Ein sonniger Tag in Recklinghausen. In einem auffälligen Gebäude, mit antiker Fassade und massiven Fensterfronten, mitten auf dem Marktplatz, ist trotz früher Uhrzeit schon was los: Menschen sitzen im Café, kaufen Lebensmittel ein oder gehen ins Büro.
Das Gebäude war früher ein Traditionskaufhaus – Karstadt. Dreh- und Angelpunkt der Innenstadt: für Geschenke, Handtücher, Matratzen. Oder die nächste Reise. Bis die Filiale nach 123 Jahren, im Mai 2016, wegen Erfolglosigkeit schloss.
Heute ist das Haus wieder Dreh- und Angelpunkt: mit Geschäften in der unteren Etage und Apartments für Rentner in den oberen Stockwerken. Das Konzept geht auf. Es gilt als Vorzeigeprojekt. So wie es die Recklinghäuser Karstadt-Filiale getroffen hat, könnte es vielen ehemaligen Konsumtempeln gehen.
47 Galeria-Karstadt-Kaufhof-Dependancen werden bis dieses Jahr schließen. Seit Ende der 1990er Jahre haben 131 Warenhäuser aufgeben müssen – darunter Filialen von Ketten wie Hertie, Karstadt, Horten, Galeria und Kaufhof.
Die Gebäude liegen meist in bester innenstädtischer Lage. Was also tun mit diesem Bestand? Die Optionen: umplanen und neu entwickeln – oder umwidmen und umbauen.
In Recklinghausen hat der Düsseldorfer Projektentwickler AIP den Umbau verantwortet. Architektin Lea Scholze hat das Projekt von Anfang an mit begleitet. AIP hat sich beim Karstadt-Gebäude in Recklinghausen für eine sogenannte Mixed-Use-Variante entschieden, da es „die Innenstadt belebt, auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten“. Soll heißen: Es ist heute kein großes Warenhaus mehr, sondern ein Gemisch aus Café, Supermarkt, Apotheke, Kita, Büros, Arztpraxis, Hotel und ein betreutes Wohnen für Seniorinnen und Senioren. 87 Wohnungen sind so entstanden.
Neue Wohnungen sind wichtig, immerhin steckt Deutschland momentan in der größten Wohnungskrise des 21. Jahrhunderts. Bis 2025 werden Schätzungen zufolge 720.000 Wohnungen fehlen. Die Umwandlung von Kaufhaus zu Wohnhaus kann eine Chance sein.
Die Politik sieht in der Umwidmung großes Potenzial: In einem 14-Punkte-Bauturbo-Plan hat die Bundesregierung im September 2023 ein Maßnahmenpaket für die Wohnraumförderung verabschiedet. Mit enthalten sind Gesetzesnovellierungen, Förderprogramme und der Umbau von „Gewerbeimmobilien zu Wohneinheiten“. Damit sind nicht nur Kaufhäuser, sondern auch Büros gemeint.
Mit einem Zinsverbilligungsprogramm stellt die Ampel rund 480 Millionen Euro Förderung zur Verfügung. Wann das KfW-Programm an den Start geht, ist noch unklar. Die Ampel rechnet jedenfalls mit einem Potenzial von 235.000 neuen Wohnungen allein durch die Umwidmung früherer Gewerbeimmobilien in Wohnraum.
Thomas Abraham hält das für „deutlich überschätzt“, sagt der Wissenschaftler am empirica-Institut. Er hat für den Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA) eine Studie zur Umwidmung von Kaufhäusern zu Wohnungen geleitet.
Von den 131 ehemaligen Kaufhäusern sind seit Ende der 1990er gerade mal 56 Häuser umgewidmet worden oder befinden sich im Umbau. In den meisten wurden Büros und Einzelhandel realisiert. Nur in acht Gebäuden sind Wohnungen entstanden. Insgesamt 350 an der Zahl.
Die Erklärungen für die niedrige Zahl:
#1 Das Planungsrecht: Rein rechtlich betrachtet, ist es gar nicht so leicht, aus Kaufhäusern Wohnhäuser zu machen. Denn die liegen in der Regel in sogenannten Kerngebieten, also zum Beispiel in der Innenstadt. Laut Planungsrecht sind „Wohnungen in Kerngebieten sehr nachrangig“, sagt Abraham. Reine Wohnhäuser gingen also nicht, es müsse eigentlich immer ein Mixed-Use-Konzept umgesetzt werden, so wie in Recklinghausen.
#2 Die Architektur: Erschwerend hinzu kommen die baulichen Herausforderungen:
Das fängt beim Urheberrecht an. Architektonisch dominante Fassaden sind oftmals urheberrechtlich geschützt. Das Recht liegt in der Regel beim Architekten. Bei einer Umwidmung bräuchte man dann also dessen Einverständnis. Auch das Alter und die bauliche Struktur eines Gebäudes sind eine Herausforderung. Denn die Warenhäuser sind eben nicht zum Wohnen, sondern zum Shoppen ausgelegt. Oftmals fehlen Fenster, die Decken sind viel höher als in Wohnhäusern und die Leitungen sind anders verlegt.
Wird ein Warenhaus nun umgewidmet, muss zurückgebaut werden – ein sehr kostspieliges Unterfangen. Nicht nur der Innenraum, sondern auch die komplette Technik muss erneuert werden. Ein kostspieliges Unterfangen, sagt Felix Pahnke. Er war mehr als 30 Jahre in der Einzelhandelsimmobilienbranche tätig und war bei der Metro Group und bei Goldman Sachs für den Verkauf von Warenhäusern zuständig. Während dieser Zeit hat er mehr als zehn Kaufhäuser teilweise neu konzipiert und veräußert, darunter Kaufhof, Horten und Karstadt.
Nicht alle Warenhäuser sind frei stehend. Oft gibt es eine „Blockrandbebauung und dahinter folgt ein Parkhaus“. Deswegen könne dort gar keine richtige Beleuchtung erzeugt werden, so Pahnke.
Das sind wahnsinnige Umbauten, die dazu führen, dass der Wert des Hauses schnell auf null sinkt.
#3 Die Baukosten: Die gestiegenen Preise für Baumaterial und die Lieferengpässe betreffen natürlich auch den Umbau von Warenhäusern oder Gewerbeimmobilien zu Wohnungen.
Die Illusionen über einen Preisverfall bei Neubauwohnungen dürfe sich keiner machen, sagt Christian Ulbrich. Er ist Chef der internationalen Immobilienberatung JLL. Das Unternehmen berät, finanziert und begleitet große Immobilienprojekte. Es beschäftigt 110.000 Mitarbeiter.
Bauen sei extrem teuer geworden. Allenfalls die Grundstückspreise könnten aktuell sinken. Aber unterm Strich bleibe der Kostendruck.
Das reine Bauen wird sehr teuer bleiben
sagt Ulbrich. Insofern seien Preise in Höhe von 10.000 Euro pro Quadratmeter im innerstädtischen Bereich eine Tatsache, „die wird uns auch zukünftig begleiten.“
Auch Ulbrich verweist auf die „sehr komplexen“ Umbauarbeiten. Büroimmobilien seien „häufig ungeeignet“, um sie in Wohnungen umzuwandeln.
„Denken Sie allein daran, dass Sie in jeder Wohnung Badezimmer benötigen.“ Typischerweise gebe es Toilettenräume auf der Büroetage „im Kernbereich rund um die Fahrstühle“. Auf keinen Fall in jeder Ecke des Gebäudes. „Und das macht es sehr, sehr aufwendig“, weil man das Gebäude „von oben bis unten aufschneiden“ müsse, um Badezimmer einzubauen und die entsprechenden Leitungen zu legen.
Die Umwidmung eines Kaufhauses war schon immer teuer. Die Bauarbeiten beim Karstadt in Recklinghausen begannen 2019 – also noch vor Corona und dem Ukraine-Krieg. Zum heutigen Zeitpunkt wäre solch ein Konzept nicht finanzierbar.
Im Fall Recklinghausen sollte das Gebäude unbedingt erhalten bleiben. Dafür haben der Projektentwickler AIP und die Stadt eng zusammengearbeitet. Förderungen gab es keine. Dafür hat man versucht, den bürokratischen Ablauf so effizient wie möglich zu gestalten.
Ein lukratives Geschäft war es für AIP nicht. Andere Entwickler hätten sich wahrscheinlich dazu entschieden, das Gebäude abzureißen.
Das wäre sicherlich kostengünstiger gewesen
sagt Architektin Scholze.
Thomas Abraham, der die Umwidmung aus einer wissenschaftlichen Perspektive betrachtet, weist auf die hohen Baukosten hin. Bei einer Umwidmung würde der Bestandsschutz wegfallen. Das Gebäude muss dann quasi wie ein Neubau behandelt werden. Und heute gelten eben andere Bauanforderungen als noch zum Zeitpunkt der Erstellung der Immobilie. Im besten Fall würde eine Umnutzung etwa auf den gleichen Preis wie ein Neubau kommen.
Einzig die Warenhäuser, die unter Denkmalschutz stehen, bei denen würde es sich lohnen, sie zu erhalten. Hier können die Baukosten beispielsweise auch steuerlich geltend gemacht werden. Das Karstadt-Gebäude in der Ruhrmetropole stand nicht unter Denkmalschutz. Abgerissen wurde es trotzdem nicht.
Zukunft Kaufhaus
Aber sollten dann jetzt alle Kaufhäuser abgerissen werden, weil die Umwidmung nicht wirtschaftlich ist?
Experten warnen davor. In Recklinghausen hat das Gebäude beispielsweise einen eigenen Charakter. Mehr als 100 Jahre hat das Haus das Stadtbild geprägt. Es zu entfernen und einen Neubau hinzusetzen, wäre für die Belebung der Innenstadt sicherlich kontraproduktiv gewesen.
Abraham kommt zu folgender Faustregel: Hat eine Immobilie einen eigenen Charakter, sollte man darüber nachdenken, sie zu erhalten beziehungsweise umzuwidmen. Ist das nicht der Fall, dann „sollte man sich nicht davor scheuen, auch alte Kaufhäuser abzureißen.“
Die Umwidmung würde nur „einen minimalsten Beitrag“ zur Bekämpfung der Wohnraumnot leisten können, sagt Abraham. In Anbetracht der Entstehungskosten werden die Mieten nicht erschwinglich sein.
Fazit: Wohnen in einem alten Karstadt bleibe daher eine Ausnahme, sagt JLL-Chef Ulbrich. Da helfen dann auch die 480 Millionen Euro Förderung vom Bund nicht.