Deutschland hat derzeit für Kinoliebhaber wirklich etwas zu bieten: Es laufen zwei höchst unterschiedliche Filme gleichzeitig im Programm:
Der eine Film erzählt in schwarz-weißen Bildern von einer Welt, wie sie immer war: Es geht um Männer und um Macht. Es ist eine archaische Welt, in der Mitgefühl als Schwäche und Partnerschaft als Illusion gilt. Die Helden dieses Streifens haben den Colt locker am Gürtel baumeln, sie suchen den Show-Down.
Wenn man die Handlung in nur drei Worten zusammenfassen sollte, dann wären es wohl diese: er oder ich? Im Hintergrund läuft leise die Mundharmonika von Ennio Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“.
Der andere Film wurde in Farbe gedreht. Die Welt erscheint als eine Welt der gleichermaßen verwirrenden wie verlockenden Möglichkeiten. Die Hauptdarstellerin lädt – untermalt von den Klängen einer Reggae-Band – das Publikum zum Mitsingen und Mitspielen ein.
Sie sagt Sätze, die man lange nicht mehr gehört hat. Sie wolle verändern und nicht nur versprechen; sie wolle Respekt bezeugen, auch gegenüber dem Andersdenkenden: Zuhören und zutrauen, nennt sie das. Im Filmtitel taucht das Wort „Neuanfang“ auf. Unklar bleibt, ob es sich um einen Fantasy- oder einen Dokumentarfilm handelt.
Die Hauptdarsteller des Schwarzweiß-Streifens, so steht es im Drehbuch, jagen sich derweil lustvoll die Kugeln in den Allerwertesten. Im CDU-Vorstand geriet der tragische Held Armin Laschet heute Nacht auch aus den eigenen Reihen unter Beschuss: friendly fire. Das Publikum der anderen Parteien quietscht vor Vergnügen.
Am Ende der internen Schießerei allerdings konnte er 77,5 Prozent der 40 Stimmen im CDU-Vorstand für sich gewinnen. Laschet hat heute Nacht nicht gesiegt, aber gewonnen. Die Kugeln der eigenen Leute haben ihn verletzt, aber nicht niedergestreckt.
Der Spannungsbogen bleibt unter Druck: Wie wird der Kontrahent aus München auf dieses Votum reagieren? Kompromiss oder Kampf? Das ist hier die Frage. Die beiden Verwundeten müssen nur aufpassen, dass sie rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit das Bundeskanzleramt in Berlin erreichen.
© dpaIn dem Farbfilm – und hier berühren sich die Handlungsstränge – bricht die gut gelaunte Protagonistin mit einem philosophierenden Pferdeliebhaber ebenfalls auf, um noch vor den zwei Haudegen aus dem Schwarzweiß-Film im Kanzleramt anzukommen.
Sie lockt uns und ihn, ihr zu folgen. „Der Robert und ich“, verspricht sie, wollten das Land dorthin führen, wo es noch nie war. Zielort ist offenbar ein verwunschenes Land, oder, wie sie es formuliert, „ein Staat, der digital funktioniert und seinen Bürgern dient“. Das heutige Deutschland kann sie damit nicht gemeint haben.
Wie die beiden Filme enden, darin besteht die Raffinesse der Drehbücher, entscheidet kein Gott und keine Experten-Jury, sondern einzig das Publikum. Im September ist Premiere im großen Kinosaal. Das Ganze ist Teil eines Mitmachprojekts, das sich die Gründungsväter der Republik haben einfallen lassen: Man nennt es Demokratie.
Im öffentlichen Meinungsbild stößt die Kanzlerkandidatur von Annalena Baerbock und ihre gestrige Bewerbungsrede („Ich mache ein Angebot“) auf ein wohlwollendes Echo – aber nicht nur. Der Chefredakteur der „Welt“-Gruppe Ulf Poschardt fordert zur Entlarvung auf:
In Annalena Baerbock nominieren die Grünen eine starke Kanzlerkandidatin, ihre Kampagne sieht modern und elegant aus. Doch hinter der Inszenierung lauern Intoleranz und Umverteilungs Fantasien. Die muss die politische Konkurrenz nun offenlegen.
Jasper von Altenbockum betitelt die Kandidatin derweil auf der heutigen Seite eins der „FAZ“ als „Die grüne Zauberin“ und schreibt:
Baerbock ist trittsicherer als Habeck, hat Erfahrung in Ostdeutschland gesammelt und ist ein Medienliebling, der sogar Habeck noch in den Schatten stellt. Nur eines fehlt ihr, was Habeck hat: Regierungserfahrung.
Die FDP geht mit geöffneten Armen auf die Spitzenkandidatin der Konkurrenz zu und träumt von einem zweiten Anlauf in Richtung Jamaika. Christian Lindner gratulierte ihr per Twitter:
© dpaAuf den politischen Ideenaustausch im Wahlkampf mit Annalena Baerbock freue ich mich. Jetzt fehlt nur noch die Union, damit es endlich um Inhalte geht: Nie gab es mehr zu tun.
Im „Spiegel“ spricht mein ehemaliger Kollege, der allseits geschätzte Reporter und Romanautor Dirk Kurbjuweit, ein konditioniertes Lob aus:
Wenn sie und ihre Mitstreiter auf kluge Antworten kommen, können die nunmehr hoch disziplinierten Grünen der nächste Stabilitätsanker der Bundesrepublik werden.
Und Anna Sauerbrey vom „Tagesspiegel“ hält die Kanzlerkandidatur Baerbocks für die logische Konsequenz gesellschaftlichen Fortschritts:
Annalena Baerbock ist nicht irgendeine Spitzenkandidatin. Ihre Kandidatur ratifiziert die Revolution der vergangenen Jahrzehnte.
Fazit: Schon die Tatsache, dass hier die ehemalige Anti-Parteien-Partei zum Neu- und Andersmachen sich meldet, ist bemerkenswert. Die Grünen sind einen weiten Weg gegangen. Der politische Konstruktivismus hat sich durchgesetzt. Das verdient nicht zwingend Zustimmung, aber Respekt.
Die CDU dagegen quält sich mit ihrer Schwesterpartei CSU. Deren Machtanspruch hat die größte Regierungspartei überrascht. Im Vorstand, der heute Nacht zumindest mehrheitlich hinter Laschet stand, meldeten sich erstmals auch die Stimmen der Zweifler und Gegner des neuen Vorsitzenden.
Dennoch gelang es ihm, nach sechseinhalbstündiger Vorstandssitzung eine deutliche Mehrheit hinter sich zu versammeln. Markus Söder lehnte es ab, an der Sitzung digital teilzunehmen. Die CSU muss heute Morgen entscheiden: Akzeptiert sie das Votum des obersten Führungsgremiums der Schwester-Partei oder marschiert sie weiter in die Fraktion, um dort die Entscheidungsschlacht zu suchen.
Wie schaut die Wirtschaft auf das Berliner Treiben? Darüber spreche ich im Morning Briefing Podcast mit Stefan Schaible, seit 2014 Zentraleuropa- und Deutschlandchef der Unternehmensberatung Roland Berger. Die Kandidatenkür der Konservativen empfindet er als misslungen:
Man hätte vorher ein Verfahren definieren sollen, um einen Nachfolger aufzubauen. Der wesentliche Punkt, an dem man den Absprung verpasst hat, liegt schon zweieinhalb Jahre zurück.
Der neue Kanzler müsse vor allem eine Ära der Reformen begründen, sagt er:
Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Transformation.
Wir brauchen in Deutschland radikale Reformen im Hinblick auf die Klimaziele, die Digitalisierung und die Corona-Pandemie, sodass unsere Wirtschaft gestärkt und nicht geschädigt wird.
Mit Blick auf die wirtschaftliche Genesung nach der Corona-Pandemie bleibt Schaible optimistisch:
Für uns besteht die einmalige Chance, uns zusammenzureißen und zu sagen: Wir kriegen die notwendige Innovation hin. Vielleicht ist es der Wake-up-Call für die nächste Phase von Wettbewerbsfähigkeit.
Fazit: Der Berger-Chef macht der Politik Beine und uns Hoffnung.
Das Vereinigte Königreich will nicht länger vereinigt sein. Der Staatenbund aus England, Schottland, Wales und Nordirland zeigt sich nach dem Brexit nicht mehr nur zerstritten, sondern zerrüttet. Nicola Sturgeon, Schottlands First Minister, äußerte:
Ich glaube, dass die Erholung Schottlands in den Händen Schottlands liegen sollte.
Alles begann damit, dass man in Schottland nie die EU verlassen wollte – 62 Prozent der Bürger sprachen sich damals gegen den Brexit aus. Doch mitgehangen, mitgefangen. Heute ist Schottland nicht mehr Teil der EU.
Als Reaktion auf dieses anhaltende Unbehagen wächst das Lager derer, die sich für eine Loslösung vom „United Kingdom“ aussprechen. Die Scottish National Party dürfte bei den am 6. Mai stattfindenden schottischen Parlamentswahlen die absolute Mehrheit erringen. Ihr Schlachtruf lautet: „Scotland's future, Scotland's choice“. Ein abgespaltenes Schottland würde dann gern wieder der EU beitreten.
Fazit: Die von Nigel Farage und Boris Johnson unter der Überschrift „Let's take back control“ geführte Brexit-Kampagne hätte dann das Gegenteil erreicht: Großbritannien würde die Kontrolle über das eigene Staatsgebiet verlieren.
Einmal im Jahr vergibt die Friedrich-Naumann-Stiftung eine Rede zur Freiheit. Der Preisträger darf vor erlesenem Publikum aus Staat, Wirtschaft und Kultur seine Gedanken in einem Grundsatzreferat darlegen. Zu den bisherigen Freiheitsrednern zählen Joachim Gauck und Peter Sloterdijk. Gestern war Professor Lars Feld von der Universität Freiburg und ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrates an der Reihe. Er hielt gestern die 15. Berliner Rede zur Freiheit.
Es ging ihm um das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Freiheit, vor allem im Kontext der Pandemie:
Eine freiheitliche Grundordnung bedeutet nicht, dass es keinen Zwang gibt. Dieser muss allerdings auf ein notwendiges Minimum reduziert sein, damit Menschen sich in ihrem privaten Bereich möglichst frei entfalten können.
Feld möchte die weltweiten Klimaziele über ein System für den Emissionshandel in einem „Klimaklub“ mit den Vereinigten Staaten erreichen:
Planungsrechtliche Vorgaben, Verbote und Gebote sind illiberal und werden bei der Bekämpfung des Klimawandels scheitern.
Er mahnte das Land und hier insbesondere seine Finanzpolitiker zur Rückkehr zu Maß und Mitte:
© dpaDie Debatte um die Schuldenbremse ist eine Platzhalter Diskussion um das Design der Sozialen Marktwirtschaft. Deutschland muss dringend wieder zur Ausgabenkontrolle durch die Schuldenbremse zurückkehren.
Ein Dutzend der europäischen Top-Fußballclubs verkündete jüngst Pläne zur neuen Super League im Fußball – ein 20 Teams umfassender europäischer Wettbewerb mit den besten Kickern des Kontinents vom FC Barcelona über Real Madrid bis Juventus Turin. Das Geld der Sponsoren hat sie sinnlich gemacht. Die US-Investmentbank JP Morgan Chase lockt mit 3,25 Milliarden Euro „Willkommensbonus“, knapp 200 bis 300 Millionen Euro für jeden Club.
Die neue Liga würde in direkter Konkurrenz zur UEFA Champions League stehen, jedoch mit einem Unterschied: Ungeachtet ihrer sportlichen Leistung sind 15 Plätze für die Gründungsmitglieder reserviert. Die finanzstarken deutschen Teams, der FC Bayern und Borussia Dortmund, wären zwar willkommen, sind aber nicht dabei: Sie lehnen die Idee eines weitgehend geschlossenen Teilnehmerfeldes ab. Der Geschäftsführer von Borussia Dortmund Hans-Joachim Watzke betonte:
Ich werde niemals einen Wettbewerb unterstützen, zu dem es keine offenen Zugänge gibt. Eine geschlossene Gesellschaft wie in der amerikanischen NFL, NHL oder NBA, das ist nicht unser Fußball.
Wir lernen: Alles kann man im fortgeschrittenen Kapitalismus kaufen. Den deutschen Fußball nicht.
Auch am gestrigen Tag brach der DAX zum Wochenauftakt mit 15.502 Punkten alte Rekorde. Doch im Laufe des Tages ging dem deutschen Index die Puste aus: Zum Handelsschluss fiel er auf nur noch 15.368 Punkte – ein Minus von 0,6 Prozent.
Die Frage aller Fragen lautet nach der Rally der vergangenen Wochen: Wird der DAX weiter zulegen können oder ist die Phase der Kurssteigerungen bereits vorbei?
Eine Infografik mit dem Titel: Droht das Ende des Höhenflugs?
Kursverlauf des DAX seit dem 12. April 2021, in Punkten
Robert Greil, Chefstrategie der Bank Merck Finck, blickt optimistisch auf die Märkte der USA, denn dort „läuft der US-Aufschwung erst an und wird immer noch oft unterschätzt“.
Edgar Walk, Chefvolkswirt der Vermögensverwaltung der Bank Metzler, sieht „eine Beschleunigung der Wachstumsdynamik“ in der Euro-Zone durch das gesteigerte Impftempo und die positiven Konjunktursignale.
Auch Markus Reinwand glaubt an eine Fortführung des seit Monaten andauernden Aufschwungs: „Das Umfeld scheint wie gemacht für Aktien: Die Konjunkturstimmung erreicht Spitzenwerte, die Geldpolitik bleibt ultralocker.“
Die Lage am heutigen Morgen:
Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 9609 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden 297 weitere Todesfälle registriert.
Gérard Krause, Epidemiologe am Braunschweiger Helmholtz-Institut, plädiert für eine Neufokussierung bei den Kennzahlen. So sollen laut ihm nicht mehr die Zahl der Covidinfizierten, sondern die der auch tatsächlich Erkrankten die entscheidende Größe darstellen.
Noch in diesem April soll es in der Corona-Warn-App möglich sein, Testergebnisse abrufen und speichern zu können, sagte Jens Spahn.
Die EU einigt sich mit BioNTech und Pfizer auf die Lieferung von weiteren 100 Millionen Impfdosen. Insgesamt soll die EU demnach etwa 600 Millionen Impfdosen für alle 27 Mitgliedsstaaten erhalten.
In NRW sollen zuerst Obdachlose mit dem Johnson&Johnson-Impfstoff geimpft werden. Der Grund: Bei dem Vakzin wird keine zweite Impfung benötigt. Eine solche wäre bei Personen ohne festen Wohnort schwierig zu organisieren.
George W. Bush erfindet sich neu. Der ehemalige republikanische US-Präsident, der in seiner Amtszeit mit falschen Behauptungen den Einmarsch der US-Armee im Irak begründete, arbeitet an einer milderen Beleuchtung seines Charakters.
Der heute 74-Jährige, der im Ruhestand mit dem Malen begann und mittlerweile über ein beachtliches Oeuvre verfügt, beruft sich dabei auf Winston Churchill, der im Alter von 40 als Marineminister seine Inspiration in der impressionistischen Malerei fand. Ein ironischer Bush Junior sagt:
If that old boy can paint, I can paint.
Churchill malte vor allem Motive aus der ihn umgebenden Natur. George W. Bush dagegen versteht seine Bilder als politisches Statement. Er will als Freund der Einwanderer wahrgenommen werden, weshalb er Portraits von Menschen malt, die in die Vereinigten Staaten eingewandert sind. In seinem neuen Buch „Out of Many, One: Portraits of America's Immigrants“ werden neben den gemalten Porträts die Geschichten der Einwanderer erzählt. Er erklärt:
© Random House Books (Ausschnitt)My hope is that this book will help focus our collective attention on the positive impacts that immigrants are making on our country.
Seine Frau Laura kann sich über die spät erwachte Mal-Leidenschaft ihres Boy George nur wundern. Während ihrer gemeinsamen Zeit im Weißen Haus habe der Gatte die dort gehängten Werke der klassischen Malerei keines Blickes gewürdigt:
I was shocked! He hadn't even ever looked at art.
Ich wünsche ihnen einen lebensfrohen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr