in der Welt der Politik gibt es keine unschuldigen Zahlen. Die Zahl ist immer auch der Sendbote einer politischen Botschaft.
Das Problem der Sender mit ihrem Boten ist nur, dass die Ist-Zahl, also die geronnene Gegenwart, so schwer zu manipulieren ist. Deshalb stürzen sich Politiker und Notenbanker umso begieriger auf die Prognose. Diese vorausschauenden Zahlen werden geknetet, verformt und mit den Zutaten diverser Experten garniert bis sie politisch passen. Der Köder muss in diesem Fall dem Angler schmecken und nicht dem Fisch.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Lagarde-Irrtum
Inflationsrate und EZB-Prognose für die Eurozone seit 2014, jährliche Änderungsrate in Prozent
Wenn die EZB-Präsidentin Christine Lagarde eine Inflation von unter zwei Prozent vorhersagt, dann tut sie das in der Absicht, ihre Nullzinspolitik nur ja nicht abblasen zu müssen. Sie will die europäischen Staaten mit Frischgeld versorgen; sie will den Bankenkreislauf liquide halten. Von der Tatsache, dass ihre Prognose von der Wirklichkeit um über 100 Prozent übertroffen wird, ist sie nicht wirklich überrascht. Der kleine Sparer, der hier empfindliche Wohlstandsverluste erleidet, bedeutet in ihrer Kalkulation nur eine Rundungsgröße.
Eine Infografik mit dem Titel: Krugmans Fehlprognose
Der Nobelpreisträger hatte einen steilen Anstieg der Inflation jahrelang ausgeschlossen und sich dafür mittlerweile entschuldigt. US-Inflation, in Prozent
Wenn Nobelpreisträger Paul Krugman eine inflationäre Entwicklung rundweg ausschließt, dann tut er das in der Absicht, den Politikern in Washington seine keynesianische Konjunkturpolitik zu empfehlen:
© imagoMan muss wirklich verzweifelt suchen, um ein zeitgenössisches Beispiel für eine gute, altmodische Runaway-Inflation zu finden.
Krugman liebt Schulden und er liebt Konjunkturprogramme. Das ist sein Markenzeichen. Wenn es dann deutlich anders kommt – die Inflation in den USA beträgt mittlerweile 7,5 Prozent – suchte er das Publikum mit einer schnellen Entschuldigung zu beruhigen:
© dpaIch war entspannt und ich lag falsch.
Wenn der Bundesfinanzminister Olaf Scholz den Einkommensteuertarif auf der Grundlage einer Inflationserwartung von 1,2 Prozent für 2021 berechnet, dann tut er das in dem Wissen, dass seine Haushaltskasse von jedem Irrtum profitiert. Je heftiger der Irrtum, desto größer sein Gewinn.
Eine Infografik mit dem Titel: Die falsche Scholz-Prognose
Monatliche Inflationsrate, Prognose und tatsächliche Inflation in Deutschland, in Prozent
Eine höhere Inflation führt schnell auch zu höheren Löhnen und damit – dank des progressiven Tarifverlaufs – auch zu höheren Steuereinnahmen. Die kalte Progression ist für jeden Finanzminister eine Art Bonusprogramm. Auch der Nachfolger Christian Lindner hat es daher nicht eilig, die Fehlprognose des Vorgängers zu korrigieren. Die beiden sind, so würden die Amerikaner es ausdrücken, partners in crime.
© ImagoWenn der neue Wirtschaftsminister im Jahreswirtschaftsbericht von einer Inflation von im Schnitt 3,3 Prozent ausgeht, dann ist das keine seriöse Prognose, sondern politisches Wunschdenken von Robert Habeck. Im Januar lag die Geldentwertung bei 4,9 Prozent. Die Energiepreise explodieren, über 380 Prozent hat das Dutch TTF-Gas in den vergangenen zwölf Monaten zugelegt und Rohöl der Sorte Brent um 50 Prozent. Die Erzeugerpreise sind laut Ifo-Institut um 24 Prozent gestiegen und bilden damit die Grundlage für den nächsten Preisschub. Das Ministerium aber prognostiziert oder besser gesagt fantasiert in seinem aktuellen Monatsbericht eine Entspannung herbei:
Für den weiteren Jahresverlauf deuten die Terminkontrakte Rohöl auf eine gewisse Entspannung der Energiepreise hin. Der Inflationsdruck sollte perspektivisch nachlassen.
Eine Infografik mit dem Titel: Habeck: Stunde der Wahrheit
Inflationsrate in Deutschland seit Januar 2021, in Prozent
Der Hintergrund: Unser Wirtschaftsminister kann Inflation und Energiepreisschock jetzt wirklich nicht gebrauchen. Er will die deutsche Wirtschaft umbauen, nicht entlasten. Er will die Klimakatastrophe bekämpfen, nicht die Inflation. Er betreibt Politik mit dem Thermometer, nicht mit dem Taschenrechner. Er will Greta Thunberg beeindrucken und nicht die deutschen Familienunternehmer.
Fazit: Wir sollten den Politikern die fatale Neigung zur Fehlprognose nicht länger durchgehen lassen. Ihre Irrtümer sind die vorsätzlichsten Irrtümer der Weltgeschichte. Oder wie Mark Twain zu sagen pflegte:
Tatsachen muss man kennen, bevor man sie verdreht.
© imago
Wir schauen in Sachen Preisentwicklung keineswegs auf eine Welt der Verlierer. Die großen Gewinner des Energiepreisschocks sind die multinationalen Öl- und Gaskonzerne, die gerade ihre Renaissance erleben:
Sie vermelden die höchsten Gewinne seit sieben Jahren und können einen Cashflow wie zuletzt 2008 vorweisen. Außerdem sind sie inzwischen nur noch gering verschuldet.
Hatten die fünf Branchengrößen ExxonMobil, Chevron, Shell, BP und TotalEnergies im vergangenen Jahr noch ein Minus von mehr als 60 Milliarden Dollar verbucht, steht bei „Big Oil“ in 2021 ein Plus von annähernd 90 Milliarden Dollar.
Ganz oben steht der US-Konzern ExxonMobil mit 23 Milliarden Dollar Gewinn, dicht gefolgt von der britischen Shell. Selbst der französische Konzern TotalEnergies kommt noch auf einen Nettogewinn von 16 Milliarden Dollar.
Da dürfen sich auch die Aktionäre freuen: Außer ExxonMobil und BP haben alle Öl-Multis ihre Dividenden stark erhöht.
Ein Ende des Energiepreisschocks ist nicht in Sicht, da zudem die Ölmärkte künstlich knapp gehalten werden. Die OPEC beschränkt die Tagesfördermenge auf 400.000 Barrel und beschloss auf ihrem letzten Gipfeltreffen, keine Ausweitung vorzunehmen.
Wir lernen: Es gibt nicht „die Wirtschaft“. George Orwell hatte in seiner Fabel „Die Farm der Tiere“ den Sachverhalt präzise beschrieben:
Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher.
Die Stimmung in der mittelständischen Wirtschaft ist aufgrund der Preisentwicklung und insbesondere aufgrund der Energiepreis-Explosion angespannt. Der Bundesgeschäftsführer des Verbandes der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) Markus Jerger hat die Klagen frisch im Ohr, als ich ihn für den Morning Briefing Podcast anrufe. Er vertritt 900.000 kleine und mittlere Unternehmen und ist damit der größte Verband für Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland. Er sagt:
Viele der Mitgliedsunternehmen bluten jetzt finanziell aus.
Er verlangt vom Bundeskanzleramt einen Energiegipfel:
Der Mittelstand, aber auch die Beschäftigten brauchen ganz dringend eine Antwort auf die steigenden Energiepreise.
Auf dem Energiegipfel sollten die Erfahrungen des Mittelstandes der neuen Regierung vorgetragen werden, um sodann eine Reform des Steuer-, Abgaben- und Umlagen-System zu verabreden.
Wenn der Staat möchte, dass die mittelständischen Unternehmer in dieser Transformation richtig mitziehen, erwarten wir, dass die auch entlastet und für ihre Investitionen belohnt werden.
Eine Entspannung ist für ihn auch mittelfristig nicht in Sicht, im Gegenteil:
Die Problematik ist, dass wir alle schon wissen, dass wir in der Zukunft mehr Energie und einen höheren Strombedarf haben.
Er fordert von der Politik – nach Monaten des Wahlkampfes – einen neuen Realismus:
Wir erwarten richtige Zahlen und realistische Einschätzungen.
Lange hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach für maßvolle Öffnungen plädiert, vor den Folgen einer wachsenden Welle von Omikron-Infektionen gewarnt. Doch nun ist klar: Der Druck aus Politik und Bevölkerung für Öffnungen ist zu groß geworden.
In einer ersten Vorlage hat nun das Kanzleramt einen Öffnungsplan gemeinsam mit den Ländern entworfen, am Mittwoch dürfte er in dieser oder ähnlicher Form von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen werden.
Bis zum 19. März sollen demnach fast alle Maßnahmen fallen – nur die Maskenpflicht dürfte noch ein wenig länger erhalten werden. Die Öffnungen kommen – und machen es dem Gesundheitsminister zugleich schwieriger, ein anderes wichtiges Projekt durchzubringen. Eine Mehrheit für die von Karl Lauterbach gewünschte Impfpflicht ist nicht in Sicht.
Der Kampf gegen den Klimawandel wird in China gewonnen – oder verloren. China stößt so viel CO2 aus wie kein anderes Land auf der Erde. Doch ausgerechnet jetzt relativiert Chinas Staatspräsident Xi Jinping die Klimaziele seines Landes und setzt weiterhin auf den klimaschädlichen Strom aus Kohlekraftwerken.
Eine Infografik mit dem Titel: Kohle: China vorn
Anteil der führenden Länder an der weltweiten Kohleförderung im Jahr 2020, in Prozent
Nach Angaben der chinesischen Regierung soll der Stahlsektor, der für 15 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, erst 2030 und nicht wie bisher 2025 den Höhepunkt des Emissionsausstoßes erreichen. Außerdem soll mit dem Bau von 102 Megaprojekten die heimische Wirtschaft angekurbelt werden. Ein Wachstumsrezept, welches zugleich mehr klimaschädliche Emissionen in Kauf nimmt.
Chinas Machtinhaber will auf keinen Fall, dass die Reduzierung von CO2 zu sinkender Produktivität führt. Klimaneutralität könne nicht „über Nacht” erreicht werden und daher sei ein „geordneter Ausstieg aus der traditionellen Energie” erforderlich, erklärte Xi Jinping auf dem Weltwirtschaftsforum Mitte Januar in Davos seine Energiepolitik.
Eine Infografik mit dem Titel: Chinas schmutziger Strom
Energieverbrauch Chinas 2020 nach Energieträgern, in Prozent
Als Energiequelle Nummer 1 setzt das Reich der Mitte weiterhin auf die fossilen Brennstoffe, 56 Prozent des Stroms stammen aus Kohlekraftwerken. Und die Nachfrage ist gewaltig. Im Jahr 2020 sind die Chinesen für 24 Prozent des globalen Energieverbrauchs verantwortlich. Tendenz steigend. China ist somit Produzent und Konsument Nummer 1 von Kohle.
Bei seinem Besuch in der Ukraine kündigte Scholz nach einem fast dreistündigen Treffen im Falle einer russischen Invasion „weitreichende und effektive Sanktionen“ an. Dies werde in „Abstimmung mit unseren Verbündeten“ geschehen, so der Kanzler.
© dpaWenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine erneut verletzen sollte, wissen wir, was zu tun ist.
Der russische Botschafter in Schweden, Viktor Tatarinzew, zeigte sich in einem Interview mit der Zeitung „Aftonbladet” unbeeindruckt von den westlichen Drohgebärden:
Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, aber wir scheißen auf ihre ganzen Sanktionen.
Auch die G7-Staaten haben Russland im Falle eines Angriffs mit umfangreichen Sanktionen gedroht. In einer Erklärung der G7-Finanzminister kündigen sie eine schnelle, abgestimmte und kraftvolle Antwort an. Details sollen bewusst verheimlicht werden.
Unterdessen sucht Kiew selbst das Gespräch mit dem Kreml. Der Außenminister der Ukraine schrieb auf Twitter:
Wir fordern ein Treffen mit Russland und allen teilnehmenden Staaten innerhalb von 48 Stunden.
Geheimdienste der USA befürchten, dass Russland mit gezielten Propagandaaktionen versuchen könnte, einen Vorwand für den Einmarsch in die Ukraine zu erfinden.
Die Furcht vor einem russischen Einmarsch in die Ukraine belastet die Aktienmärkte. Der deutsche Leitindex DAX fiel um mehr als 3 Prozent und rutschte unter die 15.000-Punkte-Marke. Besonders stark sanken die Aktienkurse der Deutschen Bank und von Siemens.
Sie steht unter Dopingverdacht – und wird dennoch bei Olympia starten: Die 15-jährige russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa darf trotz eines positiven Dopingtests im Einzelwettbewerb der Damen an den Start gehen. So entschied es der Internationale Sportgerichtshof.
© imagoSeine Entscheidung begründet das Gremium vor allem mit der Minderjährigkeit der Sportlerin und der Tatsache, dass sie nicht während der Winterspiele in Peking positiv getestet worden sei, sondern während einer Kontrolle Ende Dezember. Ein verweigerter Start könnte dem jungen Mädchen „irreparablen Schaden” zufügen. Zumindest könnte sie dann keine Goldmedaille holen.
Fazit: Die Entscheidung der Richter ist juristisch fragwürdig, politisch klug und menschlich groß.
Manche Menschen haben für alles eine Ausrede. Das hat zumindest gestern Sebastian Gülde, der Pressereferent des Bundesgesundheitsministeriums, bewiesen.
Der Journalist Tilo Jung wollte von dem Sprecher folgendes wissen:
Könnten Sie erklären, warum bei der aktuellen Impfwerbekampagne im Kino seitens der Bundesregierung Geld ausgegeben wird? Denn ins Kino kommt man ja nur wenn man durchgeimpft ist.
Tilo Jungs Frage ist vollkommen berechtigt, denn eine Impfkampagne für Geimpfte – das macht keinen Sinn. Der Sprecher ist aber natürlich ein Profi und Profis, die sich ertappt fühlen, antworten so:
Hintergrund des Ganzen ist, dass man damit eine gewisse Multiplikatorenwirkung erzeugen will. Wenn wir beispielsweise von Migrantinnen und Migranten sprechen, da gibt es immer wieder Multiplikatoren, die solche Mitteilungen dann in die Communities und Familien hineintragen.
Dieser angebliche Multiplikatoreneffekt, für den es keinen Beleg gibt, ist teuer erkauft. Ein Werbespot fürs Kino kostet mehrere zehntausend Euro. Ungläubig fragt Tilo Jung nochmal nach:
Sie meinen also: Wenn jemand ins Kino geht, der geimpft sein muss, um überhaupt ins Kino gehen zu können, der sieht diesen Werbespot und erzählt dann einem Ungeimpften davon?
Fazit: Zuweilen beschleicht einen das Gefühl, im Rahmen dieser Pandemie hat sich vieles maskiert, auch der gesunde Menschenverstand.
Ich wünsche Ihnen einen beschwingten Start in diesen neuen Tag.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr