nirgendwo ist das wiedervereinte Deutschland der untergegangenen DDR näher als beim Thema Wohneigentum. Der Immobilienbesitzer gilt auch hierzulande als Hai; der Mieter als Opferlamm und der Staat spielt sich als Messias auf.
Das Ergebnis dieses seit Jahrzehnten einstudierten Rollenspiels könnte niederschmetternder nicht sein: Das private Wohneigentum schrumpft, die Mietpreise steigen.
Eine Infografik mit dem Titel: Deutscher Mietanstieg
Entwicklung des Mietpreisindex für Deutschland seit 1995, 2015 = Index 100
Die Wohneigentumsquote, also jene Zahl, die Auskunft über das Verhältnis von Mietern vs. Eigentümern gibt, ist die niedrigste der westlichen Welt. Minus vier Prozent allein seit 2010. Deutschland hat sich vom Rest der Welt regelrecht entkoppelt:
In den meisten ehemaligen Ostblockstaaten, von Rumänien bis Ungarn, gehören 70 bis 90 Prozent der Wohnungen und Häuser den Menschen, die darin wohnen. Freiheit und Eigentum werden als Zwillingsbrüder erlebt.
Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland an letzter Stelle
Wohneigentumsquote in ausgewählten europäischen Ländern im Jahr 2019, in Prozent
In den USA ist die Homeowner Association die große politische Brücke, die Republikaner und Demokraten miteinander verbindet. Präsident Bill Clinton:
Der Besitz von Hauseigentum ist der amerikanische Traum.
Der Prozentsatz der Amerikaner, die im eigenen Haus wohnten, stieg von 64 Prozent unter Clinton auf 69 Prozent unter George W. Bush. Zu wenig, befand dieser und eröffnete seine Wiederwahl-Kampagne auf dem Republikaner-Parteitag 2004 im New Yorker Madison Square Garden mit den Worten:
© dpaIch will, dass noch mehr amerikanische Familien beim Öffnen der Haustür sagen können: ‚Willkommen in unserem Zuhause.‘
Auch in Großbritannien und Frankreich, in Italien sowieso, ist die Mehrzahl der Menschen Besitzer des eigenen Wohnraums. Vor allem deshalb stehen viele Nationen in der Vermögensstatistik deutlich besser da als die Deutschen.
Hierzulande besitzen nur 51,1 Prozent der Menschen einen Rechtstitel an Wohnraum, die andere Hälfte wohnt zur Miete. Am geringsten ist die Eigentümerschaft dort ausgeprägt, wo die Kanzlerin herkommt, in Mecklenburg-Vorpommern; die Eigentumsquote beträgt hier lediglich 41,1 Prozent. Das Thema hatte für sie zu keinem Zeitpunkt Priorität. Als Beitrag zur Haushaltssanierung strich Merkel kurzerhand ab 2006 die Eigenheimzulage.
Eine Infografik mit dem Titel: Eigentum nimmt ab
Wohneigentumsquote in Deutschland seit 2010, in Prozent
Doch die Wurzel des Übels reicht über Merkel hinaus. Die deutsche Politik mag es nicht, wenn Menschen in ihren eigenen vier Wänden leben:
Die Grünen stört, dass dafür Ackerland in Bauland verwandelt werden muss. Der Regen soll in der Erde versickern und nicht gegen Wintergarten oder Veranda trommeln.
SPD und CDU sehen den Bürger lieber als Mieter, den sie mit Schutzgesetzen und Mietgeldzuschüssen betütteln dürfen. Der Bürger soll alimentiert, nicht befreit werden.
Die Linkspartei will am liebsten die privaten Immobilienkonzerne verstaatlichen, worüber in Berlin am Tag der Bundestagswahl abgestimmt wird. Das Vorbild dieser Initiative ist das kommunistisch regierte Havanna, wo Staatsbesitz und Mietpreisbremse die Bausubstanz der Stadt gründlich ruiniert haben.
Die FDP kümmert sich zwar liebevoll um die Immobilienbesitzer, aber nicht um die, die erst noch zu Besitzern von Wohnung oder Haus werden wollen. Die Sehnsucht der kleinen Leute wurde an die Sozialpolitiker outgesourct.
Fazit: Der bisherige Wahlkampf besteht aus Flutbildern und Mätzchen. Der Familienunternehmer und ehemalige BDI-Präsident Heinrich Weiss spricht von „Zukunftsvernachlässigung“.
