Trumpismus ohne Trump

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Guten Morgen,

natürlich wäre es am bequemsten, wir könnten die Bilder, die uns aus Washington erreichen, als amerikanische Verrücktheit betrachten. Das sind sie auch. Aber das sind sie nicht nur.

Es war die unversöhnliche Gesellschaft, die einen Präsidenten Donald Trump als ihre böse Frucht hervorbrachte. Es war ein Präsident Trump, der diese Unversöhnlichkeit wie einen fruchtbaren Acker bewässerte und düngte, bis die Stauden böser Früchtchen sich im Wind wiegten.

Sturm aufs Kapitol © dpa

Es gibt einen Trumpismus ohne Trump. Der grassiert auch in Europa. In London. In Budapest. In Rom. In Ostdeutschland. In den USA hat er sich lange vor diesem spektakulären Finale der republikanischen Partei bemächtigt.

Eine Infografik mit dem Titel: Trump: Held der Basis

Ergebnisse der republikanischen Präsidentschaftskandidaten seit 1944, in Millionen

Newt Gingrich und Sarah Palin bildeten die Vorhut. Konservative Politiker wie die Senatoren Ted Cruz und Josh Hawley streben nun danach, die aufgeheizten Trump-Fans hinter ihrer Flagge zu versammeln. Ihr strategisches Kalkül: Der Hasardeur geht, der Hass bleibt. Trumps Erbschaft gilt ihnen als fette Beute.

 © imago

Die amerikanischen Republikaner müssen sich entscheiden, ob sie zu Reagan und Bush in die bürgerliche Mitte zurückkehren oder wie die Vampire am Blut der Trump-Leiche saugen wollen. Dieses Blut des Narzissten ist toxisch und nahrhaft zugleich.

Eine Infografik mit dem Titel: Trump besser als Obama

Ergebnisse der republikanischen Präsidentschaftskandidaten seit 1944, in Millionen

  • Nahrhaft, weil 74,2 Millionen Amerikaner Trump gewählt haben. 8,3 Millionen mehr als Obama. 12,1 Millionen mehr als George W. Bush. Auf dieser Gefolgschaft lässt sich eine Kirche bauen.

  • Dieses Blut ist zugleich toxisch, weil es bei der bürgerlichen Mitte zu schweren allergischen Abwehrreaktionen kommt. Wer als Konservativer die Zustimmung von Henry Kissinger, Bush-Familie und die des Zentristen Mitt Romney verloren hat, besitzt auf absehbare Zeit keine Machtperspektive. Er kann abends bei FoxNews Gift und Galle spucken, aber im Weißen Haus regieren, das kann er nicht.

Fragen von historischer Tragweite sind aufgeworfen: Will man weiter die Vergangenheit nostalgisch verklären, die Moderne bekämpfen und das Reaktionäre umarmen, oder will man sich mit dem praktisch gewordenen Liberalismus der Städter und der Jugend verbünden? Hört man zum Einschlafen die Nationalhymne, um dann des Nachts mit den Dämonen des Rechtspopulismus zu tanzen? Es ist diese eine Frage, die jeder Republikaner für sich beantworten muss: Wer ist dieser Donald Trump: Held oder Betriebsunfall?

Vielleicht sollten die amerikanischen Konservativen bei dieser Selbstfindung nicht nur in den Spiegel, sondern auch nach Europa schauen. Die gegenwärtige Welt mag schwer zu dechiffrieren sein; „unlesbar”, wie der Politologe Mark Lilla meint, ist sie nicht.

 © dpa

In Berlin und Wien lässt sich beispielsweise lernen, dass nur ein aufgeklärter Konservatismus, der die ökologischen, sozialen und emanzipatorischen Herausforderungen als solche anerkennt, regierungsfähig ist. „Das Konservative als Bewegung des Bewahrens”, wie es Prof. Andreas Rödder in „Konservativ 21.0“ definiert, vereint in Deutschland und in Österreich weite Teile der Gesellschaft hinter sich. Vielleicht muss man sich den guten Konservativen wie die deutschen und österreichischen Familienunternehmer vorstellen; der Tradition verbunden, stapfen er und sie dem Neuland entgegen. Die Wurzeln der Vergangenheit sind ihre Nährstränge, nicht ihre Fußfesseln.

Angela Merkel übrigens hat die Grenze zwischen Konservatismus und Populismus an keinem einzigen Tag ihrer nunmehr 16-jährigen Amtszeit überschritten. Sie war – im Gegenteil – die Grenzpatrouille, die andere am Betreten des rechten Territoriums hinderte. Als die in ihrer Autorität bereits beschädigte CDU Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nicht den Notausschalter für das Treiben im Thüringer Landtag fand, wo CDU und FDP mit Unterstützung der AfD einen Ministerpräsidenten installierten, meldete sich Merkel aus Südafrika zu Wort:

Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat.

Auch gestern war sie an Klarheit schwer zu überbieten:

Donald Trump hat die Atmosphäre bereitet, in der solche gewalttätigen Ereignisse möglich sind.

Es geht bei der nun beginnenden Debatte über den Charakter des Konservativen nicht darum, dass in der politischen Arena alle Akteure einig sein sollten. Das sollten sie ausdrücklich nicht: Eine gut begründete Uneinigkeit in der Steuer-, Umwelt-, Familien- und Wirtschaftspolitik ist die Voraussetzung für Demokratie. Die Meinung des Anderen ist kein Ärgernis, sondern Voraussetzung für Fortschritt. Der Populismus, ein Verlegenheitsbegriff unserer Zeit, wie Andreas Rödder zu Recht anmerkt, ist ja nicht deshalb entstanden, weil zu viele Meinungen im Spiel waren, sondern zu wenige. Monotonie tötet – die Liebe, die Lust – auch die auf Demokratie.

Aber die politischen Parteien müssen sich über die Wirklichkeit verständigen können. In der Sekunde, wo die Existenz der Wirklichkeit bestritten wird und die Unterschiede nicht in den Methoden zu ihrer Veränderung, sondern in ihrer Wahrnehmung selbst begründet sind, beginnt jene Polarisierung, die zersetzend wirkt. Der Andere ist plötzlich nicht mehr der Gegner, sondern der Feind. Er wird nicht bekämpft, er wird gehasst. Man will ihn nicht überzeugen, sondern vernichten. Es wird nicht mehr gerade gedacht, sondern quer.

Fazit: Trump giftet noch, aber er geht. Beim Trumpismus allerdings können wir uns da nicht so sicher sein. Die Schlussworte in Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ schweben als Nebelschwaden am heutigen Morgen über der Szenerie von Capitol Hill:

„So was hätt' einmal fast die Welt regiert!

Die Völker wurden seiner Herr, jedoch

Dass keiner uns zu früh da triumphiert

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“

 © imago

Norbert Röttgen ist nicht nur Chef des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, sondern neben Friedrich Merz und Armin Laschet einer, der auszog, CDU-Chef zu werden.

„Welt”-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld unterhält sich mit ihm im heutigen Morning Briefing Podcast über die Ereignisse in Washington und seine Ambition.

Den Verantwortlichen für die Stürmung des Kapitols sieht Röttgen im Weißen Haus:

Er ist der Brandstifter der amerikanischen Demokratie. Als solcher wird er jetzt auch in die Geschichte eingehen.

Die Republikanische Partei trägt seiner Meinung nach Schuld an der Eskalation:

Es ist eine riesige Enttäuschung, dass die Republikanische Partei ihrer Verantwortung nicht gerecht wird und darum zur Spaltung des Landes beiträgt. Das ist ein schlimmes Versagen!

Die Gefahr der Polarisierung sieht Röttgen auch in den eigenen Reihen. Über die CDU sagt er:

Es gibt auch bei uns die Gefahr von Lagern und Lagerbildungen. Und darum betone ich, dass ich kein Lager bin.

Verhärtete Fronten gilt es seiner Meinung nach zu verhindern:

Wir brauchen Profil, aber wir brauchen nicht Polarisierung.

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Richard Lutz, hat Glück im Unglück. Angesichts seiner chronischen Leistungsschwäche – die Bahn ist hoch verschuldet und innovationsschwach – würden ihn CDU/CSU am liebsten in Richtung Abstellgleis bugsieren. Aber vor der Bundestagswahl traut man sich nicht. So wird sein alter Vertrag, der jetzt eigentlich verlängert oder gekündigt werden müsste, voraussichtlich bis zur Bundestagswahl in Kraft bleiben. Die Kollegen vom Hauptstadt-Team berichten vom Patt im Aufsichtsrat. Lutz sollte seine Tage genießen, denn sie sind gezählt.

 © imago

Die nationale Impfstoff-Allianz, über die wir gestern exklusiv berichtet haben, beschäftigt heute alle deutschen Tageszeitungen. Die Bayer AG soll ihre Expertise bei Studien und Zulassungsfragen einbringen. Möglicherweise wird der Konzern auch die Produktion des CureVac-Impfstoffes ergänzen. Später soll das Liefernetzwerk von Bayer für eine reibungslose und schnelle Auslieferung vor allem in Europa sorgen. Zudem erhält Bayer die Option, außerhalb von Europa das CureVac-Mittel unter eigenem Namen zu vertreiben.

CureVac-Chef Franz-Werner Haas freut sich sichtlich über den Deal und betonte gestern:

Mit seiner Expertise und Infrastruktur kann uns Bayer helfen, unseren Impfstoffkandidaten CVnCoV noch schneller für möglichst viele Menschen verfügbar zu machen.

Gefreut haben sich auch die Anleger von CureVac. Die Aktie schoss am Donnerstag deutlich in die Höhe: Der Schlussstand belief sich auf plus 12,5 Prozent bei 81,45 Euro. Die Anteilsscheine von Bayer konnten dagegen deutlich weniger stark profitieren, wenngleich sie ihre jüngste Erholung mit einem Plus von 1,73 Prozent auf 52,32 Euro fortsetzen.

Eine Infografik mit dem Titel: Deal-Profiteur CureVac

Kursentwicklung der Bayer- und CureVac-Aktie seit dem 5.1., indexiert in Prozent

Am Zeitplan für den Tübinger Curevac-Impfstoff ändert sich durch die Bayer-Allianz nichts. Ende des ersten Quartals sollen die nötigen Daten für einen Antrag auf eine Zulassung in der EU vorliegen. Somit könnte eine Zulassung Ende des ersten oder Anfang des zweiten Quartals erfolgen.

 © dpa

Die Kursrally des US-Elektroautobauers Tesla hat den Firmenchef Elon Musk laut dem Milliardärs-Ranking „Bloomberg Billionaires Index” zum reichsten Menschen der Welt aufsteigen lassen. Das Vermögen des 49-Jährigen ist demnach am Donnerstag auf 188,5 Milliarden Dollar (153,7 Mrd. Euro) gestiegen und lag damit zuletzt etwa 1,5 Milliarden über dem des Amazon-Gründers und bisherigen Spitzenreiters Jeff Bezos, der allerdings durch seine Scheidung Federn lassen musste. Der Junggeselle Musk ist in dieser Hinsicht besser dran.

Musk hält 18 Prozent der Aktien und profitiert als Großaktionär seines Unternehmens stark von dessen rasanter Entwicklung an der Börse. So stieg die Tesla-Aktie im vergangenen Jahr um 719 Prozent. Und die nahezu ungebremste Rekordjagd geht weiter: Seit dem 30.12. stieg die Aktie um 22,3 Prozent und erreichte während des gestrigen Handelsverlaufs bei 812,79 US-Dollar, den bislang höchsten Stand ihrer Geschichte.

Eine Infografik mit dem Titel: Rasante Wertsteigerung

Marktkapitalisierung von Tesla 2016 und am 07.01.2021 im Vergleich, in Milliarden US-Dollar

Demzufolge steigt auch der Börsenwert des E-Auto-Pioniers ungebremst. Aktuell ist das Unternehmen 778.75 Milliarden Dollar (634.53 Milliarden Euro) wert. Zum Vergleich: Die deutschen Autobauer BMW, Daimler und Volkswagen kommen zusammen auf lediglich 189 Milliarden Euro.

Fazit: An der Börse wird die Zukunft gehandelt. Und manchmal auch die Zeit danach.

 © Mercedes-Benz

Auch das Autoland Deutschland macht heute Morgen von sich reden. Mitte 2021 will Daimler mit dem EQS, dem elektrischen Pendant zur S-Klasse, sein erstes vollelektrisches Modell auf den Markt bringen. Das Auto wird laut Herstellerangabe eine Reichweite von 700 Kilometern besitzen und seine Passagiere durch teilautonomes Fahren von A nach B bringen können.

 © Mercedes-Benz

Doch es ist vor allem der sogenannte „Hyperscreen”, der in den sozialen Medien für Aufmerksamkeit sorgt. Dieser besteht aus drei Bildschirmen, die optisch zu einem verschmelzen und zusammen eine Breite von 1,41 Metern besitzen. Der Bildschirm sieht nicht nur futuristisch aus, er ist der Kern des Multimediasystems MBUX. Daimler-Vorstandsmitglied Sajjad Khan beschreibt den Hyperscreen als „Gehirn und Nervensystem des Autos“.

Am besten funktioniert der Screen für den Fahrer im Stau: Dann kann er Kinofilme schauen – zum Beispiel diesen: „Auf dem Highway ist die Hölle los“.

Heiterkeit in Zeiten der Pandemie ist eine riskante Angelegenheit. Für die „Neue Zürcher Zeitung“ hat der Kulturjournalist und Literaturkritiker Paul Jandl eine „Reflexion auf den Optimismus“ verfasst, die sich auch in das Grenzgebiet zum Zynismus vorwagt, um sich dort allerdings zu verlaufen. Jandl stellt fest:

Gerade weil in der Welt alles schlecht und sie auf so haarsträubend unglückliche Art ausgedacht ist, wird das Vertrauen des Menschen in sich selbst zur Aufgabe. Es ist der Sinn schlechthin.

Und er endet mit praktischen Handreichungen, will uns überzeugen, dass auch der Tod sich als erhebend erleben lasse:

 © imago

Noch das Allerschlimmste kann sein Gutes haben. Seine existenzielle Pointe. Der Arzt Joseph-Ignace Guillotin zum Beispiel, Namensgeber der Guillotine, soll das Wesen dieser Todesmaschine mit einem Euphemismus beschrieben haben, der geradezu poetisch wirkt. Genau besehen, sorge das herabfallende kühle Beil beim Delinquenten immerhin auch für ,eine angenehme Erfrischung am Hals‘.

Fazit: Der Humor in Zeiten der Pandemie treibt seltsame Blüten, auch in den Köpfen der Feuilletonisten. Wir sollten dennoch nachsichtig sein. Oder um es mit Winston Churchill zu sagen: „Lache nie über die Dummheit der anderen. Sie ist deine Chance.“

Ich wünsche Ihnen ein Wochenende in heiterer Gelassenheit und freue mich, wenn wir am Montagmorgen wieder beisammen sind. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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