Veto-Minister: grüner Wahlkampf-Bluff

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 © MediaPioneer

Guten Morgen,

die Grünen haben gestern ihr „Sofortprogramm“ für den Klimaschutz vorgelegt. Annalena Baerbock:

Die Klimakrise ist nichts Abstraktes, sondern sie passiert mitten unter uns.

Den (grünen) Worten sieht man ihre (ökonomische) Wirkung nicht an. Deshalb heute Morgen für Sie eine bewertende Darstellung des Sofortprogramms:

1. Erneuerbare Energien schneller ausbauen: Die Grünen möchten die Ausbauziele für Solar- und Windenergie drastisch erhöhen. Eine sogenannte „Solarpflicht“ für Neubauten, öffentliche Gebäude und Gewerbegebäude, wenn diese umfangreich saniert werden, soll eingeführt werden. Der Vorteil: Nur so kann der erhöhte Strombedarf durch die geplante Dekarbonisierung des Verkehrs und der Industrie mit grünem Strom gedeckt werden. Der Nachteil: Die Energiewirtschaft wird de facto vom Staat und seinen Plankommissaren dominiert. FDP-Chef Christian Lindner:

Hier werden alle Register der Verbotsorgel gezogen.

Christian Lindner  © dpa

2. Klima-Offensive bei Gebäuden und im Bausektor: Die Kosten des CO2-Preises beim Heizen sollen von den Hauseigentümern getragen werden. Der Vorteil: Das klingt schön antikapitalistisch. Der Nachteil: Die Eigentümer werden diese Steuererhöhung auf den Mietpreis abwälzen. Nur die Eigenheimbesitzer zahlen selbst.

3. Mobilitätswende beschleunigen: Die Kfz-Steuer soll am CO2-Ausstoß der Fahrzeuge ausgerichtet werden. Die Ladeinfrastruktur für Elektroautos will man durch einen Masterplan verbessern und Investitionen für ÖPNV, Schiene und Rad um 2,5 Milliarden Euro erhöhen. Die Absicht: Der Staat stupst die Verbraucher in Richtung Stromauto oder Stadtbus. Das Problem: Die CO2-Steuer wirkt sofort, die Stromtankstelle folgt später. Auf Regionalbahn und Stadtbus warten viele Menschen schon seit Jahrzehnten.

4. Der Tierschutz-Cent: Die Grünen wollen den Bauern beim Umbau der Ställe finanziell unter die Arme greifen, um mehr Tierwohl zu schaffen. Der Denkfehler: In der Dreiecksbeziehung Bauer-Supermarkt-Verbraucher trägt nicht der Bauer die Schuld am Leiden der Tiere. Solange der Verbraucher kaltschnäuzig nach Billigfleisch verlangt, das der Supermarkt ihm willig anpreist, also „erst das Fressen, dann die Moral“ kommt, um mit Bertolt Brecht zu sprechen, solange wird auch der Bauer zur Massentierhaltung gezwungen sein. Der Tier-Cent hilft den Grünen, aber nicht der gequälten Kreatur.

5. Klimaschutz sozial gerecht gestalten: Mit einem Klimabonus-Fonds will man Pendler mit niedrigem Einkommen subventionieren, wenn sie künftig elektrisch zum Billigjob fahren. Einnahmen aus dem CO2-Preis sollen vollständig an die Menschen als Energiegeld ausgezahlt werden. Der Vorteil: Das klingt gut. Nachteil 1: In der Praxis entsteht ein neues Biotop für Umverteilungsbürokraten, die einen guten Teil des Umverteilungsvolumens verzehren werden. Nachteil 2: Die Schmerzen des hohen CO2-Preises werden „die Reichen“ nicht spüren und „die Armen“ am Ende der Umverteilung auch nicht mehr. Unklar bleibt, wie damit eine Lenkungswirkung entstehen soll.

Eine Infografik mit dem Titel: Staatliche CO2-Subventionen

Entwicklung der Subventionen von fossilen Brennstoffen durch G20-Staaten 2015 bis 2019, in Milliarden US-Dollar

6. Transatlantische Klimapartnerschaft mit den USA: Diese Öko-Allianz soll gebildet werden, um einen gemeinsamen CO2-Mindestpreis auszuhandeln. Prognose: Die USA werden sonntags diese Partnerschaft unterschreiben und werktags ihr Fracking-Gas verkaufen. Die USA saßen Ende 2020, laut Statistiken von British Petroleum, auf circa 68,8 Milliarden Barrel Erdöl und 12,6 Billionen Kubikmeter Erdgas. Sie sind mittlerweile der größte Förderer fossiler Energieträger der Welt.

Eine Infografik mit dem Titel: USA: Ein Öl-Riese

Ölproduktion der zehn größten Förderländer 2020, in Millionen Barrel pro Tag

7. Bildung eines Klimaschutz-Ministeriums mit Vetorecht: Vorsicht Mogelpackung! Die Richtlinienkompetenz der neuen Bundesregierung liegt (wie gehabt) beim Bundeskanzler. Das Budgetrecht – also die Legitimation, in letzter Instanz über Einnahmen und Ausgaben zu entscheiden – besitzt seit Bismarcks Zeiten das Parlament. Das bedeutet: Das Vetorecht der Grünen wird den Wahltag nicht überleben.

Fazit: Die Grünen tun, was man als Grüne im Wahlkampf tun muss. Zuspitzen. Übertreiben. Versprechen. Oder wie die „Süddeutsche Zeitung“ heute Morgen kommentiert: „Der Klimaschutz ist der Strohhalm, den die Grünen nach der Flutkatastrophe ergriffen haben.“

VW-Chef Herbert Diess © dpa

Die globale Automobilwirtschaft verfolgt höchst unterschiedliche Strategien. Die Hersteller teilen sich grob in drei Phänotypen:

1. Die reinrassigen Stromer: Tesla ist einer, Volkswagen will einer werden.

2. Die Hybrid-Konzerne: In Deutschland ist es vor allem die Daimler AG, die beim Antriebsstrang zwischen Pkw und Lkw unterscheidet. Die Pkw-Flotte soll elektrifiziert werden. Die eigene Lkw-Einheit namens Daimler Truck setzt auf die Brennstoffzelle, die ihrerseits mit Wasserstoff befeuert wird.

3. Die Technologie-Offenen: Hier ist Toyota, der größte Volumenhersteller der Welt, zu nennen. Man baut Elektrofahrzeuge, Hybrid-Autos, Verbrenner und setzt stärker als andere auf einen Wasserstoff-Antrieb. Vize-Präsident Shigeki Terashi:

Es ist noch zu früh, um sich nur auf eine Option zu konzentrieren.

Shigeki Terashi © imago

Fragen von historischer Bedeutung sind aufgeworfen: Wer hat die beste Strategie? Woher kommt der Strom für die neuen E-Flitzer? Was sind die weiteren Zutaten für das Gelingen der Mobilitätswende? Und lässt sich mit der bisherigen Klimapolitik das Unionsziel einer CO2-Neutralität im Jahr 2045 erreichen?

Eine Infografik mit dem Titel: USA: Technologisch festgefahren

Prognostizierte Verteilung von Antriebstechnologien bei neuen Fahrzeugen in der EU, den USA und China, in Prozent

Hildegard Müller ist die ideale Gesprächspartnerin für diese Debatte. Sie war Chefin der Jungen Union (1998-2002) und hat von 2005 bis 2008 bei Angela Merkel als Staatsministerin im Kanzleramt gearbeitet. Sie kennt die Wirkungsmechanismen der Politik. Sie war Hauptgeschäftsführerin der Energiewirtschaft. Sie weiß um die Limitierungen, aber auch um das Leistungsvermögen der Stromwirtschaft. Sie führt seit dem 1. Februar 2020 den Verband der Automobilindustrie, in dem alle Hersteller und Zulieferer um eine einheitliche Position ringen. Im Morning Briefing-Podcast sagt sie:

Das Ziel ist eine Dekarbonisierung des Verkehrs, weshalb zwei Phänomene wichtig sind: Wir brauchen mehr Strom – und die bisherigen Anstrengungen für den Ökostrom sind nicht ausreichend.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Ob Autofahrern der Strom beim Tanken abgeschaltet wird, wenn aufgrund von Windflaute und bedecktem Himmel die Grundlast des deutschen Stromnetzes nicht ausreicht, will ich von ihr wissen. „Spitzenglättung hört sich viel schöner an als abschalten“, sagt sie. Und fügt dann hinzu:

Niemand will das Stromnetz gefährden. Einen Strom-Blackout betrachte ich in der Tat mit großer Sorge. Dafür gibt es jedoch zwei Möglichkeiten: Die eine ist, dass ich den Strom abschalte oder dass ich die Stromerzeugung massiv ausbaue.

Aber ist das wirklich ernst gemeint, dass der Strom womöglich für tankende Fahrzeuge und ihre wartenden Besitzer abgeschaltet werden soll? Sie sagt:

Er soll gedimmt werden. Das heißt, dass er nicht mit voller Leistung zur Verfügung steht. Und das hat dann in der Konsequenz zur Folge, dass der Ladevorgang nicht in vollem Umfang durchgeführt werden kann. Etwas Abschreckenderes kann man nicht machen.

Eine Infografik mit dem Titel: EU: E-Autos auf dem Vormarsch

Anteile der Antriebsarten am Absatz von Automobilen in der EU, in Prozent

An ein schnelles Ende des Verbrennungsmotors glaubt sie nicht. Alle Studien zeigen, dass insbesondere in den USA, aber auch in Asien, das mit Benzin und Diesel betriebene Fahrzeug noch länger unterwegs sein wird. Deshalb setzt Hildegard Müller auch auf klimafreundliche synthetische Kraftstoffe:

Weltweit fahren 1,5 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Wenn wir wirklich Klimaneutralität im Verkehr erreichen wollen, müssen wir auch an die denken. Deshalb setzen wir uns engagiert für E-Fuels und andere synthetische Kraftstoffe ein.

Die immer ehrgeiziger werdenden Klimaziele der Bundesrepublik verfolgt sie kritisch:

Es irritiert mich, wie schnell Jahreszahlen hin und her geschoben werden. 2050 ist schon anstrengend. Dann heißt es von heute auf morgen 2045. Eine richtige Folgenabschätzung hat es nie gegeben.

Fazit: Hier wird nicht quer, sondern geradeaus gedacht. Pflichtlektion für Annalena Baerbock und Robert Habeck. Denn: Wer jetzt hört, muss später nicht fühlen.

Nationale Sicherheit: Bei vielen globalen Gefahren fehlt das Bewusstsein für die Folgen – ein Risikobeauftragter muss her, findet der frühere Wehrbeauftragte des Bundestages und ThePioneer-Kolumnist Hans-Peter Bartels.

Russland: Nein zur EU-Mitgliedschaft, Nein zur Nato-Perspektive, Nein zur dringend benötigten militärischen Ausrüstung: Erkennt die Bundesregierung die Souveränität der Ukraine überhaupt an? Mit ihrer Politik bestätige die Bundesregierung Putins aggressive Politik, findet die frühere Vorsitzende der europäischen Grünen-Fraktion Rebecca Harms.

Hafen von Beirut © BR

Heute vor einem Jahr explodierten am Hafen von Beirut 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat. 218 Menschen starben, Tausende wurden verletzt. Die Katastrophe in der libanesischen Hauptstadt zählt zu den größten nicht-nuklearen Detonationen der Menschheitsgeschichte.

Meine Kollegen Marina Kormbaki und Gordon Repinski beleuchten in der neuen Ausgabe des Security Briefing, wo der Libanon ein Jahr nach der Katastrophe steht – und weshalb es Deutschland so schwerfällt, Hilfe zu leisten.

Außerdem lesen Sie in unserem geopolitischen Newsletter, wie die Bundeswehr verwundeten ukrainischen Soldaten hilft, warum Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ausschließlich ihre 15 Amtskolleginnen nach Berlin einlädt, und weshalb sich die FDP im Bundestag freiwillig von Hackern angreifen lässt.

 © smb
  • Neue Ausbrüche in China: Vor zwei Wochen wurden erstmals Infektionen mit der Delta-Variante des Coronavirus in China gemeldet. Nun hat die Virus-Variante Wuhan erreicht. Auf behördliche Anordnung werden nun 11 Millionen Einwohner zum Test gebeten.

  • Hausärzte kritisieren „Wahlkampfgetöse“: Die Entscheidung, das Impfangebot auf Kinder und Jugendliche auszuweiten, schlägt weiter Wellen. Während der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte die Ständige Impfkommission (Stiko) zu einer Neubewertung aufforderte, kritisiert der Deutsche Hausärzteverband hingegen, dass die Stiko außen vor gelassen wurde.

  • Moderna und Pfizer erhöhen Preise für Impfstoffe in Europa. Wie die „Financial Times“ berichtet, konnten die Impfstoffhersteller Pfizer und Moderna in Verhandlungen mit der EU die Preise für eine Impfstoffdosis von 15,50 Euro auf 19,50 Euro bzw. von 19 Euro auf nun 25,50 Euro erhöhen.

In unserer Grafik-Serie „David vs. Goliath“ vergleichen wir die Börsenkapitalisierung weiterer Marktführer aus Deutschland und den USA.

Eine Infografik mit dem Titel: Adidas vs. Nike

Marktkapitalisierung in Milliarden US-Dollar

Eine Infografik mit dem Titel: Bayer vs. Pfizer

Marktkapitalisierung in Milliarden US-Dollar

Eine Infografik mit dem Titel: Intel vs. Infineon

Marktkapitalisierung in Milliarden US-Dollar

Louis Vuitton © dpa

Am 4. August 1821 kam der Kofferbauer Louis Vuitton in der französischen Kleinstadt Lons-le-Saunier als Kind einer Hutmacherin zur Welt. 200 Jahre später feiert der größte Luxuskonzern der Welt, LVMH, (Marktkapitalisierung: 339,50 Milliarden Euro) seinen Geburtstag.

Mit 14 Jahren verließ der junge Vuitton seine Heimatstadt und machte sich zu Fuß auf, um ins 441 Kilometer entfernte Paris zu pilgern.

Zwei Jahre später erreichte er die Modemetropole und begann eine Lehre bei dem prominenten Koffermacher Romain Maréchal. Vuitton entpuppte sich als so begabt, dass er zum persönlichen Koffermacher von Napoleon Bonapartes Frau Eugénie de Montijo aufstieg.

Vuitton erkannte als Erster, dass die europäische Elite, die mit der Bahn zu reisen anfing, praktische Koffer brauchte. Er eröffnete 1854 sein erstes Geschäft, in dem er stapelbare Koffer, die handlich, leicht und wasserfest waren, verkaufte. Im Konzern erzählt man noch heute gern, dass die Vuitton-Koffer der Titanic-Passagiere auch Tage nach deren Untergang unbeschadet eiskalten Nordatlantik getrieben hätten.

Louis Vuitton-Koffer © dpa

Fast hundert Jahre später, 1987, fusionierte die Firma Louis Vuitton mit der Champagner- und Spirituosenhersteller Moët Hennessy. Der neue Konzernname, LVMH, leitet sich von den ursprünglichen Initialen beider Unternehmen ab. Doch erst die 1989 erfolgte Berufung des Unternehmers und Dior-Besitzers Bernard Arnault zum Präsidenten des Konzerns, ermöglichte den Aufstieg in die Beletage der internationalen Luxus-Konzerne.

Bernard Arnault © dpa

Insgesamt besitzt der Konzern Rechte an mehr als 80 Marken. LVMH ist das wertvollste börsennotierte Unternehmen Europas und trotz Pandemie nicht aufzuhalten:

  • Im ersten Halbjahr 2021 konnte das Unternehmen seinen Umsatz auf knapp 30 Milliarden Euro und damit im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 56 Prozent steigern.

  • Der konzernweite Nettogewinn in den ersten sechs Monaten dieses Jahres belief sich auf 5,3 Milliarden Euro – zehnmal so viel wie im Jahr 2020 und 62 Prozent über dem Niveau von 2019.

Die Lebensverhältnisse des heutigen Firmenchefs und des damaligen Gründers könnten nicht unterschiedlicher sein. Bernard Arnault, der drittreichste Mann der Welt, legt seine Wege mit einem eigenen Privatjet, dem Bombardier Global 7500, zurück.

Der Gründer der Firma lebte auf deutlich bescheidenerem Fuße: Um sich seinen weiten Weg nach Paris finanzieren zu können, verrichtete er auf seiner Reise immer wieder handwerkliche Arbeiten. Die französische Hauptstadt erreichte er deshalb erst zwei Jahre später. Sein Reichtum bestand nicht aus Geld, sondern aus Zeit.

Privatjet von Bernard Arnault © SuperYachtFan

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den neuen Tag. Und aus der Ferne gratulieren wir Barack Hussein Obama, dessen kometenhaften Aufstieg vom Jungsenator aus Illinois zum US-Präsidenten ich seinerzeit als Washington-Korrespondent des „Spiegel“ journalistisch begleiten durfte. Heute wird er 60 Jahre alt. Sein schönster Satz:

We are the ones we've been waiting for.

Barack Obama © dpa

Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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