China: Mao lebt

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Guten Morgen,

als zuversichtliche Menschen gehen Sie und ich davon aus, dass die Geschichte der Menschheit eine Fortschrittsgeschichte ist: Aufklärung. Demokratie. Frauenemanzipation. Umweltschutz.

So konnte der Mensch sich von der entrechteten Kreatur in den Bürger, den Citoyen, verwandeln. Meinungsfreiheit. Rechtsstaat. Menschenrechte.

Doch es gibt große Nationen, da entwickelt sich die Geschichte nicht nach vorn, sondern zurück. China ist eine solche Nation. Ausgerechnet der bevölkerungsreichste Staat dieser Erde erlebt den Rückruf in seine Geschichte.

Das Vorbild des mittlerweile mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten chinesischen Führers Xi Jinping ist nicht mehr der große Reformer Deng Xiaoping („Es ist egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, solange sie Mäuse fängt“), sondern dessen Widersacher: Mao Zedong. Der Parteiführer. Der Menschenschinder. Der brutale Industrialisierer.

Xi Jinping © dpa

Sein „großer Sprung nach vorn“ sollte die chinesische Agrargesellschaft binnen kürzester Zeit ins Industriezeitalter katapultieren. Die Bauern wurden Ende der 50er Jahre gezwungen, neben ihrem Stall eigene Hochöfen zur Stahlproduktion zu bauen und zu betreiben. Doch der Stahl war weitgehend unbrauchbar und die Felder verkamen, das Vieh darbte. Die Bauern waren überfordert.

Es kam zur größten von Menschen verursachten Hungerkatastrophe mit schätzungsweise 50 Millionen Toten. Der Historiker Hans-Peter Schwarz sprach deshalb vom „Monster Mao“.

Mao Zedong © imago

Xi Jinping und seine Seidenstraßen-Initiative („One Belt, One Road“) erinnern in vielfacher Hinsicht an Maos Brachialpolitik einer Industrialisierung um jeden Preis, nur dass diesmal nicht die eigenen Landsleute leiden. Mensch und Natur werden – wenn es der strategische Plan gebietet – nun andernorts geschändet. Was sich abseits von der Politik der G7-Staaten und toleriert von weiten Teilen der globalen Wirtschaftselite derzeit in Südostasien abspielt, ist mit Worten schwer zu fassen:

  • Der Mekong, der im Hochland Tibets entspringt, ist die Lebensader Südostasiens und wird jetzt mit 40 bis zu 60 Meter hohen Staudämmen und den daran angeschlossenen Wasserkraftwerken der kommerziellen Stromerzeugung zugeführt. Auf seinem 4.300 Kilometer langen Weg durch China, Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam lieferte er den Anwohnern bisher Wasser für den Reisanbau und tonnenweise Fisch. 65 Millionen Menschen, 800 verschiedene Säugetiere und 1.300 Fischarten wohnen in und um den Mekong. Die Region stehe, sagt Brian Eyler, Direktor der Südostasien-Abteilung der Denkfabrik „Stimson Center“, aufgrund der industriellen Großintervention „am Rande einer Nahrungsmittelkrise.“

Eine Infografik mit dem Titel: Das Mekong-Delta

Darstellung des Mekong-Deltas in Vietnam

  • Menschen werden im großen Stil umgesiedelt: am Ende wohl 17 Millionen. Gestern sprach Human Rights Watch in einem Report von einer „menschlichen Katastrophe”. Ackerland legt man trocken, die Laichplätze der Fische werden zerstört, um so die Vision einer „Batterie Südostasiens“ umzusetzen. Allein im Flussgebiet des unteren Mekong sollen 160 Wasserkraftwerke entstehen.

  • Der Fluss als riesiges Förderband, das nährstoffreiche Bodensedimente aus dem Himalaya und den Bergen Chinas flussabwärts transportiert, kann seine Funktion als kostenloser Nährstofflieferant für die Reisbauern nicht mehr erfüllen. 60 Prozent des Sediments werden von den Staudämmen am Weiterfluss gehindert. Jedes Jahr verliert das Mekong-Delta rund 200.000 Hektar Agrarfläche. Bis 2040, sagen Umweltschützer in der Region, werden im Vergleich zu 2007 nur noch drei Prozent des Mekong-Sediments im Delta ankommen. Damit verlieren die Böden ihre Fruchtbarkeit.

