Wahl ‘21: Die unbequeme Wahrheit für Laschet

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Guten Morgen,

viele Politiker haben auch drei Tage nach der Bundestagswahl noch immer Schwierigkeiten, das Wahlergebnis zu deuten. Deshalb geben wir ihnen an dieser Stelle Lesehilfe:

1. Armin Laschet denkt noch immer, er hat am Wahlsonntag einen Regierungsauftrag erhalten. In Wahrheit hat er den Auftrag, abzutreten. Wenn Leistung sich lohnen muss, wie Helmut Kohl immer sagte, dann muss Fehlleistung bestraft werden. Für diese Strafe gibt es in der Demokratie ein schönes Wort: Opposition.

2. Die SPD glaubt, sie habe die Wahl gewonnen. Die Wahrheit ist: Olaf Scholz hat die Wahl für sich entschieden, weil er a) eine erstklassige, um seine Person zentrierte Kampagne führte und b) die Partei ihn dabei nicht störte. Wenn die SPD diese für sie bittere Wahrheit nicht für sich annimmt, wird ihr Kanzler schnell in Turbulenzen geraten.

Eine Infografik mit dem Titel: Wahlmotive: Persönlichkeit zählt

Anteil der Wähler, die bei der Bundestagswahl 2021 ihre Partei vor allem aufgrund des Kandidaten gewählt haben, in Prozent*

3. Die Apokalypse wurde abgewählt. Man erkennt das vor allem daran, dass das grüne Baumhaus nicht in den Himmel wächst. Annalena alias Kassandra hat respektable 11,2 Prozent der Wahlberechtigten erreicht. Im Umkehrschluss zeigten sich aber 88,8 Prozent aller Wahlberechtigten unbeeindruckt von ihren Weltuntergangsgesängen. Nicht ihre biografischen Überhöhungen haben die Wähler genervt, sondern der Habitus einer Erleuchteten, die den Wähler wie einen Sünder behandelt. So lässt der Souverän nicht gern mit sich reden.

Eine Infografik mit dem Titel: Apokalypse abgewählt

Bundestagswahlergebnis der Grünen 2021 unter Einbeziehung aller Wahlberechtigten*, in Prozent

4. Die Union glaubt noch immer, sie könne sich am Wahltag blind auf die Rentner verlassen. Die Wahrheit ist: Die Rentner sind älter, aber nicht blöder als andere. Sie spürten, dass mit diesem Kanzlerkandidaten irgendwas nicht stimmte und wechselten mit fliegenden Fahnen zur Konkurrenz.

Eine Infografik mit dem Titel: Union: Die Fluchtbewegung

Veränderung der Wahlentscheidung für die SPD oder die Union zwischen 2017 und 2021 nach Altersgruppen, in Prozent

5. Die Grünen glauben noch immer, sie seien eine Jugendpartei – getragen von der „Generation Greta“. Doch schon diese Generation Greta ist eine Fiktion. Die meisten Erstwähler haben liberal gewählt. Nicht weil sie Besserverdiener sind, sondern weil sie nach einer für sie praktikablen Alternative zum Weltuntergang suchen. Sie wollen nicht Verbote. Sie wollen Chancen. Sie wollen nicht verzichten. Sie wollen durchstarten.

Eine Infografik mit dem Titel: Erstwähler: FDP und Grüne gleichauf

Stimmanteile unter Erstwählern bei der Bundestagswahl 2021, in Prozent

6. Die Grünen glauben von sich, sie seien die Partei der Puristen und Asketen. In Wahrheit sind sie die Partei der städtischen Besserverdiener. Hier kommt der Kaffee aus der Kapsel, an der Decke klebt Stuck und vor der Tür wartet ein SUV. Als ideelle Gegenwelt kann man ein wenig Verzichtsrhetorik gut gebrauchen. Man muss sich nur darauf verlassen können, dass es Rhetorik bleibt.

Eine Infografik mit dem Titel: Grüne: Partei der Citoyens

In welchen Regionen sind die Parteien der Bundestagswahl 2021 besonders stark?

7. Die AfD sollte sich – wenn es in der Politik mit rechten Dingen zuginge – schleunigst umbenennen: in Alternative für Ostdeutschland. Kurz AfO. Denn nur dort konnte sie zulegen. Die bürgerlichen Wähler in Westdeutschland zeigten ihr die kalte Schulter.

Eine Infografik mit dem Titel: Alternative für Ostdeutschland

Zweitstimmenanteile der AfD bei der Wahl 2021 nach Bundesland, in Prozent

8. Die politische Korrektheit hat sich als neue Religion nicht durchgesetzt. Die Lifestyle-Linken, um mit Sahra Wagenknecht zu sprechen, sind fast daran erstickt. Auch die Grünen und das linke SPD-Milieu wirken mit ihrer Identitätspolitik ausgrenzend, weshalb sie im Arbeitermilieu und im ländlichen Raum also überall da, wo echte Menschen so sprechen, wie echte Menschen nun mal sprechen – nicht verstanden werden. Kein Anschluss unter dieser Nummer.

Eine Infografik mit dem Titel: Arbeiter: SPD in Führung

Anteil der Wähler bei der Bundestagswahl 2021, die sich als Arbeiter identifizieren, nach Parteien, in Prozent

Fazit: Der Wähler hat in voller Souveränität zu den diensthabenden Politikern gesprochen. Er tat es ganz im Sinne von George Orwell:

Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören möchten.

Armin Laschet © imago

Bei der Union verändert sich trotz herber Verluste bei der Bundestagswahl vorerst: nichts. Der derzeitige Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus soll sein Amt noch das nächste halbe Jahr ausüben. Darauf hatten sich CDU-Chef Armin Laschet und der CSU-Vorsitzende Markus Söder rechtzeitig vor der Sitzung geeinigt. Einen Gegenkandidaten gab es verabredungsgemäß nicht.

Bei der Sitzung der Unionsfraktion räumte Laschet eigene Fehler ein. Er entschuldigte sich bei all jenen, die es aufgrund des schlechten Wahlergebnisses nicht in den Bundestag geschafft haben und kündigte eine Aufarbeitung an.

Gitta Connemann © dpa

Doch das war den meisten zu wenig. Es hagelte Kritik, wie unser Hauptstadt-Team von Sitzungsteilnehmern erfuhr. Die Fraktionsvize Gitta Connemann:

Wir haben das historisch schlechteste Ergebnis eingefahren und in Berlin ist von Aufholjagd die Rede. Wer übernimmt jetzt Verantwortung und wann?

Die scheidende Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel sprach von einem Kandidaten, der eine Bremse war und kein Zugpferd. Wirtschaftsminister Peter Altmaier brachte die Trostlosigkeit der Wahl auf den Punkt:

Zwei Drittel der Wähler konnten sich nicht vorstellen, Union zu wählen.

Es gehe natürlich jetzt auch um eine neue Aufstellung.

Peter Altmaier © dpa

Hinter den Kulissen wurden Friedrich Merz, Jens Spahn und Carsten Linnemann von ihren Unterstützern ermuntert, als Fraktionsvorsitzende zu kandidieren, entschieden sich dann aber dagegen. Die Revolution wurde vertagt. Die Dolche bleiben einstweilen im Gewande.

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Peter Sloterdijk © dpa

Auch der Philosoph Prof. Peter Sloterdijk hat die Bundestagswahl aufmerksam verfolgt. Im Morning Briefing-Podcast analysiert er auf kluge und zugleich schonungslose Art die verworrene Lage. Über die gegenwärtigen Politiker sagt er:

Wir haben eine Politikergeneration, die ausnahmslos Selbsterfinder sind. Das gilt natürlich vor allem für eine Person wie Annalena Baerbock, bei der man das Gefühl hat, dass der Übergang von einer Schülersprecherin zu einer Kanzlerkandidatin doch ein bisschen zu abrupt erfolgte.

Über Laschet sagt er:

Ich bin in der peinlichen Lage als Rechthaber auftreten zu dürfen. Schon vor zwei Jahren habe ich darauf hingewiesen, dass es mit Laschet nicht funktionieren kann, weil hier ein Formatfehler vorliegt, der in politischen Angelegenheiten sehr schwer wiegt: die völlige Abwesenheit von Charisma und Ausstrahlung.

Er erläutert seine Zweifel:

Politik braucht bühnenfähige Charaktere.

Anders als die meisten anderen interpretiert er den Ausgang der Wahl nicht als Neuanfang:

In meinen Augen ist diese Wahl ein überwältigendes Votum für Kontinuitätspositionen.

 © Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Über den Wahlerfolg der FDP, die vor allem bei den Erstwählern abräumte, sagt er:

Die liberale Sphäre ist der Sammelpunkt der jungen gesellschaftlichen Intelligenz. Man hat das Glück, dass der Parteivorsitzende seit vielen Jahren als das größte politische Talent wahrgenommen werden kann, das Deutschland seit einem halben Jahrhundert hervorgebracht hat.

Auf Nachfrage erläutert er diese Hymne, die dadurch nur noch wuchtiger ausfällt:

Christian Lindner ist der Prototyp eines lernenden Politikers: Jemand, der im ständigen Stoffwechsel mit seiner Umgebung steht.

Und weiter:

Bei Lindner vollzieht sich eine naturhafte und zugleich produktive Akkumulation: Ihm wächst Gravitas zu. Das weiß er. Und er will damit was machen. Es lohnt sich auf das zu schauen, was er in den kommenden Jahren in die deutschen Verhältnisse einbringen kann.

Der Osten hat Laschets Kanzlertraum zerstört

Warum die CDU die Bundestagswahl in den neuen Ländern verloren hat.

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Veröffentlicht von Rasmus Buchsteiner.

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  • Die Luft für Laschet wird dünner. CSU-Chef Markus Söder beendete seine Zurückhaltung und dementierte einen Regierungsauftrag für die Union. Neben der mathematischen Grundlage müsse die Union auch eine politisch-moralische Begründung für eine Regierungsbeteiligung bieten.

  • In Nordrhein-Westfalen ist derweil die Diskussion über die Nachfolge Armin Laschets an der Spitze der Landesregierung und auch der NRW-CDU entbrannt: Als aussichtsreichster Kandidat gilt dabei der jetzige NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst. Eine Einigung auf diese Personalie dementierte die CDU jedoch.

  • Indessen fordert die SPD auf Bundesebene möglichst zeitnahe Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen. Wenn möglich, noch diese Woche.

Bernd Osterloh © dpa

Überraschung bei VW: Im Untreue-Prozess um Gehälter und Boni für Betriebsräte bei Volkswagen sind vier angeklagte Personalmanager vor dem Landgericht Braunschweig freigesprochen worden. „Bei keinem der Angeklagten ist der Vorsatz der Untreue festzustellen“, sagte der Vorsitzende Richter Bohle Behrend.

Den Managern wurde vorgeworfen, unter anderem Ex-Betriebsratschef Bernd Osterloh zu gut bezahlt zu haben. Der Richter fand die 750.000 Euro Jahresgehalt inklusive Boni offenbar normal. Der Mann hat sich damit als Gutachter der Volkswagen AG wärmstens empfohlen. Von irgendwas muss man ja im Ruhestand leben.

Im Tech-Briefing beschäftigen sich Christoph Keese und Lena Waltle diese Woche mit fünf Infrastrukturprojekten für die neue Regierung. Wo stehen wir in Deutschland beim Ausbau des Breitbandnetzes? Bei Hochgeschwindigkeitszügen, Autobahnen und E-Ladestationen? Wo stehen unsere Universitäten im internationalen Ranking? Wenn Sie möchten: Abonnieren Sie bitte hier den Newsletter und finden Sie die Analyse am Donnerstagmorgen in Ihrem Posteingang. Kostenlos.

Ölfeld  © dpa

Der Preis für Rohöl steigt weiter. Die europäische Sorte Brent ist mit 80 Dollar pro Barrel so teuer wie seit 2018 nicht mehr. Auch das US-Öl WTI verzeichnet mit 76 Dollar einen Drei-Jahres-Rekord.

Ein Ende der Rallye ist nicht in Sicht. In den vergangenen zwölf Monaten betrug der Preisanstieg 75 Prozent. Die Experten von Goldman Sachs rechnen mit einem Brent-Preis von 80 bis 90 Dollar je Barrel zum Jahresende. Damit drohen auch Risiken für die Inflation sowie den Konjunkturaufschwung.

Vier Ursachen treiben die Preise in die Höhe:

1. Die Gasknappheit in Großbritannien und Europa – hervorgerufen durch Lieferausfälle, niedrige Lagerbestände und eine robuste Nachfrage – provoziert einen Substitutionseffekt. Allein seit Jahresbeginn hat der europäische Gaspreis um 200 Prozent zugelegt.

2. Hurrikan Ida hat Ende August die Gas- und Öl-Infrastruktur der Küste des US-Bundesstaates Louisiana und im Golf von Mexiko verwüstet. Laut Carsten Fritsch, Rohstoffexperte der Commerzbank, seien dort in den vergangenen vier Wochen 74,4 Millionen Barrel Öl weniger als geplant produziert worden.

Hochwasser auf einem Raffinerie-Gelände in Louisiana © dpa

3. Die US-Schieferölindustrie leidet noch immer an den Folgen des Preissturzes in der Pandemie. Die Bohrungen in den US-Bundesstaaten Texas und New Mexico kommen aufgrund von hohen Schulden und wenig Investitionen nur schleppend wieder in Gang.

4. Die Opec lässt mit dem Hochfahren der Produktion auf sich warten. Die Gruppe verfügt über hohe Reservekapazitäten, hat aber erst im Sommer beschlossen, die Produktion nur langsam zu erhöhen. Analysten rechnen jedoch mit einer Steigerung der Produktion nach dem nächsten Gipfeltreffen im Oktober. Denn: Ein hoher Ölpreis schade nicht nur dem Image von etwa Saudi-Arabien, sondern würde auch die Abkehr von fossilen Brennstoffen fördern.

Jony Ive © dpa

Zunächst als Designer und später in der Rolle des Chefdesigners trug Jonathan Paul Ive, besser bekannt als Jony Ive, wesentlich zur Rettung des in den 90er-Jahren am Boden liegenden Apple-Konzerns bei. Mit der Rückkehr von Steve Jobs gelang daraufhin ein Siegeszug bis an die Spitze der wertvollsten Unternehmen der Welt und die Disruption von mehr als einem halben Dutzend Branchen.

Die ikonische Formgebung der Produkte mit dem kleinen „i“ am Namensanfang – iPod, iPhone, iPad – und auch der Macintosh-Computer stammte dabei aus der Feder des britischen Designers. Auch an der Gestaltung der Apple-Stores und des Apple-Hauptquartiers war er maßgeblich beteiligt.

Jony Ive © imago

Das Erfolgsrezept des Jony Ive ist und war dabei stets das Prinzip „form follows function“. Damit prägte er bis heute ein Schönheitheitsideal für Konsumprodukte und verlieh auch dem Laien ein Gefühl für die Bedeutung von gutem und intuitivem Design.

Nach 27 Jahren verabschiedete er sich im Jahr 2019 von Apple und gründete gemeinsam mit einem Partner die Designagentur „LoveFrom“.

Dort geht für Jony Ive nun ein Wunsch in Erfüllung, der bei Apple bis heute lediglich Gegenstand von Spekulationen ist: Die Gestaltung eines Elektroautos. Und das für niemand Geringeren als die italienische Sportwagenschmiede Ferrari. Der Anspruch, den besten und vermutlich auch schönsten Elektrosportwagen der Welt zu bauen, entspricht Ives langjährigem Motto:

Es ist einfach anders zu sein, aber schwer besser zu sein.

Ich wünsche Ihnen einen ambitionierten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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