USA: Einsamste Schutzmacht der Welt

Teilen
Merken
 © ThePioneer

Guten Morgen,

früher sprachen deutsche Politiker über Amerika im warmen Ton der Zuneigung. Das Land von Jeans, Rock ’n’ Roll und Mondlandung war die Angebetete unter den Nationen.

Kanzler Konrad Adenauer sagte im Jahr 1967:

Das Wesentliche und Grundsätzliche, die Erhaltung der Freiheit und des Friedens als die höchsten Güter der Menschheit, sind in den Vereinigten Staaten und in Europa in gleicher Weise Ziel der Politik.

 © dpa

Im Jahr 1998 sagte der damalige Kanzler Helmut Kohl über die transatlantischen Beziehungen:

Wir müssen und wir wollen diesen Schatz bewahren und pflegen.

Helmut Kohl und Ronald Reagan.  © imago

Diese Zeiten sind Lichtjahre von der politischen Wirklichkeit im Januar 2020 entfernt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind die einsamste Schutzmacht der Welt. Aus Freunden wurden Follower, aus Followern wurden Fremde. Nach der gezielten Tötung des ranghohen iranischen Generals Soleimani wird Präsident Donald Trump nach Tagen der Sprachlosigkeit verbal angegriffen.

Der ehemalige Außenminister und heutige Chef der Atlantikbrücke Sigmar Gabriel feuert im „Tagesspiegel“ seine Salven ab. Der Sozialdemokrat stimmt dem Demokraten Joe Biden in dessen Urteil zu:

Donald Trump hat eine Stange Dynamit in ein Pulverfass geworfen.

Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Union, kennt keine Verwandten mehr:

Ich bin der Meinung, dass der Drohnenangriff falsch war. Bisher können uns die Amerikaner nicht erklären, welchen Zweck der Angriff verfolgt außer der Vergeltung.

 © ThePioneer

Und Kanzlerin Merkel? Schnappt sich ihren leichtgewichtigen Außenminister Heiko Maas und fährt nach Moskau, um sich mit Wladimir Putin zu beraten. Es sei naheliegend, dass die Kanzlerin mit Putin „über die derzeit aufgebrochenen Konfliktherde“ spreche, sagt ihr Regierungssprecher.

Eine Kontinentaldrift hat eingesetzt, es wirken politische Zentrifugalkräfte, die vieles auseinanderreißen könnten – am Ende auch das, was wir früher den Westen nannten.

Die innere Zerrissenheit der deutsch-amerikanischen Beziehung ist kein Ereignis jüngeren Datums. Drei Urkräfte wirken zeitgleich auf die Gegenwart:

Erstens: Die amerikakritische Traditionslinie wurzelt tief. Die Präsidenten Nixon (Watergate), Reagan („Krieg der Sterne“) und George W. Bush (Irak-Einmarsch) waren als Lieblingsbösewichte der Deutschen die frühen Vorfahren des Donald Trump. Der allerdings hat nun als Oberschurke seinen Auftritt. Die Linke vibriert vor Empörung.

Zweitens: Deutschland leidet auch in der Wirtschaft – und zwar zunehmend unter amerikanischer Dominanz. Die Konzerne des Industriezeitalters (Siemens, Krupp, Daimler) werden abgelöst von den Giganten der Digitalwirtschaft wie Google, Apple und Facebook. Das nervt. Das zerstört Geschäftsmodelle und nationales Selbstvertrauen.

Eine Infografik mit dem Titel: USA und Deutschland: Eine ambivalente Beziehung

Bewertung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses im Jahr 2019, in Prozent

► Drittens: Deutschland wurde im Zuge der Wiedervereinigung ein anderes Land. Ausgerechnet seit der Implosion der Sowjetunion erleben die USA ihre emotionale Zurückweisung. Nicht nur, aber vor allem in Ostdeutschland fühlt und sucht man die Nähe zu Russland. Ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Landsleute liegt im Bett der Schutzmacht Amerika, aber träumt von Putin.

 © ThePioneer

Die Tötung von Soleimani durch die USA hat die Lage im Nahen Osten verschärft. Im Iran nahmen dem Staatsfernsehen zufolge Millionen Menschen Abschied von dem General. Im Westen überwiegt die Furcht vor weiterer Eskalation.

 © dpa

UN-Generalsekretär António Guterres mahnt:

Das neue Jahr hat mit einer Welt in Aufruhr begonnen.

Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Boris Johnson erklären gemeinsam:

Es kommt nunmehr entscheidend darauf an, zu deeskalieren. Die aktuelle Spirale der Gewalt im Irak muss beendet werden.

 © dpa

Gleichzeitig geht zwischen den direkt beteiligten Nationen der Krieg der Worte weiter. US-Präsident Donald Trump:

Sie dürfen unsere Leute töten. Sie dürfen unsere Leute foltern und verstümmeln. Sie dürfen Straßenbomben nutzen und unsere Leute in die Luft jagen. Und wir dürfen ihre kulturellen Stätten nicht anfassen? Das funktioniert so nicht.

Die Tochter des getöteten Generals, Seinab Soleimani, droht:

Verrückter Trump, denke nicht, dass mit dem Märtyrertod meines Vaters alles vorbei ist.

Nachdem gestern im Morning Briefing Podcast der US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, seinen Standpunkt vertrat, wird heute ein anderer Blickwinkel eingenommen. Ich habe mit dem Präsidenten der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, Dr. Michael Lüders, gesprochen. Der Publizist, Nahostexperte und ehemalige „Zeit“-Redakteur ist Verfasser des Bestsellers „Wer den Wind sät“ und gilt als scharfer Kritiker der US-Politik in Nahost. Lüders sagt:

Soleimani war ja kein Warlord, man hat hier nicht irgendeinen Kriegssöldner aus dem Weg geschafft. Er war Soldat einer regulären Streitmacht. Stellen wir uns vor, die Iraner würden das mit einem amerikanischen General irgendwo auf der Welt machen. In jedem Fall würden wir von Staatsterrorismus reden.

Die amerikanische Haltung ist klar. Man will durch maximalen Druck, den Iran in die Knie zwingen, damit der am Ende seine Kapitulation unterschreibt. Das wird die iranische Führung niemals tun.

Es gibt diese Fiktion, man könnte durch eine Sprache der militärischen Stärke die Gegenseite in die Knie zwingen. Das funktioniert nicht.

Sollte es zu einem Krieg im Nahen Osten kommen, befürchtet Lüders dramatische Folgen:

Wenn die Region ein weiteres Mal in Flammen aufgeht und Millionen Menschen auf der Suche nach Sicherheit sich in Richtung Europa begeben, dann hält keine Regierung in Europa diesen innenpolitischen Druck aus. Es wird keine Bereitschaft geben, noch einmal Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, schon gar nicht für längere Zeit.

Fazit: Die Welt präsentiert sich zu Beginn des Jahres 2020 als unwirklicher Ort. Der große Knall ist möglich geworden. Wo es eben noch nach gebrannten Mandeln und Lebkuchen roch, riecht es jetzt nach Schießpulver.

Eine Infografik mit dem Titel: Nervöse Märkte: Ölpreise steigen

Preisentwicklung für die Sorten Brent und WTI je Barrel, in US-Dollar

An den Finanzmärkten schlagen die Seismografen aus. Die Nervosität der Anleger zeigt sich in den Preisen für Rohstoffe und Edelmetalle. Für das US-Rohöl der Sorte West Texas Intermediate (WTI) wurde gestern zeitweise bis zu 64,72 US-Dollar je Barrel (159 Liter) verlangt – der höchste Stand seit dem vergangenen April.

Eine Infografik mit dem Titel: Auf Rekordkurs

Entwicklung der Goldpreise, in US-Dollar und Euro

Die Preise für Gold stiegen auf neue Höchststände. Der Kurs für eine Feinunze (31,1 Gramm) kletterte zwischenzeitlich auf 1.588,13 US-Dollar und damit auf den höchsten Stand seit dem Frühjahr 2013. In Euro gerechnet stieg der Preis für das Edelmetall zwischenzeitlich sogar auf ein neues Rekordhoch von 1.422,88 Euro.

Entsprechend bergab ging es an den Aktienmärkten. Der Dax fiel am Montag zeitweise um zwei Prozent auf 12.950 Punkte, schloss aber noch über der Marke von 13.000 Punkten – ein Minus von 0,7 Prozent. Am Freitag hatte der Index bereits 1,3 Prozent nachgegeben.

In Zeiten der Unsicherheit gibt es nicht nur Verlierer. Die Nachfrage nach Gold beschwingt das Geschäft der Minenindustrie. Auch weitaus risikoreichere Anlagen wie die Kryptowährung Bitcoin haben nun einen Lauf. Deren Kurs stieg in der Nacht auf Dienstag um fast acht Prozent auf 7.943 Dollar. Schon Börsen-Altmeister André Kostolany wusste, warum: Kaufen, wenn die Kanonen donnern.

Donald Trumps Handelskriege schlagen auf die heimische Wirtschaft durch. Die US-Handelskammer warnt vor schweren Belastungen für heimische Unternehmen und appelliert an das Weiße Haus, die Auseinandersetzungen mit China und Europa zu entschärfen. Dem Handelsministerium zufolge sind mittlerweile in der Hälfte der US-Bundesstaaten mehr als 25 Prozent der Ausfuhren mit Vergeltungszöllen belegt. In mehr als einem Dutzend dieser Staaten hat Trump die vergangenen Präsidentschaftswahlen für sich entschieden.

Eine Infografik mit dem Titel: Alarmsignal für Trump

Bundesstaaten, in denen mehr als 25 Prozent der Exporte durch chinesische oder europäische Strafzölle belastet werden

Fazit: Während das Impeachment-Verfahren im Trump-Lager kaum negative Folgen für den Präsidenten haben dürfte, sollten die Zahlen aus dem Handelsministerium aufhorchen lassen. Das Portemonnaie wählt mit.

 © dpa

FDP-Chef Christian Lindner hat den Blaumann angezogen. In diesem Jahr geht der Parteichef als Freund der Malocher in die politische Saison und umwirbt beim traditionsreichen Dreikönigstreffen die Facharbeiter. Jene also, die sich vom Linkskurs der neuen SPD nicht angemessen repräsentiert fühlen. Lindner sagte:

Unser Herz und unsere Leidenschaft gehören all denjenigen, die es überhaupt noch mit Fleiß, Sparsamkeit und Einsatzbereitschaft zu etwas bringen wollen im Leben. Die brauchen uns nämlich, weil sie andere Verbündete nicht haben.

 © imago

Stolz präsentierte er zum Beweis der Sozialdemokratisierung der FDP gestern einen prominenten Ex-Genossen als neues Mitglied der Liberalen. Sein Name: Florian Gerster. Zur Erinnerung: Der mittlerweile 70-Jährige ist erfahren, zumindest, was Affären angeht. Wegen Pfuschs bei der Vergabe von Beraterverträgen und anschließender Vertuschung der Affäre hat ihn der damalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement 2004 als Chef der Bundesagentur für Arbeit entlassen.

Die FDP als Auffangbecken für in Ungnade gefallene Genossen - das hat Potenzial. Weitere Neuzugänge aus der Asservatenkammer der Sozialdemokratie bieten sich an:

► Ulla Schmidt (70), 2009 im Zuge der „Dienstwagen-Affäre“ als Gesundheitsministerin entlassen, steht zur Verfügung. Die Ministerin nutzte ihre Staatskarosse auch für Urlaubsfahrten ins spanische Alicante.

Björn Engholm (80), einst Kanzlerkandidat der SPD, trat im Gefolge der Barschelaffäre zurück. Seine Empörung über die Machenschaften des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten war gut gespielt. Er war Tage vorab informiert gewesen.

 © dpa

Rudolf Scharping (72) holte sich 2002 seine Entlassungspapiere als Verteidigungsminister. Nachdem er zunächst mit Lebensgefährtin badend im Mallorca-Urlaub abgelichtet worden war, während die Bundeswehr vor einem Mazedonien-Einsatz stand, kosteten ihn Geschäfte mit dem PR-Berater Moritz Hunzinger das Amt.

Mit dieser Truppe der „Silberrücken“ könnte Lindner, der heute seinen 41. Geburtstag feiert, nicht nur die Arbeiterhochburgen erobern, sondern auch die Seniorenresidenzen. Das Motto des diesjährigen Dreikönigstreffens wartet schließlich auf seine Umsetzung: „Denken wir groß.“

Ich wünsche dem Geburtstagskind und Ihnen einen humorvollen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing