Die Causa Stefan Gelbhaar gefährdet zunehmend den Bundestagswahlkampf der Grünen.
Neue, schwere Vorwürfe: In einem offenen Brief an den Landes- und Bundesvorstand der Grünen erhebt der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete (gestern ausgetreten) Özcan Mutlu Vorwürfe gegen den Landesverband Berlin und damit auch – ohne ihn zu erwähnen – gegen den heutigen Wahlkampfmanager von Robert Habeck, Andreas Audretsch sowie den Bundesvorstand. Er schreibt:
Die aktuellen Vorfälle sind kein isolierter Einzelfall, sondern Ausdruck eines tief verwurzelten strukturellen Problems im grünen Landesverband Berlin.
Intrigantenstadl: Die Causa Gelbhaar sei „ein erschreckendes Beispiel für die toxischen Machtstrukturen bei den Berliner Grünen“. Es seien „dieselben“ innerparteilichen Kreise und Personen, die „regelmäßig von der gezielten Diffamierung und politischen Ausschaltung unliebsamer Kandidat*innen profitieren“.
Die Vorgehensweise, laut Mutlu: Haltlose Vorwürfe würden gezielt medial verbreitet, um maximalen Schaden anzurichten, der unabhängig vom Wahrheitsgehalt nicht mehr widerrufbar ist.
© ImagoZum Download: Offener Brief von Özcan Mutlu
Der Fall Mutlu: Özcan Mutlu wurde parteiintern vorgeworfen, gezielt türkischstämmige Mitglieder zum Beitritt in die Partei anzuwerben – kurz darauf verlor er die Abstimmung zur Nominierung auf die Landesliste Berlin.
Der Fall Prinz: Tanja Prinz wurde in einem offenen Brief von neun von zwölf Kreisverbänden zweifelhafte Methoden vorgeworfen – kurz darauf fiel sie ohne Gegenkandidatur bei der Wahl zur Landesvorsitzenden Berlin durch.
Der Fall Gelbhaar: Die mittlerweile aus der Partei ausgetretene Politikerin aus dem Kreisverband Pankow, Shirin Kreße, hat Gelbhaar unter falschem Namen der Belästigung beschuldigt – er verlor per Neuwahl die Direktkandidatur für den Bundestag.
Wo kommt Audretsch ins Spiel? Die „Nutznießer“ der „Intrige“ gegen ihn hätten nicht nur in seinem Kreisverband in Mitte gesessen, sondern auch im Landesvorstand, schreibt Mutlu im Brief. Audretsch saß 2021 im Landesvorstand. Mutlu weiter: Jetzt und 2021 profitierten „dieselben Personen“ von der Diffamierungskampagne. Audretsch rückte zuletzt auf den Listenplatz von Gelbhaar. Die hier hergestellten Zusammenhänge seien „abwegig und unzulässig“, schreibt es uns auf Anfrage.
Andere argumentieren: Audretsch hätte den Platz in einer Kampfkandidatur sowieso gegen den weniger bekannten und teils unbeliebten Gelbhaar gewonnen. Doch der Druck wächst. Die „Frage nach den Nutznießern dieser Kampagne“ sei „mehr als berechtigt“, schreibt Mutlu.
Selbstbild und Realität: Erstmals in den Reihen der Grünen nimmt er damit die Kritik der Union auf, die die Diskrepanz bei den Grünen zwischen moralischem Anspruch und Wirklichkeit kritisiert hatte. Auch Mutlu schreibt: Für eine Partei, „die sich sonst moralisch über andere erhebt“ sei es „geradezu heuchlerisch und beschämend, einen Abgeordneten mit falschen Anschuldigungen derart skrupellos kaltzustellen“.
Es war der Bundesvorstand, der Gelbhaar zum Verzicht auf die Kandidatur für den Bundestag gedrängt haben soll. Doch der versucht sich bisher bei der Aufklärung weitgehend rauszuhalten. Eine neue Kommission soll die Intrige aufklären. Ein neues Verfahren wurde zudem eingeleitet, sowohl gegen Gelbhaar – denn sieben Meldungen gegen Gelbhaar bestehen weiterhin – als auch gegen unbekannt.
© imagoUnd die Spitzenkandidaten? Weder Robert Habeck noch Annalena Baerbock sollen in den Fall involviert gewesen sein. Aber sie schweigen sich bislang über den Skandal aus.
Der Fokus wird zudem auf die falsche Berichterstattung des RBBs geleitet, der über die – wie wir jetzt wissen – falsche Zeugin berichtet hatte. Dass sowas im Wahlkampf passiere, sei kein Zufall, heißt es sogar. Suggeriert wird hier, dass Dritte der Partei schaden wollten. Das ist fehlleitend, denn die Intrige innerhalb der Partei ist real und keineswegs erfunden.
Fazit: Die Grünen haben nach der Kapitalertrags-Abgaben-Diskussion ein weiteres Mal durch schlechte Kommunikation ein Thema maximal zum eigenen Schaden potenziert.