Aber vielleicht ergibt sich ja noch die Möglichkeit zur inhaltlichen Debatte. Eine „Gesellschaft der Wohnungseigentümer“ wäre nach all den apokalyptischen Phantasien von Klimaschützern und Pandemiebekämpfern ein politischer Traum für Millionen Menschen in der Mitte der Gesellschaft. Ein Traum, für den es sich womöglich lohnt, nicht nur zur Arbeit, sondern auch zur Wahl zu gehen.
Der Beamtenstaat weiß, was er will und was er nicht will. Zu den zwei Dingen, die er für alle anderen Menschen akzeptiert aber nicht für sich selbst, gehört die gesetzliche Krankenversicherung. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, also Amtsvorsteher, Polizisten und Bundestagsabgeordnete, sind privat versichert. Die Zwei-Klassen-Medizin finden sie nur bei Wahlkampfauftritten empörend, im Alltag dagegen höchst angenehm.
Der zweite Punkt ihrer Andersartigkeit betrifft die Rente. Die kümmerliche gesetzliche Rentenversicherung, die nach Belieben hoch- und runtergepegelt werden kann und auch deshalb für viele nicht zum Leben im Alter reichen wird, ist nicht so ihr Ding. Alle Beamten – und damit auch alle Politiker – erhalten ihre Altersbezüge aus den Haushalten der Länder und des Bundes – und somit aus Steuergeldern.
Die Summe aller Auszahlungen an die rund 1,7 Millionen Begünstigten betrug 2020 75,67 Milliarden Euro. Ein Plus von fast 300 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Heute gibt der Staat für die Beamtenpensionen mehr aus, als die Minister für Gesundheit, Bauen, Wissenschaft und Verkehr zusammen ausgeben dürfen.
© dpaWomit wir bei der Kanzlerin wären, die noch in diesem Jahr zum Fall für die Pensionskasse wird. Ihre Altersbezüge fallen – auch gemessen an ihrem letzten Bruttogehalt von circa 39.420 Euro im Monat – durchaus großzügig aus. Sie wird nach detaillierten Expertenberechnungen, die meinem Kollegen Rasmus Buchsteiner vorliegen, bei rund 15.000 Euro im Monat liegen.
Zum Vergleich: Die durchschnittliche Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung betrug zuletzt 951,87 Euro monatlich.
Versteuern muss allerdings auch die baldige Altkanzlerin ihre Pension. Und es gibt Abzüge für Krankenversicherung und Pflege. Mehr Infos erhalten Sie in unserem Politikteil: Hauptstadt – Das Briefing.
CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat mit Problemen zu kämpfen, die ihr die Regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer hinterlassen haben. Mit dem Schlachtruf „die Freiheit Deutschlands wird am Hindukusch verteidigt“ (SPD-Verteidigungsminister Peter Struck) hatte man sich dem Afghanistanfeldzug der Amerikaner angeschlossen.
Doch der hat außer hohen Kosten und vielen Toten keine positiven Ergebnisse gebracht. Wenige Wochen nach dem Abzug der Bundeswehr und fast aller anderen westlichen Truppen fällt das Land Stück für Stück in die Hände der Taliban. Kundus und Faisabad, zwei ehemalige Bundeswehr-Stützpunkte, sind bereits verloren.
Und womöglich beginnt bald der Sturm auf Kabul.
Mein Kollege Gordon Repinski hat Kramp-Karrenbauer in dieser Woche auf die PioneerOne eingeladen, um mit ihr über Afghanistan und die deutsche Verantwortung zu sprechen.
© Media PioneerDie Ministerin war angesichts der immer neuen Hiobsbotschaften aus Afghanistan sichtlich bedrückt:
Es ist ein ganz bitterer Moment.
Es sind die Worte einer Politikerin, die eine schwere Niederlage der deutschen Sicherheitspolitik und des Westens insgesamt eingestehen muss. Und die versucht, daraus Lehren für Künftiges zu ziehen.
Meine erste Erkenntnis ist, dass wir immer sehr, sehr offen darüber reden müssen und auch begründen müssen, warum wir uns in einer Region engagieren.
Auszüge aus dem Interview hören Sie heute ab 12 Uhr im Hauptstadt-Podcast. Das ganze Gespräch dann am Samstag auf ThePioneer.de und in der Pioneer Podcast App, die Sie im Google- oder im Apple-Store kostenlos herunterladen können.
Armin Laschet steckt im Umfragetief und sieht sich jetzt erstmals mit Kritik aus den eigenen CDU-Reihen konfrontiert. Am deutlichsten äußerte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther im „Handelsblatt“ seinen Frust über die bisherige Wahlkampf-Performance des Kanzlerkandidaten:
Das überzeugt niemanden.
Er fordert einen stärken inhaltlichen Aufschlag von Laschet:
Wir müssen die Themen in den Mittelpunkt rücken, die für die Menschen wichtig sind.
Anmerkung: Die Kritik des Schleswig-Holsteiners ist nicht scharf und trotzdem relevant. Er war im Konflikt mit Markus Söder ein offensiver Laschet-Unterstützer.
Olaf Scholz glaubt, das richtige Thema für sich gefunden zu haben: Die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von momentan 9,60 Euro auf zwölf Euro sei das „wichtigste Gesetz“, das er sich für die neue Legislatur vornehme. Er wolle diese Erhöhung direkt zu Beginn seiner möglichen Amtszeit durchsetzen, sagte er der „Welt“.
Momentan würden – laut seiner Aussage – rund zehn Millionen Arbeitnehmer von einem höheren Mindestlohn profitieren. Außer der SPD wollen auch die Grünen das Minimalsalär auf zwölf Euro die Stunde erhöhen. Die Linkspartei fordert 13 Euro.
Der Nachteil dieser Forderung: Damit spricht die SPD einmal mehr das untere Drittel der Gesellschaft an, also das Prekariat. Die Aufstiegssehnsüchte der Facharbeiter und der Generation Start-up werden nicht bedient. Für die Mitte der Gesellschaft, also da, wo Helmut Schmidt und Gerhard Schröder ihre Wahlerfolge feierten, hat Olaf Scholz kein attraktives Angebot. Deshalb ist er das, was er heute auch ist: ein guter zweiter Mann.
Adidas-Chef Kasper Rorsted trennt sich nach 16 Jahren von der Konzerntochter Reebok. Der Käufer, die Authentic Brands Group, zahlt dafür 2,1 Milliarden Euro. Rorsted zum Abschied:
Wir haben Reebok immer geschätzt, und wir sind dankbar für die Beiträge, die die Marke und das dahinter stehende Team für unser Unternehmen geleistet haben.
In Wahrheit müsste er seinem Vorgänger Herbert Hainer in den Allerwertesten treten, der Reebok 2005 für mehr als drei Milliarden Euro gekauft hatte. Der damalige CEO sprach von einer „einmaligen Gelegenheit“ für Adidas. Doch der Zukauf ist dem Adidas-Konzern nicht gut bekommen:
Der Reebok-Umsatz brach im vergangenen Geschäftsjahr um 16 Prozent auf rund 1,4 Milliarden Euro ein. Adidas hingegen musste nur ein Minus von 13 Prozent verkraften – bei einem Umsatz von 18 Milliarden Euro.
Reebok verlor lange Zeit Marktanteile und schaffte es nicht, bei den Modetrends mitzuhalten. Die Marke sprach keine Zielgruppe so richtig an, nacheinander flogen Fußball, Basketball, Eishockey und weitere Sportarten aus dem Angebot, um den Fokus auf den Fitnessbereich zu legen.
Adidas wuchs, Reebok konnte nicht mithalten. Der Reebok-Anteil am Adidas-Umsatz hat sich seit der Übernahme auf zehn Prozent halbiert.
Fazit: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Alle Utopien vom Zwei-Marken-Konzern haben sich nicht in den Alltag von Herzogenaurach übersetzen lassen. Die amerikanischen Management-Lehrbücher wissen, warum:
Culture eats strategy for breakfast.
Daimler meldet Vollzug: Der Konzern will künftig zwei unabhängige Unternehmen bilden: Mercedes-Benz für Autos und Vans sowie Daimler Truck für Lastwagen und Busse. Für die Scheidung wurde nun ein Vertrag ausgetüftelt, der dem „Handelsblatt“ vorliegt und der einen Börsengang des neuen Unternehmens bereits für den 1. Dezember vorsieht. Die wichtigsten Punkte in Kürze:
Der Name Daimler ziert in Zukunft ausschließlich den Lkw-Bereich. Die derzeitige Daimler AG verkauft für 9,7 Millionen Euro ihren Namen an die neue Daimler Truck AG und benennt das Pkw-Unternehmen zum 1. Februar 2022 in Mercedes-Benz Group AG um.
Damit bekommen die schwäbischen Autobauer nach Daimler-Benz AG, DaimlerChrysler AG und Daimler AG den vierten Namen in ihrer Unternehmensgeschichte. Hervorgegangen ist das Unternehmen 1926 aus der Verschmelzung von Benz & Cie. und der Daimler-Motoren-Gesellschaft.
Fast zwei Milliarden Euro erhält die Lkw-Division, um sich ein eigenes Finanzdienstleistungsgeschäft aufzubauen.
65 Prozent der Aktien an der neuen Daimler Truck AG will die jetzige Daimler AG veräußern. Die restlichen 35 Prozent bleiben bei Daimler und bilden eine „schützende Hand“, wie Daimler-Chef Ola Källenius es nennt.
Der bisherige Lkw-Chef Martin Daum wird den Börsenneuling leiten. Gehalt gemäß Spaltungsvertrag: 4,5 Millionen Euro.
Ein alter Bekannter der Deutschland AG und selbst ein Freund der Abspaltungs-Idee wird das Gelingen der Neugründung auf dem Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden überwachen: Joe Kaeser von Siemens.
© Anne HufnaglDie Geschäfte im Energiesektor liefen im ersten Halbjahr 2021 gut. Sowohl E.ON als auch RWE konnten die Gewinnerwartungen der Analysten und die eigene Umsatzprognose überbieten.
Der Energieversorgungskonzern RWE, derzeit noch größter Produzent von Kohlestrom, will seine Ökostrom-Produktion weiter ausbauen. Die Transformation ist auf gutem Wege: Die erst im Juli erhöhte Prognose für 2021 wurde bestätigt. Das Nettoergebnis konnte RWE mit 1,4 Milliarden Euro sogar um 41 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigern.
Die E.ON SE hat die Prognose für das Geschäftsjahr 2021 ebenfalls erhöht. Das bereinigte Nettoergebnis lag mit 1,77 Milliarden Euro 86 Prozent über dem Vorjahreswert von 950 Millionen Euro. Dieser Anstieg ist auch auf Sondereffekte aus dem Atomausstieg zurückzuführen. Die vom Bund gezahlten Entschädigungen hoben das Konzernergebnis um eine halbe Milliarde Euro an.
Heute vor 60 Jahren begann der Bau der Berliner Mauer. In der Nacht zum 13. August, einem Sonntag, ließ die DDR-Führung die Sektorengrenzen schließen und weite Teile der Innenstadt abriegeln. Mehr als 10.000 Volks- und Grenzpolizisten waren im Einsatz, errichteten Barrikaden und zogen einen kilometerlangen Stacheldraht durch die Stadt.
Der eigentliche Bau der Mauer begann in der Nacht vom 17. auf den 18. August. Zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung hatte sie eine Länge von 156,4 Kilometern. Die Betonwall war je nach Abschnitt zwischen 3,50 und vier Metern hoch. Wie viel das Bauwerk die DDR insgesamt gekostet hat, ist bis heute unklar.
© dpaWeder der damalige Regierende Berliner Bürgermeister Willy Brandt, noch US-Präsident John F. Kennedy versuchten, den Mauerbau zu stoppen. Ein Grund war die Überlegenheit der sowjetischen Truppen in der DDR und in Ost-Berlin. Zudem fürchtete Kennedy den Ausbruch eines dritten Weltkrieges, der möglicherweise als Atomkrieg geführt worden wäre.
Hinzu kam, dass sich die Rechte der West-Alliierten eben nur auf West-Berlin bezogen und diese durch den Bau der Mauer nicht beeinträchtigt wurden. Bis zum Fall dieser Mauer am 9. November 1989 sollten 28 Jahre, zwei Monate und 28 Tage vergehen.
Auch die kleine Steingart-Familie war von den Großereignissen der Politik unmittelbar betroffen. Der Mauerbau vor 60 Jahren machte meine Mutter und wenig später auch meine Oma, die beide im Prenzlauer Berg wohnten, zu „Republik-Flüchtlingen“. Sie liebten ihre Freiheit mehr als ihr Leben. Ich wurde ein Jahr später in der Kreuzberger Marienstraße geboren – im Schatten dieser Manifestation von Inhumanität. Wolf Biermann drückte aus, was wir und viele andere Berlinerinnen und Berliner bis heute empfinden:
© rbbIch habe Angst vor Leuten, die immer nur die Menschheit lieben und niemals einzelne Menschen.
Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr