Zitterpartie in Washington

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Guten Morgen,

die gute Nachricht: Der amerikanische Wähler hat gesprochen. Die schlechte: Er hat genuschelt. Wer gehofft hatte, die Nachrichtenfanfare „Erdrutschsieg für Biden“ würde ihn wecken, wird heute Morgen enttäuscht sein. Die amerikanische Wirklichkeit kontrastiert deutlich mit dem, was „Washington Post“ und „New York Times“ von der Ostküste berichten.

Fünf Gewissheiten lassen sich heute morgen festhalten:

1. Stand 7 Uhr deutscher Zeit fällt die Entscheidung, wer künftig Amerika regiert, in den Swing States Michigan, Wisconsin und Pennsylvania im Mittleren Westen sowie in Arizona im Südwesten. Dort gibt es für die Demokraten auf Basis erster Auszählungen noch Grund zur Hoffnung. In Florida und Ohio liegt dagegen Trump in Führung. Laut CNN kann Biden aktuell 205 Wahlmänner und -frauen auf sich vereinen, Trump kommt auf 136. Aber: Der Wahlsieger braucht 270 Stimmen im Electoral College, um die Wahl für sich zu entscheiden.

2. Donald Trump konnte sich auf die in Jahrzehnten verfestigten Grundhaltungen verlassen. Da, wo die landwirtschaftlich genutzten Flächen groß und die Veränderungsbereitschaft klein ist, da wo man Hamburger für ein Grundnahrungsmittel, die Schusswaffe für ein Menschenrecht und die gendergerechte Sprache für eine Gemütsverwirrung der Städter hält, wird seit Generationen republikanisch gewählt. Trump konnte Texas, Ohio, Indiana, Kentucky, Wyoming und Missouri klar für sich entscheiden.

3. Im beiden Lagern ist weiterhin das Hoffen erlaubt: Die Briefwähler – diesmal laut der Universität von Florida über 101 Millionen Bürger von rund 257 Millionen Wahlberechtigten – werden von vielen Beobachtern zwar mehrheitlich eher dem demokratischen Lager zugeordnet. Doch darauf ist kein Verlaß. Corona hat die Zahl der kontaktlosen Von-Zu-Hause-Wähler erhöht und damit auch ihre Struktur verändert. Im Fall des möglicherweise wahlentscheidenden Bundesstaats Pennsylvania könnte die Auszählung bis Freitag dauern.

Eine Infografik mit dem Titel: Eine amerikanische Tragödie

Bestätigte Fälle durch das Coronavirus

4. Die schwierige Wirtschaftslage und die hohe Staatsverschuldung führten nicht wie von den Demokraten erhofft zu einer Lossagung von Trump. Die Corona-Krise wurde ihm als mildernder Umstand zugerechnet. Und: Im Team Biden/Harris vermutet eine Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler keine Wirtschaftskompetenz.

Eine Infografik mit dem Titel: Schuldenkönig Trump

Staatsschulden der USA unter den Präsidenten Barack Obama und Donald Trump, in Billionen Dollar

5. Auch im Fall eines Wahlsieges können Trump und die Republikaner die politische Agenda nicht alleine bestimmen. Nach Prognosen der TV-Sender NBC und Fox News behalten die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Die Partei von Joe Biden und Kamala Harris hielt dort bisher eine Mehrheit von 232 der 435 Sitze. Die gewonnenen und verlorenen Sitze bei beider Parteien halten sich aktuell die Wage.

Fazit: Trump ist nicht geschlagen. Biden hat nicht gewonnen. Das ist der Stand heute Morgen um 7 Uhr. Aus der von vielen erwarteten und von manchen sehnsüchtig erhofften Abwahl des Präsidenten ist ein erbittertes Kopf-an-Kopf-Rennen geworden.

Peter Ross Range

Heute Morgen um 6 Uhr habe ich mit unserem Washington-Korrespondenten Peter Ross Range telefoniert, um seine Analyse zu hören. Das Original-Gespräch gibt es im Morning Briefing Podcast. Hier das Transkript.

Peter even at midnight in Washington D.C. you still don’t know who is going to be the next president of the United States. What is taking so long?

This is an election like none we have seen before. Because of the intense political intensity in the country and because of the pandemic, a record 100 million people voted early or sent their ballots in by mail. That has overwhelmed the election commissions in some states.

Some people were predicting a Joe Biden blowout, a victory by a wide margin. Is that still possible?

No. If Biden wins it will probably be by a very narrow margin. He now must win several states that Trump carried in 2016 – most notably Pennsylvania, Michigan and Wisconsin. But he seems likely to surprise everyone by winning Arizona.

Did the Biden campaign somehow misjudge their prospects in this campaign?

They may have – at least with Hispanic voters in Florida, a big state with 29 electoral votes. Trump constantly accused Biden of espousing socialism which had considerable resonance with voters from Cuba, Venezuela and Colombia. The Biden campaign was very slow to respond to those accusations.

Biden was supposed to do well with suburban women. Does that seem to be the case?

Yes. He is doing very well in suburban areas around big cities. For these women, it is all about rejecting Trump and his rough style. For them, it comes down to two words: character and chaos.

And what about Trump? Where did he make mistakes?

The flip side of the Hispanic equation. In Arizona, the Latino voters really resented Trump’s claims that Mexican immigrants are criminals and rapists.

So when do you think we know the results?

It could be some time on Wednesday but maybe even later, especially since Pennsylvania said it might need three days. And if it does not go his way, President Trump has said he would challenge the results in the courts. Then it could take weeks.

Amerika wählt und zählt: Der ehemalige Obama-Campaigner und heutige Strategieberater Julius van de Laar und der heutige ThePioneer-Vizechefredakteur und ehemalige Washington-Korrespondent des „Spiegel“ Gordon Repinski analysieren die Ereignisse der vergangenen Nacht in einer Sonderausgabe des US-Podcasts “Race to the White House”. Die aktuelle Folge können Sie ab Mittag hier hören.

Heute Abend lade ich Sie zu einer weiteren ausführlichen Analyse auf ThePioneer.de und auf Facebook ein. Der Wahlabend wird Ihnen präsentiert von Chelsea Spieker. Mit dabei sind Julius van de Laar, Gordon Repinski und ich. Als Gäste erwarten Sie: der transatlantische Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer, Sudha David-Wilp vom German Marshall Fund, Frank Sportolari, der Präsident der AmCham, und der Vorstandschef des Landmaschinenherstellers AGCO Corporation, Martin Richenhagen aus Atlanta. Zugeschaltet werden unsere Börsenexpertin Sophie Schimansky aus New York und der Deutschland-Chef von Bloomberg, Daniel Schäfer.

Wir streamen die Veranstaltung von 18 bis 21 Uhr live auf ThePioneer.de. und auf Facebook.

Der Terroranschlag in Wien hat auch ein deutsches Todesopfer gefordert. Außenminister Heiko Maas teilte gestern am frühen Abend in Berlin mit:

Wir haben jetzt die traurige Gewissheit, dass auch eine deutsche Staatsangehörige unter den Opfern des Angriffs in Wien ist.

 © dpa

Zudem starben bei der Attacke in der Wiener Innenstadt am Montagabend drei weitere Menschen und der Attentäter. Nach Angaben des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz wurden ein älterer Mann, ein junger Passant und eine Kellnerin getötet. Mindestens sieben Menschen befinden sich in lebensbedrohlichem Zustand, 22 sind schwer verletzt.

Zum Tathergang teilten die Behörden mit, dass der Attentäter, der 20-jährige Kujtim Fejzulai, um 20 Uhr das Feuer eröffnete und laut Augenzeugenberichten wahllos in die umliegenden Lokale feuerte. Er zog mit einem Sturmgewehr, einer Pistole und einer Machete sowie einer Sprengstoffgürtel-Attrappe durch die gut besuchten Straßen im Wiener Amüsierviertel im ersten Bezirk.

 © imago

Insgesamt benannte die Wiener Polizei sechs Tatorte: die Seitenstettengasse, in der die ersten Schüsse fielen, der Morzinplatz, der Fleischmarkt, der Bauernmarkt, der Graben und das Salzgries. Neun Minuten nach den ersten Schüssen wurde der Attentäter durch die Polizei niedergestreckt. Er habe zu diesem Zeitpunkt noch reichlich Munition bei sich getragen, erklärten die Behörden.

Über den Täter ist bislang bekannt, dass er ein Anhänger der radikal islamistischen Terrormiliz IS war und nordmazedonische Wurzeln hatte. In der Vergangenheit wollte er nach Syrien ausreisen, um sich dort dem IS anzuschließen. Er wurde daran gehindert und am 25. April 2019 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 22 Monaten Haft verurteilt. Der Mann sei jedoch am 5. Dezember “vorzeitig bedingt entlassen” worden. Demnach galt er als junger Erwachsener und fiel damit unter die Privilegien des Jugendgerichtsgesetzes.

 © Media Pioneer

Das Ergebnis der JU-Mitgliederbefragung liegt vor: Friedrich Merz hat sie gewonnen.

Bei der Online-Befragung unter allen derzeitigen Mitgliedern der Jungen Union lag der 64 Jahre alte Wirtschaftsjurist mit knapp 52 Prozent vorne. Das schwache Abschneiden von Armin Laschet - er wurde mit 2900 Stimmen (rund 20 Prozent der abgegebenen Stimmen) noch hinter Norbert Röttgen nur Dritter - ist enttäuschend für den NRW-Regierungschef, der sogar bei den JU-Mitgliedern in NRW hinter Merz lag (mit 33 Prozent zu 44 Prozent für Merz).

Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, kommentierte den Wahlausgang mit folgenden Worten:

Friedrich Merz hat eine absolute Mehrheit erreicht.

 © dpa

Das stimmt so nicht ganz: Friedrich Merz hat nicht die absolute Mehrheit in der JU erreicht, sondern lediglich 10,35 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten. Er erzielte die absolute Mehrheit einer 20-prozentigen Minderheit, die an der Wahl teilgenommen hat. Warum 80 Prozent der jungen CDU-Mitglieder sich an dieser Wahl nicht beteiligt haben, obwohl sie Online veranstaltet wurde und obwohl 14 Tage Zeit war, wirft kein gutes Licht auf die Nachwuchsorganisation. Die Zahl der Karteileichen scheint deutlich größer, als die der Aktivisten.

Während das Merz-Lager dennoch jubelt, geht im Unterstützerlager für Armin Laschet hinter den Kulissen das Geraune los. Manch einer träumt vom Vorsitzenden Jens Spahn. Auf die Frage nach einem Alternativkandidaten, sagte der Europaabgeordnete und Generalsekretär der CDU in Sachsen-Anhalt, Sven Schulze:

Wenn überhaupt wäre dies Jens Spahn, der ein großes Vertrauen in allen Schichten der Partei genießt und für mich das Gesicht der Zukunft an der Parteispitze darstellt.

Die Gespräche laufen heiß, einen Blick hinter die Kulissen werfen die Kollegen vom Hauptstadt-Team. Anmeldung unter thepioneer.de/hauptstadt.

Eine Infografik mit dem Titel: Ernüchternde Wahlbeteiligung

Offizielles Wahlergebnis der Jungen Union beim "Pitch" zum CDU-Vorsitz

Was macht Musik so besonders? Welche Kräfte beherbergt sie, wie kann sie solche Emotionen in uns auslösen? Fest steht, dass Musik in der Lage ist, uns gerade in unruhigen Zeiten Halt zu geben. Aktuell ist das notwendiger denn je: Corona-Lockdown, Terror in Wien, dazu eine US-Wahl, die das Potenzial hat, die Welt auch in den kommenden vier Jahren in Atem zu halten.

 © Andrej Grilc

Zwei Frauen wollen sich nicht dieser finsteren Grundstimmung ergeben. Die Pianistin Annika Treutler und die Sopranistin Sarah Aristidou kämpfen mit ihrem außergewöhnliches Talent, nämlich ihrer Musikalität, gegen Hass und für Mitgefühl; gegen das Morden und für das Zuhören.

 © Annika Treutler

Gestern waren Annika Treutler und Sarah Aristidou an Bord der Pioneer One, wo ich mich mit ihnen über ihr Projekt „Respond in music“ unterhalten habe. Ziel ist es, vor allem junge Deutsche an die Opfer des Holocausts zu erinnern und das historische Versagen in eine Gegenwartsverantwortung zu transformieren. Mit zwei weiteren Musikern spielen die beiden Frauen Stücke jüdischer Komponisten wie Kurt Weill, Adolf Strauss und Viktor Ullmann, die von den Nazis getötet wurden und deren Werke im Dritten Reich verfemt waren. Die Initiatoren fassen es so zusammen:

Es ist unsere Verpflichtung, die Stimmen von zahlreichen jüdischen Künstlerinnern und Künstlern nicht verstummen zu lassen, die – anders als wir heute – nicht die Möglichkeit hatten, ihr Leben und ihre künstlerische Kreativität zu entfalten.

Im Morning Briefing Podcast erzählen Annika Treutler und Sarah Aristidou von der Wirkung, das Projekt „Respond in music“ bislang erzielt hat. Das ganze Gespräch hören Sie am Samstag in einem musikalisch veredelten Morning Briefing Podcast Spezial auf ThePioneer.de.

Ich wünsche Ihnen einen hoffnungsfrohen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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