die Medien huldigen einem „Kult der Kurzfristigkeit“, schrieb unlängst der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in der „Süddeutschen Zeitung“. Er sprach vom „Stichflammen-Spektakel“ und dem „Gefangensein im Moment“. Wir erleben, meinte er, „die Verdrängung des Wichtigen durch das bloß Spektakuläre, Grelle und Banale, das in betäubender Intensität über unsere Bildschirme flimmert.“
Man wünschte sich, es handele sich hier um eine Polemik. Aber das tut es nicht. Der Mann hat mit seiner Philippika mehr recht, als unserer Gesellschaft gut tut.
Wir schauen mit Tränen der Wut und der Trauer auf den Flughafen von Kabul, wo unsere Freunde vergeblich auf unsere Freundschaft warten. Wir sind gefangen im Moment.
Wir schauen auf den adrettesten Außenminister der Welt und sein engmaschiges Netz von Botschaftern und Geheimdienstlern, die nichts hörten und nichts fühlten. Erst als die Taliban in der Tagesschau an ihm vorbeimarschierten, nahm er Notiz.
© dpaWir schauen auf die Flut, die unsere Liebsten in den Tod riss. Die Sirenen blieben stumm. Das Wasser holte sich die Menschen heimlich.
Wir schauen auf die Firma Wirecard, die unter den Augen der Aufsichtsbehörde verpuffte. 20 Milliarden Anlegergeld haben sich in Luft aufgelöst. Der oberste Chef der Aufsichtsbehörde will jetzt Kanzler werden.
Eine Infografik mit dem Titel: Wirecard: Der Untergang
Kursverlauf der Wirecard-Aktie seit Januar 2020, in Euro
Durch den Stichflammen-Journalismus, der sich schnell entzündet und genauso schnell wieder verglüht, nehmen wir die große Klammer nicht wahr, die all diese Ereignisse verbindet: Unser Staat ist nicht mehr der Alte. Er ist nicht bösartig, nur festgerostet. Wir werden nicht links und nicht rechts, nur schlecht regiert.
Es geht dabei nicht um den Moment. Es geht um eine ganze Sequenz. Es geht nicht um Personen. Es geht um Strukturen und Institutionen. Es geht um das Relevante, nicht um den Radau. Es geht um die Dysfunktionalität einer Staatlichkeit, die im Helmut-Schmidt-Wahlkampf des Jahres 1976 noch als „Modell Deutschland“ auf den Plakaten stand – und ihm den Wahlsieg bescherte.
Dieses Modell Deutschland ist im Nebel der Geschichte verschwunden. Früher meinte das Wort „Staatsversagen“ einen Skandal, heute beschreibt es die Normalität.
Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben sich in der Afghanistan-Berichterstattung gehörig blamiert. Derweil die großen amerikanischen Privatsender, allen voran CNN, aber auch die britische BBC, selbstverständlich live aus Kabul berichten, bieten ARD und ZDF Retorten-TV aus dem nahe gelegenen Indien. Der Kontrast könnte größer kaum sein: Auf CNN werden Taliban-Krieger von der nunmehr verschleierten Reporterin Clarissa Ward interviewt und erkennbar traumatisierte Afghanen bringen ihre Gefühle zum Ausdruck.
© CNNIm deutschen Staatsfernsehen zeigt man Haltung und serviert Informationen von nicht näher benannten „Beobachtern“ und „Experten“. Wenn es in der deutschen Medienlandschaft mit rechten Dingen zuginge, dürfte man mindestens für den Monat August seine Gebühren zurückverlangen. Mit ARD und ZDF sitzt man derzeit in der letzten Reihe, kurz vor dem Notausgang.
© ARDGestern hat Gesundheitsminister Jens Spahn, der zugleich stellvertretender Vorsitzender der CDU ist, die PioneerOne besucht. Mit Michael Bröcker sprach er über die Corona-Pandemie, den Stolperwahlkampf der CDU und die dramatischen Ereignisse in Afghanistan.
© Anne HufnaglZunächst ging es darum, den Terroristen ihren Rückzugsraum zu nehmen und sie auch zu besiegen. Umso bitterer ist das, was gerade passiert.
Angesprochen auf die Bedeutung der Geschehnisse für den Bundestagswahlkampf sagt Spahn:
© Anne HufnaglWir müssen jetzt diejenigen vor den Taliban schützen, die uns geholfen haben; die, auf die wir uns verlassen konnten. Das ist für mich zutiefst angelegt im konservativen und bürgerlichen Denken. Deswegen ist die Thematik aus meiner Sicht nicht zuerst eine Frage des Wahlkampfes.
Das gesamte, rund 50-minütige Gespräch hören Sie jetzt auf ThePioneer.de. Und ab 8 Uhr in der Pioneer-Podcast App auf Google und Apple. Oder schauen Sie die Highlights im Video.
Nach der Machtübernahme der Taliban spielen sich in der Hauptstadt Kabul weiterhin dramatische Szenen ab. Die aktuellen Entwicklungen im Überblick:
Kanzlerin Merkel bezeichnete die Lage in Afghanistan am gestrigen Abend als eine „überaus bittere Entwicklung.“ Vor allem für die Menschen in Afghanistan wäre es „bitter, dramatisch und furchtbar.“ Der internationale Einsatz sei „nicht so geglückt und nicht so geschafft worden, wie wir uns das vorgenommen haben.“
Im Laufe des gestrigen Tages eskalierte die Lage an Kabuls Flughafen: Nach der Abriegelung der Landesgrenzen durch die Taliban bietet der „Hamid Karzai International Airport“ die letzte Möglichkeit, das Land zu verlassen. Berichten zufolge sind mindestens sieben Menschen in dem Chaos ums Leben gekommen.
Derweil erweitern die USA ihre Streitkräfte am Flughafen in den kommenden Tagen auf 6.000 Soldaten, um eine sichere Ausreise von Diplomaten, internationalen Bürgern und Ortskräften zu garantieren. Die erhöhte Präsenz – im Frühjahr waren nur noch 2.500 US-Soldaten in Afghanistan im Einsatz – ist laut Präsident Biden aber nur vorübergehend.
Der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr verzögerte sich. Zwei Transportflugzeuge vom Typ A400M hingen zeitweise in Baku fest, da sie in Kabul nicht landen konnten. Ein weiterer Militärflieger dieser Art sowie ein Airbus A310 MRTT flogen am vergangenen Nachmittag in die usbekische Hauptstadt Taschkent, um von dort für Evakuierungen bereitzustehen. Am späten Abend konnte eine der Bundeswehr-Maschinen in Kabul unter schwierigen Bedingungen landen.
Laut „Business Insider“ ist der Bundesnachrichtendienst noch im Juni überzeugt gewesen, dass die Machtübernahme der Taliban zwar kommen, doch noch zwischen 18 und 24 Monate dauern würde.
Außenminister Heiko Maas hatte gestern Nachmittag die Fehleinschätzung der Afghanistan-Lage eingestanden. „Es gibt nichts zu beschönigen“, erklärte der SPD-Mann:
Es gebietet die Ehrlichkeit, das in aller Form so einzugestehen.
China hat erklärt, mit den neuen Machthabern „freundliche Beziehungen“ pflegen zu wollen. Außenamtssprecherin Hua Chunying:
China respektiert das Recht des afghanischen Volkes, unabhängig sein eigenes Schicksal zu entscheiden und ist bereit für freundliche und kooperative Beziehungen mit Afghanistan.
Russland hält seine Botschaft in Kabul weiterhin offen und plant, mit Vertretern der Taliban über die Sicherheit der Diplomaten zu sprechen.
Finanzminister Olaf Scholz will die Anhebung des Mindestlohns zu seinem zentralen Regierungsvorhaben machen. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts von April 2018 verdient rund jeder vierte deutsche Beschäftigte weniger als zwölf Euro pro Stunde. Darauf beruft sich auch der Finanzminister, wenn er sagt:
Mein wichtigstes Gesetz, das ich sofort auf den Weg bringe, ist, für zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger eine Gehaltserhöhung zu organisieren.
Vom aktuellen Mindestlohn, der bei einem Stundensatz von 9,60 Euro liegt, profitieren nur 1,42 Millionen. Somit würde Scholz aus rund acht Millionen Niedriglohnbeschäftigten, zu denen auch Berufseinsteiger und Teilzeit-Jobber gehören, künftig Mindestlohnbeschäftigte machen. Die Tarifautonomie – die den Preis der Ware Arbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern aushandelt – wäre damit spürbar eingeschränkt. Die staatliche Preisfestsetzung würde rund ein Viertel aller Erwerbstätigen betreffen.
