Union: Ära des Misstrauens

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Guten Morgen,

Markus Söder besitzt in Vorstand und Präsidium der CDU keine Mehrheit. Beim sogenannten Stimmungsbild, eine Abstimmung, die nicht Abstimmung genannt werden darf, sprachen sich ausnahmslos alle Anwesenden – von Wolfgang Schäuble bis Julia Klöckner – für Armin Laschet als neuen Kanzlerkandidaten der Union aus.

Doch die Machtfrage ist damit nicht entschieden, nur neu gestellt: Und womöglich handelt es sich gar nicht um ein Stimmungsbild, sondern um einen Irrtum. Vielleicht wurde der CSU-Chef gar nicht zu Bette gebracht, sondern nur mit neuer Aufstiegsenergie betankt.

Denn fest steht: Der Spieler wechselt kurzerhand das Spielfeld. Neuer Aufschlag heute vor der gemeinsamen Unionsfraktion. Die Niederlage von gestern, das lehrt die Physik der Macht, trägt in sich zuweilen den Sieg von morgen. Die wichtigsten Verbündeten von Markus Söder, darauf setzt er, heißen nicht Schäuble, Merz, Merkel, sondern Forsa, Emnid und Infratest. Deren demoskopische Depeschen sind sein Viagra. Der steile Vorsprung in den diversen Umfragen hat seine Libido erkennbar stimuliert.

Markus Söder © dpa

Die Geschichte von „Mein Platz ist in Bayern“ bis „Ich stehe bereit“ ist die Geschichte einer Ermannung, die sich mühelos in folgenden drei Charts erzählen lässt:

Chart 1: 80 Prozent der Führungskräfte aus der Wirtschaft bevorzugen Markus Söder in direkter Konkurrenz zu Olaf Scholz. Das ermittelte das Allensbach-Institut für die „FAZ“ im Januar dieses Jahres.

Eine Infografik mit dem Titel: Wirtschaft: Söder vorn

Antworten von Führungsspitzen aus der Wirtschaft auf die Frage: „Wen würden Sie als Bundeskanzler vorziehen?“, in Prozent

Chart 2: Auch im direkten Schlagabtausch zwischen Markus Söder und Armin Laschet geht der Bayer als klarer Sieger aus dem Rennen. Laut der aktuellen Umfrage des Instituts Infratest dimap für den ARD-Deutschlandtrend ist Markus Söder mit 79 Prozent Zustimmung unter den Unions-Anhängern der Favorit für die Kanzlerkandidatur.

Eine Infografik mit dem Titel: Unionsanhänger: Lieber Söder

Antworten von CDU/CSU-Anhängern auf die Frage: „Wären Armin Laschet und Markus Söder gute Kanzlerkandidaten für die Union?“, in Prozent

Chart 3: Auch in Sachen Führungsstärke liegt Söder vor Laschet. Zu diesem Ergebnis kommt YouGov. Demnach sprechen zwei Drittel der Befragten Markus Söder diese wichtigste Kanzler-Eigenschaft zu – Armin Laschet schaut mit 13 Prozent ins Leere.

Eine Infografik mit dem Titel: Führungsstärke: Vorteil Söder

Anteil der Antworten mit „führungsstark“ auf die Frage: „Welche der folgenden Eigenschaften treffen auf die genannten Politiker zu?“, in Prozent

Manfred Güllner, mit 79 Jahren Deutschlands dienstältester Demoskop, fasst die demoskopischen Befunde wie folgt zusammen:

Die Union muss selbst darüber befinden, ob sie mit Markus Söder die Chance wahren will, bei der kommenden Bundestagswahl die stärkste Partei zu bleiben. Oder ob sie mit Armin Laschet eine verheerende Niederlage riskieren will.

Fazit: Wie auch immer der Machtpoker zwischen den beiden ausgeht, das solide Fundament für eine Ära des Belauerns ist nach den Ereignissen der letzten Tage gelegt. Söder und Laschet sind im wechselseitigen Misstrauen miteinander vereint. Oder um es mit Bertolt Brecht zu sagen: „Vertrauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch genommen wird.“

Franz Josef Strauß beim CSU-Parteitag 1985 © dpa

In der Union fühlen sich die Altvorderen an das Kanzlerkandidaten-Duell zwischen Franz Josef Strauß und dem CDU-Politiker Ernst Albrecht vor der Bundestagswahl 1980 erinnert. Albrecht, damals Ministerpräsident in Niedersachsen, wird vom ewigen Strauß-Rivalen und 1973 ins Amt gekommenen CDU-Chef Helmut Kohl als Kanzlerkandidat vorgeschlagen.

Nur ein Sieg mit absoluter Mehrheit, das weiß er, könnte das Kanzleramt für die Union zurückerobern, da die anderen beiden Parteien im Parlament, SPD und FDP, sich bereits auf die Fortführung ihrer sozial-liberalen Koalition verständigt hatten.

Doch in der Union brodelt es. Albrecht gilt als freundlich, aber nicht markant genug. Also drängen CSU-Landesgruppenchef Friedrich Zimmermann und Generalsekretär Edmund Stoiber ihren Parteichef Franz Josef Strauß zu einer Kandidatur, wozu dieser sich auch bereit erklärt. Er zieht also gegen Ernst Albrecht und dessen Mentor Helmut Kohl in einen Machtkampf. In einer fast siebenstündigen Sitzung votiert schlussendlich die Bundestagsfraktion für Strauß.

Ernst Alrecht, 1978 © Koen Suyk / Anefo

Dieser führt unter der Parole „Kanzler für Frieden und Freiheit“ einen Wahlkampf, der polarisiert. Schließlich liegt Strauß sogar mit 44,5 Prozent der abgegebenen Stimmen vor SPD-Kanzler Helmut Schmidt. Doch für die absolute Mehrheit reicht es nicht. Im Parlament gelingt keine Koalitionsbildung mit den Liberalen: Der Sieger Strauß war nicht anschlussfähig – und ging schließlich als Verlierer nach Hause.

Roman Deininger © imago/ teutopress

Im Podcast-Gespräch mit dem Söder-Biografen und preisgekrönten Autor der „Süddeutschen Zeitung“ Roman Deininger erörtern wir die neu entstandene Lage. „Als Söder den Duft der Macht gerochen hat, hob er die Hand“, schildert Deininger den Lauf der Dinge. Er bescheinigt Söder Verwegenheit und Mut – „vielleicht auch Übermut“.

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Die Hauptstadt-Redaktion von ThePioneer hat den Tag in Berlin rekonstruiert und in den Gremien von CDU und CSU nachgefragt. Von „maximaler Eskalation“ ist bei der CDU die Rede. Die CSU hingegen spricht von einer klaren Mehrheit der Unionsmitglieder für Söder. Laschet sei der Garant für eine „schlimme Wahlniederlage“.

Volker Bouffier, Hessens Ministerpräsident und Vize-Chef der CDU, hatte die Truppen schon am Sonntagabend auf Armin Laschet eingeschworen und wirbt nun auch im Morning Briefing Podcast für den angeschlagenen CDU-Vorsitzenden. Zu Markus Söder sagt er:

Er kann nicht erfolgreich sein, das ist völlig undenkbar, wenn nicht auch 15 CDU-Landesverbände hinter ihm stehen.

Auch das Hauptargument der Söder-Fans – die guten Umfragen – sieht der dienstälteste Ministerpräsident nicht als Entscheidungsgrund.

Umfragen sind immer ein Hinweis, aber eben nur ein Hinweis. Sie sind flüchtig und verändern sich.

Alle Details eines denkwürdigen Tages lesen Sie im Newsletter „Hauptstadt – Das Briefing“.

Die Zerstörung der Union

Das Duell um die Kanzlerkandidatur eskaliert. Markus Söder akzeptiert das CDU-Votum nicht.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Heinrich Deichmann © Philipp Rathmer

In diesen Tagen berät der Deutsche Bundestag über eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes. Es geht für den Einzelhandel um weitere Öffnungsauflagen. Viele Unternehmen dieses Wirtschaftszweiges, der rund 3,1 Millionen Menschen beschäftigt und zuletzt in 2020 knapp 600 Milliarden Euro umsetzte, leiden unter den aktuellen Corona-Bestimmungen. Das betrifft vor allem den stationären Handel.

Im Morning Briefing Podcast habe ich mit Heinrich Deichmann, dem CEO der Deichmann SE, Europas größtem Schuhhändler, über die Folgen der Corona-Pandemie für den Einzelhandel gesprochen.

Die Lage des Unternehmens ist alles andere als rosig: Im vergangenen Jahr gingen eine Milliarde Euro von zuvor 6,5 Milliarden Euro verloren. Von den 1.400 Geschäften in Deutschland sind derzeit nur 680 geöffnet; von 4.200 in 30 Ländern derzeit 2.800. Heinrich Deichmann sagt:

Der Einzelhandel ist kein Ort an dem Infektionsketten entstehen. Das RKI hält die Einzelhandelsläden für Orte mit einem niedrigen Infektionsrisiko.

Deshalb fordert er:

Wir brauchen jetzt ein Konzept, das viel zielgenauer auf die sehr niedrige Infektionsrate eingeht.

Ein verlängerter Lockdown stellt laut Deichmann ein existenzielles Problem für viele Händler dar. Er verlangt auch mehr Unterstützung des Staates für Branchen, die durch den Lockdown härter betroffen sind als andere.

Wenn die Politik dem Einzelhandel ein Sonderopfer abverlangt, dann müssten diese Unternehmen entsprechend entschädigt werden.

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Im Zusammenhang mit den Umsatzverlusten durch die Pandemie zieht er folgende Bilanz:

Glücklicherweise haben wir ein großes finanzielles Polster, von dem wir jetzt eine Weile zehren. Aber auch so ein Polster ist endlich.

Zu der nun geplanten Verschärfung der Lockdown-Spielregeln, die das Aus für regionale Öffnungskonzepte bedeuten, sagt er:

Wir stehen mit großer Frustration und Fassungslosigkeit vor den sich andeutenden Beschlüssen.

Fazit: Hier spricht kein Quer- , sondern ein Geradeaus-Denker. Familienunternehmer wie Heinrich Deichmann haben die Pflicht, Steuern zu zahlen – und das Recht, gehört zu werden.

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 © dpa

Seit Monaten gibt es einen weltweiten Produktionsmangel an Computerchips. Der Grund: Produktionsstopps während der ersten Lockdowns und die gestiegene Nachfrage nach Computern fürs Homeoffice haben das Angebot verknappt.

Vor allem für die Automobilindustrie sind die Lieferengpässe verheerend. In den USA mussten Ford und General Motors wegen fehlender Komponenten bereits die Produktion drosseln. Die Abhängigkeit von den Zulieferern aus Asien wird einmal mehr deutlich. Über 75 Prozent des weltweiten Marktes teilen die asiatischen Auftragsfertiger der Chipindustrie unter sich auf.

Eine Infografik mit dem Titel: Hardwareschmiede Fernost

Die größten Auftragsfertiger der Chipindustrie, Marktanteile in Prozent

Um dieser Abhängigkeit entgegenzuwirken, rief US-Präsident Joe Biden gestern zu einem virtuellen Krisentreffen im Weißen Haus. An der Konferenz nahmen ranghohe Vertreter der Tech- und Automobilindustrie teil. Das Treffen ist Teil der Regierungsstrategie, um im technologischen Wettlauf mit China mitzuhalten.

Ein Projekt Bidens sieht Investitionen in Höhe von 37 Milliarden Dollar vor, mit denen die lokale Chipherstellung vorangetrieben werden soll. Wäre der Name nicht vorbelastet, könnte dieses Programm „America First“ heißen.

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 10.810 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden 294 weitere Todesfälle registriert.

  • Derzeit befinden sich 4.662 Patienten aufgrund von COVID-19 in intensivmedizinischer Behandlung. Damit erreicht die Auslastung der Intensivbetten seit Ende Januar 2021 einen neuen Rekord.

  • Der Impfstoff von Johnson&Johnson wird seit gestern an die Europäische Union ausgeliefert. Bis Ende Juni werden 55 Millionen Dosen erwartet, wovon zehn Millionen an Deutschland ausgeliefert werden sollen.

  • Während die anderen Regionen des Vereinigten Königreichs mit neuen Öffnungsschritten warten, erfolgen ab heute weitere Lockerungen in England: Außenbereiche der Gastronomie, Geschäfte, Fitnessstudios und Friseure dürfen wieder öffnen.

  • Ärzte der Universität Oxford veröffentlichten eine Studie, die vermuten lässt, dass das cortisonhaltige Asthmaspray „Budesonid“ schwere Verläufe einer COVID-19 Erkrankung unwahrscheinlicher macht und Symptome lindert.

  • Die Kassenärztliche Bundesvereinigung gab bekannt, dass die Zahl der Arztpraxen, die Corona-Vakzine verimpfen, diese Woche von 35.000 auf 45.000 gestiegen ist.

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Die Semperoper in Dresden © imago

Das Wort still lässt sich nicht steigern. Und doch feiert die Semperoper heute einen Geburtstag der traurigen Superlative. Keine Menschen. Keine Töne. Keine Tänze.

Vor 180 Jahren wurde die Oper standesgemäß mit Carl Maria von Webers „Jubelouvertüre“ eröffnet. Das Haus, das den Namen seines Architekten Gottfried Semper trägt, galt vielen als der schönste Musiktempel Europas. Heute herrscht dort Grabesstille.

Rundfoyer der zerstörten Semperoper im August 1945 © Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Foto: Werner Frost

Der Prunkbau ist Kummer gewohnt. Die Semperoper wurde im Laufe der Geschichte mehrfach zerstört. Das erste Mal brannte die Oper schon 28 Jahre nach der Eröffnung bis auf die Grundmauern nieder. Und auch die Dresdner Bombennächte von 1945 verwandelten sie in eine Ruine.

Fast 40 Jahre lang dauerte in der DDR die bauliche Wiederaufforstung, schließlich folgte die Wiedereröffnung 1985. Seitdem wurde wieder durchgespielt und durchgetanzt – bis Corona kam. Mit der Ankunft des Virus sind die Stimmen auf der Bühne verstummt. Die Ballettschuhe hängen am Haken.

Das erste Hoftheater von Gottfried Semper um 1860 © Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Foto: Friedrich und Ottilie Brockmann

Aber die Geschichte hat eines gezeigt: Ein solches Haus lässt sich nicht unterkriegen. Was Brände und Bombenhagel, Kaiserreich und Hitler nicht schafften, gelingt auch keiner Pandemie. Wir gratulieren der Semperoper zum 180. Geburtstag und wünschen ihr ein ewiges Leben.

 © ThePioneer

In der Fotografie gibt es goldene Regeln, die man kennen sollte, um sie zu brechen. Unsere Pioneer-Fotografin Anne Hufnagl zeigt Ihnen im Video, wie das geht.

Wir dürfen ihr beim Fotoshooting mit der Schauspielerin Veronica Ferres über die Schulter schauen.

Prädikat: eye opening.

 © ThePioneerKlick aufs Bild führt zur Video-Folge

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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