiste. Diktatoren unterstützen sich gegenseitig. Putin mag keine unvorhersehbaren Situationen.
Fazit: Weißrussland kämpft um seine Freiheit. Das Mindeste, was wir der tapferen Opposition schenken sollten, ist unsere Aufmerksamkeit.
Steffen Seibert ist die Stimme der Kanzlerin. Seit zehn Jahren arbeitet der frühere ZDF-Journalist als ihr Regierungssprecher. Der 60-Jährige ist Staatssekretär und Chef des 450 Mitarbeiter umfassenden Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, gleich gegenüber der Anlegestelle der Pioneer One am Schiffbauerdamm.
© imagoSeibert folgt der Kanzlerin auf Schritt und Tritt und gehört auch auf den Auslandsreisen zu den wichtigsten Begleitern der Regierungschefin. Wie erklärt man die Kanzlerin? Was waren die Höhe- und was die Tiefpunkte seiner Arbeit? Was genau ist Angela Merkel in ihrer Kommunikation wichtig?
© Anne HufnaglMeine Kollegen Michael Bröcker und Gordon Repinski werden Steffen Seibert heute um 17 Uhr an Bord der Pioneer One begrüßen, um diese und weitere Fragen mit ihm zu erörtern. Sie wollen mitreden? Dann sind Sie uns herzlich willkommen.
Sechs Tickets habe ich für engagierte Morning Briefing Leser oder Leserinnen beiseite gelegt, eine rasche E-Mail an events@mediapioneer.com sichert ihren Platz an Bord. Ich freue mich auf Sie.
In eigener Sache: Dagmar Rosenfeld übernimmt ab dem 4. September die Moderation der Freitags-Ausgaben des Morning Briefing Podcasts. Die Chefredakteurin der „Welt“ tritt im Morning Briefing damit die Nachfolge von Robin Alexander an. Ich freue mich auf diese kluge und temperamentvolle Kollegin. Sie ist bekennende Nonkonformistin - und damit meine Schwester im Geiste.
© imagoUnd noch eine Personalie, die sie interessieren dürfte: Der Aufsichtsrat der Media Pioneer Publishing AG wird mit sofortiger Wirkung durch Britta Egetemeier verstärkt. Die Literaturliebhaberin ist die erfolgreiche Penguin-Verlegerin und Geschäftsführerin der Verlagsgruppe Random House, die wiederum zu Bertelsmann gehört. Das oberste Kontrollgremium von Media Pioneer vereint damit als einziger Aufsichtsrat im Lande Managerinnen und Manager von Springer, Bertelsmann, der Musikfirma Universal und aus der Start-up-Szene. Möge dieses Team uns nicht nur beaufsichtigen, sondern auch inspirieren. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.
© privatUns allen wünsche ich einen schwungvollen Start in die neue Woche. Es grüßt Sie herzlichst Ihr