Geldpolitik

Die vier Probleme der Fed

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Die Federal Reserve ist als wichtigste Notenbank der Welt ein großer Taktgeber der Märkte. Dabei ist es mehr als offensichtlich, dass sie die ihr zugedachten Aufgaben nur leidlich erfüllt. Eine kritische Analyse der US-Notenbank.

Ich bin enttäuscht. Was ist nur aus dem Federal Reserve System (Fed) geworden? Dieser vor 111 Jahren gegründeten, erhabenen Institution, die Ordnung in das amerikanische Finanzsystem bringen sollte. Eine Notenbank, die so entschlossen gegen die Verwerfungen im Finanzsystem des 20. Jahrhunderts kämpfte und mehr als einmal die finanzielle Kernschmelze verhinderte.

Doch die heutige Welt ist anders als zur Gründung der Fed kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg, anders als in den Ölkrisen der 1970er Jahre und auch anders als vor der Finanzkrise 2008. Dennoch agiert die Fed so, als hätte sich die Welt um sie herum nicht verändert – als wäre sie tatsächlich noch die Institution, die mit ihren Mitteln die Macht zur Steuerung der Inflation, des Arbeitsmarktes und der Konjunktur hat.

Es bräuchte einen Moment, in dem das Fed-Präsidium vor die Öffentlichkeit tritt und sagt: „Wir brauchen einen Neustart.” Neue Aufgaben, neue Modelle, neue Methoden – eine geupgradete Notenbank. Die kritische Analyse anhand von vier Problemen und zwei Zinszyklen zeigt, warum das nottut.

Was die Fed sagt – und was sie meint

Wer die Probleme der Fed besser verstehen möchte, muss sich eingehend mit einer der bekanntesten Regeln der Notenbank für Investoren beschäftigen: „Never fight the Fed“ – positioniere dich nicht gegen die US-Notenbankpolitik. Empfohlen wurde sie vom US-Investor und Professor Martin Zweig im Jahr 1970.

Die Idee dahinter ist simpel: Im Fahrwasser einer expansiven Geldpolitik – also sinkender bzw. niedriger Zinsen – performen die Aktienmärkte gut. Die Notenbank kurbelt mit frisch gedrucktem Geld die Konjunktur an und die Unternehmen können sich mit günstigen Krediten versorgen. Anleger müssen nicht zurückhaltend investieren, sondern können die Aktienquoten hochschrauben.

Der Umkehrschluss: In Zinserhöhungszyklen sollten Aktienquoten reduziert werden.

Noch heute bestimmt der Ausspruch „Never fight the Fed” maßgeblich das Investmentverhalten von Strategen, Analysten und Asset Managern.

Das große Problem ist nur, dass Zweigs Idee nicht mehr zur Realität passt. Zwar gibt es nach wie vor eine strenge Korrelation zwischen Leitzinsen und Kapitalmarktrenditen. Aber bei genauerer Analyse scheint es keinen Zusammenhang mehr zwischen der Kursentwicklung von Aktien und Leitzinsen zu geben.

Doch wer langfristig erfolgreich investieren will, braucht einen klaren Blick auf die Märkte. Die Fed lässt aber genau diesen klaren Blick vermissen. Befragt nach dem weiteren Zinskurs heißt es auf Pressekonferenzen von der Fed stets: Wir fahren auf Sicht und agieren datenabhängig.” Sie könnte auch salopp sagen: Mal schauen, was nächste Woche ist. Für eine Institution mit 3.000 Mitarbeitern ist das zu wenig.

Fed-Chef Jerome Powell, 31.07.2024 © dpa

Eine ehrliche Pressemitteilung der Fed müsste so klingen:

Wir haben eine gewisse Erwartung an den Arbeitsmarkt und die Inflation. Das sagen zumindest unsere (alten) Modelle, mit denen wir hantieren. Aber wir zweifeln selbst daran, dass das stimmt. Also warten wir ab, bis die echten Daten für die Vergangenheit auf dem Tisch liegen und treffen daraufhin eine Entscheidung für die Zukunft!

In den offiziellen Statements belässt es die Fed beim ersten Satz. Diese (unsicheren) Erwartungen werden dann von den meisten Marktteilnehmern übernommen. In den Prognosen heißt es dann: „Wir fahren auf Sicht!“ – abwarten, bis alle Unklarheiten beseitigt sind und dann die Investments tätigen, die ohnehin schon lange geplant waren.

Da die Erwartungen aber auf wackeligen Füßen stehen, entsteht ein kommunikativer Zickzackkurs der Fed rund um den Arbeitsmarkt, die Inflation und das Wirtschaftswachstum, der permanent Fehlsignale für den Kapitalmarkt sendet. Und das kostet in einer langfristigen Anlagestrategie viel Geld.

Die großen vier Probleme der Fed, die jeder Anleger kennen sollte:

#1 Problem: Das Inflationsziel

Um die Notenbank unabhängiger von politischer Einflussnahme zu machen, führte Neuseeland im Jahr 1989 als erstes Land das Zwei-Prozent-Ziel für die Inflation ein. Die meisten Notenbanken der Industrieländer übernahmen in den Folgejahren diese Zielmarke, so auch die Fed, wenn auch erst im Jahr 2012.

Wichtig dabei: Das Zwei-Prozent-Ziel ist keine Wissenschaft, sondern eine Meinung. Es ist eine kaum begründbare und statische Annahme ohne empirischen Beweis, unter welcher Teuerung es der Wirtschaft am besten geht.

Dementsprechend gibt es Kritik am Inflationsziel – vor allem an der Kommunikation. Laut dem Mises Institute dienen die Sitzungsprotokolle der Fed heute als Instrument, „um die öffentliche Meinung über den Zustand der Wirtschaft zu prägen und das Narrativ einer ökonomischen Stabilität und Vorhersagbarkeit zu bedienen.”

Eine Infografik mit dem Titel: US-Inflation gebändigt

Inflationsrate in den USA gegenüber Vorjahresmonat, in Prozent

#2 Problem: Der Werkzeugkasten

Die Fed verfügt über drei Werkzeuge zur Erreichung ihrer Aufgaben. Das sind:

  • die Offenmarktoperationen (die Fed kauft und verkauft Anleihen am Kapitalmarkt)

  • die Mindestreserveanforderungen an Finanzinstitutionen und

  • der Leitzins (Fed Fund Rate).

Es ist ein Werkzeugkasten, der aus einer vorglobalisierten Welt stammt. Die Staaten der Erde sind heute über ihre Handelsbeziehungen, Datenströme und Reiserouten vernetzter als je zuvor. Inflation, Arbeitsmarkt und Konjunktur werden selten allein von nationalen Bedingungen beeinflusst. Eine nationale Notenbank ist dadurch in vielen Fällen zu limitiert.

Das andere große Problem ist der enorme Berg an Staatsschulden, der sich in den zurückliegenden Jahren aufgebaut hat. Bei einer Staatsverschuldung von 35 Billionen US-Dollar in den USA sind steigende Zinsen ein enormer Risikofaktor für den amerikanischen Staatshaushalt. Diese in den Fed-Statuten nicht vorgesehene Restriktion müsste die Fed bei jedem Zinsentscheid berücksichtigen, will sie nicht die nächste Krise auslösen.

Eine Infografik mit dem Titel: USA: Schuldenberg wächst

Staatsverschuldung der USA seit 1990, in Milliarden US-Dollar

#3 Problem: Die Prognose(un)fähigkeit

Die Sitzungsprotokolle der Fed, welche immer zwei bis drei Wochen nach der Sitzung veröffentlicht werden, offenbaren die niedrige Trefferquote in Bezug auf ökonomische Erwartungen. Wer sich das Protokoll vom 15. Dezember 2021 (veröffentlicht am 5. Januar 2022) anschaut, reibt sich die Augen: Die Fed erwartete damals eine Inflation für das Gesamtjahr 2022 von 2,6 Prozent. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, als die Inflation bereits auf unangenehme sieben Prozent im Jahresvergleich gestiegen war.

In der begleitenden Pressemitteilung steht zu dieser kühnen Erwartung:

Es wird erwartet, dass die Fortschritte bei den Impfungen und die Lockerung der Versorgungsengpässe zu einem weiteren Anstieg der Wirtschaftstätigkeit und der Beschäftigung sowie zu einem Rückgang der Inflation führen werden.

Dass eine der wichtigsten geldpolitischen Behörden eine Prognose veröffentlicht, die auf das Fortschreiten der Impfkampagne und die Verbesserung von Lieferkettenproblemen abstellt, irritiert. Beides liegt nicht ansatzweise im Einflussbereich der Notenbank. Ungeachtet dessen, dass die Prognose zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits Lichtjahre von der Gegenwart entfernt war.

#4 Problem: Die Allgemeinverbindlichkeit

Für die meisten Banken und Asset Manager sind die Notenbank-Prognosen dennoch Grundlage und Ausgangspunkt für die eigenen Kapitalmarktausblicke. Dann heißt es gerne „Wir gehen davon aus, dass die Fed im September die erste Zinssenkung vornimmt.“

Richtig müsste es heißen: „Auf Basis der Aussagen der Notenbank preisen die Marktteilnehmer eine erste Zinssenkung im September ein. Dem schließen wir uns gerne an und verkaufen es als unsere Analyse.“

Selbst die Prognosen des IMF und der World Bank mit ihren Heerscharen an Strategen und Analysten weichen nur selten von den Fed-Prognosen ab. Da der risikofreie Zins allerdings immer der Ausgangspunkt für die Bewertung von Vermögenswerten ist, schleift sich eine falsche Zinserwartung (als Ergebnis einer falschen Inflationserwartung) als Folgefehler durch die gesamte Prognosetabelle und macht sie letztlich unbrauchbar.

