Das Märchenbuch des Olaf Scholz

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Guten Morgen,

die deutsche Sozialdemokratie ist sparsamer, als man gemeinhin annimmt. Gestern erlebte der Bundestag die 24. Regionalkonferenz der SPD – ohne, dass dafür eine Saalmiete entrichtet wurde.

Der Finanzminister und Möchtegern-SPD-Chef Olaf Scholz nutzte die Gunst der Stunde und schaute an den Bundestagsabgeordneten vorbei auf die vor den Bildschirmen vermutete Parteibasis, die in den nächsten Wochen entscheiden soll, wer Deutschlands älteste Partei in die Zukunft führt. Deshalb auch wollte Scholz nicht solide, sondern sozialdemokratisch klingen. Der Mann hatte sich rot lackiert.

Tapfer mussten die Abgeordneten des konservativen Koalitionspartners die Wahlkampfrede des Genossen Olaf über sich ergehen lassen. Da sagte er:

Zusammenhalt ist die wichtigste Aufgabe für die Zukunft.

Es kann nicht sein, dass einige trotz bester Anstrengung nicht in der Lage sind, für sich selbst eine bessere Zukunft zu erreichen.

Man kann eine Gesellschaft, die zusammenhält, nicht organisieren, wenn es ein Steuersystem gibt, das nicht gerecht ist.

Bei so viel politischer Prosa blieb offenbar wenig Zeit für die Detailarbeit am Staatsbudget. Der von Scholz vorgestellte Haushalt gleicht über weite Strecken einem Märchenbuch:

Eine Infografik mit dem Titel: Nato-Quote: Anspruch und Wirklichkeit

Prognostizierte Verteidigungsausgaben des Staates anteilig am BIP, in Prozent

► Der von Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gegenüber der Nato und dem US-Präsidenten zugesagte Anstieg des Bundeswehretats findet in der Haushaltsplanung keinen Niederschlag. Die sogenannte Nato-Quote, also die Verteidigungsausgaben gemessen am BIP, steigt nicht. Vielmehr sinkt sie bis zum Jahr 2023 auf 1,24 Prozent (siehe Grafik oben).

Eine Infografik mit dem Titel: Investitionen: Der organisierte Stillstand

Prognostizierte Einnahmen des Bundes gegenüber geplanter Investitionsquote, in Euro und Prozent

► Bis 2023 sollen die Einnahmen des Bundes auf 375,7 Milliarden Euro steigen, die Investitionen aber steigen nicht mit. Das bedeutet: Die Investitionsquote des Staates – also das Verhältnis der Investitionen zum Gesamtbudget – entwickelt sich rückläufig (siehe Grafik). Scholz plant entgegen eigener anders lautender Aussagen einen Haushalt des organisierten Stillstandes.

► Was der Finanzminister für den Klimaschutz aufbringen muss, weiß er selbst noch nicht. Die Große Koalition hat ihr Maßnahmenpaket noch nicht beschlossen. Für die vorgelegte Finanzplanung bedeutet das: Das große Loch im Haushaltsplan ist noch verschleiert.

► Dass der Scholz-Haushalt ohne Fremdfinanzierung auskommt, ist nicht nur umstritten, sondern ausgeschlossen. Es gibt Ausgaben in Milliardenhöhe, denen keinerlei Einnahmen gegenüberstehen. Der Titel „Globale Minderausgabe“ ist nur ein anderes Wort für Luftbuchung.

► Im Finanzministerium kursieren längst Pläne für eine Schuldenaufnahme, die nicht direkt über den Etat, sondern über den Energie- und Klimafonds getätigt werden soll, den man mit Fug und Recht als Schattenhaushalt bezeichnen kann. Das wäre die schleichende Umgehung der Schuldenobergrenze. Weitere solcher Zweckgesellschaften sind in Planung.

Eine Infografik mit dem Titel: Scholz` Haushaltsplan: Die Risiken

Bislang nicht im Entwurf des Finanzministers enthaltene mögliche Mehrausgaben des Bundes, in Euro

► Alles an diesem Haushalt ist auf Kante genäht. Kippt das Bundesverfassungsgericht die Pläne für die nur 90-prozentige Abschaffung des Solidaritätszuschlages, fehlen sofort weitere zehn Milliarden Euro jährlich. Und tritt im Jahr 2021 die Grundrente in Kraft, steigen die Kosten um weitere drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr.

► Als Entschädigung für den Kohleausstieg sind den betroffenen Regionen bis 2038 40 Milliarden Euro Strukturhilfe versprochen worden. Im Haushalt sind bis 2030 nur homöopathische Dosen dieser Beträge berücksichtigt.

Fazit: Der Wahlkämpfer Scholz glaubt offenbar, mit Geld alles kaufen zu können – warum nicht auch den SPD-Vorsitz.

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Ausgerechnet SPD-Altkanzler Gerhard Schröder brachte den nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet als möglichen Kanzlerkandidaten der Union ins Gespräch. Zur „Rheinischen Post“ sagte er im großen Doppel-Interview Schröder/Laschet:

Ich wette auf Laschet als Kanzlerkandidat.

Was für ein Aufstieg: Noch vor zwei Jahren trauten Laschet die wenigsten zu, sich bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen gegen Hannelore Kraft durchsetzen zu können. Die SPD-Politikerin selbst verspottete ihn als „Wackel-Dackel“.

Seit dem Wahlabend ist Kraft in der Versenkung verschwunden. Wie benommen stand plötzlich er vor den Kameras. Der Sieg sei – bekannte er – „noch ein bisschen ungewohnt“.

Seither hat sich Laschet mit seiner schwarz-gelben Koalition den Respekt nicht nur der Nordrhein-Westfalen-CDU, sondern auch der Bundespartei erarbeitet. Im Gespräch für den Morning Briefing Podcast , geführt in unserem Hauptstadtstudio, haben wir über Kanzlerambitionen, die Kunst des Zuhörens und seinen Vorschlag einer deutschen Klimaaußenpolitik gesprochen. Seine Kernaussagen dazu:

Die Illusion, dass am Hambacher Forst das Weltklima gerettet wird, die ist natürlich falsch. Aber ich glaube, wir brauchen eine Klimaußenpolitik, weil die Klimafrage genauso sicherheitsrelevant ist wie viele andere Fragen auch.

Wir haben in vielen Ländern der Welt Kultur- und Wirtschaftsattachés, die spezielle Themen bearbeiten. Wir sollten damit beginnen, jemanden zu beauftragen, der den Klimadialog mit dem jeweiligen Partnerland führt.

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Der Zustand der deutschen Gesellschaft beunruhigt ihn:

Wenn du dich anstrengst, geht es den Kindern besser als den eigenen Eltern. Dieses Motto hat die Wirtschaftswunderjahre geprägt. Irgendwann ist dieses Versprechen zum Erstarren gekommen.

In Dax-Vorständen sitzen viele, deren Eltern auch schon da saßen, oder die große Erfahrungen auch durch besondere Bildungschancen hatten. Das rekurriert sich aus sich selbst heraus. Aber in der sogenannten Unterschicht, wenn ich das so nennen darf, haben wir oft das Phänomen, dass sie von Generation zu Generation von der Sozialhilfe leben.

Auch seine Lieblingsvokabel fiel während des Gesprächs:

Wir müssen das Land wieder versöhnen.

Kanzlerambitionen schließt Laschet nicht aus, verschiebt sie aber auf später:

Wenn man sich ganz Nordrhein-Westfalen widmet, kann man zeigen, wie man es anders machen kann als die Große Koalition.

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Fazit: Die Frage, ob Laschet Kanzler kann, lässt sich nach diesem Gespräch nicht endgültig beantworten. Wie auch? Fest steht aber: Der Mann gehört auf die Watch-List.

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Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will „mehr Schwung in die europäische Demokratie“ bringen und hat dafür nun in Brüssel ihre Kommissare vorgestellt. Drei Vizepräsidenten sollen von der Leyen unterstützen:

► Der unterlegene Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Frans Timmermans, wird EU-Kommissar, zuständig für die Klimapolitik.

Margrethe Vestager soll sich neben dem Wettbewerbsressort auch um Digitales kümmern.

►Der Lette Valdis Dombrovskis wird für die Finanzmärkte und die Kapitalmarktunion zuständig sein.

Nur bei einer Personalie fragt man sich, ob es hier womöglich zu einem Black-Out gekommen ist. Italiens Ex-Ministerpräsident Paolo Gentiloni soll ausgerechnet mit dem Wirtschaftsressort und damit der „Überwachung der Defizitgrenzen im Euroraum“ betraut werden. Diese Defizitgrenze hat Italien, das unter einer Schuldenlast von 2,3 Billionen Euro (132 Prozent vom BIP) leidet, noch nie erfüllt. Auch unter Gentilonis Führung stieg der Kreditbedarf, wuchs die Gier des Staates nach dem Leihgeld. In Brüssel bekommt halt jeder seine zweite Chance: Nunmehr hat der italienische Bock als europäischer Gärtner seinen Auftritt.

Donald Trump © dpa

US-Präsident Donald Trump hat es wieder getan: Sicherheitsberater John Bolton muss gehen. Der konservative Hardliner, der einen knallharten Kurs gegen China, Iran oder Nordkorea vertritt, ist die mittlerweile 55. Entlassung oder Kündigung im näheren Umfeld des Präsidenten. Trump sprach wie immer öffentlichkeitswirksam via Twitter von „starken Meinungsverschiedenheiten“:

Ich war mit vielen seiner Vorschläge nicht einverstanden, wie auch andere in der Administration, und deshalb habe ich ihn gebeten, zurückzutreten.

Bolton, schon der dritte Sicherheitsberater Trumps, widersprach – ebenfalls via Twitter:

Ich habe gestern Abend meinen Rücktritt angeboten und Präsident Trump sagte: ‚Lass uns morgen darüber sprechen.

Dieser unstete politische Lebenswandel fällt mittlerweile auf den Präsidenten zurück. Die Demoskopen melden eine deutliche Abkühlung außerhalb seiner engeren Fan-Basis. Sechs von zehn Amerikanern, das geht aus einer Umfrage für den Sender CNN hervor, wünschen sich keine zweite Amtszeit von Donald Trump. Wenn es so weitergeht, zählt er selbst bald auch dazu.

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Gestern stellte Apple-Chef Tim Cook im Steve-Jobs-Theater in Cupertino seine Innovationen vor. Diesmal wurden drei neue iPhone-Modelle gezeigt, außerdem Apple-Uhren und die Weiterentwicklung des iPad.

Apple, das mit den Verkäufen des iPhones einst zwei von drei US-Dollar verdiente und zuletzt immerhin noch jeden zweiten, sucht nach einer Diversifizierung der Einnahmen: Denn im vergangenen Quartal gingen die Umsätze in der Smartphone-Sparte um zwölf Prozent zurück.

Insgesamt hat Apple nach dem Einbruch von 30 Prozent in den letzten drei Monaten 2018 seit Januar dieses Jahres wieder 35 Prozent Kursgewinn zu verzeichnen. Die nächsten großen Geschäfte sollen das Bezahlsystem Apple Pay und Streamingdienste wie Apple TV+ bringen. Am Abend lockte Apple die Kunden schon einmal mit Kampfpreisen, um die Dominanz von Amazon und Netflix zu brechen. Der permanente Angriff ist für Apple die beste Verteidigung.

Eine Infografik mit dem Titel: Der Jack-Ma-Faktor

Entwicklung des Aktienkurses von Alibaba, in Euro

Der erfolgreichste chinesische Unternehmer tritt ab. Seit gestern steht der ehemalige Englischlehrer Jack Ma nicht mehr für den Onlinehändler Alibaba (Börsenwert 462 Milliarden US-Dollar, 674 Millionen Kunden) auf der Kommandobrücke. Pünktlich zu seinem 54. Geburtstag gibt Chinas reichster Mann (34,6 Milliarden US-Dollar Nettovermögen), der sein Unternehmen im Jahr 1999 in einer Wohngemeinschaft gründete, all seine operativen Posten auf.

Seine Geschichte ist eng verknüpft mit dem Aufschwung der chinesischen Volkswirtschaft seit der Jahrtausendwende. Der Onlinehändler beschäftigt inzwischen mehr als 100.000 Mitarbeiter und steigerte seinen Umsatz seit dem Börsengang 2014 um mehr als 500 Prozent.

Jack Ma ist das freundliche Gesicht eines unfreundlichen Regimes. In gewisser Weise war er das Gegenmodell zur Autokratie der Kommunistischen Partei. Sie glaubt ans Kollektiv, er an die Klugheit des Einzelnen. Sie will Kontrolle, er organisierte freien Handel. Insofern geht mehr als nur ein Unternehmer.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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