Als Inspiration nutzt der Finanzminister das Wahlkampfversprechen des amerikanischen Präsidenten Joe Biden: 15 Dollar solle jeder Amerikaner in der Stunde erhalten.
Fazit: Ludwig Erhard hatte sich die von ihm eingeführte Soziale Marktwirtschaft anders vorgestellt.
Das erfolgversprechendste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstands ist der Wettbewerb.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) legt sich nun fest: Sie spricht sich für Corona-Impfungen für alle Kinder und Jugendlichen ab zwölf Jahren aus. Sie begründet ihre Entscheidung mit neuen verfügbaren Daten, insbesondere aus dem amerikanischen Impfprogramm mit fast zehn Millionen geimpften Kindern und Jugendlichen. Es könnten nun mögliche Risiken zuverlässiger beurteilt werden, so das Gremium.
Zugleich sprach sich die Kommission ausdrücklich dagegen aus, dass die Impfung bei Kindern und Jugendlichen „zur Voraussetzung sozialer Teilhabe gemacht wird“. Regierungssprecher Steffen Seibert versicherte in Berlin, es werde für Schüler keine Pflicht zur Impfung geben:
Das Impfen wird nicht zur Bedingung für den Schulbesuch.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Impfstand
Anteil der vollständig geimpften Personen nach Bundesland, in Prozent
Gestern traf sich Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, 40, mit Joschka Fischer, 73, in Frankfurt an der Oder. Der Ort sei für beide historisch, hieß es, da Fischer 2004 an der Stadtbrücke die Aufnahme Polens und neun anderer Länder in die EU feierte. Die damalige Masterstudentin sei mit in der Menge gewesen.
Gestern dominierte das Thema Afghanistan. Fischer war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister – in seiner Zeit ereigneten sich die Anschläge des 11. Septembers 2001 und der folgende Einmarsch westlichen Militärs in das Land am Hindukusch. Fischer kritisierte den schnellen Abzug der westlichen Truppen und warnte:
Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir unter Umständen eine größere Flüchtlingsbewegung aus Afghanistan heraus haben werden.
Baerbock sagte: Jetzt müsse sofortige Hilfe geleistet werden. „Es ist mehr als überfällig, dass die Bundesregierung endlich alles dafür tut, die Menschen zu evakuieren“, sagte sie. Und forderte „Kontingente im fünfstelligen Bereich“.
Heute feiert ein Power-Pärchen der europäischen Wirtschaft den doppelten Geburtstag: Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann und Ehemann Jürgen Thumann. Beide werden zeitgleich 80 Jahre alt.
Jürgen Thumann kam aus einer Unternehmerfamilie und übernahm mit nur 19 Jahren nach dem Tod des Vaters den Familienbetrieb:
© dpaDamit war ich Unternehmer! Eine Entscheidung, die ich nie bereut habe, obwohl sie die schwierigste meines Lebens war!
Er baute das geerbte Unternehmen erfolgreich aus, bis er es 1992 an den niederländischen Stahlkonzern Hoogovens verkaufte.
Von 2005 bis 2009 war er Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie und von 2009 bis 2013 Präsident von BusinessEurope.
Im unternehmerischen Erfolg steht ihm seine Frau in nichts nach. Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann studierte ursprünglich Medizin in Wien, als sie ihren ersten Ehemann Georg Schaeffler kennenlernte. Dieser war Unternehmer und hatte mit seinem Bruder zusammen die heutige Schaeffler AG gegründet. Die junge Studentin zog mit ihrem Mann in das mittelfränkische Herzogenaurach.
© dpaAls dieser 1996 starb, erbten Maria-Elisabeth Schaeffler und ihr Sohn, Georg F. W. Schaeffler, das Unternehmen. Gegen den Rat zu verkaufen übernahm Maria-Elisabeth Schaeffler den Vorsitz des nach dem Tod ihres Mannes gegründeten Beirates. Gemeinsam schafften es Mutter und Sohn, die Firmengruppe Schaeffler Group erfolgreich auszubauen.
2014 heiratete Maria-Elisabeth ihren Jürgen in Kitzbühel. Wir gratulieren herzlichst zum 160. Geburtstag und verneigen uns artig vor dem Lebenswerk der beiden.
Ich wünsche den beiden und Ihnen einen beherzten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr