Wann kommt der Exit? Die neue Corona- Opposition

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Guten Morgen,

die gute Nachricht heute Morgen lautet: Die deutsche Demokratie lebt. Nach Wochen der Schockstarre und der fast bedingungslosen Zustimmung zur Corona-Politik der Regierung rührt sich Widerstand. Angesichts von Kontaktverbot, Versammlungsverbot, Demonstrationsverbot und einer extrem eingeschränkten Reisefreiheit in Deutschland kann sich dieser Widerstand nicht in körperlicher Präsenz und damit auch nicht in fernsehtauglichen Demonstrationszügen manifestieren. Aber die Stille vorm Bundeskanzleramt täuscht. Wer sich einen Sinn für die unterirdischen Energieströme der Gesellschaft bewahrt hat, der spürt die Vibration. Auch ohne Organisationskomitee und schriftlich fixierte Protestplattform hat sich ein Widerstand formiert, der Medizinjuristen, Schriftsteller, Kulturschaffende, Wirtschaftsexperten und Publizisten unterschiedlichster Couleur in ihrem Zweifel an der Verhältnismäßigkeit dieser Politik vereint. Warum so radikal? Warum alle? Wie lange noch? Wenn diese bislang unsichtbare Bewegung ein Logo besäße, wäre es das Fragezeichen:

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Zu den wirkungsmächtigen Stimmen gehört die Schriftstellerin, Sozialdemokratin und brandenburgische Verfassungsrichterin Juli Zeh („Unterleuten“, „Neujahr“). Im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ entfaltet sie eine juristisch-politische Argumentationskette, die man auch als heftige Kritik an der schläfrigen Opposition im Berliner Reichstag begreifen kann:

Unsere Verfassung verlangt, dass bei Grundrechtseingriffen immer das mildest mögliche Mittel gewählt wird. ... Ansonsten fehlt es an der Verhältnismäßigkeit, und eine Maßnahme ist dann unter Umständen verfassungswidrig.

Dabei hätte ein wissenschaftlich fundierter Diskurs aller medizinischer Fachrichtungen zum Beispiel mittels einer Ad-hoc-Kommission helfen können. Stattdessen hat man einzelne prominente Experten zu Beratern gemacht und zugelassen, dass eine eskalierende Medienberichterstattung die Öffentlichkeit und die Politik vor sich hertreibt.

Das Argument der Regierung, sie habe angesichts der exponentiellen Entwicklung bei der Zahl der Infizierten, keine andere Wahl gehabt als den Shutdown von Bildungseinrichtungen, Kulturleben und Wirtschaft zu verordnen, lässt sie nicht gelten:

'Alternativlos' ist ein anderer Begriff für 'Keine Widerrede!' und damit ein absolut undemokratisches Konzept. Es gibt immer eine Alternative, und unsere Verfassung verlangt, dass wir die verschiedenen Möglichkeiten abwägen

Im Fall von Covid-19 sind sich große Teile der Fachwelt einig, dass eine sogenannte Herdenimmunisierung stattfinden muss, dass sich also mindestens 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung infizieren müssen, bis die Pandemie abflaut. Das heißt, eine möglicherweise sinnvolle Alternative wäre gewesen, über sogenannte risikostratifizierte Maßnahmen nachzudenken. Man schützt dann hochgradig und gezielt die Risikogruppen, während man dem Rest der Bevölkerung erlaubt, sich zu immunisieren.

Sie fordert nicht eine Festlegung auf genau diese Strategie, die ebenfalls nicht ohne Risiken sein kann. Aber was sie fordert, ist eine Debatte über Alternativen der staatlich verfügten Schließung von Wirtschaft und Gesellschaft:

Ich will jetzt nicht sagen, welche Alternative besser ist, denn ich bin keine Expertin. Aber das Frappierende ist doch, dass eine multidisziplinäre und für die Bürger verständliche Diskussion von Alternativen gar nicht stattgefunden hat

Verantwortlich dafür sei nicht das Virus, sondern eine verängstigte politische Klasse:

Mir scheint, es herrscht die Angst, man könnte ihnen später vorwerfen, dass sie zu wenig getan haben. Also überbietet man sich lieber gegenseitig beim Vorschlagen immer neuer drakonischer Verordnungen und versucht zu punkten, indem man sich als starker Anführer aufspielt.

Die Einschränkung der Grundrechte werde dabei nicht lustvoll betrieben, wohl aber billigend in Kauf genommen:

Wir haben es in Deutschland meines Erachtens nicht mit gezielten Angriffen auf die Gültigkeit unseres Grundgesetzes unter dem Deckmantel der Krisenbewältigung zu tun. Aber wir erleben eine Form von orientierungsloser Geringschätzung gegenüber unserer Verfassung, was ich fast genauso schlimm finde.

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Auch der Star-Autor der „Süddeutschen Zeitung“ Heribert Prantl, der in seinem früheren Leben Richter und Staatsanwalt war, mag sich mit der Alternativlosigkeit der herrschenden Corona-Politik nicht anfreunden. Im Media Pioneer Podcast „Der achte Tag“ sagte er:

Man muss nicht nur entschlossen gegen das Virus kämpfen, sondern auch gegen eine Stimmung, die die Grund- und Bürgerrechte in Krisenzeiten als Ballast, als Bürde oder als Luxus betrachtet, den man sich in diesen Zeiten nicht leisten könne. Das ist ein Denken, das gefährlich ist.

Seine Schlussfolgerung:

Es geht um Effektivität, die die Verhältnismäßigkeit achtet.

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Wir brauchen keine allgemeine, das Infektionsrisiko minimierende Praxis, sondern eine spezifische, die das Infektionsrisiko für die gefährdeten Gruppen möglichst auf null herunterfährt

Unsere Hauptaufgabe ist, jetzt die Gefährdeten konsequent zu schützen. Und dann können wir in den nicht gefährdeten Bereichen die Menschen wieder in das normale Leben entlassen, Schulen wieder aufmachen, den Universitätsbetrieb wieder aufnehmen, Tagungen und Messen wieder beginnen lassen, die Produktion wieder hochfahren, die Geschäfte wieder eröffnen.

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Christiane Woopen ist Professorin für „Ethik und die Theorie der Medizin“ an der Universität Köln. Sie leitet den europäischen Ethikrat, ein Gremium, das die Kommission der Ursula von der Leyen berät. Sie sagte am Samstagabend in den „Tagesthemen“:

Wir müssen, nachdem wir diese Phase überwunden haben, durch die wir alle zusammen durchgehen, differenzieren. Es ist in unser aller Interesse, dass sich das gesellschaftliche Leben wieder normalisiert

Sie weist auf die Nebenwirkungen und Risiken der Shutdown-Politik hin:

Wir müssen auch an die Gruppen denken, die jetzt durch diese massiven Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung in besonderer Gefährdung sind und eben keine Covid-19-Patienten sind. Beispielsweise Kinder, die zu Hause vielleicht missbraucht werden. Beispielsweise Eltern, die das nicht mehr gut hinbekommen, Kinder zu versorgen und Homeoffice zu machen. Beispielsweise Menschen, die in Not sind, weil sie ihre Arbeit verloren haben und vielleicht abhängig werden von Alkohol. Oder auch psychisch Erkrankte, die Einsamkeitsgefühle haben bis hin vielleicht dazu, dass sie sich überlegen, ob es besser wäre, sich das Leben zu nehmen. Solche tragischen Fälle müssen wir jetzt auch im Blick haben.

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Woopen hat zusammen mit 13 anderen Experten unter der Leitung von Ifo-Präsident Prof. Clemens Fuest Kriterien erarbeitet, die eine Rückkehr zur Normalität in Deutschland beschreiben. In der Studie „Die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie tragfähig gestalten: Empfehlungen für eine flexible, risikoadaptierte Strategie“ beschreiben sie eine „graduelle Öffnung“ des Landes.

In den Bereichen, wo die Ansteckungsgefahr niedrig ist, kann man schneller öffnen. Empfohlen wird als Erstes die Wiederaufnahme der Produktion in hoch automatisierten Industriebetrieben.

► In den wiedereröffneten Betrieben müssten strenge Hygienestandards gelten. Vorbild seien Krankenhäuser oder die Lebensmittelindustrie. Unternehmen brauchen dafür genügend Masken, Desinfektionsmittel und Medikamente.

Sektoren, in denen gut mit Homeoffice und digitalen Techniken gearbeitet werden kann, haben weniger Priorität als Sektoren, in denen das nicht geht. ► Nach Ausbildung von natürlicher Immunität können vor allem Bereiche und Regionen mit einer hohen Immunität geöffnet werden.

► Regionen mit freien Kapazitäten in der Krankenversorgung können ebenfalls eher geöffnet werden.

► Bereiche, die für die Gesellschaft besonders wichtig sind, sollten vorangehen: „Schulen und Universitäten haben eine andere Bedeutung als Nachtklubs“.

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Der konservative Publizist Wolfram Weimer, einst Chefredakteur von „Welt“, „Cicero“ und „Focus“, geht mit seiner Kritik, die eher ökonomisch grundiert ist, darüber hinaus. Er hält die Strategie einer Pandemie-Bekämpfung durch Schließung des Wirtschaftslebens für verfehlt, weil es am Ende heißen könnte: Operation gelungen, Patient tot. In einem Essay für den Nachrichtensender „n-tv“ schreibt er:

Deutschland steht vor der größten Pleitewelle seit der Weltwirtschaftskrise von 1929. Wenn die Regierung nicht aufpasst, wird der Schaden irreparabel.

Für ihn fußt die Strategie der Bundesregierung auf einer Fehleinschätzung dessen, was Wirtschaft bedeutet:

Die von Beamten und Juristen dominierte Politik neigt offenkundig dazu, die Wirtschaft wie eine statische Großbehörde zu betrachten, die man eine Zeit lang mal schließen könne und ihr notfalls hinterher mit Geld wieder aufhelfe. In Wahrheit aber ist die Wirtschaft wie ein lebendiger Organismus, der einfach stirbt, wenn sein Kreislauf nicht zirkuliert.

Weimer prophezeit Nebenwirkungen, die bis weit in das globale Finanzsystem hineinreichen:

Nun steigt mit jeder Stunde das Risiko, dass die enormen Rettungspakete ihrerseits Vertrauenskrisen und Finanzmarktturbulenzen auslösen. Hält das Eurosystem in so einer Lage wirklich? Die Vertrauensillusion hängt bislang daran, dass Staaten und Notenbanken alles garantieren können. In der Realität aber können sie es nicht.

Seine Schlussfolgerung:

Am 19. April muss Deutschlands Zwangskoma enden!“

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Auffällig ist, dass der Ruf nach einem Ausstiegsszenario nicht der bisherigen Links-Rechts-Logik in Deutschland gehorcht. Vielmehr scheint sich hier eine Koalition der Pragmatiker zusammenzufinden: Der Verleger der linken Wochenzeitung „Der Freitag“ Jakob Augstein schreibt auf Twitter :

Jeder weiß, dass Wege gefunden werden müssen, die besonders Gefährdeten zu schützen und der großen Mehrheit die Rückkehr in die Normalität zu ermöglichen. Ganz einfach weil es anders gar nicht geht.

Erst kam die Stunde der Virologen – die haben die Krankheit erklärt. Jetzt ist gerade die Stunde der Psychologen und Philosophen – die erklären den Umgang der Menschen damit. Bald kommt hoffentlich die Stunde der Politiker, die Verantwortung dafür übernehmen, wie es weitergeht.

 © imago

Wir müssen weg vom Lockdown, hin zum differenzierten Schutz der Risikogruppen. Große Depression darf nicht riskiert werden. Sonst wird die Medizin schlimmer als die Krankheit.

Wer führt eigentlich wen in der Corona-Krise? Die Politiker die von den Medien verängstigte Bevölkerung? Oder die Medien und die Bevölkerung die Politiker?

Hört mit dieser Selbstverbrennung der Wirtschaft auf. Ohne Wirtschaft bekommen wir kein Corona - dafür verhungern alle.

 © Privat

Der Vorsitzende der weltweit tätigen Stiftung Cinema for Peace, Jaka Bizilj, verfasste am Wochenende einen Brief an Angela Merkel und die von ihr geführte Regierung. Darin heißt es:

Liebe Kabinettsmitglieder, kann man von Singapur und Schweden lernen, die Opfer des Corona-Virus zu schützen, ohne unser Land und die Weltwirtschaft zu zerstören wie zuletzt 1929 mit Bankenzusammenbruch, Hunger, Tod und Nationalsozialismus als Folge? Ich war im Februar für ein Cinema for Peace-Filmprojekt in Japan und dort trug jeder eine Maske, an jeder Ecke wurde desinfiziert – und das Land funktioniert normal weiter. Chinas direkte Nachbarn Taiwan, Macau und Hongkong haben keinen einzigen Todesfall zu beklagen. Statt Angst vor den Bildern aus Italien, Frankreich und Spanien zu haben, könnten wir Tausende Patienten von dort in den leeren Krankenhäusern Deutschlands und Skandinaviens aufnehmen, da wir wesentlich besser ausgerüstet sind.

Auf einen registrierten Infizierten kommen mittlerweile 10-100 nicht registrierte Infizierte in Deutschland, die Letalität in Deutschland liegt damit bei 0,015-0,15 Prozent der Infizierten, was geringer ist als bei der Influenzawelle im Winter 2017/2018.

Sein dramatischer Schlussappell:

Das komplette Kulturleben in Deutschland ist zum Erliegen gekommen und viele Kulturschaffende sind am Ende. Ebenso wird die Weltwirtschaft den Lockdown bis Ende April nicht überleben. In dem Fall wird es keine finanziellen Mittel mehr geben, unser Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten und unser Kulturleben wiederzubeleben. Dies könnte das Ende unserer liberalen Demokratien und unserer kulturellen Errungenschaften einleiten, die unsere Zivilisation definieren.

 © Kanzlei Bahner/Beate Bahner

Die neue Opposition wird - wo der Weg zum Bundeskanzleramt versperrt ist - vor die Schranken der Gerichte ziehen. Beate Bahner, Fachanwältin für Medizinrecht aus Heidelberg, kündigt eine Normenkontrollklage an. Ihre Begründung:

Wochenlange Ausgehbeschränkungen und Kontaktverbote auf Basis der düstersten Modellszenarien (ohne Berücksichtigung sachlich-kritischer Expertenmeinungen) sowie die vollständige Schließung von Unternehmen und Geschäften ohne jedweden Nachweis einer Infektionsgefahr durch diese Geschäfte und Unternehmen sind grob verfassungswidrig.

Die vorliegenden Zahlen und Statistiken zeigen, dass die Corona-Infektion bei mehr als 95 % der Bevölkerung harmlos verläuft (oder vermutlich sogar bereits verlaufen ist) und somit keine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellt

Insbesondere muss der Bundesgesundheitsminister endlich diejenigen – bislang versäumten – Maßnahmen ergreifen, zu denen sein Ministerium in der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes verpflichtet wurde: Die sofortige Sicherstellung der Versorgung mit notwendigen Medizinprodukten.

Ihre Schlussfolgerung:

Der Shutdown verletzt in gravierender Weise das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Fazit: Die Regierung gerät unter Druck; die Geschlossenheit ihrer bisherigen Unterstützer-Front dürfte in den nächsten Tagen und Wochen weiter bröckeln. Deutschland ist nicht Bergamo und nicht New York. Der Konflikt in den Reihen der konservativen Spitzenpolitiker über Zeitdauer und Härte der Maßnahmen hat hinter den Kulissen begonnen. Erst kürzlich musste sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder – der ständig auf Verschärfung der Verschärfung drängt – von Gesundheitsminister Jens Spahn – der mit deutlich liberalerer Grundhaltung zu Werke geht – an die Kurzlebigkeit politischer Trends erinnern lassen. Mit Blick auf die zunächst euphorische Unterstützung von Merkels Flüchtlingspolitik, riet Spahn in kleiner Runde davon ab, den Rückhalt für eine autoritäre Corona-Politik zu überschätzen: „Das wird genauso enden wie die Willkommenskultur.“ Nur die ökonomischen Auswirkungen (siehe Grafik) sind diesmal deutlich gravierender.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Corona-Rezession

Wirtschaftsentwicklung in Deutschland gegenüber Vorjahr, in Prozent

Im Morning Briefing Podcast begrüßt Sie in dieser Woche meine Kollegin Chelsea Spieker. Heute geht es um folgende Themen: ► In Griechenlands Flüchtlingslagern droht ein Corona-Fiasko, die EU duckt sich weg. Migrationsexperte Gerald Knaus warnt im Interview vor einer humanitären Katastrophe. ► Start-up-Experte und Media-Pioneer-Kolumnist Christian Miele hat Peter Altmaier bei uns im Studio getroffen. Der Bundeswirtschaftsminister erklärt, wie er jungen Unternehmen in der Coronakrise helfen will.Am Freitag ist – trotz Feiertag – Welt-Vize Robin Alexander für Sie da. Ich werde Sie in dieser Woche schreibend, aber nicht sendend begleiten. Vor den Ostertagen, so die Idee dieser Arbeitsteilung, heißt es, die Triebwerke herunterzufahren. Ich wünsche uns allen eine Zeit heiterer Gelassenheit, trotz der teils widrigen Wirklichkeit.

Herzlichst grüßt Sie Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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