Widerstand gegen EU-Schuldenunion

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Guten Morgen,

die europäischen Staats- und Regierungschefs lieben den Kredit mehr als die einst in Maastricht verabredete Stabilitätskultur. Neben der Geldflutungspolitik der EZB will man nun einen zu 100 Prozent kreditfinanzierten Corona-Aufbaufonds installieren, dessen Volumen dem doppelten eines normalen deutschen Bundeshaushaltes entspricht:

1. 750 Milliarden Euro sollen aus dem in Brüssel angesiedelten Fonds für Kredite, Zuschüsse und direkte Aufbauhilfen zugunsten der 27 EU-Staaten eingesetzt werden. Dafür will sich der Fonds am Kapitalmarkt verschulden.

Eine Infografik mit dem Titel: Die tiefen Taschen der EU

Volumen der EU-Wiederaufbaufonds und des EZB-Anleihenkaufprogramms „PEPP“ im Vergleich, in Milliarden Euro

2. Das Geld wird nach einem fest verabredeten Schlüssel vor allem den Südstaaten der EU zugutekommen. Italien soll nach den Planungen mit 209 Milliarden Euro bedient werden, was rund einem Viertel der italienischen Staatseinnahmen 2019 entspricht und rund 5,5-mal so viel Geld ist, wie das Land selbst für die Corona-Krisenbewältigung 2021 auszugeben plant.

Eine Infografik mit dem Titel: Großzügige EU-Hilfen

Geplante Ausgaben Italiens zur Finanzierung der Corona-Krise und EU-Gelder aus dem Wiederaufbaufonds im Vergleich, in Milliarden Euro

3. Die EU und ihre Mitglieds-Regierungen versichern, es würde sich um eine einmalige Maßnahme handeln, die der Not der Pandemie geschuldet sei. Sie werben mit Worten wie: „unproblematisch“, „einmalig“, „begrenzt“.

Noch hat sich der Deutsche Bundestag nicht mit der erforderlichen Mehrheit für diesen Fonds entschieden. Gestern beratschlagte der Haushaltsausschuss; in der kommenden Woche soll im Plenum abgestimmt werden. Doch die Kritiker dieser Schuldenpolitik sitzen vor allem außerhalb des Parlaments. Sie prüfen eine Klage vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht. Ihre Kernargumente:

  • Deutschland geht hohe Risiken ein. Sollte ein Land als Finanzierer für den EU-Haushalt ausfallen, bestehe eine Nachschusspflicht – die anderen Mitgliedstaaten müssten also für die Versäumnisse aufkommen. Dies sei mit der im Maastrichter Vertrag verabredeten No-Bailout-Klausel, laut der Staaten alleine für ihre Schulden haften müssen, nicht vereinbar.

Ursula von der Leyen © dpa
  • Der EU-Haushalt speist sich vor allem aus Beiträgen der Mitgliedstaaten. Die Union besitzt bewusst keine Schuldenkompetenz, denn aufgenommene Schulden sind nicht mehr einzelnen Staaten zuzurechnen. Es droht ein intransparenter Staatenbund, eben genau jene Schuldenunion, die Kohl und Waigel bei der Euro-Einführung vermeiden wollten.

  • Der Bundestag besitzt das im Grundgesetz Artikel 110 festgeschriebene Budgetrecht, also das letzte Wort über Einnahmen, Ausgaben und die zu schulternden Risiken des Steuerzahlers. Eine supranationale Instanz dürfe demnach keine Schulden aufnehmen, für deren Rückzahlung dann wieder der Nationalstaat haftet.

Prof. Matthias Herdegen © Jean Raclet

Der zur Zeit wortgewaltigste Kritiker des EU-Sonderfonds ist Professor Matthias Herdegen. Er ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht sowie Direktor am Institut für Völkerrecht und Mitglied des Zentrums für europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn.

Der Jurist ist seit drei Jahrzehnten Mitglied der CDU – und hatte 2018 erwogen, sich für deren Vorsitz zu bewerben. Mit ihm habe ich für den Morning Briefing Podcast gesprochen. Sein zentrales Argument:

Wir stehen, wie der Bundesfinanzminister zu Recht angemerkt hat, vor der größten Weichenstellung in der Geschichte der Europäischen Union seit Einführung des Euro. Es ist gleichzeitig auch die teuerste Veränderung und es ist gleichzeitig auch der größte Bruch vertraglicher Verpflichtungen.

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Einen Bruch mit europäischer Tradition sieht er nicht durch die Art der Mittelverwendung, sondern durch die Art der Finanzierung:

Das geschieht in dieser Größenordnung zum allerersten Mal, dass die EU sich Mittel in dieser Größenordnung auf dem Kapitalmarkt besorgt. Damit erscheinen diese Schulden auch nicht mehr auf dem Radar der Schuldenstände der einzelnen Mitgliedstaaten.

Matthias Herdegen sieht hier geltende Rechtsnormen überdehnt:

Ich glaube, dass wir hier in der Tat eine mehrfache Verletzung vertraglicher Bindungen haben.

Fazit: Hier kommt ein streitbarer Kopf zu Wort, der aus der Mitte der Gesellschaft argumentiert. Man muss seine im Geiste Ludwig Erhards entfaltete Position nicht teilen, aber man sollte sie kennen.

Christian Lindner © dpa

Auch die FDP-Bundestagsfraktion will sich heute mit dem 750-Milliarden-Rettungspaket der EU befassen. Doch ein Nein zum EU-Rettungsfonds – dann womöglich noch alleine mit der AfD – ist nicht das Ziel von Partei- und Fraktionschef Christian Lindner.

Zwar hadern Finanz- und Haushaltspolitiker und manche ostdeutsche Abgeordnete seiner Fraktion mit den unkonditionierten Zuschüssen in dem Milliardenprogramm. Aber selbst Lindner-Kritiker rechnen damit, dass die Fraktion ihm heute folgen wird. Es geht nur noch um Zustimmung oder Enthaltung. Und in jedem Fall dürfte Lindner im Hinterkopf auch seine mögliche, seine ersehnte Zukunft als Finanzminister einer Jamaika-Koalition haben. Die Finanzminister der Euro-Gruppe sind mehrheitlich für das kreditfinanzierte Rettungspaket.

Weitere Details der FDP-internen Debatte erfahren Sie unter thepioneer.de/hauptstadt.

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 7485 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden weitere 250 Todesfälle registriert.

Das Treffen von Bund und Ländern zur Erarbeitung der nächsten Corona-Maßnahmen zog sich bis in die frühen Morgenstunden. Das sind die wichtigsten Beschlüsse der Konferenz:

  • Der generelle Lockdown wird bis zum 18. April verlängert.

  • In Landkreisen mit einer 7-Tage-Inzidenz über 100 können weitere Verschärfungen der Corona-Maßnahmen eingeführt werden, etwa Ausgangs- oder strengere Kontaktbeschränkungen.

  • Vom 1. bis 5. April soll alles still stehen, was nicht von absolut existenzieller Bedeutung ist. Einzige Ausnahme in dieser „erweiterten Ruhezeit zu Ostern“: Lebensmittelgeschäfte dürfen am 3. April öffnen. Mögliche Lockerungen seien frühestens nach Ostern zu erwarten.

  • Es soll keine Präsenzgottesdienste über die Osterfeiertage geben.

  • Urlaub im eigenen Bundesland wird über die Osterfeiertage nicht möglich sein. Reisen ins Ausland, beispielsweise nach Mallorca, könnten Justizministerin Christine Lambrecht zufolge jedoch rechtlich nicht verboten werden. Reisende müssen sich laut Beschluss der MPK allerdings noch vor ihrer Rückkehr auf Corona testen lassen.

Markus Söder kommentierte die Beschlüsse heute Nacht wie folgt:

Klare Linie, klarer Kurs: Das Team Vorsicht hat sich durchgesetzt. Es war eine schwere Geburt in 15 Stunden MPK. Wir sind in der gefährlichsten Phase der Pandemie. Viele unterschätzen die Gefahr, dabei ist die Mutation viel ansteckender und trifft die jüngere Generation.

Auch Angela Merkel meldete sich via Twitter zu Wort:

Wir sind in der 3. Welle. Die Lage ist ernst. Um eine Phase der Osterruhe zu entwickeln, sollen Gründonnerstag und Ostersamstag Ruhetage mit weitgehenden Kontaktbeschränkungen werden. Es gilt dann an 5 Ostertagen das Prinzip #WirBleibenZuHause

 © dpa

Nun erwischt Corona auch das Investmentbanking – aber anders als die Kulturbranche und den Einzelhandel. Die sonst so arbeitswütigen Jungbanker, aber auch Nachwuchsanwälte in den großen Wirtschaftskanzleien, klagen über die zu hohe Arbeitsbelastung in Zeiten der Pandemie.

Denn: Im vergangenen Jahr sind Insolvenzanträge mit einem Umfang von 10 Millionen Dollar oder mehr um 16,5 Prozent gestiegen und füllen die Auftragsbücher der Consulting-Firmen. Und auch Firmenübernahmen und -fusionen erlebten in der Pandemiezeit einen Boom.

 © dpa

Viele junge Mitarbeiter in der Finanz- und Unternehmensberatungsbranche leiden daher an Burnout-Symptomen, wie die „Financial Times“ berichtet. Die Überschrift: „Professional services face losing junior staff to burnout.“

So teilte eine Gruppe junger Finanzanalysten von Goldman Sachs den Vorgesetzten mit, an Schlaf- und Angststörungen zu leiden; Arbeitswochen mit über 95 Stunden seien keine Seltenheit. Die bisher üblichen Ausgleichsmechanismen der Nachwuchsmanager – das Feierabendbier und die Büroliebschaft – entfallen. Das verursache das Problem zwar nicht, aber verschärfe es.

Xi Jinping © dpa

Die EU verhängt erstmals seit über 30 Jahren Sanktionen gegen China aufgrund von Menschenrechtsverletzungen. Die Volksrepublik China wird wegen der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren und anderer ethnischer Minoritäten in der Region Xinjiang schon seit längerem von der EU kritisiert. Es geht im Einzelnen darum:

1. Die Politik Chinas ist dabei, die kulturelle Identität der Uiguren zu zerstören. Die ethnische Minderheit wird diskriminiert, es kommt zu Massenverhaftungen und Überwachungen.

2. Laut dem Vorsitzenden des belgischen Uigurenrats Abdullam Imerov befindet sich die Hälfte der uigurischen Bevölkerung in sogenannten Umerziehungslagern. Dort sind sie Zeugenberichten zufolge Vergewaltigung, Folter und Zwangsarbeit ausgesetzt.

Eine Demonstration in Xinjiang © dpa

3. Peking rechtfertigt die Maßnahmen mit dem Ziel der Terrorbekämpfung. In den „Erziehungsanstalten“ würden Menschen, die von den Behörden als extremistisch betrachtet werden, festgehalten. Für die Inhaftierung braucht es kein Gerichtsverfahren.

Die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten haben in diesem Zusammenhang nun Strafmaßnahmen gegen vier Partei- und Regionalfunktionäre und die Organisation Xinjiang Produktions- und Aufbau-Korps beschlossen. Die Sanktionen umfassen die Sperrung von Geldern und Vermögenswerten. Auch die Einreise in die EU ist den Betroffenen untersagt.

Der EU-China-Deal

Der wirtschaftliche Nutzen des geplanten Investitionsabkommens - und seine geopolitischen Folgen.

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Veröffentlicht von Marina Kormbaki .

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Daniel Funke und Jens Spahn © dpa

Mit folgender Story sorgte der „Spiegel“ für Aufsehen: „Die Firma von Jens Spahns Ehemann verkaufte Masken ans Gesundheitsministerium.“ Es ging um einen angeblich dubiosen Maskenverkauf. „Der Maskendeal könnte Interessenkonflikte bergen“, hieß es in dem Text.

Viel Rauch um nichts. Das beginnt schon mit der Überschrift: Die Firma, um die es geht, gehört nicht dem Ehemann von Jens Spahn. Es geht um die Hubert Burda Media. Daniel Funke, Spahns Gatte, arbeitet als Berlin-Repräsentant für den Medienkonzern.

Doch damit der Fehler nicht genug: Der Maskenverkauf selbst war für Burda kein Geschäft, sondern eine Hilfestellung für den Gesundheitsminister. Es flossen keinerlei Provisionen. Im Gegenteil: Als die Burda-Manager registrierten, dass sie über eine Minderheitsbeteiligung einer Firma in Singapur Schutzmasken für 1,73 Dollar (1,45 Euro) pro Stück einkaufen konnten, griffen sie zu. Auf eigene Rechnung nahmen sie 570.000 FFP2-Masken im Wert von knapp 909.000 Euro in die Bücher und reichten schließlich die Masken und die Rechnung an das Gesundheitsministerium weiter: 1 zu 1.

Monika Hohlmeier © dpa

Zum Vergleich: Das von der CSU-Politikerin und Strauß-Tochter Monika Hohlmeier eingefädelte Geschäft stellte dem bayerischen Gesundheitsministerium 8,95 Euro pro Maske in Rechnung.

Daniel Funke arbeitet zwar als Büroleiter der Burda-Repräsentanz in Berlin, aber war laut Burda „zu keinem Zeitpunkt über die Transaktion informiert oder involviert“.

Fazit: Der Spiegel hat nicht die Machenschaften dritter enthüllt, nur die eigenen. Die Wahrheit wurde einmal mehr nicht rapportiert, sondern verformt. Das Motto des Firmengründers Rudolf Augstein „Schreiben, was ist“, hängt einsam im Hamburger Spiegel-Foyer. Wie eine Endmoräne ragt es in die Gegenwart hinein.

Rudolf Augstein, 1998 © dpa
Guido Westerwelle, 2011 © dpa

Vor rund fünf Jahren ist Guido Westerwelle gestorben. Vor rund zehn Jahren hielt der damalige Chef der Liberalen eine Rede zur Freiheit, in der er sich nicht den politischen Gegner, sondern die Bürger vorknöpfte. Es war die bewegendste und die leidenschaftlichste Rede seiner Karriere, die in der heutigen Situation nichts von ihrer Aktualität verloren hat:

Die Freiheitsbedrohung in Deutschland kommt nicht mit Gewalt und laut daher, sondern sie kommt leise. Sie kommt mit allerlei Begründungen, mit oftmals auch gut gemeinten Begründungen.

Und Freiheit stirbt nicht durch Politiker, stirbt nicht dadurch, dass man Bürgerrechte und Freiheitsrechte von Politik wegen einschränken will, sondern es wird dann gefährlich für die Freiheit, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihr eigenes Immunsystem vergessen, das sie wappnen muss gegen jede Freiheitsbedrohung.

Wir wollen ein Volk von selbstbewussten Staatsbürgern sein und nicht von Untertanen. Bürgerrechte zu verteidigen, das ist eine heilige Aufgabe zu allen Zeiten. In der Vergangenheit und auch in Zukunft.

Die wichtigsten Ausschnitte dieser Rede hören Sie im heutigen Morning Briefing Podcast im Original. Prädikat bewegend.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den Tag – trotz alledem. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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