Friedrich Hegel darf sich knapp 190 Jahre nach seinem Tode durch die Ereignisse in Washington bestätigt fühlen: Auf den Outsider folgt der Insider, auf den Instinkt der Verstand, auf das Gepolter der wohltemperierte Ton; die Hegelsche Dialektik als die Lehre von der Selbstbewegung der Wirklichkeit bringt nach der Antithese Trump die Synthese Biden hervor. Diesen Versuchsaufbau hätte sich der Altmeister der Philosophie nicht besser ausdenken können.
© imagoHeute Nacht hat Donald Trump erstmals offiziell die Wahlniederlage eingeräumt und damit den Weg für die Amtsübergabe freigemacht. Das Kabinett der zornigen Milliardäre wird nun abgelöst durch ein Team der im Apparat geschliffenen Experten:
Antony Blinken, der schon unter Clinton (als Redenschreiber im Weißen Haus) wirkte, unter Obama (als Staatssekretär im State Department) diente und in der Entourage des Vizepräsidenten Biden (als dessen Nationaler Sicherheitsberater) zum Einsatz kam, soll nun als Außenminister die in aller Welt verstreuten Scherben der Trump-Jahre sammeln und neu verkleben.
Als Nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus wurde Jake Sullivan nominiert, ein enger Vertrauter von Hillary Clinton. Er war bereits im Außenministerium und ab 2013 ebenfalls als Nationaler Sicherheitsberater Bidens tätig.
Linda Thomas-Greenfield soll den Posten der UN-Botschafterin übernehmen. Die afroamerikanische Diplomatin war 35 Jahre lang im Außenministerium tätig, zuletzt von 2013 bis zum Eintreffen der Trump-Regierung als Afrika-Verantwortliche.
John Kerry, der Außenminister der zweiten Obama-Regierung und gegen George W. Bush gescheiterte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, findet als Klima-Sonderbeauftragter seine Anschlussverwendung.
Als Finanzministerin ist Ex-US-Notenbankchefin Janet Yellen, 74, vorgesehen. Als Anhängerin des Ökonomen John Maynard Keynes ist sie für Biden die ideale Besetzung. Der neue Präsident braucht, was Scholz und Merkel auch brauchen: frisches Geld durch neue Schulden.
Mit diesem Quintett beginnt die Renaissance der amerikanischen Außenpolitik wie sie immer war: meistens verlässlich, im Grunde internationalistisch gesinnt und im Fall der Fälle gern auch bellizistisch.
Blinken befürwortet eine Militärpolitik, die auch den Schutz der Menschenrechte („responsability to protect“) einbezieht. Die Intervention in Libyen 2011, die zum Sturz von Machthaber Muammar el-Gaddafi führte, ging auf seine Initiative zurück.
Blinken war als damals stellvertretender Sicherheitsberater im Weißen Haus derjenige, der Obama nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien 2011 zu einem militärischen Eingriff drängte. Der Präsident sprach immer wieder von einer „roten Linie”, die Machthaber Baschar al-Assad nicht überschreiten dürfte. Dieser wusste um die Rückendeckung Russlands und ging unvermittelt brutal gegen die eigenen Bürger vor. Obama zog zurück, Blinken kommentierte:
© imagoWir konnten einen schrecklichen Verlust an Leben nicht verhindern. Wir haben es nicht geschafft, massive Vertreibungen zu verhindern. Das ist etwas, das ich für den Rest meiner Tage mitnehmen werde.
Nicht nur, aber auch für die „Financial Times” ist die Nominierung von Blinken eine Entscheidung im Geiste der Realpolitik:
Blinken ist ein pragmatischer Realist, der an die Macht der USA glaubt, aber ihre Grenzen versteht. Er besitzt die wertvollste Währung in Washington – das Ohr des Präsidenten.
Europa und insbesondere die deutsche Exportnation hat von ihm Gutes, nämlich ein Ende des transatlantischen Handelskrieges zu erwarten. Erst im September sagte er bei einer Veranstaltung der US-Handelskammer:
Die EU ist der größte Markt der Welt. Wir müssen unsere Wirtschaftsbeziehungen verbessern.
Und dann fiel der für die deutschen Außenhändler erlösende Satz:
Wir müssen einen künstlichen Handelskrieg beenden, den die Trump-Regierung begonnen hat.
Eine Infografik mit dem Titel: Deutsche hoffen auf Biden
Antworten auf die Frage: Welche Aussagen treffen für Sie zu?, in Prozent*
Eine Infografik mit dem Titel: Komplizierte Beziehung
Antworten auf die Frage: Wie würden Sie aktuell das transatlantische Verhältnis beschreiben?, in Prozent*
Auch Trumps Vorhaben, die US-Wirtschaft vom wichtigen Handelspartner China zu entkoppeln, erteilt Blinken eine Absage:
Der Versuch, sich vollständig von China zu entkoppeln, ist unrealistisch und kontraproduktiv. Es wäre ein Fehler.
Fazit: Deutschland ist der lachende Dritte dieser US-Wahl. Obwohl es im Wahlkampf um Trump vs. Biden und nicht um Siemens, SAP und Volkswagen ging, hat die hiesige Exportnation gewonnen. CDU, SPD und BDI hätten das Biden-Kabinett nicht besser aufstellen können.
© dpaBund und Länder drängen die Kirchen wegen der Infektionsgefahr zur Absage normaler Gottesdienste. Diese Gefahr sei bei Zusammenkünften in schlecht gelüfteten Kirchenräumen und durch den Gesang der Menschen hoch. Man wolle das Gespräch mit den Kirchen suchen "mit dem Ziel der Kontaktreduzierung", heißt es in dem Beschlussentwurf der Länder für das Gipfeltreffen mit der Kanzlerin morgen.
Die Evangelische Kirche und die Bischofskonferenz reagieren bereits und haben ihre Gemeinden zu kreativen Lösungen angehalten. Nun planen viele Gemeinden Open-Air-Gottesdienste, virtuelle Krippenspiele und buchen Turn- und Schützenhallen für ihre Christmette. Im Bistum Nürnberg wird das Fußball-Stadion für die Christmette gebucht, im Kölner Dom sollen vier kleine Gottesdienste durchgeführt werden - Tickets gibt es nur nach Anmeldung.
Alle Details zu den geplanten Weihnachtsgottesdiensten lesen Sie in unserer frischen Hauptstadt-Depesche: ThePioneer.de
© ThePioneerViele Fluggesellschaften fliegen in Richtung Insolvenz. Der Generaldirektor des Internationalen Luftverkehrsverbandes, Alexandre de Juniac, warnte gestern davor, dass etliche Fluggesellschaften die Einführung des Impfstoffs nicht mehr erleben könnten.
Die Luftfahrtgesellschaft Norwegian Air Shuttle ASA meldete bereits in der vergangenen Woche Insolvenz an. Allein in diesem Jahr sind weltweit 42 Fluggesellschaften gescheitert, so eine Untersuchung des Beratungsunternehmens IBA Group. Das Unternehmen schätzt, dass die Gesamtzahl bis März 2021 auf über 70 Airlines steigen könnte, da Infektionszahlen und Passagierzahlen negativ miteinander korrelieren.
Für die Fluggesellschaften hat nicht der Corona-Winter, sondern die Eiszeit begonnen. Ohne staatliches Entfrostungsmittel in Gestalt von Milliardensubventionen werden viele von ihnen nicht mehr auftauen.
Die zweite Phase des sogenannten Berliner Mietendeckel-Gesetzes wurde gestartet. Das bedeutet, dass seit Montag viele Bestandsmieten gesetzlich gesenkt werden müssen.
© dpaDa sich diese Werte am Mietspiegel von 2013 orientieren, kommt es auf breiter Front zu Absenkungen bei den Mieten. Der Senat geht davon aus, dass bei 340.000 betroffenen Wohnungen die neuen Regelungen zur Reduzierung der Miete führen. Für Vermieter kommt es damit zu schweren Einnahmeausfällen. In der ersten Phase wurden seit dem 23. Februar die Mieten für rund 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren.
Unklar ist, ob derart drastische Eingriffe in den Immobilienmarkt durch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes gedeckt sind. Das Recht auf Eigentum wurde dort zwar mit einer Sozialpflichtigkeit versehen, aber die entschädigungslose Enteignung wiederum ist strikt verboten. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet voraussichtlich im zweiten Quartal kommenden Jahres - und damit noch vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Mieter tun gut daran, das jetzt gesparte Geld nicht dem Konsum, sondern einem Sparkonto zuzuführen.
Eine Infografik mit dem Titel: Fatale Folgen
Maßnahmen privater Unternehmen der Immobilienwirtschaft in Reaktion auf den Mietendeckel
Gestern begann der Prozess gegen den Hongkonger Aktivisten Joshua Wong und zwei seiner Mitstreiter. Ihnen wird vorgeworfen, im Juni 2019 eine nicht genehmigte Versammlung vor dem Polizeipräsidium im Stadtteil Wan Chai organisiert zu haben und während der Kundgebung gegen das Vermummungsverbot verstoßen zu haben. Dafür könnten ihm und seinen Mitstreitern bis zu fünf Jahren Gefängnis drohen.
© imagoZum Auftakt der Verhandlung hatte sich Wong schuldig bekannt, einen unerlaubten Protest organisiert zu haben. Die ebenfalls angeklagte Aktivistin Agnes Chow hatte dies bereits zuvor getan. Daraufhin ordnete ein Hongkonger Gericht gestern an, die Aktivisten bis zum Ende des laufenden Prozesses am kommenden Mittwoch (2. Dezember) festzusetzen.
Im Juli hatte die Volksrepublik China in ihrer Sonderverwaltungszone Hongkong ein neues „Sicherheitsgesetz“ erlassen. Mit dem Gesetz geht Peking rigoros gegen die Demokratiebewegung der Stadt vor. Die unerwünschte Folge: Eine weltweite Solidaritätsbewegung für Joshua Wong entsteht.
Zu Beginn der Pandemie gab es viel Beifall für die Corona-Helden des Alltags, doch der ist inzwischen verhallt und nur in wenigen Fällen hat sich an der Arbeitsbelastung und Entlohnung von Krankenhauspersonal und Pflegekräften wirklich spürbar geändert.
In der aktuellen Podcast-Folge von „Der 8. Tag“ trifft meine Kollegin Alev Doğan auf den promovierten Biochemiker Dr. Silvio Weber. Seine provokante These: Die Wertschätzung sozialer Berufe ist wichtig, aber sie sollte sich auch auszahlen und zwar in Form eines Social-Credit-System. Webers Denkansatz unterscheidet sich vom chinesischen Modell der sozialen Kontrolle, doch hören Sie selbst.
In der Kreativ-und Kulturbranche gibt es laut Statista 258.790 Unternehmen, die 1,24 Millionen Menschen beschäftigen. Die Quote der Selbständigen ist mit 20,9 Prozent außergewöhnlich hoch. Berücksichtigt man auch die geringfügig Erwerbstätigen, waren 2019 mehr als 1,8 Millionen Menschen in der Kultur- und Kreativbranche aktiv. Das sind mehr Menschen als in der deutschen Automobil- und der deutschen Bankenindustrie zusammen. Bis 2019 ist der Gesamtumsatz der Branche auf insgesamt 174,1 Milliarden Euro gewachsen.
Im Morning Briefing Podcast spreche ich über Kultur in Zeiten Pandemie mit Peter Maffay. Der deutsche Ausnahme-Künstler, der in diesem Jahr sein 50. Bühnenjubiläum feiert, hat zusammen mit einem Jugendchor aus Südafrika einen neuen Song veröffentlicht: „Hoffnung“.
Über seine Motive sagt er:
Ohne Hoffnung würde eine Triebkraft verloren gehen, die wir jetzt dringend brauchen.
Das neue Infektionsschutzgesetz beurteilt er folgendermaßen:
© Anne HufnaglIch verstehe, dass man angesichts steigender Infektionszahlen etwas tun muss. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Maßnahmen in der Härte und dieser Gewichtung relevant sind. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die Maske zu einem Maulkorb wird, was in unserer Gesellschaft tödlich wäre, denn wir würden Prinzipien, die uns viel bedeuten und die sehr wertvoll sind, erodieren sehen.
Peter Maffay ist ernsthaft besorgt über die Laufrichtung der Politik, die sich gegen ihn und die gesamte Kulturbranche gestellt hat:
„Ich frage mich, wohin diese Entwicklung führt: Werden wir ein liberaler Staat bleiben oder verkommen wir zu einem totalitären Prinzip? Ich glaube nicht, dass es so weit ist. Aber wir müssen höllisch aufpassen, dass wir die Türen in diese Richtung nicht aufmachen. Ich hoffe, dass sich die Politik nicht in diesen Umstand verliebt: Gesetze durchzupeitschen und sich verliebt in die Macht, die damit verbunden ist.
Über die Rolle, die Kunst und Kultur gerade in diesen Zeiten spielen könnten, sagt der Sänger, Komponist und Stifter:
Wir dürfen nicht übersehen, dass diese Lage psychische Auswirkungen hat. Die Kunst mit ihren vielen Genres besitzt eine korrektive Funktion. Darüber artikulieren sich Menschen, sie spiegeln wider, was um sie herum passiert. Auf diese Qualität zu verzichten, ist dumm.
Fazit: Peter Maffay spricht aus, was die Kulturszene denkt und fühlt. Sein Leiden ist das ihrige - aber nicht nur. Politik, die sich kaltschnäuzig gegenüber den Interessen der Künstlerinnen und Künstler zeigt, ist Politik ohne Volk.
Die Tonlage innerhalb des Deutschen Fußball-Bundes ist rauer geworden. Nach dem 0:6-Untergang in Spanien wachsen die Zweifel an Bundestrainer Joachim Löw. Der DFB bestätigte einen Rapport-Termin der Nationalmannschafts-Führung – allerdings soll Löw persönlich nicht dabei sein. In einer schmucklosen Verbandsmitteilung heißt es:
In der DFB-Präsidiumssitzung am 4. Dezember wird Oliver Bierhoff, Direktor Nationalmannschaften und Akademie, die aktuelle Situation der Nationalmannschaft darstellen und einschätzen.
Dem DFB-Präsidium scheint mit Blick auf die im kommenden Sommer anstehende EM ein einfaches „Weiter so“ nicht zu reichen. Der Vertrag mit dem 60 Jahre alten Löw läuft noch bis zur WM 2022. Der DFB spricht jetzt von einem „Fahrplan“.
Dieser sieht vor, „dem Bundestrainer die zeitliche und emotionale Distanz zu geben, die aktuelle Situation der Nationalmannschaft grundlegend aufzuarbeiten“. Löws Schicksalstag hat ein festes Datum: Es ist der 4. Dezember. Der DFB wünscht sich einen freiwilligen Abschied des verdienten und zuletzt glücklosen Bundestrainers. Das Tauschgeschäft sieht wie folgt aus: Löw behält seine Ehre und der DFB sein Geld. Und für die Fußballnation wäre das Hoffen wieder erlaubt.
Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr