„Uns erwartet harte Arbeit“: Wirtschaftsminister im Interview

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Guten Morgen,

„Irren ist menschlich, lügen demokratisch“, so hat der bekennende Zyniker Nicolás Gómez Dávila die Zustände der Moderne beschrieben. Mittlerweile spielen auch viele Ökonomen mit gezinkten Karten. In der Öffentlichkeit loben sie die Große Koalition und ihre milliardenschweren Rettungspakete. In vertraulichen Papieren gehen sie dagegen auf Distanz zu einer Schuldenpolitik, deren Wirkung a) zweifelhaft, b) teuer und c) für die Zukunft belastend ist.

 © dpa

Schon in den Tagen vor Pfingsten, also vor dem entscheidenden Koalitionsausschuss am 3. Juni, hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzminister in einer fünfseitigen Analyse vor einem kostspieligen Krisenaktivismus gewarnt:

Trotz der Schwere der Krise handelt es sich bislang um keinen typischen Fall einer Krise, die die üblichen konjunkturpolitischen Maßnahmen erfordert.

Besonders dem Kernstück des von Olaf Scholz als „klassisch sozialdemokratisch“ charakterisierten Konjunkturpakets erteilt das Gremium, dem auch Ifo-Chef Clemens Fuest angehört, eine kaum verklausulierte Absage. Die Verfasser glauben, dass eine Mehrwertsteuersenkung womöglich gar kontraproduktiv wirkt:

Eine Infografik mit dem Titel: Das Konjunkturpaket

Die zehn größten Posten, in Milliarden Euro

Eine konjunkturpolitische Erhöhung der Kaufkraft würde sich angesichts der bestehenden strukturellen Veränderungen vermutlich auf die Produkte richten, die ohnehin knapp sind, also eher die bestehende Überhitzung in diesen Sektoren verstärken.

Auch die ausschließliche Finanzierung des Programms über Kredite stößt keineswegs auf das Wohlgefallen des Beirates. Grundsätzlich müsse die Politik bei allen Maßnahmen zur Krisenbekämpfung darauf achten, heißt es dort, „dass die Konzepte weder die finanziellen Möglichkeiten des Staats überdehnen, noch in einer Weise in die Struktur der sozialen Marktwirtschaft eingreifen, dass sie dieses System dauerhaft beschädigen“.

Fazit: In der Retrospektive liest sich das Papier wie ein Stoppschild, das der Bundesfinanzminister mit Vorsatz überfahren hat. Scholz ist damit begründungspflichtig. Vielleicht interessiert sich der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages nach beendetem Corona-Schlaf für diese Angelegenheit.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland in EU Spitzenreiter bei Corona-Hilfen

Von der EU-Kommission bewilligte Hilfen, in Prozent

Zumindest international melden sich die Kritiker der bundesdeutschen Rettungsorgie zu Wort. Der ehemalige USA-Korrespondent des „Economist“ und spätere Chefredakteur der „Handelsblatt Global Edition“ Andreas Kluth, heute Opinion Columnist bei „Bloomberg“, sieht in Deutschland einen Wandel der Regierungsphilosophie – von einer marktfreundlichen Politik zu staatlichem Interventionismus. Er warnt:

Überall dort, wo Medikamente in riesigen und plötzlichen Dosen verabreicht werden, besteht die Gefahr unangenehmer Nebenwirkungen.

Die Bundesregierung müsse wie jeder „kluge Arzt“ sicherstellen, dass die Behandlung in der Notaufnahme nicht in einer chronischen Therapie ende:

Stimuli sind in diesem Sinne wie Opioide: Notwendig für die Linderung im Notfall, aber süchtig machend und ruinös, wenn sie länger andauern.

 © Anne Hufnagl

Ein bemerkenswerter Satz dieser Corona-Krise war der optimistische Ausblick des Wirtschaftsministers: „Kein Arbeitsplatz muss wegen Corona verloren gehen.“ Peter Altmaier sagte ihn im März. Inzwischen ist dieser Optimismus verflogen. 7,3 Millionen Menschen befinden sich in Kurzarbeit, der Export ist in den Corona-Monaten um über 30 Prozent eingebrochen, in der Industrie stehen Hunderttausende Jobs zur Disposition; Ökonomen warnen davor, dass die Zahl der Privatinsolvenzen in den kommenden Monaten deutlich steigen wird. Zeit, bei Altmaier nachzufragen, wie er die Lage Deutschlands heute einschätzt. „Welt“-Vize Robin Alexander und ich haben den Minister an Bord der PioneerOne eingeladen und für den Morning Briefing Podcast befragt. Er sagt:

Wir befinden uns im Augenblick mitten in einer Phase, in der sich der Shutdown, das Schließen der Geschäfte, der Wegfall von Nachschub, Verbindungen und Versorgungslinien, bemerkbar machen.

Niemand kann die Lage sicher vorhersagen, weil niemand weiß, wie lange es dauert, bis wir die Talsohle verlassen haben. Deshalb müssen wir einen realistischen, aber gleichwohl optimistischen Kurs fahren.

Eine Infografik mit dem Titel: Beispielloser Einbruch in der Krise

Deutscher Export gegenüber dem Vorjahresmonat, in Prozent

Altmaier ist überzeugt, dass die deutsche Wirtschaft die Chance besitzt in der Post-Corona-Zeit schnell wieder anzuspringen:

Ich glaube nach wie vor daran, dass es möglich ist, in der zweiten Hälfte des zweiten Halbjahres wieder positive Zahlen zu schreiben. Aber bis es so weit ist, erwartet uns noch harte Arbeit.

Wir werden feststellen, dass wir in Deutschland in puncto Arbeitslosigkeit sehr viel besser wegkommen als fast alle anderen europäischen Länder und insbesondere auch die USA.

 © Anne Hufnagl

Er empfiehlt der Koalition, sich die Angebotsbedingungen der Unternehmen noch einmal anzuschauen:

Es gibt sehr viele Möglichkeiten, die gar nicht so besonders viel Geld kosten, sondern oftmals ohne größere staatliche Ausgaben zu haben wären: Liberalisierungen, Entbürokratisierungen, Baumaßnahmen, Planungs- und Beschleunigungsmaßnahmen.

Auf die Frage, welche Überschrift er dereinst über seinem Wirken gern lesen würde, sagt er:

Dann sollen die Menschen sagen, dass er nicht alles falsch gemacht hat.

Fazit: So wie Gesundheitsminister Jens Spahn in der Pandemie-Bekämpfung erwachsen geworden ist, hat die Wucht der Ereignisse den Wirtschaftsminister demütig gemacht.

Der Volkswagen-Konzern hat die Vorgänge um das etwa zehnsekündige Werbevideo zum Golf 8 untersucht, das Mitte Mai aufgrund seines rassistischen Inhaltes für weltweites Aufsehen sorgte.

 © dpa

► Zu sehen war eine große weiße Hand, die einen schwarzen Mann herumschubst, am Kopf packt und schließlich in einen Hauseingang schnippt.

► Das Gebäude ist das Café „Petit Colón“ in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Der Name lässt sich als „Kleiner Kolonist“ übersetzen.

► Gegen Ende des Videos erscheint zudem eine Buchstabenfolge, deren Einblendung das Wort „Neger“ suggeriert.

 © Twitter

Der Vorstand hat den Vorfall untersucht – und partout keinen Schuldigen gefunden. Es gebe keine Anzeichen für einen rassistischen Vorsatz, heißt es. Daher gebe es auch keine personellen Folgen.

VW-Rechtsvorständin Hiltrud Werner sagt:

Wir haben fehlende Sensibilität und prozessuale Fehler festgestellt.

An verschiedenen Stellen sei es zu einem „Versagen der Kontrollprozesse“ gekommen, absichtlicher Rassismus spiele keine Rolle.

Personelle Konsequenzen würden wir nur dann ziehen, wenn vorsätzlich und wissentlich gegen unseren Code of Conduct und unsere Werte verstoßen wurde.

Wir lernen, was wir schon wussten. Der alltägliche Rassismus heißt auch deshalb so, weil er alltäglich ist. Keiner hat ihn geplant. Er passiert. Immer wenn man ihn verhaften will, ist er schon wieder weg. Eine eigene Wohnanschrift besitzt er nicht. Er wohnt bei den feinen Adressen zur Untermiete.

 © dpa

Nach dem angekündigten Rückzug von US-Truppen aus Deutschland sind bei der US-Regierung neue Freundschaftsangebote aus Europa eingetroffen. In Warschau bemüht man sich seit Jahren darum, dass Washington mehr Truppen im Land stationiert, um sich vor „dem Russen“ zu schützen. Nun will man den historischen Moment nutzen.

Derzeit läuft 100 Kilometer östlich von Stettin, auf dem Truppenübungsplatz Drawsko Pomorskie, die Großübung „Defender-Europe 20 Plus“. Beteiligt sind neben 4000 amerikanischen auch 2000 polnische Soldaten.

 © dpa

Polens Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak bezeichnete die Teilnahme der US-Truppen inmitten der Corona-Pandemie als „Ausdruck des Vertrauens“. Die Übung sei ein Beleg für die „sehr gute Kooperation beider Nationen“.

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Im Hauptstadt-Newsletter von ThePioneer berichten meine Kollegen heute unter anderem über folgende Themen:

► Viele Milliarden, wenig Wirkung? Selbst Experten im Wirtschaftsministerium rechnen nicht mit einem besonders positiven Effekt des Konjunkturpakets. Nur 0,2 Prozentpunkte plus beim Wirtschaftswachstum könnte das 130-Milliarden-Euro Paket dieses Jahr bringen.

► Zum Holocaust-Gedenktag bereitet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eine bisher einzigartige Würdigung vor. Die Kollegen wissen, was er plant.

► Der ehemalige Wehrbeauftragte Peter Bartels schreibt für ThePioneer exklusiv, was nach dem amerikanischen Truppenabzug bleibt: „Hier in Deutschland stehen keine kriegsstarken Army-Korps mehr, nicht einmal Divisionen, sondern als symbolischer Rest noch zwei Kampfbrigaden. Eine weitere rotiert durch Polen.“

 © imago

Die Grünen wollen den Rassebegriff aus dem Grundgesetz streichen. Für Parteichef Robert Habeck und die grüne Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteiner Landtags, Aminata Touré, steht fest:

Es ist Zeit, dass wir Rassismus verlernen.

Der Begriff manifestiere eine Unterteilung von Menschen in Kategorien, die dem Anspruch und dem Geist des Grundgesetzes widersprechen.

Es gibt eben keine ,Rassen‘. Es gibt Menschen.

Konkret geht es um Artikel drei Absatz drei des Grundgesetzes . Dort heißt es:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Innenminister Horst Seehofer zeigt sich gesprächsbereit. Er will sich ernsthaft mit dem Vorstoß der Grünen beschäftigen:

Ich versperre mich da nicht.

 © ThePioneer

Die Podcast-Reihe „Der 8. Tag wird auf tausendfachen Wunsch unserer Hörerinnen und Hörer auch in der Nach-Corona-Zeit fortgesetzt, immer freitags, ab 21:00. Wir sind heute Abend zu Gast bei Amir Kassaei. Als 13-jähriger Kindersoldat zog der gebürtige Iraner in den Golfkrieg, bevor er sich in den Westen absetzte. In New York stieg er zum weltweiten Kreativchef des Werbegiganten DBB Worldwide auf. Jetzt hat er mit dem Konsumkapitalismus gebrochen. Heute Abend teilt er mit uns seinen radikalen Perspektivwechsel. Prädikat: inspirierend.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in das Wochenende. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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