Staat züchtet Zombieunternehmen

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Guten Morgen,

wenn jemand wie Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing vor „Zombieunternehmen“ warnt, ist das keine Warnung, sondern eine Prophezeiung. Zum Auftakt der „Handelsblatt“-Bankentagung in Frankfurt sagte er:

Wenn jedes sechste Unternehmen in Deutschland durch Rettungsgelder und faktisch ausgesetzte Insolvenzmeldungen ein Zombie wird, dann hat das gravierende Auswirkungen auf die Produktivität unserer Volkswirtschaft.

Christian Sewing © dpa

Der Hintergrund seiner Aussage: Firmen, die eigentlich pleite sind, dürfen jetzt auf einen Insolvenzantrag verzichten. Mitarbeiter, die keine Arbeit haben, bleiben dank verlängertem Kurzarbeitergeld zwei Jahre auf der Gehaltsliste. So entstehen Zombieunternehmen, die aufgrund eines unprofitablen Geschäftsbetriebes nicht in der Lage sind, ihre Zinsen zu zahlen. Im ganzen Land entsteht eine Wohlstandsillusion.

  • Die Geldhäuser rechnen mit einer instabilen Situation über Jahre: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Wirtschaft in einigen Bereichen nur mit 90, 80 oder gar 70 Prozent ihrer Kapazität läuft“, erklärte der Chef von Deutschlands größtem Geldhaus.

  • Das Institut für Weltwirtschaft Kiel sagt: Je länger Kurzarbeitergeld „verabreicht wird, desto eher drohen unliebsame Nebenwirkungen, weil zunehmend Betriebe mit Kurzarbeitergeld finanziert werden, die nicht mehr marktfähig sind.“

Eine Infografik mit dem Titel: Unkalkulierbare Kettenreaktion

Zombieunternehmen in Deutschland

  • Die Auskunftei Creditreform schätzt die Zahl der verdeckt überschuldeten Unternehmen auf 550.000 ein. Sollte die Anmeldepflicht, wie von der Bundesjustizministerin geplant, weiter ausgesetzt werden, dürfte die Zahl auf 700.000 bis 800.000 Firmen steigen. Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter Wirtschaftsforschung bei der Auskunftei Creditreform, sagt:

Die Lage verschlimmert sich von Tag zu Tag. Denn die Insolvenzen werden derzeit nur verschoben. Dadurch könnten viele derzeit noch gesunde Firmen mit in den Abgrund gerissen werden.

 © dpa

Auch BaFin-Chef Felix Hufeld teilt nicht den Optimismus der Regierung:

Wir haben das Schlimmste ganz sicher noch nicht gesehen.

Fazit: Der Bundesfinanzminister sagt, er rettet die Unternehmen. Dabei werden von ihm Zombiefirmen gezüchtet, die bald schon als die Untoten der deutschen Volkswirtschaft durch das Land spuken. Olaf Scholz geht öffentlich nahezu unbehelligt zu Werke, weil der Mainstream der Medien ihm wider aller ökonomischer Rationalität folgt.

Oder um es mit Theodor Fontane zu sagen: „Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit an.

 © imago

In eigener Sache ist der BaFin-Chef allerdings weniger kritisch. Einen Rücktritt im Wirecard-Skandal schließt er weiter aus. Salbungsvoll erklärte Felix Hufeld auf der Handelsblatt-Tagung:

Ich diene meinem Land und Europa. Solange mein Land und Europa mir dieses Vertrauen entgegenbringen – und das spüre ich, und das wird mir auch sehr deutlich entgegengebracht – werde ich meine Pflichten weiter erfüllen.

 © dpa

Dabei wurde jetzt durch eine parlamentarische Anfrage an die Regierung bekannt, dass die BaFin-Mitarbeiter nicht nur Beobachter der Finanzmärkte sind, sondern auch Teilnehmer. Mit keiner anderen Aktie wurde in der staatlichen Aufsichtsbehörde so häufig Handel getrieben wie mit der Wirecard-Aktie. Dieser Sachverhalt kann den Beobachter, je nach Temperament, erstaunen oder empören.

Alexej Nawalny © dpa

Nun ist klar: Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wurde Opfer eines Giftanschlags. Ein Speziallabor der Bundeswehr hatte eine toxikologische Untersuchung durchgeführt und konnte den „zweifelsfreien Nachweis“ erbringen, dass es sich um einen chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe handelt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht von einem „versuchten Giftmord“ und kritisiert Russland in der Öffentlichkeit so scharf wie noch nie:

Alexej Nawalny wurde Opfer eines Verbrechens. Er sollte zum Schweigen gebracht werden. Der Angriff richtet sich gegen die Grundwerte und Grundrechte, für die wir eintreten. Ich verurteile den Vorgang im Namen der ganzen Bundesregierung auf das Allerschärfste.

Die deutsch-russischen Beziehungen sind damit angespannt wie lange nicht mehr. Die politische Legitimation für den Gasdeal mit Putins Gazprom schwindet. Der amerikanische Druck, das Projekt Nord Stream 2 zu beenden, verstärkt sich, weil ein aggressiver Putin sich selbst beschädigt.

 © dpa

Gestern schaute Tesla-Chef Elon Musk bei einer Klausur der Unionsfraktionsspitze im Berliner Westhafen vorbei – unser Redaktionsschiff lag nur wenige Meter davon entfernt.

Dabei würdigte Musk die Zusammenarbeit zwischen Tesla und dem Biotech-Unternehmen Curevac. Er verwies auf eine gemeinsam entwickelte Maschine im Foyer des Klausurgebäudes, die voll automatisiert Impfstoff produziert. Diese sei eine „wirklich revolutionäre Technologie“.

Auch das ist eine neue Normalität in Deutschland: Die eigenen Dax-Kapitäne taugen der größten Regierungspartei nicht mehr als Vorbilder. Die Propheten werden importiert.

Die Rente ist nicht sicher, dafür aber teuer: In einem Bericht der Bonner Behörde beziffert der Bundesrechnungshof die Mehrausgaben aller Rentenreformen der jüngeren Vergangenheit auf rund 177 Milliarden Euro bis 2025. Das entspricht rund fünf Prozent der gesamten Rentenausgaben für diesen Zeitraum.

Die Rechnungsprüfer betrachten in ihrem Bericht die Auswirkungen aller Reformen der Alterssicherung seit 2014: Dazu zählen unter anderem die zweimalige Ausweitung der Mütterrente, die Rente mit 63, Verbesserungen der Erwerbsminderungsrente sowie die sogenannte „doppelte Haltelinie“. Auch die erst vor der Sommerpause beschlossene Grundrente wird berücksichtigt.

Aktuell sind im Bundeshaushalt über 100 Milliarden Euro an Mitteln für das System der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen. Angesichts dieser Zahlen sieht der Rechnungshof die Gefahr einer Überforderung des Bundes durch rasant steigende Ausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung. Mehr darüber wissen meine Kollegen in der aktuellen Ausgabe des Hauptstadt-Newsletters zu berichten.

Wir leben in einer Zeit der Düsterkeit. Die Corona-Pandemie lähmt nicht nur die Politik und die Wirtschaft, sie lähmt auch unsere Gedanken. Pessimismus statt Optimismus, Angst statt Zuversicht, Verdruss statt Freude. Nicht wenige sind dem Alarmismus verfallen.

 © dpa

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron begründete im März die Ausgangssperren in seinem Land mit folgenden Worten:

Wir sind im Krieg!

Der Philosoph Slavoj Žižek schrieb ebenfalls im März:

Das Unmögliche ist geschehen, unsere Welt hat aufgehört.

Andreas Rosenfelder, Kulturchef der „Welt“, kommentierte im April:

Der Alltag fühlt sich an wie ein Kriegszustand, der Feind lauert überall.

Aus diesem Chor der pessimistischen Stimmen sticht mit der Sängerin Lotte eine junge Frau heraus, die ihre Karriere auf Zuversicht gründet. Das aktuelle Lied der 25-Jährigen, die mit bürgerlichem Namen Charlotte Rezbach heißt, trägt den Titel „Mehr davon“. Die Verse klingen so:

„Wie oft seh ich vor Bäumen den Wald nicht mehr

Wie oft lass ich mich stehen, lauf anderen hinterher

Vergrab meine Träume, leih mir andere aus

Mein Original gegen 'ne Kopie getauscht.

Aber was ist ein Leben, wenn man es nicht lebt

Und was zählen die Jahre, wenn man sie nur zählt.“

Klick aufs Bild führt zur aktuellen Podcast-Folge

Optimismus ist derzeit von allen Gefühlen das unmodernste. Deshalb wollte ich Lotte kennenlernen und habe sie in das Podcast-Studio eingeladen. In unserem Gespräch, das um die Worte Mut und Zuversicht kreist, sagt sie:

Ich merke, dass Veränderung möglich ist. Ich merke, dass eine Gesellschaft plötzlich Dinge schaffen kann, die sie davor nicht geschafft hat.

Für mich ist Musik eine Möglichkeit, Menschen mit Gefühlen und Hoffnung, mit Optimismus und Zuversicht anzustecken.

Es ist noch viel mehr Mut möglich.

Prädikat: beeindruckend.

Gestern Abend war die offizielle Buchvorstellung von „Die unbequeme Wahrheit“ im Kreise von Verlagsmanagern, Journalisten und Buchhändlern. Ich danke meiner Kollegin Chelsea Spieker (Foto oben) für die charmante Moderation und ich danke den Kollegen von BILD bis Stern, von NZZ über dpa bis zum ZDF für diese gemeinsame Expedition auf der PioneerOne. Und dass auch meine Verlegerin Britta Egetemeier, Mitglied der Geschäftsführung von Random House, den Weg von München nach Berlin gefunden hat, war keine Selbstverständlichkeit, sondern eine große Ehre. Jetzt freue ich mich auf die geplanten Buch-Touren mit den Lesern und Leserinnen.

 © Anne Hufnagl

Ich wünsche Ihnen einen optimistischen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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