USA: Rückkehr zur Realpolitik

Teilen
Merken

Guten Morgen,

die Welt ist durch den Regierungswechsel in Washington eine bessere geworden. Die Ankündigung des neuen Präsidenten Joe Biden, den von Donald Trump geplanten Truppenabzug aus Deutschland zu stoppen, ist eine für dieses Land beruhigende Nachricht.

Gestern Abend gegen 18 Uhr deutscher Zeit gab Biden bekannt, dass es den von Trump geplanten Truppenabzug von immerhin 9500 Soldaten aus Deutschland mit ihm nicht geben wird. Nach „Jahren der Vernachlässigung“ will er das transatlantische Bündnis wiederbeleben, sagte er in seiner ersten außenpolitischen Rede.

Auf seiner ersten Europa-Reise: US-Präsident Joe Biden.

Biden ist nach eigenen Worten auch bereit, den konfrontativen Kurs seines Vorgängers Donald Trump gegenüber China aufzuweichen. Er sehe in der Politik gegenüber China auch Möglichkeiten zur Kooperation. Die Volksrepublik sei der größte Rivale der Vereinigten Staaten. Biden sprach unter anderem von „Wirtschaftsvergehen”, Angriffen auf die Menschenrechte und der Verletzung geistiges Eigentum. Aber: „Wir sind bereit, mit Peking zusammenzuarbeiten, wenn es in Amerikas Interesse ist.”

 © dpa

Zur Begründung dieses strategischen Schwenks sagt er:

We can’t do it alone. We must start with diplomacy rooted in America's most cherished democratic values.

Die Prinzipien seiner Außenpolitik definierte er wie folgt:

Defending freedom. Championing opportunity. Upholding universal rights. Respecting the rule of law. And treating every person with dignity.

Fazit: Mit seiner sehr entschlossen Rückkehr zu einer US-Politik, die Freundschaften pflegt und Rivalität nicht in Feindschaft abgleiten lässt, erneuert Biden den großen amerikanischen Nachkriegs-Konsens, der von Richard Nixon bis Barack Obama getragen hatte. Wir leben nichts Geringeres als die Rückkehr Amerika zu Realpolitik.

 © imago

Die Würde des Menschen ist antastbar, wie wir jeden Tag erfahren müssen. In China wird das Volk der Uiguren in Arbeitslagern kaserniert; in Myanmar setzt das Militär die Regierung ab und Wladimir Putin kann seinen Widersacher Alexei Nawalny offenbar nur als Häftling in einer Strafkolonie ertragen.

Wann immer Grobheiten dieser Art zu beklagen sind, reagiert ein Teil der Öffentlichkeit mit dem Ruf nach Sanktionen. Gestern war es wieder so weit. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses Gyde Jensen (FDP) forderte:

Die Bundesregierung muss sich die Frage gefallen lassen, was in Russland noch passieren muss, bis sie endlich anfängt, ein Moratorium der Pipeline zumindest in Erwägung zu ziehen.

 © dpa

Reaktionen dieser Art sind menschlich verständlich, aber nicht klug. Sanktionen erleichtern das Gewissen und verschärfen die Probleme. Im folgenden will ich fünf Argumente benennen, die unsere deutsche Sanktionsdebatte bereichern sollen:

1. Sanktionsregime sind wissenschaftlich weithin untersucht und für ihre Wirkungslosigkeit bekannt. Sie reduzieren sogar in aller Regel die Abhängigkeit des verfemten Landes von der Außenwelt und tragen somit mittelfristig zur Stärkung ihrer inländischen Volkswirtschaft bei. Denn das sanktionierte Land schaut sich nach neuen Kooperationspartnern und politischen Freunden um. Russland würde beispielsweise nur fester in die Arme der Chinesen getrieben – so wie zuvor Nordkorea.

2. Da kein Handelsgeschäft abgeschlossen wird, um dem Empfängerland zu nutzen, sondern in der Regel abgeschlossen wird, weil ein beiderseitiger Nutzen besteht, schaden Sanktionen beiden Seiten. Die Bundesrepublik baut die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht, um Putin einen Gefallen zu tun, sondern um Deutschland mit günstiger Energie zu versorgen.

Eine Infografik mit dem Titel: Kampf um die letzten Meter

Verlauf der beiden Nord-Stream-Piplines

3. Eine moralisch ausgerichtete Exportstrategie, mit Sanktionen gegenüber den Ölförderländern, den Russen, den Chinesen und den Regenwald-Abholzern in Brasilien würde das Ende des Exportmodells Deutschland bedeuten. Es kommt zur Selbstverletzung. Deutschland ist eines der größten Exportländer der Welt.

4. Sanktionen verletzten die Rechtsstaatlichkeit der internationalen Beziehungen, denn sie eröffnen einen bilateralen und daher willkürlichen Straf- und Belohnungsmechanismus jenseits der Welthandelsorganisation, den Vereinten Nationen und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

5. Wirtschaftssanktionen treffen in aller Regel nicht den Präsidenten, die Oligarchen oder andere Mitglieder der Elite. Sie treffen die Ärmsten der Armen. Sie werden fehlende Medikamente, verweigerte Öllieferungen und verknappte Lebensmittel als Terror der Ökonomie erleben.

Fazit: Das heißt nicht, nichts zu tun. Menschenrechtsverletzungen müssen angeprangert, untersucht und im Angesicht der Mächtigen thematisiert werden. Auch Beschämung ist Strafe. Und Waffenlieferungen an autoritäre Regime verbieten sich von selbst.

 © dpa

Im Morning Briefing Podcast spricht Michael Bröcker, der Chefredakteur von ThePioneer, mit Gerhard Schröder. Der Altkanzler pflegt seit langer Zeit ein gutes Verhältnis zu Wladimir Putin. In seinem neuen Buch, das er zusammen mit dem Historiker Gregor Schöllgen geschrieben hat („Letzte Chance: Warum wir eine neue Weltordnung brauchen”), plädiert Gerhard Schröder für eine neue strategische Partnerschaft mit Russland.

Wladimir Putin nennt er einen Provokateur, aber keinen Hasardeur. An Bord der Pioneer One sagte er im Sommer: „Putin ist mein Freund, wirklich mein Freund.” Wie beurteilt er die aktuellen Ereignisse in diesem Land und was bedeuten sie für die Beziehung des Westens zu Russland?

Die Vorstellung, Russland sei im Grunde die Fortsetzung der Sowjetunion nur mit anderen Mitteln, ist falsch.

Er wirbt um mehr Verständnis für Russland:

Ich möchte anstoßen, Russland zu begreifen – mehr als Partner und weit weniger als Kontrahent.

Gerhard Schröder © dpa

Menschen, die Putin wegen seiner repressiven Innenpolitik, die sich auch dieser Tage wieder zeigt, kritisieren, entgegnet er:

Kritik an den innenpolitischen Zuständen ist die eine Sache. Aber die Kritik an diesem Riesenland, das unser unmittelbarer Nachbar ist, dominieren zu lassen, das ist falsch.

Wladimir Putin und Gerhard Schröder  © dpa

Über die Verurteilung Nawalnys mag er sich nicht öffentlich äußern:

Was immer dort entschieden worden ist, muss dort verantwortet werden.

Über das in die Kritik geratene Projekt Nord Stream 2, in dessen Aufsichtsrat er sitzt, sagt er:

Wir brauchen dieses Projekt.

Eine Infografik mit dem Titel: Der deutsche Erdgas-Mix

Verteilung der Erdgasbezugsquellen Deutschlands im Jahr 2019, in Porzent

Den international diskutierten Vorschlag, Russland mit Sanktionen zu belegen und die Arbeiten an Nord Stream 2 zu beenden, kommentiert er so:

Was wir in der gegenwärtigen Situation in der Pandemie mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen brauchen, sind nicht Sanktionen, sondern Investitionen.

Fazit: Man muss Schröders Meinung nicht teilen, aber man sollte sie kennen. Wer durch die aktuellen Aufgeregtheiten hindurch schaut, der erkennt die Umrisse einen neuen Entspannungspolitik.

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut (RKI) 12.908 Corona-Neuinfektionen gemeldet und es wurden 855 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden verzeichnet.

  • EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mag Versäumnisse bei der Beschaffung von Corona-Impfstoffen auf europäischer Ebene nicht eingestehen. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung” sagt sie:

Natürlich: Ein Land kann ein Schnellboot sein. Und die EU ist mehr ein Tanker.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.  © dpa
  • Allerdings: Die Zuständigkeit für das Thema Impfstoff-Einkauf hat als Folge der internen Kritik gewechselt. Nun übernimmt EU-Industriekommissar Thierry Breton die Leitung der Taskforce zur Impfstoff-Versorgung.

  • Bisher haben in Deutschland 2.091.689 Menschen ihre Erst-Impfung gegen Corona erhalten (2,52 je 100 Einwohner), 756.333 bereits ihre zweite Impfung (0,91 je 100 Einwohner).

Die Wahlkampf-Strategien der Parteien

Noch 33 Wochen bis zur Bundestagswahl. Wir schauen in Zeitpläne und Programme der Parteien.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

 © imago

Deutschland ist für Unternehmer ein schwieriges Land – wie die Reaktionen auf den Gewinn der Deutschen Bank zeigen. Endlich macht die Bank wieder einen Profit, aber den falschen. Sagen die Kritiker. Nach Verlusten von 2,6 Milliarden Euro 2019 weist sie für 2020 einen Gewinn in Höhe von einer Milliarde Euro aus, der nach Steuern und Zinsen auf lediglich 113 Millionen Euro schrumpft.

Kritikpunkt Nr. 1: Der Gewinn sei nicht nachhaltig, weil der Boom der Börse die Profitabilität beflügelt habe. Immerhin: Der Ergebnisbeitrag des Investmentbankings wurde von 502 Millionen Euro in 2019 auf knapp 3,2 Milliarden vor Steuern und Zinsen im Corona-Jahr gesteigert.

 © imago

Kritikpunkt Nr. 2 bezieht sich auf das Investmentbanking als Geschäftszweig. Diese Quelle des Gewinns gilt Puritanern als unseriös, weil es hier vor der Finanzkrise zu spekulativen Übertreibungen weltweit gekommen ist. In der Tat hatte Vorstandschef Christian Sewing noch 2018 versprochen, diese risikoreiche Sparte zu verkleinern. Jetzt wächst ihre Bedeutung für die Bilanz der Bank.

Fazit: Wer in Deutschland weltweit wettbewerbsfähige Großbanken möchte, darf eine Deutsche Bank nicht zur Raiffeisenkasse umfunktionieren wollen. Banken sind per definitionem risk taker, die mit ihren Krediten, ihrer Beratung bei Fusionen oder Börsengängen und dem Handel von Aktien und Staatsanleihen Risiken übernehmen. Ihr Geschäftsfeld ist global oder gar nicht.

Eine Infografik mit dem Titel: Abgehängte Commerzbank

Nettoverlust der Commerzbank und Nettogewinn nach Abzug von Zinszahlungen der Deutschen Bank 2020, in Milliarden Euro

Bei der Commerzbank, die zu lange an ihrem Filialnetz festgehalten hat und das Investmentbanking zuletzt 2016 stark stutzte, kann man lernen, wie es nicht funktioniert. Das zweitgrößte private Geldhaus in Deutschland, dessen Staatsanteil derzeit bei 15,6 Prozent liegt, hat im Pandemiejahr einen Nach-Steuer-Verlust von 2,9 Milliarden Euro zu verzeichnen – das größte Minus seit der Finanzkrise.

 © dpa

In der Finanzkrise 2008 und 2009 schwebte die Commerzbank vor dem Aus, wurde jedoch von der Bundesregierung mit einem mächtigen Hilfspaket gerettet. Zu Höchstzeiten gehörten dem Staat 25 Prozent der Frankfurter Bank – heute sind es noch 15,6 Prozent. Damit ist der Bund weiterhin der größte Anteilseigner.

Eine Infografik mit dem Titel: Commerzbank: Staatlich betreute Talfahrt

Kursentwicklung der Commerzbank-Aktie seit dem 2. Januar 2006, in Euro

Für den Steuerzahler war die Teilverstaatlichung ein Verlustgeschäft. Der Bund zahlte für seinen jetzigen Anteil rund fünf Milliarden Euro – heute sind die Papiere nur noch eine Milliarde Euro wert.

Das deutsche Start-up Auto1 hat den größten Börsenstart seit 2019 absolviert. Nachdem der Ausgabepreis bei 38 Euro gelegen hatte, startete der Online-Gebrauchtwagenhändler mit 55 Euro in den Handel an der Frankfurter Börse. Damit wird der Betreiber von wirkaufendeinauto.de mit 11,7 Milliarden Euro bewertet.

 © dpa
Bitcoin © imago

In Bayern sitzt ein Mann im Gefängnis, der Bitcoins im Wert von 50 Millionen Euro besitzt – doch das Passwort zu seinem virtuellen Geldbeutel will der Computerbetrüger nicht verraten.

Der Täter hatte Computer anderer Personen mit Schadsoftware infiziert, um sie zum Ausrechnen neuer Bitcoins zu missbrauchen. Doch bislang kommt der Staat an die zu Unrecht erworbenen Bitcoins nicht heran. Der Grund: Ein großer Teil des Kryptogeldes ist passwortgeschützt; ohne die Kooperation des Betrügers ist nichts zu machen.

Der Betrüger aber will sein Passwort partout nicht verraten. Er hat das gute alte deutsche Sprichwort zu seiner Maxime erklärt: Reden ist Silber. Schweigen ist Gold.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing