Wirecard: Ex-CEO zu Unrecht im Knast?

Teilen
Merken

Guten Morgen,

15 Monate nach der Verhaftung des ehemaligen Vorstandschefs der Wirecard AG liegt noch immer keine Anklageschrift vor. Deutschland und insbesondere die um ihr Vermögen geprellten Anleger warten weiter auf Aufklärung. Der in der Öffentlichkeit als Hauptschuldiger ausgemachte Markus Braun sitzt derweil in einer neun Quadratmeter großen Zelle in der Justizvollzugsanstalt Augsburg.

  • Sein Ruf ist ruiniert.

  • Sein Vermögen wurde gepfändet.

  • Seine Ehefrau und das gemeinsame dreijährige Kind darf er nur alle vier Wochen hinter einer Plexiglasscheibe sehen.

Doch damit enden schon die Gewissheiten: Warum liefert die Staatsanwaltschaft nicht die Anklageschrift? Wo klemmt es bei den Ermittlungen? Wer ist der wahre Mastermind hinter den Aushöhlungshandlungen, die zu einer Wirecard 2.0 führen sollten? Und – auch nicht unwichtig – wer hat von dem kriminellen Treiben eigentlich profitiert und wer nicht?

Eine Infografik mit dem Titel: Wirecard: Der Absturz

Kursverlauf der Wirecard-Aktie seit Oktober 2017, in Euro

Gründe genug für ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker, sich des Falls anzunehmen. Nach Gesprächen mit Wirecard-Insidern und Prozessbeteiligten sowie der Durchsicht von bisher unveröffentlichten E-Mails und Kontoauszügen hat er einen Report verfasst, der es in sich hat.

Bröckers Story widerspricht der offiziellen Darstellung, Markus Braun sei der Chef einer Betrügerbande gewesen. Er liefert uns begründete Zweifel, ob die Staatsanwaltschaft hier den richtigen Mann in Haft genommen hat.

Es sind vor allem die folgenden fünf Zweifel, die sich heute Morgen nicht ausräumen, aber ansprechen lassen:

1. Der ehemalige Vorstandschef Markus Braun wird von keiner Seite – nicht einmal vom Kronzeugen B. – beschuldigt, an den Schattenstrukturen beteiligt gewesen zu sein, von denen in allen Medienberichten immer die Rede ist. Auch wird nach 15 Monaten der Ermittlungsarbeit von keinem einzigen Zeugen behauptet, Braun habe an den Veruntreuungen, die es gab, partizipiert. Aber wie kann dann eine Staatsanwaltschaft ihn als „Bandenführer“ in ihren Unterlagen führen?

Markus Braun © dpa

2. Braun besaß gemäß den Recherchen keine Kenntnis von den Planungen für eine „Wirecard 2.0“. Er hatte in den Gesprächen, die Michael Bröcker führte, und laut der Unterlagen, die er einsah, keine Kenntnis darüber, dass sein Vorstandskollege Jan Marsalek in dieser Schattenstruktur als „senior decision maker“ eine zentrale Rolle spielte.

3. Es ist zweifelhaft, ob der Kronzeuge B. ein klassischer Kronzeuge ist oder nicht vielleicht ein Mittäter, der seine Tat zu verschleiern sucht. In den Vernehmungen jedenfalls hat er sich in massive Widersprüche und Unwahrheiten verstrickt. Dass die Staatsanwaltschaft ihn nicht fallen lässt, liegt womöglich daran, dass es keine weiteren Zeugen gibt, die den Verdacht, Braun sei der Führer einer kriminellen Bande, erhärten. Der sogenannte Kronzeuge war einst Dubai-Statthalter des Konzerns.

Nach Jan Marsalek wird weltweit gefahndet. © dpa

4. Die zentrale Figur der Affäre dürfte Vorstandsmitglied Jan Marsalek sein, der von 2015 bis 2018 rund 60-mal mit einer Privatmaschine nach Russland flog. Braun sagte den Ermittlern, dass er davon nichts wusste. Auch dass er keine Ahnung hatte, dass der Mann offenbar ein Doppelleben führte mit einem zweiten Büro in einer Münchner Villa an der Prinzregentenstraße. Dieses zweite Büro wurde nicht von der Wirecard finanziert. Ausweislich der Befragungen kannte keiner der Wirecard-Vorstände oder Aufsichtsräte diese zweite Schaltzentrale.

5. Stutzig macht, dass das Vermögen des angeblichen „Bandenführers“ Braun überwiegend aus Wirecard-Aktien bestand. Der Mann an der Spitze hatte zwischen 2015 und 2018 massiv – zum Teil auf Kredit Aktien gekauft, zuletzt noch im Mai 2020. Der letzte Aktienkauf erfolgte sogar in Kenntnis der Tatsache, dass ein Testat unter den Jahresabschluss zum 31.12.2019 nur unter Vorbehalt erteilt werden sollte.

Braun verpfändete noch im Mai 2020, also zwei Monate vor der Verhaftung, seine Privatimmobilien, in denen seine Familie lebte. Er hat bis zum Zusammenbruch des Unternehmens keine einzige Aktie verkauft oder auf Angehörige übertragen. Die Wirecard-Pleite hat damit zur vollständigen Vernichtung auch seiner Vermögenswerte geführt.

JVA Augsburg-Gablingen © strauma

Fazit: Wenn Markus Braun ein Bandenführer war, dann ein sehr einfältiger. Deutlich größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Staatsanwaltschaft sich in ihre Vision von der Wirklichkeit verrannt hat, und sich die wahren Drahtzieher des Wirecard-Skandals auf freiem Fuß befinden. Wenn es nicht den Kern vom Kern unseres Rechtsstaatsprinzips berühren würde, könnte man humorvoll sagen:

Die gute Nachricht: Ein Mann sitzt. Die schlechte: wahrscheinlich der falsche.

Ist Ex-Wirecard-CEO Braun zu Unrecht in Haft?

Neue Dokumente in der Wirecard-Affäre belasten den Kronzeugen der Staatsanwaltschaft.

Artikel lesen

Veröffentlicht von Michael Bröcker .

Artikel

Mark Zuckerberg © dpa

„Wenn ich auf meine Kunden gehört hätte, hätte ich ihnen ein schnelleres Pferd gegeben“, sagte einst Henry Ford. Er beschrieb damit die unternehmerische Fähigkeit, einem Bedürfnis gerecht zu werden, dessen sich der Kunde zunächst gar nicht bewusst ist.

Großmeister dieser Disziplin war im Digitalzeitalter Facebook. Kaum ein anderer Konzern konnte in den vergangenen Jahren mit seinen Produkten vergleichbar viele Nutzer in den Bann ziehen. Plötzlich gab es mediale Produkte, für die es zuvor keine Nachfrage und daher auch keinen Markt gab.

Eine Infografik mit dem Titel: Facebook mit Marktmacht

Ranking der größten Social Networks und Messenger nach Anzahl der Nutzer, in Millionen

Facebooks Quartalszahlen erzählen heute die Erfolgsgeschichte weiter:

  • Im Jahresvergleich stieg der Umsatz um 35 Prozent auf 29 Milliarden Dollar.

  • Auch den Nettogewinn steigerte der Konzern deutlich. Von 7,9 Milliarden Dollar im Vorjahreszeitraum stieg dieser um 17 Prozent auf 9,2 Milliarden Dollar.

Doch interne Dokumente, die durch die Whistleblowerin Frances Haugen veröffentlicht wurden und unter anderem der „Financial Times“ vorliegen, beschädigen den Glanz des Tech-Giganten erheblich. Der Lack weist tiefe Kratzer auf. Facebook hat mit Wachstumsproblemen zu kämpfen:

  • In den vergangenen zwei Jahren sind die täglichen Nutzerzahlen von Facebook in den USA bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 29 Jahren um mehr als zwei Prozent zurückgegangen. Bei Teenagern um 13 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Weniger Zeit für Facebook

Im Durchschnitt täglich auf Facebook verbrachte Minuten pro aktivem Nutzer, nach Altersgruppen

Eine Infografik mit dem Titel: Weniger Teenager auf Facebook

Durchschnittlich täglich verschickte Nachrichten auf Facebook pro aktivem Nutzer, nach Altersgruppen

  • Auch der Wachstumsträger Instagram beginnt zu altern: Vor allem jüngere Nutzer verbringen weniger Zeit auf der Plattform und produzieren weniger Inhalte. Ein Grund: Die Videoplattform TikTok ist zu einer attraktiven Alternative avanciert. Wissenschaftlern zufolge verbringen Nutzer zwei- bis dreimal so viel Zeit auf TikTok wie auf Instagram.

Eine Infografik mit dem Titel: TikTok: Stetiges Wachstum

Entwicklung der weltweiten Nutzer von TikTok, in Millionen

Die Dokumente legen nahe, dass sich hinter vielen Facebook-Konten gar keine physischen Nutzer befinden. So soll der Konzern durch die Verschleierung der wahren Nutzerzahlen – 2,9 Milliarden gab Facebook für das vergangene Quartal an – Werbetreibende doppelt belastet haben:

  • Eine interne Studie aus diesem Jahr mit 5.000 neuen Nutzern ergab, dass etwa 40 bis 60 Prozent der in den USA neu registrierten Konten von Nutzern erstellt werden, die bereits über ein anderes Facebook-Konto verfügen.

  • Außerdem wurde festgestellt, dass es in den USA weniger 18- bis 30-Jährige gibt als Nutzer, die sich als solche bei Facebook registriert haben sollen.

Eine Infografik mit dem Titel: Konzern mit Kratzern

Kursverlauf der Facebook-Aktie seit Mai 2021, in US-Dollar

Fazit: Die Facebook-Geschichte muss womöglich neu erzählt werden – detailreicher und kritischer. Das Unternehmen weist Verkalkungserscheinungen auf.

Tesla Model 3 © dpa

Der Autovermieter Hertz pusht den Tesla-Kurs: 100.000 Tesla-Fahrzeuge vom Typ Model 3 will sich das US-Unternehmen auf den Hof stellen – der bis dato größte Einzelkauf an Elektrofahrzeugen. Und das, obwohl Hertz erst im Juni aus der Insolvenz auferstanden war. Die Anschaffung bedeutet für Tesla einen Umsatz in Höhe von 4,2 Milliarden Dollar, wie „Bloomberg“ aus Konzernkreisen berichtet, und entspricht rund einem Zehntel der jährlichen Produktionskapazitäten des kalifornischen Autobauers.

Für Tesla wirkt sich die erhöhte Nachfrage erneut positiv auf den Aktienkurs aus: Mit einem neuen Rekordhoch ist der Elektroautobauer an der Börse nun erstmals über eine Billion US-Dollar wert.

Kursverlauf von Tesla am 25. Oktober 2021, in US-Dollar
Migranten an der Grenze zu Weißrussland © dpa

Die polnisch-weißrussische Grenze entwickelt sich zum Hotspot einer neuen Flüchtlingsbewegung. Allein im Oktober haben die Grenzer mehr als 3.000 Personen aufgegriffen, die unerlaubt in die EU gekommen sind. In den ersten sechs Monaten des Jahres waren es insgesamt nur knapp zwei Dutzend Flüchtlinge.

Ursache ist der staatliche Schleuserbetrieb des Alexander Lukaschenko. Dem weißrussischen Machthaber will die ab heute nur noch geschäftsführend im Amt befindliche Bundesregierung nun mit einem Maßnahmenpaket das Handwerk legen. Innenminister Horst Seehofer hat personelle und finanzielle Unterstützung für Polens Grenztruppen angeboten.

Alexander Lukaschenko © dpa

„Der Außengrenzschutz ist eine Aufgabe der gesamten Europäischen Gemeinschaft. Wenn Polen Unterstützung benötigt, müssen wir genauso helfen, wie wir das an anderer Stelle getan haben“, sagte Seehofer.

Im Gespräch sind erstmals gemeinsame deutsch-polnische Grenzpatrouillen.

Fazit: Ungewöhnliche Ereignisse erfordern ungewöhnliche Maßnahmen.

Klick aufs Bild führt zur aktuellen Ausgabe
Der Aufstand der Bundestags-Fahrer

Sie chauffieren Abgeordnete durch Berlin - kämpfen für höhere Löhne und hoffen auf die Ampel.

Artikel lesen

Veröffentlicht von Rasmus Buchsteiner.

Artikel

Die aktuelle Lage am Morgen:

  • Heute tritt der neu gewählte Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Ihm gehören nun 736 Abgeordnete an – 27 mehr als bislang. Mit dem Beginn der 20. Legislaturperiode endet für Angela Merkel nach 31 Jahren ihre Zeit als gewählte Abgeordnete.

Angela Merkel © dpa
  • Auf der Tagesordnung steht unter anderem die Wahl der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und der Vize-Präsidenten. Als größte Fraktion im Deutschen Bundestag darf die SPD die Nachfolge von Wolfgang Schäuble bestimmen.

Wolfgang Schäuble © dpa
  • Auch Armin Laschet wird von nun an Mitglied des Deutschen Bundestags sein. Gestern ist er von seinem Amt als NRW-Ministerpräsident zurückgetreten. Mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit soll der bisherige NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst morgen vom Landtag zu Laschets Nachfolger gewählt werden.

Hendrik Wüst © dpa
  • Zur Entscheidung über eine mögliche Ampel-Koalition erwägt die SPD, einen zusätzlichen Parteitag einzuberufen. Dieser würde dann über einen Koalitionsvertrag abstimmen.

Kritische Stimmen treffen auf ökonomische Zuversicht

Die strittigen Punkte im Sondierungspapier der Ampel

Podcast hören

Veröffentlicht in Feld & Haucap - Das Ökonomie Briefing von Lars FeldJustus Haucap .

Podcast mit der Laufzeit von

Svenja Flaßpöhler © imago

Svenja Flaßpöhler ist Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“, Co-Leiterin des Kölner Philosophie-Festivals phil.COLOGNE und Liebhaberin der kontroversen, aber geistreich geführten Debatte ist sie auch. In ihrem Buch „Mein Tod gehört mir“ erörterte sie philosophisch und historisch die Legitimität des selbstbestimmten Sterbens – und erntete einen Boykottaufruf von Sterbehilfegegnern.

Die #MeToo-Kampagne empfand sie als gut gemeint, jedoch störte sie sich an der passiven Rolle, die den Frauen zugeschrieben wurde. In einer Maybrit Illner-Sendung stieß sie damit der Feministin Anne Wizorek vor den Kopf, die sich mächtig echauffierte.

Nun hat Svenja Flaßpöhler ein neues Buch mit dem Titel „Sensibel: Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“ verfasst. Darin zeichnet sie die geistesgeschichtliche Entwicklung menschlicher Sensibilität nach – von Rousseau bis Taleb.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Im Morning Briefing Podcast-Gespräch empfiehlt sie eine Gelassenheit gegenüber den Worten, auch gegenüber den als nicht ganz richtig erkannten. Sie will Resilienz und Sprachsensibilität miteinander versöhnen:

Gerade jetzt, wo wir alle sehr sensibel werden, sollten wir diese Seite der Resilienz und der Widerstandskraft wiederentdecken.

Sie glaubt, dass spätestens dann, wenn Sprachsensibilität in Sprachrigidität übergehe, die Freiheit leide:

Eine Welt, die sich komplett der Verletzlichkeit der unterschiedlichsten Individuen anpasst, kann keine freie Welt mehr sein.

Sie warnt vor einer Sprachsensibilität, die ausgrenzt und die sich anmaßt, Wirklichkeit allein schon durch den richtigen Ausdruck zu verändern:

Man muss aufpassen, dass dieses Verständnis von Sprache nicht in Sprachmagie umkippt. Egal was wir real in dieser Welt tun, wir müssen nur unsere Sprache verändern und dann werden wir auch die Welt verändern.

Einen Ausschnitt unseres Gesprächs hören Sie im heutigen Morning-Briefing-Podcast. Die 30-minütige Version folgt am Samstag in einem Morning-Briefing-Podcast-Spezial.

 © imago

„Hartzen“, „Läuft bei dir“, „Lost“ – so spricht laut Langenscheidt die deutsche Jugend. Regelmäßig küren die Wörterbuch-Experten des Verlages das Jugendwort des Jahres und gewähren damit Eltern, Lehrern und kopfschüttelnden Großeltern Einblick in den sprachlichen Alltag der jungen Generation. In diesem Jahr erhielt das englische Wort „cringe“ die Ehre.

Was das bedeutet? Tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner hat es gestern – fast möchte man sagen – „cool“ erklärt:

Cringe ist das Gefühl, das Sie haben, wenn ich den folgenden Satz sage: Digga, wie fly ist eigentlich die Tagesschau, wenn sie mit Jugendwörtern flext? Läuft bei dir, ARD.

Susanne Daubner © Tagesschau

Langenscheidt erklärt es so:

Cringe drückt ein Gefühl des Fremdschämens aus und kann auch als Adjektiv Gebrauch finden. So kann es zum Beispiel ‚cringe‘ oder ‚cringy‘ sein, wenn Erwachsene, beim Versuch cool zu wirken, Jugendsprache verwenden.

Fazit: Die Jugendwörter kommen und gehen. Die Tagesschau bleibt.

Ich wünsche Ihnen einen unbekümmerten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing