Finanzminister Olaf Scholz hat als Wiedergänger von David Copperfield in diesen Tagen seinen großen Auftritt: Täglich zaubert er ein neues Kaninchen aus dem Zylinder, eines wuchtiger als das andere: Ermächtigungen. Zuschüsse. Kredite.
► Über die in Frankfurt ansässige Kreditanstalt für Wiederaufbau wird ein Finanzierungsrahmen in Höhe von 600 Milliarden Euro angeboten. Zielgruppe sind Firmen, die durch das Coronavirus einen Schaden erlitten haben. Die Hausbanken verleihen, der Staat haftet.
► Aus der Kasse der Bundesagentur für Arbeit stehen allein in 2020 rund zehn Milliarden Euro für Kurzarbeitergeld bereit. Sollte die Zahl der Kurzarbeiter auf die vom Arbeitsministerium geschätzten 2,15 Millionen steigen, wäre ein knappes Drittel der Rücklagen der Bundesanstalt aufgezehrt.
► Direkt aus dem Bundeshaushalt können 50 Milliarden Euro an Kleinunternehmer, Freiberufler und Solo-Selbstständige vergeben werden. Dieses Geld ist als Zuschuss vorgesehen und wird auf Nimmerwiedersehen aus der Staatskasse verschwinden.
► Der Kinderzuschlag für berufstätige Eltern, die Einkommenseinbußen durch Schul- und Kita-Schließungen nicht vermeiden konnten, wird ausgeweitet. Die Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens (maximal 2016 Euro) gilt für sechs Wochen. Fünf Milliarden Euro stehen abrufbereit.
© imago► Im Gegenzug schrumpfen die Einnahmen dahin: Durch den Lockdown mit angeschlossener Wirtschaftskrise rechnet der Bund in seinem Nachtragshaushalt mit 33,5 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen. Fürs Gesamtjahr werden knapp 50 Milliarden Euro weniger veranschlagt. Der Finanzminister („Es wird nicht gekleckert, sondern geklotzt“) hat eine unbürokratische Geldzuweisung an die Bedürftigen aller Art versprochen, was im Umkehrschluss für viele bedeutet: Ran an die staatlichen Fleischtöpfe. Das Scholz-Kaninchen wartet. Der Appetit kommt beim Essen. Und so werden derzeit Milliarden abgerufen, obwohl die Gewinnentwicklung im Jahr 2019 gut, die Liquiditätsversorgung üppig und die entsprechenden Dividendenzusagen der Aktiengesellschaften großzügig waren. Der deutschen Wirtschaft geht es – Einzelhändler, Gastronomen und Kulturschaffende immer ausgenommen – nach einer zehn Jahre währenden Hochkonjunktur zwischen gut und prächtig.
► Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hat sämtliche Gewinne vor Zinsen und Steuern der 100 größten börsennotierten Unternehmen in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 addiert. Das stolze Ergebnis: 81 Milliarden Euro kommen da zusammen. Der Boom dauerte fast im gesamten ersten Quartal 2020 an.
► Die 30 DAX-Konzerne verfügen einer Auswertung der „WirtschaftsWoche“ zufolge über Barmittel in Höhe von 362,7 Milliarden Euro.
► In 2019 wurden von den Dax-Konzernen laut EY rund 37 Milliarden an Dividenden ausgeschüttet. Viele Firmen planen auch in 2020 eine Ausschüttung, zumal ja diese Gewinnzahlungen an die Aktionäre sich auf das abgelaufene Geschäftsjahr beziehen.
Eine Infografik mit dem Titel: Höhere Dividende trotz Krise?
Auflistung der Dax-Konzerne mit höheren Dividendenversprechen
Fazit: Der Staat muss seine Großzügigkeit überdenken, zumal die Geldausreichungen vieler Hilfsprogramme an keine Bedürftigkeitsprüfung gekoppelt sind. Der gemeine Hartz-IV-Empfänger wird härter rangenommen. Wir sollten bedenken: Jedes Kaninchen, das der Magier Scholz aus dem Hut zaubert, hat der Steuerzahler ihm vorher hineingesteckt.
Schon regt sich Widerstand, vornehmlich in den Reihen der Regierungsparteien. Die bedingungslose Großzügigkeit des Staates stößt, zumal beim zweiten Nachdenken, auf Stirnrunzeln. Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, twitterte :
© dpaWer auf Staatshilfe setzt, kann nicht gleichzeitig Gewinne an Aktionäre ausschütten. Das ist die hässliche Fratze des Kapitalismus. Ich bin deshalb in diesen Fällen für einen generellen Dividendenstopp.
Thomas Heilmann, Unternehmer und CDU-Bundestagsabgeordneter, sieht es ähnlich. Im Fraktionsvorstand von CDU/CSU machte er darauf aufmerksam, dass es bisher kaum Ausschlusskriterien für Staatshilfen gebe. Auch Firmen, die Milliarden an die Anteilseigner ausschütten, würden vom Steuerzahlergeld profitieren. Er findet:
Mich stören Unternehmen, die einerseits den Steuerzahler um Hilfe bitten und gleichzeitig ihre Gesellschafter bedienen, sprich Dividenden auszahlen oder Aktien zurückkaufen. Das geht gar nicht. Das ist schon an der Grenze von Paragraf 826 BGB, sittenwidrige Beschädigung.
Heilmanns Idee:
Mein Vorschlag ist, wir fangen mit einem Appell an die Wirtschaft an. Wenn das nichts nutzt, würden wir gesetzliche Auflagen machen. Liquiditätshilfen, KfW-Kredite et cetera bekommt nur, wer auf Ausschüttungen an die Gesellschafter verzichtet.
Anders als der Sozialdemokrat Schneider will Christdemokrat Heilmann allerdings das Kurzarbeitergeld von dieser kritischen Betrachtung ausnehmen, wie er im Morning Briefing Podcast erklärt. Der Grund:
Das Kurzarbeitergeld ist ein besonderer Fall, das ist eine Versicherungsleistung. Dafür haben die Unternehmen bezahlt und es ist ja mehr eine Hilfe für die Mitarbeitenden als für die Unternehmen. Denn diese sollen vor Arbeitslosigkeit geschützt werden und ihre Arbeitsfähigkeit erhalten.
Fazit: Das Budgetrecht - also das Recht, über Einnahmen und Ausgaben des Staates zu entscheiden - gehört wieder in die Hände der frei gewählten Abgeordneten. Die demonstrative Großzügigkeit des Finanzministeriums verführt zum Missbrauch. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Krisenzeiten sind Zeiten der Exekutive – und damit harte Zeiten für die Opposition. Ihre täglichen Werkzeuge – der Einwand und die Ablehnung der Regierungsarbeit, also in Wahrheit: das Verfassen einer Presseerklärung – wirken stumpfer als stumpf.
Aber wo bitte sind – in Zeiten der massiven Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten – die Liberalen geblieben? Warum sind auch Grüne, AfD und Linke de facto verstummt? Darüber spreche ich im Morning Briefing Podcast mit dem Parteienforscher Prof. Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen.
© imagoÜber die jüngsten Erfolge der Union in den Umfragen sagt er:
Wir erleben, wie schnell unter Überraschungsbedingungen sich Einstellungen verändern. Hier ist es natürlich die Krisenlotsin, die belohnt wird. Sie hat in der Lage gelernt, weil sie erstmals erzählt, erklärt, appelliert, begründet. Das hat sie nie zuvor gemacht.
© dpaDas Ergebnis drückt eine Anerkennung dieses Bescheidenheitsimperativs aus; dieser Empörungslosigkeit, mit der sie krisenfest agiert.
Dass die Kanzlerin aufgrund dieser Zustimmungswerte sich doch noch einmal um den Posten im Kanzleramt bewirbt, glaubt Korte nicht:
Sie hat die historische Chance, würdevoll bedeutungslos zu werden.
Eine Infografik mit dem Titel: Merkel-CDU profitiert
Umfrageergebnisse (Sonntagsfrage) der Bundestagsparteien in 2020,in Prozent
Die Grünen sieht Korte nicht mehr als echte Oppositionspartei. Durch ihre Regierungsverantwortung in elf Bundesländern verhielten sie sich derzeit als eine „kooperative Opposition“. Für das schlechte Abschneiden der FDP in der Sonntagsfrage – Christian Lindner surft hart an der Fünf-Prozent-Grenze – macht der Parteienforscher nicht die Liberalen, sondern die deutsche Gesellschaft verantwortlich:
Wir haben eine große Staatsgläubigkeit. Und eine Partei, die das Private und das Marktgeschehen immer noch stärker ins Zentrum rückt als die Staatsgläubigkeit, besitzt wenig Chancen auf Unterstützung.
Die Menschen würden sich in Zeiten wie diesen keine Oppositionsparolen wünschen, sondern Konsens:
Die Schlichtungsdemokratie möchte gar nicht den oppositionellen Widerstand haben, sondern sie möchte im Moment eine gute Verordnungsregierung haben, die uns beschützt und durch das Schlimmste führt.
Der virologische Imperativ ist immer auch einer, der sich gegen Freiheit ausspricht
Solange Deutschland im Krisenmodus verharrt, sieht er keine Marktlücke für die AfD:
Sie ist eher destruktiv in ihrer Programmatik. All das braucht man im Moment nicht. Man möchte jetzt Gefühlsmanager des Muts haben, und dazu eignet sich eine Protestpartei – die noch dazu im Osten sehr stark als eine völkische Partei auftritt – unter keinen Umständen.
Fazit: Die gute Nachricht, die sich den demoskopischen Befunden klar entnehmen lässt, ist diese: Der Kitt der Gesellschaft hält. Der Gemeinsinn wird in der Krise gestärkt. Die Mitte lebt.
Italien drängt weiter auf Eurobonds, also die Mithaftung der Deutschen für italienische Schulden. Vor dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs pokert Premier Giuseppe Conte hoch – auch mit gezinkten Karten. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ schreckt der Ministerpräsident - unwidersprochen vom Interviewer – nicht vor einer Falschaussage zurück:
Ich möchte hier einmal in aller Deutlichkeit unterstreichen: Außer im Jahr 2009 hat keine italienische Regierung der vergangenen 22 Jahre mehr Geld ausgegeben als reinkam.
Die Realität sieht anders aus. In keinem einzigen Jahr seit 1988 waren die Einnahmen und die Ausgaben des italienischen Gesamtstaates miteinander in Einklang. Im Jahr 2019 betrug die Deckungslücke gar 45 Milliarden Euro. Das entspricht dem Jahresetat der Bundeswehr oder drei Mal dem Etat der Bundesministerin für Forschung und Bildung.
Eine Infografik mit dem Titel: Leben jenseits der eigenen Verhältnisse
Staatseinnahmen und Staatsausgaben Italiens, in Millionen Euro
Eine Infografik mit dem Titel: Italien: Das neue Griechenland
Entwicklung der Staatsverschuldung, indexiert in Prozent
Über die aktuelle Lage in Italien spreche ich im Morning Briefing Podcast mit der Journalistin und Rom-Korrespondentin Constanze Reuscher. Sie sagt:
Es wird den deutschen Egoismus vorgeworfen, dass sie nicht solidarisch sein wollen mit Italien, dass sie Italien nicht genug unter die Arme greifen wollen, obwohl das Land so schwer von der Krise getroffen ist.
Die Forderungen der Regierung nach Eurobonds stoße bei ausländischen Beobachtern auch auf Verwunderung, berichtet die Journalistin. Denn offen ist, wie Italien eine noch größere Verschuldung nachhaltig helfen solle, auf die Beine zu kommen.
Es ist fast so, als sei Italien taub auf diesem Ohr.
Deutlich werde das in der Coronakrise vor allem im Gesundheitswesen, so Reuscher:
Dieses italienische Gesundheitssystem wird immer so hochgelobt, weil es sehr demokratisch ist, sehr sozial. Aber es ist nicht gut organisiert. Man darf auch eines nicht vergessen: Es hat sehr viel Korruption gegeben, gerade in der Lombardei, um das Gesundheitssystem herum.
Reuscher stellt eine „Realitätsverschiebung“ auch in den Medien fest, die nicht ausreichend und objektiv genug berichten würden:
Die Medien sind sehr tendenziös.
Die wirklich kritischen Debatten zur Angleichung des Sozialsystems, das wiederum eine Voraussetzung für Eurobonds wäre, würden nicht geführt:
Es kann ja nicht sein, dass der deutsche Arbeitnehmer bis zum 67. Lebensjahr arbeiten muss und der Italiener mit 63 nach Hause gehen kann. Das sind Dinge, die sehr wenig diskutiert werden.
Wir lernen: Auch Freunde können irren. Deutschland muss – schon im Interesse der europäischen Werte – auf Seriosität bei der Staatsfinanzierung bestehen. Das ist nicht unfair, sondern klug. Die Amerikaner würden von „tough love“ sprechen.
Erstens: Der Bundestag startet am heutigen Mittwoch in eine auf zwei Tage verkürzte Sitzungswoche, die stark im Zeichen der Corona-Pandemie steht. So wird am Nachmittag neben Verkehrsminister Andreas Scheuer auch Gesundheitsminister Jens Spahn den Abgeordneten Rede und Antwort stehen.
Zweitens: Die Spitzen von Union und SPD beraten ab 17 Uhr über die aktuelle Gesundheitskrise und mögliche weitere Hilfsmaßnahmen. Beim Treffen mit der Kanzlerin wollen sie im Kanzleramt unter anderem über die Forderungen nach Anhebung des Kurzarbeitergeldes und nach Steuerhilfen für die Gastronomie sprechen.
Drittens: Das Paul-Ehrlich-Institut informiert nachher über die erste klinische Prüfung eines möglichen Impfstoffs gegen Sars-CoV-2 in Deutschland. Das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel lädt zum Pressebriefing ein.
© imagoViertens: Die EU-Außenminister beraten über die schlechter werdende Lage im Bürgerkriegsland Libyen. Hintergrund ist die Sorge, Hunderttausende Migranten könnten sich in der aktuellen Ausnahmesituation auf den Weg nach Europa machen.
© imagoFünftens: 150 Jahre nach der Geburt von Wladimir Iljitsch Lenin feiern Kommunisten in vielen Ländern den Anführer der großen sozialistischen Oktoberrevolution. Öffentliche Aktivitäten aber bleiben weitestgehend aus: Das Mausoleum mit dem einbalsamierten Leichnam Lenins ist wegen der Pandemie geschlossen, in Russlands Hauptstadt gelten Ausgangssperren. In den Straßen patrouilliert die Armee, was man als würdiges Geburtstagsgeschenk werten kann. Es gilt das Leninsche Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ich wünsche Ihnen einen gesunden Start in den neuen Tag.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr