die Börse war enttäuscht, das VW-Management erleichtert: Erst in drei Jahren will Elon Musk den Volks-Tesla für dann 22.000 Euro auf den Markt werfen.
Für Deutschlands größten Automobilkonzern bedeuten diese drei Jahre ein Ultimatum: Bis dahin muss die beschleunigte Elektromobilitätsoffensive von Vorstandschef Herbert Diess wirken. Seine Kernbotschaft – Volkswagen ist elektrisch oder gar nicht – transportiert den Imperativ unserer Zeit. Der von ihm angestrebte Perspektivwechsel – das Auto ist eine rollende Internet-Plattform, die navigieren, informieren, unterhalten und selbstständig fahren kann – ist keine Provokation, sondern eine Notwendigkeit.
Eine Infografik mit dem Titel: Tesla vs. Volkswagen
Marktkapitalisierung am 23.9.2020, in Milliarden US-Dollar
Diese Notwendigkeit bedeutet, den betulichen Wolfsburger Tango – zwei vor, eins zurück – zu beschleunigen. Herbert Diess hatte das am 16.01.2020 auf der Führungskräftetagung „Global Board Meeting“ wie folgt begründet:
Was uns fehlt, das sind vor allem Schnelligkeit und der Mut zu kraftvollem, wenn es sein muss, radikalem Umsteuern.
Wir werden ein zusätzliches Aufholprogramm brauchen, um alles Potenzial zu mobilisieren.
Der Sturm geht jetzt erst los.
Mit dieser klaren Durchsage – damals im Morning Briefing mit der Che Guevara-Karrikatur kommentiert – hat Diess den Konzern allerdings in drei Teile gespalten: Ein Teil der Führung ist begeistert, ein anderer Teil verwirrt und überfordert, und Teil drei hält die Analyse für übertrieben und die Schlussfolgerungen für zu radikal. So löste Diess eine Gegenbewegung aus, deren Heftigkeit er zunächst unterschätzte. Seitdem tobt in Wolfsburg ein Machtkampf, der an Hinterhältigkeit nur schwer zu überbieten ist. Gegen den Vorstandschef wird taktiert und finassiert; durch gezielte Indiskretionen will man ihn sturmreif schießen.
Die Fronten sind verhärtet:
Er sagt, Volkswagen hat 2019 mit einem operativen Ergebnis von 19,3 Milliarden Euro und einer operativen Umsatzrendite von 7,6 Prozent geliefert – und zwar oberhalb des vereinbarten Zielkorridors. Sie sagen: Das stimmt, aber vor allem dank des Verbrennungsmotors.
Er sagt, der Netto-Cash-Flow erreichte 2019 10,8 Milliarden Euro und führt zu ausreichend Liquidität und Substanz, um die ambitionierten Zukunftspläne durchzusetzen. Sie verweisen auf die kostspielige Pandemiebekämpfung und wollen das Pulver lieber trocken halten - auch um Lohnverzicht und Personalabbau zu vermeiden.
Er sagt, VW müsse so wie Tesla das „Automobil als das komplexeste, wertvollste und massentauglichste Internet-Device“ betrachten. Sie zucken die Schultern und sagen, „mir san mir“ und Tesla ist überbewertet.
Er sagt, geführt wird von oben und nicht aus dem Büro des Betriebsratsvorsitzenden. Sie nennen das einen „autokratischen Führungsstil“ und verlangen nach einem gewerkschaftlichen Co-Management.
So geht das nun schon seit einigen Monaten: Er rackert. Sie räsonieren. Er beschleunigt. Sie bremsen. Er sitzt im Chefbüro und sie im Hinterhalt. Die Ziele könnten unterschiedlicher nicht sein: Er will führen und sie wollen ihn abschießen. VW ist derzeit kein Wirtschaftsunternehmen, sondern ein Arbeiterwohlfahrtsverein mit angeschlossener Scharfschützen-Abteilung.
Heute tagt das Präsidium des Aufsichtsrates, morgen das gesamte 20-köpfige Gremium, dem der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen Stephan Weil, der mächtige Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann angehören. Das oberste Lenkungsgremium muss sich entscheiden: Will es nach den unzähligen Indiskretionen eine Klärung herbei führen oder rast hier ein Weltkonzern weiter in die Nebelwand: Wer führt, wer folgt? Er oder sie? Will Volkswagen eine Veranstaltung zur Zukunftsgewinnung sein oder ein lebendes Verkehrsmuseum? Sollen die unterschiedlichen Interessen künftig austariert oder ausgekämpft werden?
Ein kluger Sozialdemokrat wie der einstige SPD-Superminister Karl Schiller riet den Seinen: „Genossen, lasst die Tassen im Schrank!“ Doch bei Volkswagen will derzeit niemand an Karl Schiller erinnert werden. Überall schepperts.
Der Virologe Christian Drosten sagte gestern:
Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns.
Die Kanzlerin ist besorgt, fürchtet die neue Laxheit der Jugend und den Winter. Vorgestern rief sie überraschend eine vertrauliche Journalistenrunde ein, um die Medien auf stürmische Zeiten vorzubereiten.
Hier der aktuelle Stand am Morgen:
In Deutschland infizieren sich wieder mehr Menschen mit dem Virus. Das zeigt ein Blick auf die durchschnittliche Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen 7 Tagen. Dieser Wert lag Mitte Juni bei 250 und Mitte Juli bei 300. Am Dienstag lag der Wert bei 1770. Aktuell gibt es hierzulande 279.205 Corona-Infizierte, was auch an der Vielzahl der Tests liegt, aber nicht nur.
Eine Infografik mit dem Titel: Corona: Die zweite Welle
Durchschnittliche Zahl der Neuinfektionen in Deutschland in den vergangenen 7 Tagen
An oder mit dem Virus sind bislang 9.508 Deutsche gestorben.
Die Regierung hat gestern Regionen in elf Ländern der Europäischen Union wegen steigender Infektionszahlen zu Corona-Risikogebieten erklärt. Insgesamt sind nun schon 14 von 27 EU-Mitgliedstaaten wieder ganz oder teilweise als Corona-Risikogebiete ausgewiesen.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Krise, die nicht endet
Corona-Infizierte in Deutschland
Neu hinzugekommen sind Regionen in Dänemark, Portugal, Irland und Slowenien. Zudem wurden weitere Regionen in Frankreich, Tschechien, den Niederlanden, Kroatien, Rumänien, Österreich und Ungarn als Risikogebiete ausgewiesen.
Außenminister Heiko Maas und Wirtschaftsminister Peter Altmaier haben sich in Quarantäne begeben. Auch das verstärkt bei Angela Merkel den Eindruck: Die Einschläge kommen näher.
Sie waren Antipoden in der Corona-Krise – nun verbünden sich Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU). Der gemeinsame Gegner heißt Friedrich Merz (CDU). Sichtbar wird das neue Bündnis erstmals am kommenden Mittwoch im Haus der Bundespressekonferenz, wenn Markus Söder eine Laschet-Biografie vorstellt. Die Analyse dieser Koalitionsbildung lesen sie in „Hauptstadt – das Briefing“ auf ThePioneer.de.
Wir leben in ernsten Zeiten. Doch der Buchautor und Journalist der „Neuen Zürcher Zeitung“ Dr. Alexander Kissler legt heute sein Buch „Die infantile Gesellschaft“ vor. Im Morning Briefing Podcast haben wir über seine Thesen gesprochen.
© imagoEr sagt:
Wir sind zu einer kindischen ad-hoc-Gesellschaft geworden und laufen so Gefahr, unsere Reife und damit auch unsere republikanische Bürgerschaft zu verspielen.
Hinter jeder Infantilisierung steckt die Sehnsucht nach einer Komplexitätsreduktion.
Fazit: Kissler hat nichts Geringeres als eine Streitschrift wider den Zeitgeist vorgelegt.
Für viele Privatversicherte ist jetzt ein wegweisendes Urteil gefallen: Das Landgericht Bonn hat entschieden, dass die privaten Krankenkassen künftig keine willkürlichen Beitragserhöhungen mehr vornehmen dürfen. Das bedeutet, dass die Beitragszahler in den kommenden Jahren weniger bezahlen müssen und Erhöhungen nur noch im gesetzlichen Rahmen erfolgen.
Beiträge, die in der Vergangenheit zu viel gezahlt wurden, müssen von den privaten Kassen nun zurückerstattet werden. Der konkrete Zeitraum sei noch offen, sagt Rechtsanwalt Knut Pilz, der das Urteil erstritt, dem Morning Briefing Team. In jedem Fall würde dies aber die vergangenen drei Jahre betreffen, möglicherweise sogar die zurückliegenden zehn Jahre.
© imagoInsgesamt gibt es in Deutschland rund 8 Millionen Privatversicherte. Pilz schätzt, dass circa 40 bis 50 Prozent der Privatversicherten von dem Urteil profitieren könnten. Wenn es eine Robin-Hood-Medaille für tapfere Verbraucheranwälte geben würde: Knut Pilz hätte sie verdient.
Ich wünsche Ihnen einen vergnügten Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr