Wahlkampf-ABC: Wie ramponiere ich die Reputation?

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Guten Morgen,

Olaf Scholz und Armin Laschet besitzen unterschiedliche Parteibücher, aber teilen sich die effektivste Wahlkampfhelferin des Landes: Annalena Baerbock. Ihre Strategie beförderte den Christdemokraten und den SPD-Mann zeitgleich auf demoskopische Höhen.

Seit dem Beginn ihrer Trilogie aus vergessenen Nebeneinkünften, frisiertem Lebenslauf und einem Buch, das offenbar im Copy-Shop entstanden ist, konnte Armin Laschet sechs Prozent wettmachen, Olaf Scholz freut sich über ein Plus von zwei Prozent. Für die Profis aller Couleur bietet der Fall fünf wichtige Lektionen, die es verdienen, in das Handbuch der Wahlkampfmanager aufgenommen zu werden:

1. Verändere die Aufmerksamkeitsökonomie des Publikums indem du nicht mehr das Thema ins Zentrum rückst, sondern deine Person. Sag nicht mehr, du willst das Weltklima retten. Sag, du willst Kanzler werden. Der mediale Erfolg ist sensationell: Man vergisst, was du willst und schaut, wer du bist.

2. Breche mit dem Understatement eines Joschka Fischer, der auf die Frage nach seinem Beruf doch tatsächlich „Taxifahrer“ geantwortet hatte. Du aber solltest dich nachprüfbar überhöhen. Nur mit dem strengen Geruch des Eigenlobs („…ich komme vom Völkerrecht her“) gelingt es dir, die mediale Meute garantiert vor deinen Fuchsbau zu locken.

3. Sei maximal intransparent und inszeniere die Beziehung mit deinem Co-Vorsitzenden als eine Art politische Romanze: Romeo Habeck & Julia Baerbock. Der verdeckte Machtkampf entfaltet erst durch diese Verkleidungsklamotte sein volles Aroma. So bringt man auch die schläfrigste Zeitungsredaktion auf Trab.

Robert Habeck und Annalena Baerbock © dpa

4. Bilde einen kleinen, aber feinen Beraterkreis außerhalb deiner Parteizentrale. Die Abstoßungsreaktionen des Apparates sind dir sicher. Aus Freunden werden Mitarbeiter und aus Mitarbeitern schließlich Intriganten.

5. Schalte im persönlichen Stil unbedingt von apart auf aggressiv. Demut kannst du jetzt wirklich nicht gebrauchen. Besorge dir den schärfsten Medienanwalt, den du kriegen kannst, und wechsele auf offener Bühne die Rolle: Sei jetzt nicht die Schöne. Sei das Biest.

Annalena Baerbock © dpa

Warnhinweis: Alle fünf Lektionen müssen zwar einzeln verstanden, aber gleichzeitig umgesetzt werden. Nur so wird das Ziel einer ramponierten Reputation zum Vorteil der Konkurrenz auch wirklich eingelöst. Falls es bei der Umsetzung dieser Strategie in der Seele der Protagonistin zu depressiven Schüben und melancholischen Anwandlungen kommen sollte, greife in den Fundus des Kabarettisten Wolfgang Neuss:

Galgenhumor ist die Kunst, sich den Ast zu lachen, auf dem man sitzt.

Eine Infografik mit dem Titel: Grüne: Der Abstieg

Welche Partei würden Sie wählen, wenn heute Bundestagswahl wäre? Antworten in Prozent

Isabel Schnabel © dpa

Die Europäische Zentralbank verfolgt die Entwicklung der Inflation mit Akribie, wissend, dass eine beschleunigte Geldentwertung die Glaubwürdigkeit der Notenbank gefährden und die Zinspolitik verändern würde. EZB-Direktoriumsmitglied Prof. Isabel Schnabel trug ihre Erkenntnisse und Projektionen dazu auf dem Petersberger Sommerdialog vor, eine vor zehn Jahren von Johannes Ludewig, einst Wirtschaftsberater von Kanzler Kohl und Koordinator des Ost-Aufbaus, ins Leben gerufene und seither einmal im Jahr vertraulich tagende Konferenz von europäischen Wirtschaftsführern, Finanzexperten und Spitzenpolitikern. In diesem Jahr nahm auch Kanzlerkandidat Armin Laschet teil.

Prof. Schnabel unterrichtete die Runde über die wichtigsten Inflationstreiber, wozu sie die gestiegenen Energiepreise, die Knappheit bei wichtigen industriellen Rohstoffen und Vorprodukten und die Lieferschwierigkeiten aufgrund noch immer wackeliger globaler Lieferketten zählte. In ihrer Projektion kommt es 2022 zu einem Absinken der Inflationsrate, die sich im Folgejahr 2023 dann bei 1,4 Prozent und damit unterhalb des EZB-Ziels von zwei Prozent einpendeln würde.

Eine Infografik mit dem Titel: HICP inflation: actual and projected

June 2021 BMPE annual percentage change

Eine Infografik mit dem Titel: Euro area energy price inflation

year-on-year and 2-year percentage change

Eine Infografik mit dem Titel: Euro-Area-manufacturing-PMI

balances

Eine Infografik mit dem Titel: OECD: Consumer price inflation

year-on-year percentage change, OECD total

Die EZB geht davon aus, dass die Lieferengpässe und dadurch ausgelöste Preiseffekte temporär sind. Die Rede von Isabel Schnabel und ihre dazugehörigen Charts sind aufgrund der Transparenzregel der Europäischen Zentralbank für jedermann auf der Webseite ecb.com einsehbar. Prädikat: anspruchsvoll und erhellend. Ob die Prognose eintrifft, lässt sich erst 2022 beurteilen. Deshalb gehört dieser Vortrag in die Mappe mit der Aufschrift „Wiedervorlage“.

Joe Kaeser © Anne Hufnagl

Im Frühjahr dieses Jahres hat sich Joe Kaeser als Vorstandschef von Siemens nach 15 Jahren an der Konzernspitze zurückgezogen. Mit Kaeser ging ein Unternehmer der besonderen Art: politisch interessierter, engagierter, und umstrittener als alle anderen. Mein Kollege Gordon Repinski, stellvertretender Chefredakteur von ThePioneer, hat Kaeser für den Morning Briefing-Podcast an Bord der PioneerOne geholt. Der gebürtige Bayer begründete sein politisches Engagement:

Es ist eine wichtige Aufgabe von Vorstandsvorsitzenden aller Geschlechter, das eigene Land in der gesellschaftspolitischen Debatte zu vertreten.

Aus diesem Grund kritisierte der heute 64-Jährige 2018 Alice Weidel für ihre rechtspopulistische Sprache. Im Interview erläutert er:

Wenn das jemand in der Welt sieht und das übersetzt bekommt unter dem Bundesadler, dann schadet das dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Und was dem Ansehen Deutschlands in der Welt schadet, schadet auch Siemens. Wir erwirtschaften mehr als 90 Prozent des Umsatzes außerhalb Deutschlands.

Nicht immer gelang ihm alles. Kurz nach der Annexion der Krim reiste Kaeser 2014 zu Wladimir Putin, um über Wirtschaftsprojekte zu sprechen, während Angela Merkel in Brüssel Sanktionen gegen Putin aushandelte. Heute sagt er:

Der russische Präsident hat mich perfekt vorgeführt.

Wladimir Putin und Joe Kaeser © dpa

Die Kurzfassung des Gesprächs hören Sie heute Morgen im Morning Briefing-Podcast. Das ganze Gespräch gibt es exklusiv für Pioneers in der neuen Pioneer-App im Google-Store, Apple-Store oder auf ThePioneer.de.

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Unternehmer Wolfgang Grupp © dpa

Die Vermögenssteuer hat sich in die Wahlprogramme von SPD, Grünen und Linkspartei geschlichen, dabei nagt die Extra-Besteuerung am Kern vom Kern der deutschen Wirtschaft: den Familienunternehmen.

Denn nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft sind große Vermögen öfter in Betrieben gebunden als bislang angenommen. Vom Kapital der oberen ein Prozent sind demnach bis zu 65 Prozent als Betriebsvermögen eingesetzt, wie das Institut im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen analysiert. Insgesamt befinde sich in den Händen von Privatleuten ein Betriebsvermögen in Höhe von 3,1 Billionen Euro. Frühere Berechnungen der Bundesbank gingen von nur 39 Prozent – insgesamt 1,1 Billionen Euro – aus.

Jenes Betriebsvermögen wäre durch die Vermögenssteuer gefährdet, denn um die Steuer zu entrichten, müssten Betriebsteile verkauft werden. Der Fiskus profitiert, aber die Firma verliert – und zwar ihren ursprünglichen Eigentümer. In der Studie erklären die Forscher:

Insbesondere in Krisenzeiten mit niedrigen oder ausbleibenden Gewinnen wäre ein Substanzverzehr möglich oder wahrscheinlich. Dann müssten zum Beispiel Maschinen verkauft oder Investitionen zurückgestellt werden, um Liquiditätsengpässe zu verhindern.

Fazit: Die wahren Profiteure einer derartigen Vermögenssteuer wären Chinas Aufkäufer und die Vielzahl angelsächsischer Private Equity Firmen. Was für die Trojaner das von den Griechen in die Stadt geschleuste Holzpferd war, wäre für den deutschen Mittelstand die Vermögenssteuer. Geschichte wiederholt sich womöglich doch: Kassandra wollte damals – und will heute – niemand hören.

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Der Wahlkampf geht in die entscheidende Phase, die Regierungsarbeit tritt langsam in den Hintergrund. In unserem Politik-Newsletter „Hauptstadt - Das Briefing“ von den ThePioneer-Chefredakteuren Michael Bröcker und Gordon Repinski geht es deshalb ab sofort bis zur Bundestagswahl dreimal wöchentlich – Montag, Mittwoch und Freitag – um Neuigkeiten aus der Welt der Wahlkampagnen.

Und: In den Pioneer Polls berechnen wir den Mittelwert aller aktuellen Erhebungen.

Hier geht es zur ersten Ausgabe von „Haupstadt - Das Campaign Briefing“:

Das Campaign Briefing: Ärger über den Wahl-O-Mat

Er ist für viele wichtig zur Meinungsfindung - nun gibt es Streit über die Fragen des Wahl-O-Mat.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Wang Yi © dpa

Wenige Tage nach Xi Jinpings kämpferischer Rede anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) setzt sein Außenminister Wang Yi nach. In einer Grundsatzrede, die Themen von der globalen Pandemie bis zur Terrorismusbekämpfung, von Nordkorea bis zur iranischen Atomfrage und Taiwan ansprach, präsentierte auch Wang sich als Kalter Krieger:

Keine Person oder Kraft sollte die Entschlossenheit und Fähigkeit des chinesischen Volkes unterschätzen.

Wang betonte, die Welt müsse sich gegen eine „Blockkonfrontation“ wenden und nannte als Beispiel das Verhalten der USA in der indo-pazifischen Region:

Das ist die Wiederbelebung der Mentalität des Kalten Krieges und eine Regression der Geschichte. Es sollte in die Mülltonne gekehrt werden.

Den alten Traum der Hegemonie während des Kalten Krieges zu träumen, wird keine vielversprechende Zukunft sichern, geschweige denn eine bessere Welt aufbauen.

Marine Le Pen © dpa

Bei den französischen Regionalwahlen musste Marine Le Pen letzte Woche eine bittere Niederlage verkraften. Trotz guter Umfragewerte konnte ihre rechtspopulistische Partei Rassemblement National keine einzige französische Region für sich gewinnen und verlor 30 Prozent ihrer Wählerschaft.

Eine Woche später, bei dem Parteitag der Rassemblement National, gewann Le Pen allerdings ihre Wahl: Mit 98,35 Prozent der Stimmen wurde sie als Chefin ihrer Partei erneut gewählt. Allerdings war sie auch die einzige Kandidatin.

Die 52-jährige Juristin folgt einer „Normalisierungsstrategie“, um die Rassemblement National als bürgerliche Partei zu etablieren – und sich von dem rechtsextremen Gedankengut ihres Vaters Jean-Marie Le Pen zu distanzieren. „Wir gehen nicht zurück“, sagte Le Pen während ihrer Parteitagsrede am Sonntagnachmittag.

Diese „Normalisierung“ wird angesichts der schlechten Ergebnisse bei den Regionalwahlen von vielen ihrer Parteifreunde infrage gestellt. Der Journalist und Autor Éric Zemmour – ein möglicher Kandidat der extremen Rechten – läuft sich warm für die Präsidentschaftswahl. Sein Freund ist der alte Le Pen, der von der Tochter aus der Partei gedrängt wurde. Er sagte jetzt:

Die Partei hat ihre Männlichkeit verloren.

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Steve Angel © dpa

Equal pay, lautet der Schlachtruf der Gewerkschaften: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das würden sich auch die Vorstandschefs der Dax-Konzerne in eigener Sache wünschen. Denn nirgendwo klaffen die Gehälter derart auffällig auseinander wie an der Spitze der Großkonzerne.

Am auffälligsten ist die Differenz zwischen der Nummer Eins und dem Mann mit der Schlusslaterne. Christian Klein, Vorstandsvorsitzender von SAP, verdiente 2020 relativ bescheidene 2,2 Millionen Euro. So viel verdient Steve Angel von Linde Plc. in zweieinhalb Wochen. In Summe ging er 2020 mit rund 47 Millionen Euro nach Hause, die zahlreichen Aktienoptionen, die später eingelöst werden und das Gehalt rückwirkend verdoppeln dürften, sind da nicht mitgerechnet.

Angel ist – darin liegt der wichtigste Grund für das Monstergehalt – der Gewinner der vom Ex-Vorstandsvorsitzenden und heutigen Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle angestoßenen und von Steve Angel tatkräftig unterstützten Fusion der deutschen Linde AG mit dem amerikanischen Gasehersteller Praxair. Linde war zu Beginn der Merger-Gespräche rund 23 Milliarden Euro wert – und heute rund 128 Milliarden Euro. Auch der Gewinn hat sich durch die Fusion stark gesteigert.

CEO Angel profitiert davon, denn er hat seinen alten Vertrag in die fusionierte Firma mitgenommen. Diese Vertragsstruktur verwandelt einen exorbitanten Gewinn, in diesem Fall mitverursacht durch die Verschmelzung der beiden Firmen, in ein exorbitantes Gehalt. Das ist vielleicht nicht fair, aber folgerichtig. Oder um es mit Karl Marx zu sagen:

Das Interesse denkt nicht, es rechnet.

Eine Infografik mit dem Titel: Dax-Gehälter: Top und Flop

Vergütung von Steve Angel, CEO der Linde Plc, und Christian Klein, CEO von SAP, im Jahre 2020, in Millionen Euro

Ich wünsche Ihnen einen vitalen Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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