Die neue Welt der Fed

Die Fed hat in den zurückliegenden 16 Jahren seit der Weltfinanzkrise mit ihren Anleihekäufen massiv ins Marktgeschehen eingegriffen. Die als temporäre Notfallmaßnahmen angedachten Kaufprogramme sind zu dauerhaften Instrumenten geworden. Doch dieser Eingriff macht die Märkte ineffizienter, abhängiger und erratischer – und verhaftet die Fed in ihrem Krisenmodus. An zwei Phasen der jüngeren Fed-Geschichte zeigt sich das besonders deutlich:

Beispiel 1: Zinszyklus 2015 – 2018

Als der ehemalige Notenbankchef Ben Bernanke am 21. Mai 2013 seine berühmte Tapering-Rede vor dem US-Kongress hielt, erwischte er die Marktteilnehmer eiskalt auf dem falschen Fuß. Nach einer zehnjährigen Phase mit Niedrigzinsen hatten die Märkte Zinserhöhungen einfach nicht erwartet. Beginnend 2015, endete dieser Zinserhöhungszyklus krachend Weihnachten 2018.

Ben Bernanke, früherer Chef der US-Notenbank, hält im September 2013 eine Rede. © imago

Ab Sommer 2018 deuteten bereits mehrere Konjunkturindikatoren auf eine Abkühlung der US-Wirtschaft hin. Dennoch beschwor der Notenbank-Chef im regelmäßigen Turnus der Fed-Sitzungen den starken Arbeitsmarkt und die robuste Wirtschaft. Noch im Dezember 2018 konnte man im Fed-Protokoll lesen:

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass weitere schrittweise Erhöhungen für die Federal Funds Rate mit einer anhaltenden Expansion der Wirtschaftstätigkeit und guten Arbeitsmarktbedingungen vereinbar sind.

Die Aussicht auf weiter steigende Zinsen und eine abkühlende Wirtschaft schreckte die Anleger heftigst auf. Am Vormittag des Weihnachtsfest rauschte der Dow Jones Index bei dünnem Handel um satte 1.000 Punkte in den Keller. Um die Märkte zu beruhigen, erklärte die Fed in den Folgetagen hektisch die Wende von der Wende – und legte damit den Grundstein für eine massive Aktienrallye im Jahr 2019.

Beispiel 2: Zinszyklus von 2022 bis heute

Durch die Kombination von Prognoseunfähigkeit und Allgemeinverbindlichkeit hatte Ende 2021 niemand ein Szenario auf dem Radar, das elf Zinserhöhungen ab März 2022 für möglich gehalten hätte. Doch die pandemiebedingen Preisexzesse und die kriegsbedingten Verwerfungen am Energiemarkt lösten den schnellsten und stärksten Anstieg der US-Leitzinsen seit dem Bestehen der Notenbank aus.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Zinspolitik der Fed

Leitzinsspanne der US-Zentralbank, in Prozent

Der Kapitalmarkt war geschockt; hatte sich doch der Niedrigzins über mehr als eine Dekade in die Bilanzen und Bewertungen gefräst und setzte das liebgewonnene Credo „lower for longer“ außer Kraft. Das löste am Rentenmarkt den größten Crash seit fast 50 Jahren aus. Auch der Aktienmarkt blieb nicht verschont.

Die Fed agierte wie im Tunnel. Fixiert auf das Inflationsziel und überzeugt von der eigenen Steuerungsfähigkeit übersah sie, dass der Inflationsgipfel bereits im Sommer 2022 überschritten war. Dennoch wurden die Zinsprojektionen weiter angehoben – auch wenn Immobilienmarkt und Banken unter den hohen Zinsen ächzten.

Ab 2023 bekämpfte die Fed mit ihrer sturen Zinspolitik dann nicht mehr die Inflation im eigentlichen Sinne. Stattdessen musste sie den künstlich herbeigeführten Aufschwung bekämpfen, den die Biden-Regierung mit dem ironischerweise Inflation Reduction Act genannten Konjunkturprogramm ausgelöst hat. Die für 2023 durch die Fed-Aussagen erwarteten Zinssenkungen sind dadurch alle ausgeblieben. Sie ließen das Vertrauen in die Fed weiter erodieren.

Fazit

Indem die Fed Monat für Monat um die Inflations- und Arbeitsmarktdaten kreist, versucht sie, ihre Glaubwürdigkeit als Institution zu verteidigen. Dabei ignoriert sie das Zusammenspiel aller Marktteilnehmer in einem fragilen und ultrakomplexen globalen Finanzsystem. Die Konstruktionsfehler des Fed-Systems werden immer offensichtlicher. Die Institution in Washington benötigt dringend eine Frischzellenkur.

Für den strategischen Investor gilt somit: Don’t believe the Fed! Sie weiß es auch nicht besser.

Stattdessen sollte er die demographische Veränderung in den Industrienationen, die technologischen Quantensprünge und die weltweiten Schuldenquoten im Auge haben und Investmententscheidungen auf dieser Grundlage tätigen.

Dieser Text stammt von unserem Pioneer-Expert Stephan Greiner. Möchten auch Sie Ihre Expertise einbringen? Hier erklären wir, wie Sie ein Pioneer-Expert werden können.