Merz und das Leben der Anderen

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Guten Morgen,

Friedrich Merz – der Ikarus unserer Tage – unternimmt im heimischen Hochsauerlandkreis einen neuerlichen Versuch, den Berliner Himmel zu erobern. Darüber sprachen wir gestern bereits.

Heute schauen wir mit den Augen des Protagonisten auf die Bundeshauptstadt und was wir da sehen, ist ein großes Schild mit der Aufschrift „Betreten verboten“. Überall da, wo unser ehrgeiziger Ikarus landen möchte, haben andere Politikerinnen und Politiker bereits ihren Platz an der Sonne eingenommen. Die Reviere der Neuzeit, das ist der für ihn verstörende Befund, sind wenige Monate vor der Bundestagswahl bereits vergeben.

Astrid Hamker © dpa
  • Den Wirtschaftsrat der CDU führt Astrid Hamker, eine Unternehmerin, die Friedrich Merz selbst gefördert hat. Sie verkörpert die neue Zeit und sitzt fest im Sattel. Sie möchte auf keinen Fall seine Vorgängerin werden.

Ralf Brinkhaus © dpa
  • Der ehemalige finanzpolitische Sprecher der Unionsfraktion Ralf Brinkhaus ist jetzt Fraktionschef. Am liebsten würde er auch nach der Bundestagswahl in jenem Amt bleiben, das einst Friedrich Merz bekleidete, bevor Angela Merkel ihn unsanft zu Bette brachte. Armin Laschet wird und muss die Ambitionen von Brinkhaus berücksichtigen.

Carsten Linnemann © dpa
  • Der Chef der Mittelstands-Union Carsten Linnemann spielt in der Mannschaftsaufstellung eines CDU-Kanzlers Armin Laschet eine herausgehobene Rolle. Linnemann ist Marktwirtschaftler, Unternehmersohn und hat lange Jahre an der Seite des legendären Prof. Norbert Walter in der Research-Abteilung der Deutschen Bank gearbeitet. Laschet lobt ihn oft und gerne. Er ist sein Wunschkandidat für das Wirtschaftsministerium. Linnemann ist für viele in der Union der neue Merz.

Jens Spahn © dpa
  • Auch Jens Spahn, immer vorausgesetzt, er überlebt das Impfdebakel, hat sich als Co-Partner von Laschet einen Job im Kabinett oder an der Spitze der Unions-Fraktion verdient. An ihm führt für Merz kein Weg vorbei.

Armin Laschet und Nathanael Liminski © dpa
  • Ins Kanzleramt wird Merz unter einem Regierungschef Laschet auf keinen Fall einziehen können. Der entscheidende Posten als Kanzleramtsminister ist für Nathanael Liminski reserviert, ein Laschet-Loyalist und der gewiefte Machtwerker im Hintergrund für den manchmal chaotischen Chef.

Serap Güler © dpa
  • Und da Armin Laschet auch noch seine Staatssekretärin für Integration Serap Güler aus Düsseldorf mit nach Berlin nehmen wird – mutmaßlich in der Position einer Integrationsministerin – bleibt für einen weiteren Nordrhein-Westfalen am Kabinettstisch kein Platz. Erst recht nicht für einen Mann. Die Mathematik unserer Zeit rechnet anders als Merz kalkuliert.

Fazit: Auch der dritte Comeback-Versuch des ehemaligen BlackRock-Aufsichtsrats steht unter keinem günstigen Stern, was Merz nicht anficht. Je heftiger die Widerstände, desto inniger sehnt er sich an seine alte Wirkungsstätte.

Niccolò Machiavelli hat in „Der Fürst“ das Phänomen präzise beschrieben:

Unsere Sehnsucht wird immer größer, je weniger wir sie befriedigen können.

André Schürrle, wirst du ein Profi-Investor?

Im Interview: Ex-Fußballprofi André Schürrle in der Startup-Edition bei Christian Miele.

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Veröffentlicht in Tech Briefing Business Class Edition von Christoph KeeseLena Waltle.

Podcast mit der Laufzeit von

Thea Dorn © Anne Hufnagl

Für viele wurde die Coronapandemie zu einem schweren Schicksalsschlag. Über 70.000 Menschen sind hierzulande bisher in Verbindung mit Covid-19 gestorben. Für die Angehörigen ist dieser Verlust besonders schmerzvoll, denn auch für sie gelten die Abstandsregeln. Die Sterbenden werden isoliert wie früher die RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim.

Die Literatin und Gastgeberin des „Literarischen Quartetts“ Thea Dorn widmet dem Thema Verlust in Corona-Zeiten den Roman „Trost“. In diesem schreibt die Protagonistin Johanna sich Briefe mit ihrem ehemaligen Philosophielehrer über den Tod ihrer kürzlich an Covid-19 verstorbenen Mutter und ihren Umgang mit der fehlenden Nähe.

In dem Buch heißt es:

Ich will das Leid nicht Schicksal nennen müssen. Ich will es Unrecht nennen dürfen und wer mir meinen Zorn zum Vorwurf macht, begeht das nächste Unrecht.

Wer die Menschlichkeit verteidigen will, muss den Tod auf die Anklagebank setzen.

Die Kunst des Sterbens kann nur erlernen, wer zuvor bereit ist, die Kunst des Tröstens und die Kunst des Sich-Trösten-Lassens zu erlernen.

Trost ist eine Bestimmtheit. Eine Bereitschaft. Ein Mutter-Kind in der eigenen Seele.

Trost entsteht, wenn sich die Naive vom Weisen, der Weise vom Naiven in den Schlaf wiegen lässt.

Trost heißt, Hals über Kopf in den abenteuerlichen Glauben zu springen, alles werde gut, obwohl man weiß, dass es jederzeit schlimmer werden kann.

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Darüber sprechen wir. Heute Morgen in der Kurzfassung. Das ausführliche Gespräch mit der Schriftstellerin hören Sie am Samstag im Morning Briefing Sonder Podcast auf thepioneer.de

Wir beide freuen uns auf Sie. Oder wie Thea Dorn in unserem Gespräch sagt: „Die Kunst des Zivilisatorischen besteht darin, dem Zorn einen Raum zu geben.“

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Jörg Meuthen © dpa

Das Bundesamt für Verfassungsschutz nimmt nun auch offiziell die AfD ins Visier. Damit wird eine Partei vom Geheimdienst beobachtet, die mancherorts die stärkste parlamentarische Kraft ist.

In ihrem vollen Umfang, also über die bereits als besonders radikal eingestuften Gruppierungen hinaus, gilt die AfD nun als „Verdachtsfall“ für Rechtsextremismus und kann dadurch am Telefon abgehört oder von V-Leuten unterwandert werden.

In einem 1100 Seiten umfassenden Gutachten begründet der Verfassungsschutz diese Einstufung. Mehr als 400 Organisationseinheiten habe man in den vergangenen Monaten untersucht – mit besonderem Fokus auf den ehemaligen rechten „Flügel“ der Partei unter Führung des Thüringer Landeschefs Björn Höcke.

Obwohl diese Gruppierung offiziell im vergangenen Frühjahr aufgelöst wurde, fielen die Ergebnisse des Bundesparteitages im November 2020 knapp aus: 45 Prozent der Delegierten wählten ehemalige Anhänger des „Flügels“. Ziel der Beobachtung ist daher, zu kontrollieren, in welche Richtung die Partei sich entwickelt.

Die Entscheidung vertieft die Spaltung der AfD. Auf der einen Seite der Spalte steht Jörg Meuthen, der sich für eine gemäßigtere AfD ausspricht und mit der Auflösung des rechten „Flügels“ einer Überwachung entgehen wollte. Auf der anderen stehen die Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland. Letzterer sagt dem Staat, der ihn beobachten will, den Kampf an:

Ich bin persönlich der Meinung: Keine Anpassung an den Verfassungsschutz.

Eine Infografik mit dem Titel: AfD verliert

Ergebnis der AfD beim Einzug in den Bundestag im September 2017 und der Sonntagsfrage vom 19. Februar 2021, in Prozent

Viktor Orbán © dpa

Ähnliches Thema, anderer Ort: Viktor Orbán hat seine Fidesz-Abgeordneten aus der EVP-Fraktion im Europaparlament abgezogen. Damit kommt Orbán der Fraktion der europäischen Konservativen zuvor. Denn die Rechtsnationalen waren der EVP schon lange ein Dorn im Auge. Doch erst eine Änderung der Geschäftsordnung schaffte die rechtliche Grundlage, um die Fidesz-Abgeordneten ausschließen zu können.

Ungarn hat sich unter Orbán zu einem autoritären Staat entwickelt. Der Ministerpräsident selbst sagt, dass sein Land eine „illiberale Demokratie“ sei. So existiert in dem südosteuropäischen Land de facto keine Pressefreiheit mehr. Ein Großteil der Medien ist in der Hand von Orbán-Unterstützern.

Erst kürzlich wurde dem letzten unabhängigen Radiosender „Klubradio“ von der Medienaufsichtsbehörde die Lizenz zum Senden entzogen. Die wenigen Medien, die noch unabhängig berichten, erhalten so gut wie keine staatliche und private Werbung mehr. Sie werden nicht verboten, nur ausgetrocknet.

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Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut (RKI) innerhalb der vergangenen 24 Stunden 11.912 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden wurden 359 weitere Todesfälle registriert.

  • Bund und Länder haben sich gestern auf neue Corona-Maßnahmen geeinigt: Demnach wird der Lockdown bis zum 28. März verlängert. Ostern dann soll das Fest der Erlösung werden.

  • Buchläden, Blumengeschäfte und Gartenmärkte sollen bundeseinheitlich ab dem 8. März öffnen. Die Regierung hatte schon überlegt, oberhalb einer Inzidenz von 50 den Frühling zu vertagen.

  • Ab Montag sollen Treffen mit fünf Personen aus zwei unterschiedlichen Haushalten möglich sein. Ausgenommen von der Regel sind CDU-Landesparteitage, CDU-Spenden-Dinner und Fraktionssitzungen der Großen Koalition.

  • Haus- und Fachärzte dürfen ab Ende März das Corona-Vakzin verimpfen, wenn denn die Logistikkette steht.

  • Vor April wird es keine kostenlosen Schnelltests für die Bevölkerung geben. Der Kundige hört den Selbstzweifel der Regierung gleich mit: Ob es nach April dann wirklich Schnelltests für alle gibt, ist damit noch nicht gesagt.

  • In Schulen und Kitas sollen die Selbsttests künftig genutzt werden. Zur Beschaffung dieser Tests wurde eine Taskforce gegründet. Wir wissen: Es gibt viele Wege ein Thema zu vermasseln. Die Gründung einer Taskforce ist der sicherste.

  • Die gestrige Runde brachte erneut eine Sprachinnovation hervor. Bei einer Inzidenz unter 100 könnte der Einzelhandel „Terminshopping“ anbieten, heißt es in dem Beschlusspapier. Das bedeutet: Nach Voranmeldung darf der maskierte Kunde als „lonesome shopper“ das Geschäft betreten.

  • Nach Ansicht des Sozialverbands VdK sollten die Länder endlich Tempo machen. „Der Impfstoff ist da, verkommt aber teils in den Impfzentren“, sagte Präsidentin Verena Bentele. Beim Verband meldeten sich immer mehr Mitglieder, die chronisch krank oder behindert seien und sich impfen lassen wollten, aber verzweifelt auf Termine warteten.

Olaf Scholz © dpa
  • Olaf Scholz möchte die Beschränkungen für Corona-Geimpfte zügig aufheben. Die Normalität wird als Geschenk überreicht.

  • Die Regierung kündigte gestern an, dass bis Ende Mai jeder Impfwillige geimpft sei. Diese Ankündigung kam freilich nicht von der deutschen Regierung, sondern von US-Präsident Biden.

Die erschöpfte Regierung

Der Lockdown geht weiter, die Schnelltests kommen später – die Regierung ringt mit sich selbst.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Angela Merkel während ihrer Chinareise 2019 © dpa

Angela Merkel muss nach Informationen der dpa am 23. April als Zeugin im Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal aussagen. Während einer Chinareise setzte sich die Bundeskanzlerin für den Zahlungsdienstleister ein, obwohl die Integrität des Unternehmens bereits öffentlich infrage gestellt worden war.

Ein Berater Merkels sagt, dass das Kanzleramt zum Zeitpunkt der Reise nichts von den späteren Machenschaften rund um Wirecard wusste. Der Auftritt darf getrost als Preview zur Bundestagswahl 2021 gewertet werden.

Michael Lohscheller © dpa

Der Autobauer Opel überrascht im Coronajahr mit guten Zahlen: Nach Angaben des Mutterkonzerns Stellantis – zu dem mittlerweile 14 Marken, darunter Maserati, Jeep, Peugeot und Fiat gehören – hat die Rüsselsheimer Firma im vergangenen Jahr einen operativen Gewinn von 527 Millionen Euro eingefahren – trotz einem Rückgang beim Fahrzeugabsatz von 35 Prozent.

Über diese erfreuliche Entwicklung beim einstigen Sorgenkind der Autoindustrie spreche ich im Morning Briefing Podcast mit Michael Lohscheller, dem Geschäftsführer von Opel. Er nennt drei Gründe für die guten Zahlen:

Die Modelloffensive funktioniert – insbesondere mit dem neuen Opel Corsa: Er ist das meistverkaufte Auto in Deutschland im Kleinwagensegment. Zudem haben wir die Komplexität unserer Fahrzeuge deutlich reduziert und damit die Erträge gesteigert. Und drittens sind wir Effizienzweltmeister, auch was die Kostendisziplin betrifft.

Über die Situation von Opel im neuen Großkonzern namens Stellantis sagt er:

Wir können in einem so großen Konzern viele Synergien nutzen und müssen Dinge nicht doppelt entwickeln. Hinzu kommt, dass die Marke Opel die einzige deutsche Marke im Konzern ist.

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Daniel Brühl © imago

Der Schauspieler Daniel Brühl mischt sich in die aktuelle Diskussion über Political Correctness und Cancel Culture ein. Im Interview mit der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ wendet er sich vehement gegen die Armee der Twitter-Trolle und die überall postierten Facebook-Sniper. Er sagt:

Diese Kultur der Bestrafung ohne Prüfung der Vorwürfe wird inzwischen immer verrückter. Es reicht, wenn jemand auf Social Media etwas über eine berühmte Persönlichkeit behauptet und angebliche Verfehlungen präsentiert. Wenn das als Lüge zurückgewiesen wird, müsste eine Untersuchung das klären und herausfinden, ob wirklich etwas vorgefallen ist.

Aber dazu komme es oft nicht mehr:

Denn die Rollen, die Verträge, die Agenturen verliert man als Schauspieler inzwischen sofort.

Welche Schlüsse er daraus ziehe, will die „Süddeutsche Zeitung“ von ihm wissen. Brühl antwortet:

Alles wird verkrampfter. Bestimmte Dinge, die zum Leben dazugehören, werden gar nicht mehr thematisiert, eine große Sterilität greift um sich.

Der Schauspieler bedauert das:

In meinem Beruf geht es auch um Leichtigkeit, um Spiel, um einen Sinn für Humor.

Fazit: Die Welt ist in einen schlechten Film geraten. Der Schauspieler Daniel Brühl ist ein Held des Alltags, weil er sich dagegen wehrt. Auch ohne Drehbuch.

Ich wünsche Ihnen einen möglichst unbeschwerten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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