EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat auch im Europaparlament nur noch wenige Freunde. Mit müdem Applaus auf den spärlich besetzten Rängen und untermalt von Abgeordneten, die im Schlussakkord ihrer Rede demonstrativ aufsprangen, beendete sie ihre gestrige Erklärung zum Impffiasko. Erneut präsentierte sie keine plausiblen Gründe für die verspäteten Impfstoffkäufe. Sie wand sich. Und erneut zeigt sie auf die Hersteller der kostbaren Ware. Sie sagte:
Wir waren spät dran bei der Zulassung. Wir waren zu optimistisch bei der Massenproduktion. Und vielleicht waren wir uns auch zu sicher, dass das Bestellte tatsächlich pünktlich geliefert wird.
Entsprechend kühl fällt heute Morgen das Medienecho in Europa aus.
„Le Figaro” kommentiert:
Von der Leyen will ‚Lektionen’ für die Zukunft lernen, während die Europäische Union am Dienstagabend die Marke von 500.000 Toten überschritten hat und Drittländer an der Spitze des ‚Rennens’ stehen.
Auch die hiesige Presse schont die deutsche Kommissionspräsidentin nicht. Stefan Kornelius von der „Süddeutschen Zeitung” sagt in seiner Video-Kolumne:
© dpa14 Monate nach ihrem Amtsantritt ist Ursula von der Leyen in einer schweren Krise gelandet.
Für den Morning Briefing Podcast baten wir den WDR-Brüssel Korrespondenten Ralph Sina und den „Politico”-Hauptstadtjournalisten Matthew Karnitschnig um ihre Bewertung.
Ralph Sina kritisiert:
© imagoUrsula von der Leyen hat die große Chance vertan, authentisch und klar ihre eigenen Fehler vor dem EU-Parlament zuzugeben.
„Politico”-Hauptstadtkorrespondent Matthew Karnitschnig glaubt dennoch nicht an persönliche Konsequenzen:
Sowohl Merkel als auch Macron werden sie schützen, weil sie nicht wollen, dass sie in Schwierigkeiten gerät. Das wäre inmitten der Krise eine weitere Krise, die die EU sich nicht leisten kann.
Fazit: Damit ist nicht die Amtszeit, wohl aber der Höhenflug der Ursula von der Leyen beendet. Das Sterben in der EU, das durch den fehlenden Impfstoff nicht ausgelöst, aber begünstigt wird, überschattet sie.
Erneut kamen am gestrigen Nachmittag Bund und Länder zusammen, um die weitere Bekämpfung der Corona-Pandemie zu diskutieren. Die wichtigsten Beschlüsse im Überblick:
Die aktuell geltenden Maßnahmen werden grundsätzlich bis zum 7. März verlängert. Begründet wird dies vor allem mit dem Risiko neuartiger Mutationen.
Sollte bis dahin eine stabile Sieben-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner erreicht werden, dürfen schrittweise der Einzelhandel, Museen und Galerien sowie Betriebe mit körpernahen Dienstleistungen unter Hygiene-Auflagen wieder öffnen.
Friseurbetriebe dürfen ihren Betrieb am 1. März wieder aufnehmen.
Wann Schulen und Kitas wieder öffnen, muss jedes Bundesland für sich entscheiden. Hier gab es Unstimmigkeit zwischen der Bundeskanzlerin und den Länderchefs.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wurde aufgefordert, die frühzeitige Impfung der Kindertagesbetreuer sowie von Lehrkräften an Grundschulen zu prüfen.
Heute Morgen wird sich der Bundestag mit den Beschlüssen der gestrigen Corona-Runde im Kanzleramt befassen. Einmal mehr kann das Parlament lediglich zur Kenntnis nehmen, was die Exekutive von Bund und Ländern ohne ihre Beteiligung beschlossen hat. Wesentliche Entscheidungen stehen laut Grundgesetz unter Parlamentsvorbehalt, aber nicht unter Pandemievorbehalt, sagt Linda Teuteberg, FDP-Vorstandsfrau, Bundestagsabgeordnete und Sprecherin der Liberalen im Innenausschuss. Sie nennt das „Corona-Fundamentalismus” und begründet im Gespräch für den Morning Briefing Podcast ihre kritische Position und die dahinter liegende Sorge:
Der Niedergang der normalen Denkkategorien und Argumentationsstandards in unserem Rechtsstaat, das treibt mich um.
Der Diskurs habe sich im Zuge der Pandemie zulasten der Freiheit verändert:
Wir haben im Moment eine Debatte, bei der es nach der Devise geht: Leben schlägt Freiheit. Es dominiert eine archaische Schwarz-Weiß-Logik, ein binäres Falsch-Richtig- und Gut-Böse-Denken, was der Sache nicht angemessen ist.
Die rhetorischen Figuren der Kanzlerin behagen ihr nicht:
Ethische Dilemmata, die aus den Entscheidungen resultieren, werden beschwiegen und als Öffnungsdiskussionsorgien diffamiert.
Sie fühlt sich und all jene, die die Grundrechte verteidigen, in eine Ecke gedrängt:
Man hat den Eindruck, dass diejenigen, die die Grundrechte verteidigen, sich wappnen und rechtfertigen müssen.
Auch über die auffällige Regierungstreue der Noch-Oppositionspartei Bündnis 90/Die Grünen haben wir gesprochen. Sie sagt:
Die Grünen sind offenbar eher die Erklärer und ‚her majesty most loyal opposition’, wie es Robin Alexander so schön formulierte.
Linda Teuteberg glaubt hinter der grünen Duldsamkeit ein Muster zu erkennen, das womöglich erst in einem schwarz-grünen Bündnis zum Tragen kommt:
© imagoDieser Flirt mit dem Ausnahmezustand hat auf einer tieferen Ebene einen Charme für manche: ‚Schaut mal, was geht.’ Man kann auch stärker durchregieren, mehr Vorschriften machen, tiefer in das Leben von Menschen eingreifen.
Fazit: Linda Teuteberg hat ihr Amt als FDP-Generalsekretärin verloren, aber ihre Stimme gefunden.
Der Fall Alexei Nawalny zieht Kreise. Deutschland weist einen russischen Diplomaten aus, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wird bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow in Moskau als Lügner dargestellt und gedemütigt.
Die Beziehungen zwischen Europa und Russland sind erkaltet. Oder wie es der Grünen-Abgeordnete Sergey Lagodinsky formuliert:
Man ist seit Jahren schon geneigt zu sagen, die Beziehungen zu Russland befänden sich an einem Tiefpunkt. Aber es geht immer noch tiefer.
Meine neue Kollegin Marina Kormbaki, Korrespondentin im Pioneer-Hauptstadt-Team und Expertin für die Außen-, und Sicherheitspolitik, analysiert heute Morgen die Beziehungen zwischen den Ländern. Ihren Artikel lesen Sie hier.
Das war ein nachträgliches, aber würdiges Geschenk für den bekennenden Freigeist Hubert Burda, der vorgestern seinen 81. Geburtstag feierte. Vor dem Münchner Landgericht ist das in gleicher Weise ambitionierte wie fragwürdige Vorhaben von Jens Spahn, das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in Kooperation mit dem Internetkonzern Google als wichtigste Quelle für Gesundheitsinformation zu etablieren, vorerst gescheitert.
Die Zusammenarbeit sah vor, das von staatlich finanzierten Journalisten gestartete Gesundheitsportal des Bundes gesund.bund.de bei Anfragen zu Covid-19-Infektionen oder Beschwerden wie Migräne in der Suchabfrage zu bevorzugen. Das Landgericht München wertete das Projekt gestern als Kartellverstoß. In der Urteilsbegründung, die freilich noch angefochten werden kann, erklärte Richterin Dr. Gesa Lutz:
Das BMG ist mit Google eine Vereinbarung eingegangen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Gesundheitsportale bewirkt.
© dpaDie Nachteile liegen insbesondere in einer möglichen Verdrängung der seriösen privaten Gesundheitsportale und in der damit verbundenen drohenden Reduzierung der Medien- und Meinungsvielfalt.
Die Hubert Burda Media hatte über NetDoktor.de, ihre Tochterfirma, die Klage eingereicht. Vorstandsmitglied Philipp Welte zeigt sich zufrieden mit dem gestrigen Urteil:
Diese Entscheidung ist ein erster wichtiger Schritt in einem grundsätzlichen Verfahren, in dem nichts weniger als die Freiheit der Presse verhandelt wird.
Fazit: Glückwunsch! So klingt das Happy Birthday der Verleger. Das neue Lebensjahr des Hubert Burda beginnt mit einer Fanfare für die Pressefreiheit.
Wer an den Aktienmärkten profitieren will, darf nicht alles glauben. So geschah es in den vergangenen Monaten immer wieder, dass Investoren jene Aktien, die sie empfahlen, verwechselten und so den Kurs von kleinen unbekannten Unternehmen aus Versehen beflügelten. Sobald die Anleger den Fehler bemerkten, fielen die Kurse:
Tesla-Chef Elon Musk rief im Januar seine Follower auf Twitter dazu auf, den verschlüsselten Nachrichtendienst Signal zu nutzen und löste damit einen sechsfachen Anstieg der Aktie von Signal Advance aus, einer Firma aus Texas. Doch diese hat nichts mit Nachrichtenübermittlung zu tun, sondern stellt Medizinprodukte her.
Eine Infografik mit dem Titel: Das falsche Signal
Kursentwicklung der Signal-Advance-Aktie seit dem 10. Dezember 2020, in US-Dollar
Durch die Corona-Pandemie erlebte die Firma Zoom ihren Durchbruch. Auch auf den Aktienmärkten machte sich der Boom bemerkbar, jedoch anstatt des Kurses der eigentlichen Firma Zoom Video Communications, stieg der von ZOOM Technologies rasant. Das Unternehmen sitzt in Peking und hat außer der Namensgleichheit nichts mit dem Konferenzanbieter aus dem kalifornischen San José gemein.
Eine Infografik mit dem Titel: Ein teures Missverständnis
Kursentwicklung der ZOOM-Technologies-Aktie seit dem 2. Januar 2020, in US-Dollar
Fazit: Lesen bildet. Auch Kapital.
Deutschland soll Vorreiter beim autonomen Fahren werden. Dieses Ziel hat sich zumindest das Bundesverkehrsministerium gesteckt. Bis 2022 will man selbstfahrende Fahrzeuge für den Regelbetrieb zugelassen haben.
Dazu hat das Bundeskabinett am Mittwoch einen Gesetzentwurf beschlossen, der einen rechtlichen Rahmen für das autonome Fahren setzt. Das geplante Gesetz sieht zunächst nur vor, dass Fahrzeuge in festgelegten Betriebsbereichen ohne Fahrer unterwegs sein dürfen. Deutschland werde laut Verkehrsminister Andreas Scheuer das erste Land sein, das „autonome Fahrzeuge aus den Forschungslaboren auf die Straße” holt.
Apropos Verkehrsminister: Die neue Lebensgefährtin des CSU-Politikers heißt Julia Reuss und arbeitet im Bundeskanzleramt als Büroleiterin von Dorothee Bär, der CSU-Staatsministerin für Digitales. Nun will sich die Frau verändern, zumindest beruflich. Ohne Karenzzeit ist ihr Wechsel vom Kanzleramt zu Facebook geplant, wo sie künftig als Cheflobbyistin für Zentraleuropa tätig sein möchte. Das hat kein Geschmäckle. Das hat Geschmack.
Speerwurf-Bundestrainer Boris Obergföll fordert, dass die deutsche Olympia-Delegation möglichst frühzeitig geimpft wird. 1000 Athleten und Betreuer sind für die Reise nach Tokio eingeplant, die, sobald die Risikogruppen versorgt seien, möglichst schnell an die Reihe kommen sollen:
© imagoSie sollten geimpft werden – und das nicht erst zwei Wochen vor den Spielen.
Auch der Vorstandschef von Bayern München, Karl-Heinz Rummenigge, mischt in der Impfdebatte mit. Er sieht geimpfte Fußballspieler als effektives Mittel, um die Impf-Zweifel der Bevölkerung zu beseitigen:
Denn ich weiß als ehemaliger Fußballer, was der Körper für einen Sportler bedeutet: Alles! Wir wollen uns überhaupt nicht vordrängeln, aber Fußballer könnten als Vorbild einen gesellschaftlichen Beitrag leisten.
Die Belegschaft der PioneerOne wartet derweil geduldig, bis sie beim Impfen an der Reihe ist. An Bord gilt das Motto: Nicht ducken, nicht drängeln. Unsere Probleme sind derzeit ohnehin nicht pandemischer, sondern meterologischer Natur: Schnee und Eis haben unser Medienschiff im historischen Berliner Westhafen festgesetzt, der bald seinen 100-jährigen Geburtstag feiert.
Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr