Warum Merkel uns überfordert und Scholz uns unterschätzt

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Guten Morgen,

die Kanzlerin und ihr Stellvertreter begehen derzeit schwere politische Fehler. Aber – und daran liegt das Demokratische dieses Vorganges – ihre Fehler sind von genau entgegengesetzter Natur.

Angela Merkel überfordert die Deutschen.

Angela Merkel © dpa

Mit immer neuen Appellen versucht sie die Bevölkerung auf eine Corona-Politik einzuschwören, die längst an ihrer eigenen Hyperkomplexität erstickt. Wer darf wann, wen, wie lange treffen? In welcher Region gilt welche Regel? Und wie legitimiert ist eigentlich eine Politik, die von unabhängigen Richtern – zunächst beim Demonstrationsverbot in Berlin und jetzt beim Beherbergungsverbot in Sachsen, Niedersachsen und Baden-Württemberg – korrigiert werden muss?

Jeder Managerlehrgang verweist auf das „Kiss“-Prinzip: Keep it simple and stupid. Regeln, denen ein Millionenvolk folgen soll, müssen einfach und einheitlich sein. Schon Benjamin Franklin erinnerte daran, dass gute Führung in der Reduktion von Komplexität besteht und der Beginn von Anarchie in der Verwirrung durch Fakten zu suchen ist. Fast könnte man meinen, dass er die Physikerin Angela Merkel im Kopf hatte, als er sagte:

Die ganz Schlauen sehen um fünf Ecken und sind geradeaus blind.

Benjamin Franklin © dpa

Derweil Merkel also die Bürger überfordert, setzt Vize-Kanzler Olaf Scholz auf die gegenteilige Strategie. Vorsätzlich unterschätzt er die Deutschen. Er hält die Wähler für naiv und vergesslich.

Er glaubt, dass die unter seiner Führung in Hamburg erfolgte Gewährung eines Steuernachlasses von 47 Million Euro für die Hamburger Privatbank M. M. Warburg zu komplex ist, als dass der geneigte Bürger sie versteht. Es gibt bis heute keine lückenlose Aufklärung.

Er denkt, die Menschen würden die Wirecard-Pleite und das Versagen der Bankenaufsicht ihm – dem Aufseher der Aufseher – nicht zurechnen. Deshalb verzichtet er auf jede personelle Konsequenz.

Olaf Scholz © dpa

Er ignoriert selbst den fortgesetzten Insiderhandel der BaFin-Beschäftigten, die im Fall des mittelständischen Unternehmens Grenke am Wochenende wieder durch fragwürdige Transaktionen auffielen. Drei Beschäftigte haben insgesamt zwölf private Geschäfte mit Aktien und Derivaten des Leasingunternehmens gehandelt, wie eine Antwort des Bundesfinanzministeriums an den Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz ergab.

Scholz denkt, diese Machenschaften der persönlichen Bereicherung im Staatsdienst würden ihm nicht persönlich zugerechnet. Er hofft, dass die zwei Führungsebenen zwischen ihm und den BaFin-Mitarbeitern – vor ihm sein zuständiger Staatssekretär und Bafin-Verwaltungsratschef und darunter der schläfrige Bafin-Präsident – eine Brandmauer bilden.

Fazit: Das Grummeln der Deutschen darf Merkel und Scholz zwar bekümmern, aber sollte sie nicht überraschen. Ihm möchte man mit Tucholsky zurufen:

Langweilig ist noch nicht ernsthaft.

Ihr könnte Adenauer behilflich sein:

Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt's nicht.

Stephan Weil © dpa

Wer die Eliten unseres Staates in dieser Krise als planlos bezeichnet, zieht sich schnell den Vorwurf zu, den Staat diskreditieren zu wollen. Jetzt hat der niedersächsische SPD-Ministerpräsident jene Teilnehmer der Merkel-Runde, die Zitate und Informationen von dort an die Medien weiterleiteten, als „Vollpfosten“ bezeichnet. Jeder in Berlin kennt Namen und Anschrift der Angesprochenen. Das ist der eine Teil der Wahrheit. Der andere: Eine Elite, die so spricht, raubt dem Begriff „Elite“ erst die Magie, dann die Bedeutung. Oder deutlicher noch gesagt: Vielleicht ist Stephan Weil der, vor dem er warnt.

Dietmar Bartsch © dpa

Dazu passt: Die Bewältigung der Corona-Krise wird für die Deutschen teuer – wenn sie denn überhaupt zu einer Bewältigung führt. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die öffentlichen Kassen in 2020 und 2021 mit 1,446 Billionen Euro belastet werden. Das hat das Bundesfinanzministerium auf eine Anfrage des Linken-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch mitgeteilt. Diese liegt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vor. Konkret beinhaltet die Krisenrechnung folgende Punkte:

  • Kosten für das Gesundheitssystem

  • Stützungsprogramme für die Wirtschaft

  • internationale Hilfszahlungen

  • wegbrechende Einnahmen

  • staatliche Garantien in Form von Bürgschaften, Schnellkrediten sowie der Beteiligung des Bundes am europäischen Wiederaufbauprogramm

Die 1,446 Billionen Euro setzen sich aus haushaltswirksamen Corona-Maßnahmen (619,9 Milliarden Euro) sowie staatliche Garantien für den Bund (756,5 Milliarden Euro) und die Länder (69,8 Milliarden Euro) zusammen.

Fazit: Es ist an der Zeit, die ökonomischen und finanziellen Folgen der Corona-Politik genauer in den Blick zu nehmen. Nicht, dass es später heißt: Operation gelungen, Patient ruiniert. Irgendjemand müsste den Wirtschaftsminister mal aufwecken.

Norbert Röttgen, Armin Laschet, Friedrich Merz © dpa

Bei der ersten gemeinsamen Vorstellungsrunde der drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz blieb es friedlich. Routiniert spulten Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet bei der Jungen Union ihre Antworten auf die Fragen des Parteinachwuchses ab. Ein Favorit war nicht zu erkennen.

So benutzte NRW-Ministerpräsident Laschet gleich sieben Mal dieselbe rhetorische Floskel:

Das mache ich schon.

Armin Laschet © dpa

Heißt: Der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes setzt auf seine Regierungserfahrung und sieht seine schwarz-gelbe Landesregierung als Blaupause für die gesamte Republik.

Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz kritisierte, dass Deutschland international den Anschluss verloren habe. Sein Angebot an die Junge Union:

Ich stehe für eine ökologische Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft.

Friedrich Merz © dpa

Heißt: Merz bewirbt sich nicht nur als CDU-Chef, sondern auch als Kanzler einer schwarz-grünen Koalition.

Norbert Röttgen, als Einziger ohne Krawatte bei der Jungen Union angetreten, setzte auf das Thema Innovation und präsentierte sich als programmatischer Vordenker eines anstehenden „Epochenbruchs“:

Weder das Land noch die CDU ist angemessen auf das vorbereitet, was kommt.

Norbert Röttgen © dpa

Unser Pioneer-Team hat recherchiert, welcher Kandidat wo in der Partei reüssiert. Das Ergebnis: Der Wirtschaftsflügel und der Osten sind die treuen Bastionen des Friedrich Merz, der Westen und die Sozialverbände tendieren zu Armin Laschet, und viele Frauen in der Union engagieren sich für Norbert Röttgen. Der wird nicht siegen, aber er gewinnt – zum Beispiel an Statur.

Der Wettbewerb um den CDU-Vorsitz – das allerdings gehört auch zur Wahrheit – spaltet Landsmannschaften, Flügel und Vereinigungen. Den Kollegen unseres Pioneer-Newsletters „Hauptstadt. Das Briefing“ begegneten immer wieder zwei Namen, die als CDU-Vorsitzer gar nicht zur Wahl stehen: Markus Söder und Jens Spahn. Alle Details dieser aufwendigen Recherche gibt es für Pioneers kostenfrei hier.

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Außerdem: Eine exklusive Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sieht dramatische finanzielle Löcher bei der Betreibergesellschaft des neuen Berliner Airports BER – noch bevor der eröffnet wird. Wen das überrascht, der ist selber schuld. Doch wer dieses Finanzgebaren geschehen lässt, der macht sich schuldig. Pioneer.de

Donald Trump © dpa

In 15 Tagen bestimmen die US-Amerikaner, wer in den kommenden vier Jahren die Geschicke ihres Landes bestimmen soll. In aktuellen Umfragen liegt der Demokrat Joe Biden mit rund 9 Prozentpunkten vor Präsident Donald Trump. Ein genauer Blick auf die einzelnen Wählergruppen zeigt, dass Trump vor allem bei den Wählerinnen unpopulär ist:

Eine Infografik mit dem Titel: Trumps Frauenproblem

Aktuelle Präsidentschaftsumfrage, nur Ergebnis Frauen, in Prozent

Ein Fakt, der ihm bewusst ist. Zuletzt warb Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Johnstown (Bundesstaat Pennsylvania) um die Unterstützung von Frauen aus den Vorstädten:

Bitte mögen Sie mich!

Aber Trumps jüngste Äußerungen werden ihm wahrscheinlich nicht helfen, die Kluft zwischen den Geschlechtern zu überbrücken. Bei einer Kundgebung in Greenville (Bundesstaat North Carolina) sprach er über seine Rivalin im Wahlkampf 2016, Hillary Clinton, Bidens Vize-Kandidatin, Kamala Harris, und das Symbol der „gläsernen Decke“. Gemeint ist damit, dass Frauen bei Beförderungen oft nicht über einen bestimmten Punkt hinauskommen – eine unsichtbare „Glasdecke“, fabriziert aus Traditionen und Vorurteilen, verhindert oft den Sprung auf die oberste Führungsebene.

Und was hat Trump dazu zu sagen:

Viele sprechen über die Glasdecke, über die Frau, die die Glasdecke durchbricht. Das hat bisher nicht so geklappt. Die Glasdecke brach Clinton. Irgendwann wird es eine Frau geben, die die Glasdecke durchbricht. Es wird aber nicht Hillary sein. Und wissen Sie, wer es auch nicht sein wird? Kamala.

Diese Art der Wahlwerbung wirkt. Nur anders als vom Absender gedacht.

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Die eindeutigen Gewinner der Corona-Krise sind die digitalen Plattform-Unternehmen Amazon, Facebook und Google. Sie besitzen Geschäftsmodelle, die wie gemacht sind für eine Pandemie. Durch Homeoffice, Reiseverbote und Sperrstunde verbringen weltweit mehr Menschen ihre Zeit in den eigenen vier Wänden und suchen und bestellen, schauen, hören und kommunizieren im Internet.

Eine Infografik mit dem Titel: Einkaufen in der Krise

Kursentwicklung der Amazon-Aktie seit dem 12.03.2020

Eine Infografik mit dem Titel: Kommunikation in der Krise

Kursentwicklung der Facebook-Aktie seit dem 18.03.2020

Eine Infografik mit dem Titel: Informieren in der Krise

Kursentwicklung der Alphabet-Akie seit dem 18.03.2020

Die US-Tech-Giganten profitieren davon. Sie sammeln fleißig weiter ihre Informationen und bauen inmitten der Pandemie imposante Monopole auf. Der österreichische Rechtswissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger, der seit 2010 am Oxford Internet Institute lehrt und im Digitalrat der Bundesregierung mitarbeitet, analysiert das Treiben seit Langem. Jetzt schlägt er Alarm. In seinem Buch „Machtmaschinen“ beschreibt er, warum Daten wertvoller sind als Öl und warum Europa sich wehren sollte:

Ich glaube, wir müssen daran gehen, diese Macht zu brechen.

Eine Infografik mit dem Titel: Amerikanische Dominanz

Die zehn wertvollsten Marken der Welt, in Milliarden US-Dollar

Warnung: Dieses Gespräch ist nur für Tapfere geeignet. Wer sich seinen Kinderglauben an die Segnungen der Marktwirtschaft und die Heilsversprechungen der Internet-Propheten („To make the world a better place“) erhalten möchte, sollte heute beim Podcast-Hören aussetzen.

Roland Busch © dpa

Roland Busch, der im Februar 2021 an die Spitze von Siemens rücken wird, um dort Joe Kaeser abzulösen, bevorzugt Klartext. Gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ äußert er sich deutlich- und zwar deutlich kritisch – über das Kurzfrist-Denken der Börse:

Würde ich ausschließlich auf den Kapitalmarkt hören, könnte ich die Firma in 20 Teile zerlegen. Dann hätten die Investoren ihren Einsatz maximiert - nur wäre nichts mehr übrig von Siemens.

Fazit: Das Land braucht Manager mit Mumm. Der Kapitalmarkt ist wichtig, aber nicht allwissend. Der „animal spirit“ (John Maynard Keynes) bedarf der menschlichen Korrektur.

Monika Sozanska © imago

Die mehrfache WM-Medaillengewinnerin beim Fechten, Monika Sozanska, 37, hat inmitten der Pandemie weitreichende und für sich beglückende Schlussfolgerungen gezogen. Nachdem sie zu Beginn des Lockdowns auf Bali gestrandet war, nutzte sie die Zeit auf der Insel für Reflexionen der grundsätzlichen Art. Das Ergebnis: Sie setzt auf Entschleunigung und steigt aus dem Leistungssport aus. Und: Sie wird auf Bali bleiben.

Leben ist das, was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.“ John Lennon hat diesen Satz gesagt. Sie lebt ihn.

Monika Sozanska © privat/Bild

Ich wünsche ihr und Ihnen einen beschwingten Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer
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