Steinmeier: Falscher Mann am falschen Ort

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Guten Morgen,

Frank-Walter Steinmeier ist ein Präsident, dem man nichts vorwerfen kann. Außer genau das: Er ist der Mann, der immer das Richtige sagt. Er blieb in all den Jahren ein Staatsoberhaupt der politisch korrekten Allgemeinplätze. Großer Auftritt, kleine Ambition. Viele Reden, keine Idee. Er war der perfekte Repräsentant einer Großen Koalition, die in Wahrheit eine Graue Koalition war, weil sie das Land mit hohem Drehmoment im Leerlauf regierte: rasender Stillstand.

Wenn nun mit Verspätung in Deutschland eine Ära der Erneuerung beginnt, wie sie Grüne, FDP und Armin Laschet den Bürgern versprechen, dann ist Steinmeier der falsche Mann am falschen Ort. Er hatte seine Zeit. Neue Impulse wird er dem Land, das so dringend der Inspiration und der geistigen Wegweisung bedarf, nicht geben können.

Richard von Weizsäcker © dpa

Gesucht werden jetzt Präsidentschaftskandidaten, die jenem sagenumwobenen Neuland lustvoll entgegenstapfen, von dem Angela Merkel sprach, ohne dass sie es selbst je betrat. Ihr wirtschaftspolitisches Erbe – das ist die Aufgabe für die Post-Merkel-Generation – muss nicht bewahrt, sondern aufgelöst werden. Der Staat muss effizienter, die Wirtschaft ökologischer und das Bildungssystem digitaler werden. Das ist für ein Land, das nach quälend langer Pandemie erschöpft wirkt, keine Kleinigkeit. Zumal das Vertrauen in die Fähigkeit der Regierenden weiter gelitten hat.

In der Krise schien es, als hätten sich die systemische Trägheit der Apparate und die geistige Unbeweglichkeit derer, die in diesen Apparaten handeln, gegen die Bürger verschworen. Ohne das Erfinderehepaar aus Mainz, das mit seiner Impfstoffforschung schließlich die Erlösung brachte, hätte die Ära Merkel mutmaßlich mit vielen weiteren Toten geendet. Der Mann in Schloss Bellevue jedenfalls war in diesem Jahr, als der Staat seine Bürger einsperrte, anstatt sie frühzeitig mit Masken, funktionierender Warn-App und einer professionellen Test-Infrastruktur auszustatten, nicht Merkels unbequemer Geist und Antreiber. Er war der von ihr installierte Mitläufer. Ihr Horizont war sein Horizont.

Joachim Gauck © dpa

In der neuen, der vor uns liegenden Zeit, wird ein Mit-, ein Vor- und vielleicht auch ein Querdenker gebraucht. Einer, der wie Joachim Gauck oder Richard von Weizsäcker qua eigener Lebensleistung über, vielleicht sogar außerhalb der Parteien steht.

Einer, der versteht, dass Deutschland nicht vom Kirchturm her gedacht werden darf, sondern von Europa.

Einer, der durchdrungen ist von der Überzeugung, dass die Marktwirtschaft erneuert, aber nicht liquidiert gehört.

Einer, der das Gemeinwesen in seiner Vielfalt verkörpert und nicht nur den Staat mit seinen oft blutleeren Gesellen.

Einer, der uns frei sprechen läßt, weil er selbst gern frei spricht, und nicht so angepasst wie Claus Kleber und seine KleberInnen.

Ralf Dahrendorf © dpa

„In Deutschland fehlt mir die Atemluft der Freiheit.“ Mit diesem traurigen Satz begründete der liberale Freigeist Ralf Dahrendorf im „Spiegel“-Gespräch 2001 seine Auswanderung nach London. Die Atemluft der Freiheit ist in Deutschland seither eher dünner geworden.

Das Amt des Bundespräsidenten, nur darauf kommt es zu dieser frühen Stunde im Entscheidungsprozess an, ist keine Trophäe für verdiente Parteifunktionäre und kein Trostpreis für gescheiterte Kanzlerkandidaten. Irgendeiner muss Steinmeier zeitnah mitteilen, dass das Schloss Bellevue keine Seniorenresidenz ist.

Die Parteien, die in Kürze die neue Mehrheit bilden wollen, sind aufgefordert, seinen dortigen Aufenthalt nicht zu verlängern, sondern zu beenden. Oder, um es mit Franz Kafka zu sagen: „Verbringe die Zeit nicht mit der Suche nach Hindernissen – vielleicht ist keines da.“

Elke Büdenbender und Frank-Walter Steinmeier vor dem Schloss Bellevue © dpa

Frank-Walter Steinmeier will nochmal; aber wer will Frank-Walter Steinmeier? Unser Hauptstadt-Team hat bei der Union, den Grünen und der FDP nachgefragt. Deren Strategien für den anstehenden Personal-Poker lesen Sie im Newsletter „Hauptstadt – Das Briefing“ oder auf ThePioneer.de:

Wer will Steinmeier?

Wie Christdemokraten, Grüne und Liberale über eine zweite Amtszeit Steinmeiers denken.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Börsenparkett © imago

Der Mathematiker und Makroökonom John Maynard Keynes, der eine russische Balletttänzerin heiratete und mit ihr später ein Theater in Cambridge eröffnete, kannte das Leben und den Kapitalmarkt. „Drei Dinge treiben den Menschen zum Wahnsinn“, resümierte er einst: „Die Liebe, die Eifersucht und das Studium der Börsenkurse.“

Klick auf Bild führt zur Podcast-Page

Um neben dem Wahnsinn der Weltkapitalmärkte auch deren rationales Momentum zu erfassen, habe ich mit Mr. Dax, Dirk Müller, gesprochen. Der 52-jährige ehemalige Börsenmakler und mehrfache Bestseller-Autor warnt davor, die hohen Börsenkurse in Europa und den USA als ausschließlich positive Aussage über den Zustand der Volkswirtschaften zu werten:

Das Vorjahr war katastrophal, die Erwartungen nicht viel besser und von daher war es gar nicht so schwer, jetzt vermeintlich gute Zahlen abzuliefern.

Er sieht eine zweigeteilte Ökonomie, die aus den Börsenstars der Großkonzerne und einem vielfach notleidenden Mittelstand besteht:

Der Mittelstand ist nicht an der Börse notiert, also sehen wir explodierende Aktienkurse, selbst wenn die Wirtschaft in Schwierigkeiten ist.

Eine Infografik mit dem Titel: Der Corona-Aufstieg

Verlauf des Dax, Dow Jones und Nasdaq, seit März 2020 in Punkten

Die Kurse seien im Wesentlichen nicht durch marktwirtschaftliche Prozesse verursacht, sondern durch massive politische Eingriffe von Regierungen und Notenbanken, erklärt er im Morning Briefing Podcast:

Einen freien Markt haben wir längst nicht mehr. Das ist ein Markt, der vollkommen von wenigen Spielern abhängt: Von den Notenbanken, von einigen Regierungschefs und von wenigen großen Wirtschaftsbossen. Wenn von einem dieser Spieler eine neue Entscheidung getroffen wird, dann haben wir eine neue Welt.

Er prophezeit eine zunächst weiter günstige Wertentwicklung der Aktien an den Börsen und dann – in einem späteren Stadium dieses Post-Corona-Aufschwungs – einen Inflationsschub, der durchaus auch massiv ausfallen könnte.

Fazit: Hier spricht einer, der sich von den hohen Börsenkursen nicht blenden lässt. Mr. Dax schaut durch das Kursfeuerwerk hindurch – und was er da sieht, das muss uns bekümmern. Er beschreibt nichts Geringeres als eine Wirklichkeit im Werden.

Eine Infografik mit dem Titel: Inflationsangst

Inflationsrate Deutschlands gegenüber dem Vorjahres-Monat, von April 2020 bis April 2021, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Inflation im Anmarsch

Inflationsrate in den USA gegenüber dem Vorjahresmonat, von April 2020 bis April 2021, in Prozent

Böses Erwachen im Land der Frühaufsteher

Für die CDU könnte es bitter werden. Bei der Sachsen-Anhalt-Wahl droht ihr ein schwerer Dämpfer.

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Veröffentlicht von Rasmus Buchsteiner.

Artikel

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 1978 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden 36 Todesfälle registriert.

  • Das deutsche Infektionsgeschehen entspannt sich weiter. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bundesweit mittlerweile bei 35,1. In allen Bundesländern ist die Inzidenz unter den Referenzwert von 50 gesunken.

  • In Deutschland haben 42,6 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens eine Corona-Schutzimpfung erhalten. 17,1 Prozent der Menschen sind vollständig geimpft. Zum Vergleich: In den USA hat die Hälfte der Bevölkerung mindestens eine Impfung erhalten und rund 40 Prozent sind vollständig geimpft.

  • Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU/CSU, Carsten Linnemann, spricht sich bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 100 für die Abschaffung der Testpflicht beim Einkaufen im Einzelhandel aus.

  • Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder fordert in der „Bild am Sonntag“ eine schnellere Zulassung des russischen Impfstoffs Sputnik V:

Der Impfmotor darf nicht stottern. Es darf nicht aus rein ideologischen Gründen getrödelt werden.

  • In Vietnam wurde eine neue Variante des Coronavirus entdeckt, eine Kreuzung der britischen und indischen Mutation. Die vietnamesischen Behörden wollen jetzt alle neun Millionen Einwohner von Ho-Chi-Minh-Stadt testen lassen.

  • Vizekanzler Olaf Scholz weiß, wie man den Deutschen die Frühlingsgefühle austreibt. Er spricht sich gegen eine Lockerung der Homeoffice-Pflicht aus. Begründung: „Das Virus ist noch nicht besiegt.“

Olaf Scholz © dpa
 © imago

Zum Ende der Woche notierte der Yuan auf dem höchsten Stand seit Mai 2018. Die chinesische Währung wurde zuletzt mit 6,3910 Yuan pro Dollar gehandelt. Damit ist der Yuan gegenüber dem Dollar in den vergangenen zwölf Monaten um rund elf Prozent gestiegen. Die chinesische Staatsführung hat damit im laufenden Jahr die beste Performance unter Asiens Devisen gezeigt.

Das Hoch hat vier Gründe:

  • China ist besser durch die Pandemie gekommen und im Konjunkturzyklus deutlich vor den USA und Europa: Im ersten Quartal wuchs die chinesische Wirtschaft um 18,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

  • Gleichzeitig sorgen starke ausländische Kapitalzuflüsse in Chinas Aktien- und Bondmärkten für eine wachsende Yuan-Nachfrage und eine entsprechende Aufwertungsfantasie. Die Kurse treiben die Währung.

  • Plus: Die chinesische Notenbank, die das Yuan-Dollar-Verhältnis mit einem Referenzkurssystem lenkt, scheint die momentane Rally des Yuan nicht bremsen zu wollen. Der Yuan steigt, der Staat steuert.

  • Und auch die Absage an die Kryptowährungen dürfte eine Rolle spielen. Die Kommunistische Partei macht damit klar, dass sie keine Zweitwährung in ihrem Einflussbereich akzeptieren wird. Marktwirtschaft ja, aber nur im Rahmen der währungspolitischen Vorgaben.

Fazit: Es muss nicht alles falsch sein, nur weil es aus der Volksrepublik China kommt. Die Zuschauerrolle gegenüber Bitcoin & Co, die man in Brüssel, Frankfurt und Washington eingenommen hat, nutzt den Spekulanten, aber nicht der Währungsstabilität.

Alexander Lukaschenko (links) und Wladimir Putin © dpa

Da haben sich zwei gefunden: Russland kündigt an, Weißrussland finanziell unter die Arme zu greifen. Bei einem Treffen zwischen Wladimir Putin und dem Diktator Alexander Lukaschenko wurde vereinbart, dass Weißrussland bis Ende Juni einen Kredit von 500 Millionen Dollar erhalten soll. Es ist der zweite Teil eines Kreditpakets in der Gesamthöhe von 1,5 Milliarden Dollar.

Belarus wird das Geld gut gebrauchen können. Denn sowohl die Europäische Union als auch die USA haben Sanktionen gegen das Land angekündigt. Grund dafür war die erzwungene Landung des Ryanair-Fliegers in Minsk mit der anschließenden Verhaftung des Bloggers und Regimekritikers Roman Protasewitsch. Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollen heute über ein neues europäisches Sanktionspaket beraten. Die Demokratie-Bewegung in Weißrussland wartet sehnsüchtig auf klare und effektive Beschlüsse.

Aktivistin in Weißrussland © Reuters
Max Otte © dpa

Der Fondsmanager Max Otte ist zum neuen Vorsitzenden der CDU-nahen Werteunion gewählt worden. Der Ökonom gewann die Wahl mit 115 zu 103 Stimmen – und das, obwohl der Verein den 56-Jährigen 2019 noch aus der CDU ausschließen lassen wollte. Grund dafür war ein Tweet, in dem er im Zusammenhang mit dem Mord an dem Politiker Walter Lübcke den Medien vorgeworfen hatte, Hetze gegen Rechte zu betreiben.

Auch sonst scheint Otte die Tür nach rechtsaußen nicht abschließen zu wollen. 2017 hatte der Deutsch-Amerikaner in einem Interview bekannt gegeben, die AfD bei der damaligen Bundestagswahl wählen zu wollen. An der Nominierung des Ökonomen zum neuen Vorsitzenden gab es Kritik von Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten. Glückwünsche kamen vom AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla. In weiten Teilen der Union herrscht Fassungslosigkeit.

Fazit: Für Armin Laschet hat die Zeit des Missvergnügens begonnen. Die Bindekraft der Angela Merkel schwindet, die Brandmauer nach rechts zeigt Risse.

„The Who“ in den 70er Jahren © imago

Vor 45 Jahren standen die Messgeräte im Londoner Stadion „Charlton Athletic Football Club“ 30 Meter von einer Bühne entfernt und die Nadel schlug aus bis auf stolze 126 Dezibel. Verantwortlich dafür war die Rockband „The Who“, die vor 75.000 Zuschauern das bis dahin lauteste Konzert der Welt spielte:

„People try to put us d-down (talkin' 'bout my generation)

Just because we get around (talkin' 'bout my generation)

Things they do look awful c-c-cold (talkin' 'bout my generation)

I hope I die before I get old (talkin' 'bout my generation)“

Der erreichte Wert, der höher ausfiel als bei einem startenden Düsenjet, schaffte es ins „Guinness Buch der Rekorde“ und hielt sich dort acht Jahre. Viele weitere Bands versuchten, diese Lärm-Leistung zu übertreffen, vorneweg „AC/DC”. Eines ihrer Konzerte war so laut, dass im Umkreis von sechs Kilometern alle Auto-Alarmanlagen ansprangen.

Doch der Wettbewerb endete. Das „Guiness Buch der Rekorde“ strich die Kategorie „Lautestes Rockkonzert der Welt“, um dem Lautstärke-Wahnsinn ein Ende zu setzen.

Roger Daltrey (links) und Pete Townshend © dpa

Die beiden Sänger von „The Who“, Roger Daltrey und Pete Townshend, gelten heute offiziell als taub – sie hätten sich mehr auf die stilleren Songs verlegen sollen. Die sind – das können auch die „Scorpions“ bestätigen – ohnehin die kommerziell erfolgreicheren.

Darin steckt denn auch die Lehre für uns alle: Vielleicht sollten wir uns das Leben nicht länger als eine fetzige Hardrock-Nummer vorstellen, sondern als gefühlvolle Ballade.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in diese sommerlich anmutende Woche. Bleiben Sie mir gewogen. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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