Fazit: Die Seidenstraßen-Initiative ist nicht so uneigennützig, wie von den Chinesen behauptet. Sie ist auch nicht so harmlos, wie viele im Westen glaubten. Xi Jinping ist der Mao unserer Zeit. Oder um es mit Otto von Bismarck zu sagen:

Wenn irgendwo zwischen zwei Mächten ein noch so harmlos aussehender Pakt geschlossen wird, muss man sich sofort fragen, wer hier umgebracht werden soll.

Eine Infografik mit dem Titel: Der chinesische Aufstieg

Bruttoinlandsprodukt in den USA und China in heutigen Preisen nach Kaufkraftparitäten (PPP) in Billionen US-Dollar

RKI-Chef Lothar H. Wieler © dpa

Autoritäre Impfpflicht oder demokratische Freiwilligkeit? Die politische Debatte ist eröffnet, seit das Impftempo sich spürbar verlangsamt hat. In Deutschland sind derzeit 55,6 Prozent aller Erwachsenen doppelt geimpft. Die verimpften Dosen pro Tag gehen jedoch seit dem 9. Juni zurück: Damals wurden 1,4 Millionen Vakzin-Dosen an einem Tag gespritzt, am Dienstag waren es lediglich 404.541. Das Lager der Impfverweigerer und Impfmuffel wird laut dem RKI auf 16,8 Millionen Erwachsene geschätzt, was für die schnelle Erreichung einer Herdenimmunität hinderlich ist.

Was tun? Und welche Abwägung ist zwischen den individuellen Freiheitsrechten und dem gesellschaftlichen Gesamtinteresse zu treffen, das wer eigentlich definiert? Darüber spreche ich im Morning Briefing-Podcast mit Prof. Dr. Christiane Woopen, einer habilitierten Humanmedizinerin, die heute als Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln arbeitet. Zudem ist sie Vorsitzende des Europäischen Ethikrates.

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Von einer allgemeinen Impfpflicht ist Christiane Woopen aus verschiedenen Gründen nicht überzeugt:

Ich glaube, eine Demokratie tut sich den größeren Gefallen, wenn sie ihre Energie in Überzeugungsarbeit steckt und mit den Menschen in den Dialog geht.

Der Staat habe sich eine die Bürger bevormundende Attitüde zugelegt:

Da ist viel Paternalismus am Werke. Große Appelle nach dem Motto: ‘Wir wissen, wie es richtig ist und ihr sollt das jetzt mal tun.’

Und welche Position bezieht Christiane Woopen zu kostenpflichtigen Corona-Tests?

Die Politik scheint in der Alternative impfen oder testen zu denken. Ich halte das für die Bewältigung und das Abflachen der vierten Welle für nicht vielversprechend.

Sie hält der herrschenden Politik vor, dass sie zur Polarisierung und nicht zur Befriedung beiträgt:

Ich halte es auch für sozial schädlich, so ein Narrativ aufzumachen, dass wir eine Zweiklassengesellschaft haben.

Christiane Woopen © dpa

Die implizite Bestrafung der Nicht-Geimpften, zum Beispiel dadurch, dass man ihnen den Eintritt verwehrt oder die Kosten der Corona-Tests aufbürdet, hält sie für unangemessen:

Ich glaube, es passt nicht, dass man ein Schuldprinzip einführt, wenn man sagt: Du hättest dich ja anders verhalten können.

Fazit: Hier spricht inmitten einer aufgeheizten Gesellschaft die Stimme der Vernunft. Falls der Kanzlerin und ihrem Kanzleramtsminister an einer klugen und ethisch grundierten Coronapolitik gelegen ist, werden sie hier fündig.

Christiane Woopen © imago
GDL-Chef Claus Weselsky © dpa

Seit gestern Morgen, zwei Uhr, stehen drei Viertel der Züge der Deutschen Bahn still. Mitten in der Ferienzeit hat die Lokführergewerkschaft GDL sich dazu entschlossen, Bürgern den Zugang zu Urlaubsort, Arbeitsstätte oder Eigenheim zu erschweren. Im Reich der Bahngewerkschaft gilt das alte Arbeiterlied aus der Feder von Georg Herwegh:

Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.

Bahnstreik © dpa

Dabei zeigt sich schon nach dem ersten Streiktag, wie gefährlich und unsinnig dieser Arbeitskampf ist, den GDL-Chef Claus Weselsky geradezu mutwillig begonnen hat:

  • Die Bahn wird in allen Wahlprogrammen als Hoffnungsträger gegen den Klimawandel gehandelt. Nun demontiert das Unternehmen sich selbst.

  • Die GDL fordert 3,2 Prozent Lohnerhöhung und bekommt diese auch von der Bahn geboten. Der Streit ist daher eher ein Schrei nach Aufmerksamkeit, um im Wettkampf der konkurrierenden Lokführergewerkschaften Gefolgschaft zu organisieren. Die rivalisierende „Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft“ (EVG) hat die deutliche Mehrheit der Zielgruppe organisiert.

Claus Weselsky spricht mit streikenden Lokführern © dpa

Fazit: GDL-Chef Claus Weselsky kämpft ums Überleben seiner Spezialgewerkschaft. Der Bahnvorstand wäre wahnsinnig, wenn er ihm den Gefallen eines 5-Sterne-Abschlusses täte.

Armin Laschet © dpa

Die Union hat laut der jüngsten Forsa-Umfrage erneut an Popularität eingebüßt und drei Prozentpunkte verloren. Sie liegt nur noch knapp vor Grünen und SPD und Lichtjahre vom Rekordergebnis unter Helmut Kohl entfernt, der 1983 exakt 48,8 Prozent der Wähler von sich überzeugen konnte.

  • Die Grünen liegen laut Forsa mit 20 Prozent auf dem gleichen Wert wie in der vorherigen Woche.

  • Knapp gefolgt von der SPD, die drei Prozentpunkte gewann und mit 19 Prozent laut Forsa ihre besten Umfragewerte seit 2018 erreicht.

  • Die FDP verlor laut der am Mittwoch veröffentlichten Umfrage einen Prozentpunkt und erreicht damit zwölf Prozent.

Der Anteil der Nichtwähler und bisher Unentschlossenen ist hoch, höher als bei der Bundestagswahl 2017. Er liegt bei 26 Prozent; damit stellen die Zweifler die größte Gruppierung. Diese Zögerlichkeit liegt nicht an den Menschen, sondern am politischen Angebot, das in seiner derzeitigen Verfasstheit als ungenügend empfunden wird.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Jamaika-Koalition

Aktuelle Umfrage zur Bundestagswahl, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Die Deutschland-Koalition

Aktuelle Umfrage zur Bundestagswahl, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Die Ampel-Koalition

Aktuelle Umfrage zur Bundestagswahl, in Prozent

Jerome Powell © imago

Die Inflation scheint mitten im Sommer wie festgefroren. Nach dem sprunghaften Anstieg des Verbraucherpreisindex im Juli auf 3,8 Prozent im Jahresvergleich hierzulande – damit hat sich das Leben in Deutschland so kräftig verteuert wie seit mehr als 27 Jahren nicht mehr – ziehen auch die USA nach: Im vergangenen Monat sind die amerikanischen Verbraucherpreise mit 5,4 Prozent im Jahresvergleich ebenso stark gestiegen wie im Juni.

Das ruft auch bei erfahrenen Ökonomen die Frage auf, ob die ultralockere Geldpolitik, wie sie von der Zentralbank in den USA und der EZB gefahren wird, weiterhin tragbar ist.

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Prof. Lars Feld, bis vor kurzem Chef der Wirtschaftsweisen, sagt nein:

Man kann sicher nicht die Entwarnung geben, die manche Notenbanken versuchen aktuell zu geben, insbesondere auch die EZB.

Vor allem, wenn die aktuelle Preisentwicklung zu Nachforderungen in den Lohnrunden der kommenden Monate führe, werde sich das Tempo der Geldentwertung verstetigen:

Sobald wir bei den Löhnen eine Dynamik haben, die verbunden ist mit der Inflationsentwicklung, dann ist die Inflationsentwicklung nicht nur temporär.

Justus Haucap © Uni Düsseldorf

Die beiden Ökonomie-Experten diskutieren außerdem die aktuellen Entwicklungen bei der Deutschen Bahn. Justus Haucap befürwortet eine Entflechtung des Staatskonzerns:

Eine Entflechtung sehe ich positiv. Ich glaube, das würde mehr Probleme lösen als es Probleme bringt.

Das gesamte, rund halbstündige Gespräch zwischen Lars Feld und Justus Haucap hören Sie exklusiv auf ThePioneer.de: Das Ökonomie-Briefing.

Abschiebungen bleiben umstritten © dpa

Noch am Dienstag plädierten Deutschland, Österreich, die Niederlande, Dänemark, Belgien und Griechenland in einem Schreiben an die EU für eine Fortsetzung der Abschiebungen nach Afghanistan. Die Begründung: Ein Abschiebestopp sei ein falsches Signal und würde wahrscheinlich noch mehr Afghanen dazu motivieren, ihre Heimat in Richtung EU zu verlassen.

Gestern kippte die Bundesregierung um. Bundesinnenminister Horst Seehofer verkündete die Kehrtwende:

Ein Rechtsstaat trägt auch Verantwortung dafür, dass Abschiebungen nicht zur Gefahr für die Beteiligten werden.

Horst Seehofer © imago

Seit dem Abzug internationaler Truppen aus dem südasiatischen Land Mitte April hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert – die radikalislamischen Taliban sind auf dem Vormarsch. US-Geheimdienste schätzen, dass die afghanische Hauptstadt Kabul in 90 Tagen an die Taliban fallen könnte. Kundus und der ehemalige Bundeswehr-Standort Masar-e Scharif werden bereits von den Taliban kontrolliert.

Von den Taliban zerstörte Geschäfte in Kabul © dpa

Angaben des Innenministeriums zufolge leben derzeit knapp 30.000 ausreisepflichtige Afghanen in Deutschland.

Man kann die Sache auch so sehen: Vorher wurde nicht abgeschoben und jetzt wird nicht abgeschoben. Neu ist nur der Nicht-Abschiebegrund: die Taliban.

Concert for Bangladesh: George Harrison, Bob Dylan, Leon Russell © imago

Konzerte zur Rettung des Weltfriedens gab es schon immer. Aber das Benefizkonzert, die musikalische Wohltätigkeits-Gala, erblickte vor 50 Jahren das Licht der Welt. Damals erfuhr der erfolgreiche Ex-Leadgitarrist der Beatles, George Harrison, erstmals von der bitteren Armut in Bangladesch, war gerührt und zornig war er auch. Er trommelte seine Freunde zusammen, darunter Eric Clapton, Ringo Starr und Bob Dylan, um ein Konzert zu geben, dessen Einnahmen für Bangladesch gespendet wurden.

„Concert for Bangladesh“ war der Titel.

Die Benefizveranstaltung war schnell ausverkauft, rund 40.000 Besucher kamen in den Madison Square Garden. Durch den Kartenverkauf wurden über 240.000 Dollar erlöst, mit denen Unicef vor Ort Hilfe leistete.

George Harrison © dpa

Die Kultur des Benefizkonzerts hat die Jahrzehnte unbeschadet überlebt. In diesem Jahr treten Stars und Bands wie Billie Eilish, Ed Sheeran, Black Eyed Peas und Coldplay auf, um sich für die Weltenrettung einzusetzen. Am 25. September wollen sie in mehreren Städten – darunter New York, Paris und Lagos – singen.

Die PR-Agenten haben mittlerweile für das Genre einen passenden Arbeitstitel gefunden, der zugleich das weniger edle Motiv offenlegt: Social Marketing. Oder wie der italienische Filmvirtuose Federico Fellini zu sagen pflegte:

Bescheidenheit ist eine große Tugend – besonders bei anderen Menschen.

Die Beatles in New York City (1966) © imago

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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